BVerfGE 1, 184 - Normenkontrolle I
1. Der Normenkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 I GG unterliegen nur Gesetze in formellem Sinne einschließlich der im Gesetzgebungsnotstand gemäß Art. 81 GG erlassenen Gesetze.
2. Die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 I GG ist nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält. Bloße Bedenken reichen nicht aus.
3. Die Akten sind dem Bundesverfassungsgericht gemäß § 80 I BVerfGG im Gerichts- nicht im Verwaltungswege vorzulegen.
 
Urteil
des Ersten Senats vom 20. März 1952
-- 1 BvL 12, 15, 16, 24, 28/51 --
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung: 1. der Polizeiverordnung des Innenministers von Nordrhein-Westfalen vom 28. April 1951 (GVBl. S. 47), 2. der Landespolizeiverordnung der Landesregierung von Rheinland-Pfalz vom 28. April 1951 (GVBl. S. 111), 3. der Polizeiverordnung des Senats der Hansestadt Hamburg vom 11. Mai 1951 (GVBl. S. 45); auf Antrag: 1. der Landgerichte Duisburg und Bielefeld, 2. der Amtsgerichte Ludwigshafen und Neumagen, 3. des Amtsgerichts Hamburg Beschluß vom 31. Januar 1952 über den Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers.
Entscheidungsformel:
Die Antrage sind unzulässig.
 
Gründe:
I.
Am 24. April 1951 hat die Bundesregierung folgenden Beschluß gefaßt:
    "1. Die von der SED, dem Gewalthaber der Sowjetzone, betriebene Volksbefragung 'gegen Remilitarisierung und für Friedensschluß im Jahre 1951' ist dazu bestimmt, unter Verschleierung der verfassungsfeindlichen Ziele die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik zu untergraben. Die Durchführung der Aktion stellt einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung des Bundes dar.
    2. Die Vereinigungen, die diese Aktion durchführen, insbesondere die dazu errichteten Ausschüsse sowie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Freie Deutsche Jugend (FDJ), der Gesamtdeutsche Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft und das Deutsche Arbeiterkomitee richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und sind daher durch Artikel 9 Abs. 2 GG kraft Gesetzes verboten.
    3. Die Landesregierungen werden gemäß § 5 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 - BGBl., S. 682 - ersucht, jede Betätigung solcher Vereinigungen für die Volksbefragung zu unterbinden."
Der Beschluß und seine Begründung sind im Bundesanzeiger Nr. 82 vom 28. April 1951 veröffentlicht.
Gemäß dem Ersuchen der Bundesregierung haben die Länder Nordrhein- Westfalen, Rheinland-Pfalz und die Hansestadt Hamburg durch die im Rubrum genannten Polizeiverordnungen jede Betätigung für die Volksbefragung, insbesondere die Betätigung der im Beschluß der Bundesregierung genannten Organisationen verboten und mit Strafe bedroht.
II.
1. Das Landgericht Bielefeld hat durch Beschluß vom 27. September 1951 - 7 Qs 248/51 - das Strafverfahren gegen den Maurer Hans Heinrich L. aus M. gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beantragt. Das Gericht äußert Bedenken, ob die Polizeiverordnung vom 28. April 1951 im Hinblick auf die Art. 4, 5, 8, 9, 17 und 19 GG verfassungsmäßig sei. Es legt Art. 100 GG dahin aus, daß schon Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertigen.
In dem Strafverfahren gegen den Arbeiter Günter Sch. aus M. wegen Übertretung derselben Polizeiverordnung ist das Landgericht Duisburg durch Beschluß vom 20. August 1951 -14 KMs 12/51 - ebenso verfahren. Das Gericht hält die Polizeiverordnung wegen Verstoßes gegen Art. 5, 8, 9 und 17 GG für verfassungswidrig, ohne geprüft zu haben, ob die Aktion der Volksbefragung mit Rücksicht auf die in dem Beschluß der Bundesregierung vom 24. April 1951 dargelegten Zusammenhänge mit den in der Ostzone verfolgten Plänen einen Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik darstellt und etwa deshalb eine Berufung auf Grundrechte ausgeschlossen ist.
