Keine Urkundenfälschung liegt vor, wenn das amtliche Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so daß die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist.
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StGB § 267
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4. Strafsenat
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Beschluss
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vom 21. September 1999 g.H.
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- 4 StR 71/99 -
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I. Amtsgericht Coburg II. Landgericht Coburg III. Bayerisches Oberstes Landesgericht
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Gründe:
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I.
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Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Kennzeichenmißbrauchs zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot angeordnet. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht ihn der Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Nach den Feststellungen übersprühte der Angeklagte die Kennzeichenschilder seines auf ihn zugelassenen Pkw mit einer farblosen Flüssigkeit, wodurch bei Blitzlicht-Fotoaufnahmen eine so starke Reflexion auftrat, daß die schwarzen Buchstaben und Zahlen "überblendet" wurden und auf dem Lichtbild ohne lichtbildtechnische Nachbehandlung nicht erkennbar waren. Er wollte damit bei etwaigen Geschwindigkeitskontrollen die Ermittlung seiner Personalien anhand der Kennzeichen des Fahrzeugs unmöglich machen. Als der Angeklagte das Fahrzeug am 29. August 1997 mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, wurden die mit dem Spray behandelten amtlichen Kennzeichen bei einer Verkehrskontrolle entdeckt.
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Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.
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II.
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Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte auf die Sachrüge den Schuldspruch dahin abändern, daß der Angeklagte nicht der Urkundenfälschung, sondern des Kennzeichenmißbrauchs schuldig ist. Es ist der Ansicht, daß der Erklärungsinhalt des Kraftfahrzeugkennzeichens durch dessen Besprühen mit dem Speziallack nicht verändert wurde. Der Angeklagte habe aber die Erkennbarkeit des Kennzeichens in rechtswidriger Absicht beeinträchtigt und sich daher wegen Kennzeichenmißbrauchs strafbar gemacht (§ 22 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StVG).
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An der beabsichtigten Entscheidung sieht es sich durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 1997 - 2 Ss 267/96 - 73/96 III - (NJW 1997, 1793 m. abl. Anm. Krack NStZ 1997, 602 = NZV 1997, 319 = DAR 1997, 284 = JR 1998, 303 m. abl. Anm. Lampe = VD 1997, 230) gehindert. Dieser Entscheidung liegt zugrunde, daß amtliche Kraftfahr zeugkennzeichen nachträglich mit "Antiblitzbuchstaben", bei denen es sich um reflektierende Folien handelte, versehen wurden. Sie führten dazu, daß bei polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen oder Rotlichtüberwachungen die Identifizierung des fotografierten Fahrzeugs anhand der Kennzeichen unmöglich gemacht, jedenfalls wesentlich erschwert wurde. Das Oberlandesgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, daß die Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle durch das Abstempeln der Kennzeichen mit beweiserheblicher Bedeutung bescheinige, daß die Kennzeichenschilder den technischen Vorschriften entsprechen und uneingeschränkt ablesbar sind. Diese Beweisrichtung sei "durch Beibehaltung der Anbringung" der Kennzeichen nach dem Versehen mit "Antiblitzbuchstaben" verändert worden. Da die Manipulationen vorgenommen worden seien, um polizeilichen Feststellungen zu entgehen, sei zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt worden. Es liege daher Urkundenfälschung (§ 267 StGB) vor.
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Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
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"Liegt Urkundenfälschung (§ 267 StGB) oder Kennzeichenmißbrauch (§ 22 StVG) vor, wenn das amtliche Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so daß die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist?"
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Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
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"Es liegt keine Urkundenfälschung (§ 267 StGB) vor, wenn das amtliche Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so daß die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei technischen Überwachungsmaßnahmen beeinträchtigt ist."
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III.
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Die Vorlegungsvoraussetzungen sind erfüllt. Das Bayerische Oberste Landesgericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von dem Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf abzuweichen. Beiden Verfahren liegt die Frage zugrunde, ob die Beeinträchtigung der Erkennbarkeit des amtlichen Kennzeichens eines Kraftfahrzeugs bei Blitzlichtaufnahmen durch reflektierende Mittel eine Urkundenfäl schung darstellt. Bei der Vorlegungsfrage handelt es sich um eine Rechtsfrage, denn es geht um die rechtliche Bewertung von bestimmten Manipulationen zur Erreichung der Unlesbarkeit amtlicher Kraftfahrzeugkennzeichen. Trotz unterschiedlicher Fallgestaltung in tatsächlicher Hinsicht kann wegen der Gleichheit der Rechtsfrage die Entscheidung hier nur einheitlich ergehen (vgl. BGHSt 13, 5, 6 f.; 18, 279, 281; 29, 252, 254; 44, 107, 110; Hannich in KK 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 34).
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Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu weit gefaßt. Ob wegen des Besprühens der Kennzeichen ein Kennzeichenmißbrauch (§ 22 StVG) vorliegt, bedarf im Rahmen der Vorlegung keiner Entscheidung. Der Senat formuliert deshalb die Rechtsfrage wie folgt:
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Liegt eine Urkundenfälschung vor, wenn das amtliche Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so daß die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist?
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IV.
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Die Frage ist zu verneinen:
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1. Bei dem mit einer Stempelplakette der Zulassungsstelle versehenen, an dem Kraftfahrzeug, für das es zugeteilt ist, angebrachten Kraftfahrzeugkennzeichen (§§ 18 Abs. 1, 23 StVZO) handelt es sich um eine (zusammengesetzte) Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB (vgl. BGHSt 16, 94, 95; 18, 66, 70; 34, 375, 376; BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde 2; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 267 Rdn. 4 m.w.N.). Das Kennzeichen verkörpert die Erklärung der Zulassungsstelle als Ausstellerin, daß das Fahrzeug unter diesem Kennzeichen für einen bestimmten, im Fahrzeugregister eingetragenen Halter (§ 33 StVG) zum öffentlichen Verkehr zugelassen worden ist (vgl. BGHSt 34, 375, 377; BGH bei Dallinger MDR 1970, 731; BayObLG DAR 1978, 52; OLG Hamburg NJW 1966, 1827; OLG Stuttgart VRS 47, 25).
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Es enthält - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (a.a.O.) - jedoch nicht die zusätzliche beweisbestimmte und beweisgeeignete Erklärung (vgl. BGHSt 24, 140, 141), daß das Kennzeichen - fortwährend - uneingeschränkt ablesbar ist:
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Bei der Abstempelung des amtlichen Kennzeichens prüft die Zulassungsstelle die nach § 23 StVZO erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen (BGHSt 11, 165, 167 f.; vgl. dazu im einzelnen Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 23 StVZO Rdn. 16 ff.), auch, ob die Ausgestaltung des Kennzeichens der Vorschrift des § 60 StVZO entspricht (§ 23 Abs. 3, Abs. 4 Satz 6 StVZO). Danach müssen Kennzeichen normgerecht (§ 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 1 a, Abs. 1 b StVZO) und so ausgestaltet sein, daß nur der Kennzeichenhintergrund, nicht jedoch die Buchstaben-Ziffern-Kombination reflektiert (§ 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 a StVZO; vgl. Lampe JR 1998, 304, 305). Außerdem dürfen sie nicht spiegeln, "weder verdeckt noch verschmutzt" noch "mit Glas, Folien oder ähnlichen Abdeckungen" versehen sein (§ 60 Abs. 1 Satz 4 StVZO). Diese Prüfung erfolgt durch Inaugenscheinnahme der Kennzeichen.
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