2. Das Amtsgericht Ludwigshafen hat durch Beschlüsse vom 18. September 1951 - 4 a Cs 890/51 und 4 a Cs 892/51 - die Strafverfahren gegen den Schlosser Helmut H. und gegen Waldemar H. aus L. wegen Übertretung der rheinland-pfälzischen Polizeiverordnung gemäß Art. 100 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beantragt, da die Polizeiverordnung wegen Verletzung der Art. 5 und 19 GG verfassungswidrig sei.
Das Amtsgericht Neumagen ist durch Beschluß vom 3. November 1951 - 2 Cs 134/51 - in dem Strafverfahren gegen den Rentner Johann Sch. aus Th. ebenso verfahren. Es hält die Polizeiverordnung für verfassungswidrig, weil gerade die Werbung für den Abschluß eines Friedensvertrages und gegen die Remilitarisierung mit dem Grundgesetz in Einklang stehe; außerdem sei das Grundrecht der freien Meinungsäußerung "polizeifest".
3. Das Amtsgericht Hamburg hat durch Verfügung vom 12. September 1951 - 136 Cs 230/51 - das Strafverfahren gegen den Wäscher Willy K. und den Verwaltungssekretär Franz L. aus H. gemäß Art. 100 GG ausgesetzt und die Akten über den Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der hamburgischen Polizeiverordnung vorgelegt. In einem
Vermerk begründet das Gericht die Verfassungswidrigkeit mit einem Verstoß gegen Art. 2, 5, 9, 18 und 19 GG.
Auch die Amtsgerichte Ludwigshafen, Neumagen und Hamburg haben den Zusammenhang der Aktion der Volksbefragung mit den ostzonalen Plänen nicht untersucht.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat gemäß §§82, 77 BVerfGG dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, den Landtagen und den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, der Bürgerschaft und dem Senat der Hansestadt Hamburg sowie den an den Strafverfahren Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Bundestag, der Bundesrat, die Landtage und die Bürgerschaft der Hansestadt Hamburg haben von einer Stellungnahme abgesehen.
In der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 1952, in der die Sachen 1 BvL 12, 15, 16, 24 und 28/51 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, waren die Bundesregierung, die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und von Rheinland-Pfalz und der Senat der Hansestadt Hamburg sowie die an den Strafverfahren Beteiligten vertreten. Die Bundesregierung, die beiden Landesregierungen und der Senat der Hansestadt Hamburg sind dem Verfahren gemäß § 82 Abs. 2 BVerfGG beigetreten. Die Verhandlung wurde auf die Rechtsfrage der Zulässigkeit der Anträge beschränkt.
Die Bundesregierung, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und der Senat der Hansestadt Hamburg bejahen die Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts auch für Rechtsverordnungen; die Landesregierung von Rheinland-Pfalz und die Bevollmächtigten der am Strafverfahren Beteiligten wollen sie auf Gesetze in formellem Sinne beschränkt wissen.
IV.
1. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG sieht die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts nur für den Fall vor, daß ein Gericht das Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nach § 80 BVerfGG, soweit es sich um Landesrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes einzuholen. Die Begründung muß angeben, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm sie unvereinbar ist.
Die Gerichte können demnach die Verfassungsmäßigkeit eines anzuwendenden Gesetzes in eigener Zuständigkeit bejahen. Nur wenn sie die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes verneinen wollen und die Entscheidung von der Gültigkeit dieses Gesetzes abhängig ist, haben sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Zweifel des Gerichts an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder bloße Bedenken reichen bei einer Normenkontrolle nach Art. 100 GG, im Gegensatz zur Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG, nicht aus.
Da das Landgericht Bielefeld auf bloße Zweifel hin das Bundesverfassungsgericht angerufen hat, ist sein Antrag bereits aus diesem Grunde unzulässig.
2. Auch das Verfahren des Amtsgerichts Hamburg ist zu beanstanden. Gemäß § 80 BVerfGG ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das zuständige obere Bundesgericht oder, soweit es sich um Landesrecht handelt, über das zuständige oberste Gericht des Landes einzuholen. Die Vorlage muß also im Gerichtswege, nicht im Verwaltungswege erfolgen. Wie die Entstehungsgeschichte ergibt, hat der Gesetzgeber mit Vorbedacht diese Regelung getroffen, um die Möglichkeit von Einwirkungen der Justizverwaltung auf die Rechtsprechung auszuschließen. Das Amtsgericht Hamburg hätte also die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht über den Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts, sondern über das Oberlandesgericht selbst einholen müssen.
V.
Die Anträge der vorlegenden Gerichte sind im übrigen deshalb unzulässig, weil Polizeiverordnungen nicht Gesetze im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG sind.
1. Der Sprachgebrauch des Grundgesetzes bei der Verwendung des Wortes "Gesetz" ist nicht einheitlich. Der Begriff wird bald in formellem, bald in materiellem Sinne verwandt. Versteht man unter "Gesetz" in Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nur Gesetze in formellem Sinne, dann unterliegen Bundes- und Landesgesetze hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz der Prüfung des Bundesverfassungsgerichts, Landesgesetze hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der Landesverfassung der Prüfung des Landesverfassungsgerichts. Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG schreibt die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts auch dann vor, wenn "Landesrecht" das Grundgesetz verletzt. Nun regelt aber bereits Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG den Fall, daß ein Landesgesetz das Grundgesetz verletzt. Wollte man in der Wahl des Wortes "Landesrecht" eine Erweiterung auf "Gesetze in materiellem Sinne" erblicken, dann käme man zu dem ungereimten Ergebnis, daß die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht sich zwar auf Landesrechtsverordnungen, nicht aber auf Bundesrechtsverordnungen erstrecke. Auch könnte das Bundesverfassungsgericht die Landesrechtsverordnungen dann nur auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, nicht aber mit sonstigen Bundesgesetzen prüfen, da der zweite Halbsatz des Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG wiederum nur von Landesgesetzen spricht.
Versteht man dagegen den Ausdruck "Gesetz" in Art. 100 Abs. 1 GG in materiellem Sinne, dann sind sowohl Bundesgesetze als auch Bundesverordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Landesgesetze und Landesverordnungen wären hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit ihrer Landesverfassung der Prüfung durch das Landesverfassungsgericht unterworfen; die Verletzung des Grundgesetzes durch Landesrecht jeder Art würde wiederum zur Prüfungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts gehören. Dann aber wäre der erste Halbsatz des Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG überflüssig.
Dieser Halbsatz kann dann - falls er nicht als sinnlos angesehen werden soll - nur die Bedeutung haben klarzustellen (was sich bei richtiger Auslegung des ersten Satzes freilich schon aus diesem ergibt), daß dem Bundesverfassungsgericht nicht nur die Prüfung der Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dem Grundgesetz, sondern auch die Prüfung der Vereinbarkeit von Landesrecht mit dem Grundgesetz zustehen soll. Dann aber läßt er keinen Schluß darauf zu, ob in Satz 1 Gesetze in formellem oder materiellem Sinne gemeint sind; denn in beiden Fällen hätte die mit dem ersten Halbsatz des zweiten Satzes bezweckte Klarstellung ihre Bedeutung.
Ein Vergleich des Wortlauts des Art. 100 Abs. 1 mit Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG könnte darauf hindeuten, daß die Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts bei den beiden Arten der Normenkontrolle einen verschiedenartigen Umfang haben soll. Denn die Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG wird im Gegensatz zu der des Art. 100 GG durchweg auf Bundesrecht und Landesrecht erstreckt. Angesichts der unklaren Fassung des Art. 100 GG und der Tatsache, daß das Grundgesetz auch sonst den Begriff des Gesetzes bald in materiellem, bald in formellem Sinne anwendet, ist jedoch ein zwingender Schluß aus dem verschiedenen Wortlaut der beiden Bestimmungen allein nicht möglich.
2. Auch das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht bringt keine Klärung.
Allerdings spricht § 13 Nr. 11 BVerfGG von der Vereinbarkeit eines Bundesgesetzes oder Landesgesetzes mit dem Grundgesetz und von der Vereinbarkeit eines Landesgesetzes oder sonstigen Landesrechts mit einem Bundesgesetz. Danach scheint das Wort "Gesetz" nur in formellem Sinne gemeint, die Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts jedoch in denjenigen Fällen ausdrücklich auf Landesverordnungen erstreckt zu sein, in denen die Vereinbarkeit mit einem einfachen Bundesgesetz in Frage steht. Abgesehen davon, daß eine solche Regelung in sich unverständlich wäre, kann nicht angenommen werden, daß § 13 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht neue Befugnisse übertragen will. Denn aus den Einleitungsworten des § 13 BVerfGG in Verbindung mit seiner Nr. 15 ergibt sich, daß dort nur eine Zusammenstellung der auf anderen Vorschriften beruhenden Zuständigkeiten bezweckt ist; außerdem verweist § 13 Nr. 11 BVerfGG in einem Klammerzusatz auf Art. 100 Abs. 1 GG.
Beruht daher die Hinzufügung der Worte "oder sonstigen Landesrechts" auf einem offenbaren Versehen, so ergeben sich aus dem sonstigen Wortlaut des § 13 Nr. 11 BVerfGG keine Anhaltspunkte für eine Klärung des Begriffs "Gesetz" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG.
Auch § 80 BVerfGG regelt das Verfahren der Normenkontrolle auf Antrag der Gerichte nur für den Fall, daß "die Voraussetzungen des Art. 100 GG gegeben" sind. Wenn dort in Abs. 1 von "Landesrecht" die Rede ist, so dient diese Bezeichnung offensichtlich der Abgrenzung zum Bundesrecht, nicht aber zum Landesgesetz. Allerdings werden in § 80 Abs. 2 und 3 BVerfGG wiederholt die Worte "Rechtsvorschrift" und "Rechtsnorm" verwendet. Damit sind jedoch nur für Bundes- und Landesvorschriften einerseits, für Grundgesetz und einfaches Bundesgesetz andererseits einheitliche Bezeichnungen gewählt worden; eine Klärung des Begriffs "Gesetz" im Sinne des Art. 100 Abs. 1 GG kann aus ihnen nicht entnommen werden.
3. Ebensowenig bringt die Entstehungsgeschichte des Art. 100 GG Klarheit.
Art. 100 Abs. 1 GG ist hervorgegangen aus Art. 137 Abs. 1 des Herrenchiemsee-Entwurfs (HChE), mit dem er sich weitgehend im Wortlaut deckt. Dort war das Wort "Gesetz" in materiellem Sinne gemeint, wie aus dem kommentierenden Teil des Herrenchiemsee-Entwurfs zu Art. 137 (HChE, Bericht S. 94) hervorgeht. Die erste Alternative des Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG ("wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht handelt") ist in Art. 137 Abs. 1 HChE nicht enthalten. Sie taucht jedoch schon in dem gemeinsamen Vorschlag der Abg. Zinn, Strauß und Dehler auf, der den Beratungen des Rechtspflegeausschusses zugrunde lag und im übrigen fast wörtlich mit dem Herrenchiemsee-Entwurf und der heutigen Fassung des Art. 100 GG übereinstimmt. Außerdem lagen zwei Entwürfe der Abg. Strauß und Zinn vor, die an Stelle des Ausdrucks "Gesetz" den Ausdruck "Rechtsvorschrift" verwenden. Die Abweichung gegenüber dem Herrenchiemsee-Entwurf lag darin, daß beide Entwürfe die Prüfungszuständigkeit des obersten Bundesgerichts oder des Deutschen Bundesgerichts an Stelle des Bundesverfassungsgerichts begründen wollten. Da sich aber die Diskussion wesentlich auf die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts oder eines anderen obersten Gerichts erstreckte, kann hieraus kein sicherer Schluß darauf gezogen werden, daß man das Wort "Gesetz" so deuten wollte, wie es der kommentierende Teil des Herrenchiemsee-Entwurfs getan hatte: als Gesetz in materiellem Sinne.
Nun sah allerdings der gemeinsame Vorschlag der Abg. Zinn, Strauß und Dehler einen Art. 128 b vor (die Grundlage des heutigen Art. 93 GG), der die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen wollte und ihm "die Entscheidung über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht auf Antrag eines Gerichts (Art. 137 Abs. 1) oder auf Antrag der Bundesregierung oder einer Landesregierung (Art. 44)" übertragen wollte. Aber auch hieraus kann ein sicherer Schluß für die Auslegung des damaligen Art. 137 (des heutigen Art. 100 GG) nicht gezogen werden, weil von dieser Zusammenfassung in der III. Lesung des Hauptausschusses abgesehen wurde und Art. 137 die Fassung "Gesetz" behielt.
In keiner Beratung des Parlamentarischen Rates und seiner Ausschüsse ist die Frage, ob das Entscheidungsmonopol gemäß Art. 100 GG auf formelle Gesetze beschränkt oder auf materielle Gesetze, mithin auch Rechtsverordnungen erstreckt werden sollte, als Sonderproblem erkannt und behandelt worden.
4. Auch aus der geschichtlichen Entwicklung des richterlichen Prüfungsrechts läßt sich für die Entscheidung der Frage wenig gewinnen, ob nach dem Willen des Gesetzgebers die Normenkontrolle auf Antrag der Gerichte sich nur auf Gesetze in formellem oder auch auf Gesetze in materiellem Sinne erstrecken soll.
In der Zeit des Kaiserreichs wurde das richterliche Prüfungsrecht bei förmlichen Gesetzen verneint (RGZ 9, 235), bei Rechtsverordnungen dagegen bejaht (RGZ 24, 3; 43, 420).
Nach dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung dehnte die Rechtsprechung das richterliche Prüfungsrecht auf die Vereinbarkeit von Reichsgesetzen mit der Reichsverfassung aus. In dem grundlegenden Urteil vom 4. November 1925 (RGZ 111, 320) begründet das Reichsgericht das Recht und die Pflicht des Richters, die Verfassungsmäßigkeit von Reichsgesetzen zu prüfen, u. a. damit, daß die Reichsverfassung selbst keine Vorschrift enthalte, nach der die Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Reichsgesetze den Gerichten entzogen und einer bestimmten anderen Stelle übertragen worden sei. Für Verordnungen war das richterliche Prüfungsrecht nach wie vor unbestritten (Stier-Somlo, Reichs- und Landesstaatsrecht I S. 679; RGZ 102, 164; 107, 379). Der in der IV. Wahlperiode des Reichstags vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Reichsrechts vom 16. Oktober 1928 (RT-Drs. Nr. 382) - wörtlich übereinstimmend mit dem Entwurf vom 11. Dezember 1926 (RTDrs. Nr. 2855 III. Wahlperiode) - erstreckt ausdrücklich das Prüfungsmonopol des Staatsgerichtshofs auch auf Rechtsverordnungen.
Zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde das Recht des Richters zur Prüfung von Gesetzen und Verordnungen als unvereinbar mit der autoritären Staatsauffassung im allgemeinen verneint. Lediglich bei Polizeiverordnungen war es unbestritten.
Die nach 1945 bis 1949 geschaffenen Landesverfassungen und die Rechtsprechung in der Zeit nach dem Zusammenbruch haben das richterliche Prüfungsrecht wieder anerkannt. Mit Ausnahme der Vorläufigen Verfassung der Hansestadt Hamburg vom 15. Mai 1946 regeln alle diese Landesverfassungen das richterliche Prüfungsrecht ausdrücklich. Dabei unterscheiden sie zwischen Gesetzen und Rechtsverordnungen, so Art. 114 der badischen, Art. 142 der bremischen, Art. 132 der hessischen, Art. 130 der rheinl.-pfälzischen, Art. 92 der württ.-badischen und Art. 62 der württ.-hohenzollerischen Verfassung. Lediglich Art. 92 der bayerischen Verfassung regelt das Prüfungsmonopol des Verfassungsgerichtshofs dem Wortlaut nach nur für "Gesetze" .
Aus den Beratungen des Parlamentarischen Rates und seiner Ausschüsse ist nicht ersichtlich, daß er irgendeine dieser in den Entwürfen oder Landesverfassungen enthaltenen Regelungen zum Vorbild des Art. 100 GG nehmen wollte. Der Parlamentarische Rat hat vielmehr die richterliche Prüfungszuständigkeit frei gestaltet.
VI.
Angesichts des unklaren Gesetzeswortlauts und der Tatsache, daß weder die Entstehungsgeschichte des Art. 100 GG noch die historische Entwicklung des richterlichen Prüfungsrechts sichere Anhaltspunkte für die Auslegung des Ausdrucks "Gesetz" im Art. 100 GG ergeben, läßt sich eine Entscheidung darüber, ob die Gerichte die Übereinstimmung von Rechtsverordnungen mit dem Grundgesetz incidenter verneinen dürfen oder ob sie in solchen Fällen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 GG einholen müssen, nur aus der Bedeutung der gesamten Normenkontrolle im Rahmen des Grundgesetzes und der dem Bundesverfassungsgericht dabei zugewiesenen Aufgaben herleiten.
1. Bei der Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG steht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts als Hüters der Verfassung durchaus im Vordergrund. Es hat darüber zu wachen, daß das Grundgesetz weder formell noch sachlich durch Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder verletzt und andererseits die sich aus der bundesstaatlichen Struktur ergebende Gefahr vermieden wird, daß sonstiges Recht des Bundes durch Landesrecht beeinträchtigt wird. Allerdings wird dem Bundesverfassungsgericht keine von Amts wegen auszuübende Überwachungspflicht auferlegt. Das Grundgesetz verlangt vielmehr einen Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestags. § 76 BVerfGG grenzt dieses Antragsrecht näher ab. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob eine solche Abgrenzung etwa eine Einschränkung des in Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG schlechthin verliehenen Antragsrechts enthalten und insoweit unwirksam sein könnte. Auch nach § 76 BVerfGG kann jedenfalls der Antragberechtigte das Bundesverfassungsgericht dann anrufen, wenn er eine Norm für gültig hält, nachdem sie von einer der dort unter Nr. 2 genannten Stellen nicht angewandt worden ist. Sobald also irgendein Gericht eine Rechtsnorm wegen Verfassungswidrigkeit oder die Rechtsnorm eines Landes wegen Unvereinbarkeit mit Bundesrecht nicht anwenden sollte, könnte der Antrag auf Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG gestellt werden; insbesondere braucht die Rechtskraft einer solchen Entscheidung nicht abgewartet zu werden.
Soweit diese Art der Normenkontrolle Rechtsverordnungen, also rechtsetzende Akte der Exekutive betrifft, ist weiter zu beachten, daß die Bundesregierung und jede Landesregierung als die höchsten Exekutivorgane diese Normenkontrolle beantragen können, wenn sie die Entscheidung für unrichtig und die Frage der Gültigkeit der betreffenden Rechtsnorm für bedeutsam halten.
Wird also die Gültigkeit irgendeiner Rechtsverordnung wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit in Frage gestellt, so haben alle höchsten Exekutivorgane - und zwar unabhängig voneinander - die Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht als Hüter der Verfassung anzurufen. Nur wenn keines dieser höchsten Exekutivorgane und wenn auch nicht ein Drittel der Bundestagsmitglieder an der Bestätigung der Gültigkeit einer solchen von einer Exekutivbehörde gesetzten Norm ein Interesse haben sollte, könnte das Bundesverfassungsgericht nicht tätig werden. Wenn daher auch das Antragsrecht gemäß Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG bei politischen Organen liegt, so bietet diese Regelung doch hinreichende Gewähr dafür, daß das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung aller Rechtsverordnungen von besonderer Bedeutung angerufen wird.
2. Bei der Normenkontrolle nach Art. 100 GG dagegen tritt die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, Hüter der Verfassung zu sein, zurück.
Art. 100 GG will schon seinem Wortlaut nach die Gerichte nicht etwa von der Prüfung und Entscheidung aller verfassungsrechtlichen Fragen in einem Einzelrechtsstreit ausschließen und hierfür die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründen. Im Gegenteil können und müssen die Gerichte die für ihre Entscheidung in Betracht kommenden Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und landesrechtliche Vorschriften auch auf ihre Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht hin prüfen; sie können in eigener Zuständigkeit die Vereinbarkeit bejahen. Würde durch eine solche positive Entscheidung das Grundgesetz verletzt werden, weil nach richtiger Auslegung die angewandte Rechtsnorm verfassungswidrig und daher nichtig wäre, so könnte das Bundesverfassungsgericht in seiner Eigenschaft als Hüter der Verfassung nur im Rahmen der Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. I Ziff. 2 GG oder - bei Verletzung von Grundrechten - auf Grund einer Verfassungsbeschwerde tätig werden. Aus Art. 100 GG jedoch läßt sich eine derartige Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts zum Schutze der Verfassung nicht herleiten.
Dagegen ist es nach dem Grundgedanken des Art. 100 GG Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, zu verhüten, daß jedes einzelne Gericht sich über den Willen des Bundes- oder Landesgesetzgebers hinwegsetze, indem es die von ihnen beschlossenen Gesetze nicht anwendet, weil sie nach Auffassung des Gerichts gegen das Grundgesetz oder die bundesstaatliche Rangordnung von Bundes- und Landesrecht verstoßen. Das allgemeine richterliche Prüfungsrecht ist daher auf eine inzidente Bejahung der Verfassungsmäßigkeit beschränkt. Im Falle der Verneinung haben die Gerichte nur ein Vorprüfungsrecht. Dadurch wird eine Beeinträchtigung der gesetzgebenden Gewalt ausgeschlossen.
Gerade die Gefährdung der gesetzgebenden Gewalt durch die Ausweitung des richterlichen Prüfungsrechts war eines der Hauptbedenken gegen die allgemeine richterliche Prüfungsbefugnis. Sie wurde deshalb abgelehnt, weil die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit besonderen, bei der Gesetzgebung selbst beteiligten Organen zustehe. Auch wurde geltend gemacht, daß Verfassung und Gesetz Normen gleichen Ranges, Verfassungsgesetzgeber und Gesetzgeber also identisch seien, soweit nicht ein besonderes Gesetzgebungsorgan für Verfassungsänderungen bestehe. Ferner wurde darauf hingewiesen, daß der Richter an das formell ordnungsgemäß verkündete Gesetz gebunden sei, sofern nicht ausdrücklich Entgegenstehendes bestimmt sei. Schließlich wurde aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung die Pflicht der rechtsprechenden Gewalt hergeleitet, die Akte der gesetzgebenden Gewalt anzuerkennen.
Derartige Bedenken können jedoch gegen die allgemeine richterliche Prüfungsbefugnis gegenüber Rechtsverordnungen nicht erhoben werden. Es war, wie bereits dargelegt, stets unbestritten, daß die Gerichte Rechtsverordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung im Einzelrechtsstreit nachprüfen konnten, sofern dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen war. Erst seitdem das richterliche Prüfungsrecht sich auch gegenüber Gesetzen durchgesetzt hatte (RGZ 111, 320), entstand das Problem, wie der dadurch heraufbeschworenen Gefahr begegnet werden könne, daß jedes Gericht sich über Akte der gesetzgebenden Gewalt hinwegsetze. Erst auf der Grundlage dieser allgemeinen richterlichen Prüfungsbefugnis gegenüber Gesetzen erhob sich die Frage einer Konzentration bei einem besonderen Staats- oder Verfassungsgericht.
Allerdings ist mit der Prüfungsbefugnis der einzelnen Gerichte, soweit sie zur Verneinung der Rechtsgültigkeit von Rechtsnormen führen kann, auch die Gefahr der Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung verbunden. Dies könnte ein Grund dafür sein, auch Rechtsverordnungen durch ein einziges Gericht prüfen zu lassen. In der Tat haben sowohl die Entwürfe aus den Jahren 1926 und 1928 als auch mehrere Landesverfassungen nach 1945 die Konzentration der Prüfungsbefugnis ausdrücklich auch auf Rechtsverordnungen erstreckt. In der Begründung zu den Entwürfen wird insbesondere hervorgehoben, daß die Prüfungsbefugnis eines jeden Richters hinsichtlich der Rechtsgültigkeit von Rechtsverordnungen niemals streitig gewesen sei, daß jedoch der Übelstand verschiedenartiger gerichtlicher Entscheidungen auch bei Verordnungen hervorgetreten und eine Überlastung des Staatsgerichtshofs nicht zu befürchten sei. Nach den Entwürfen sollten nämlich nur das Reichsgericht, die sonstigen höchsten Gerichte und die Oberlandesgerichte das Recht auf unmittelbare Anrufung des Staatsgerichtshofs haben. Andere Gerichte sollten zunächst die Entscheidung des höchsten ihnen übergeordneten Gerichts, die unteren ordentlichen Gerichte eine Entscheidung des Oberlandesgerichts herbeiführen, an dessen Rechtsauffassung sie dann gebunden wären.
Nach dem Grundgesetz besteht jedoch bei der Nachprüfung der Rechtsverordnungen durch die einzelnen Gerichte keine Gefahr einer Rechtsunsicherheit oder Rechtszersplitterung, denn die Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG bietet, wie oben dargelegt, hinreichende Möglichkeiten, um bei allen Rechtsverordnungen von Bedeutung rechtzeitig eine allgemeinverbindliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen.
Anders jedoch liegt es bei den Gesetzen. Hier würden sich in der Tat, wie die auf ein Prüfungsmonopol hinzielenden Tendenzen der Vergangenheit zeigen, bei einer allgemeinen Prüfungsbefugnis der Gerichte besondere Gefahren der Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung ergeben; denn den gesetzgebenden Körperschaften der Länder, deren Gesetze von einzelnen Gerichten als grundgesetzwidrig oder als bundesrechtswidrig behandelt würden, fehlt die Befugnis, die Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Gerade die Regelung des Antragsrechts für diese Normenkontrolle, die zwar die Landesregierungen, aber nicht die Landtage berücksichtigt, zeigt mit aller Deutlichkeit, daß die Konzentration der Normenkontrolle auch insoweit, als sie Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung verhindern soll, nur bei Gesetzen, nicht aber bei Rechtsverordnungen erforderlich ist.
Spricht daher weder die Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Hüters der Verfassung noch die Gesamtregelung der Normenkontrolle für eine Einbeziehung der Rechtsverordnungen in Art. 100 GG, so spricht andererseits die Gestaltung der Normenkontrolle nach Art. 100 GG dagegen. Würde diese Bestimmung sich auch auf Rechtsverordnungen erstrecken, so müßte jedes Gericht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur dann einholen, wenn es eine Rechtsverordnung des Bundes oder eines Landes wegen Verstoßes gegen das Grundgesetz für nichtig hält, sondern auch dann, wenn eine Landesverordnung mit einem Bundesgesetz unvereinbar wäre. Während die vorerwähnten Entwürfe aus den Jahren 1926 und 1928 die Rechtsverordnungen ausdrücklich einbeziehen, sehen sie zugleich eine entscheidende Entlastung für den Staatsgerichtshof vor. Einmal erstrecken sie das Prüfungsmonopol nicht auf Landesvorschriften; ferner lassen sie die Rechtsfrage sowohl bezüglich der Gesetze wie der Rechtsverordnungen grundsätzlich im Instanzenzuge klären und geben nur den oberen Gerichten ein Vorlagerecht. Eine derartige Beschränkung fehlt in Art. 100 GG, der jedem einzelnen Gericht das Vorlagerecht und die Vorlagepflicht überträgt.
3. Angesichts der sonstigen umfangreichen Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts entspricht die hier entwickelte Auslegung auch dem Gebot, die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Normenkontrolle auf wichtigere Aufgaben zu beschränken. Dieser Grund hätte allerdings keine entscheidende Bedeutung, wenn die Konzentration der Normenkontrolle nach Art. 100 GG auch für Rechtsverordnungen unabweislich wäre. Dies gilt aber um so weniger, als die Prüfung der Rechtsverordnungen und damit die richterliche Kontrolle der Exekutive nach Lehre und Rechtsprechung zur allgemeinen richterlichen Zuständigkeit gehört hat. Auch nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes haben Gerichte die Befugnis für sich in Anspruch genommen, Rechtsverordnungen wegen Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz als unwirksam zu behandeln.
VII.
Art. 100 Abs. 1 GG betrifft daher nur Gesetze in formellem Sinne einschließlich der im Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG erlassenen Gesetze. Diese Auslegung trägt zugleich dem Gesetzeswortlaut am besten Rechnung. Denn sie führt zu dem Ergebnis, daß die Worte "Gesetz" und "Landesgesetz" in Art. 100 Abs. 1 GG einen engeren Inhalt haben als die Worte "Bundesrecht" und "Landesrecht" in Art. 93 Abs. 1 Ziff. 2 GG; und daß der Ausdruck "Landesrecht" in Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG nur der Unterscheidung vom Bundesrecht dient. Bei dieser Regelung erhält dann auch die äußere Trennung der beiden Arten der Normenkontrolle im Grundgesetz ihre besondere Bedeutung. Schließlich entspricht diese Auslegung auch der in Art. 80 GG zum Ausdruck kommenden Tendenz, die Befugnis der Exekutive zum Erlaß von Rechtsverordnungen inhaltlich zu begrenzen.
Mit dieser Auffassung setzt sich das Bundesverfassungsgericht nicht in Gegensatz zu dem Urteil des Bayer.Verfassungsgerichtshofs vom 13. April 1951 (VerwRspr. 4 S. 18), da die Stellung beider Gerichte und ihre Aufgaben verschieden sind.
In den vorliegenden Fällen ist somit die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unzulässig.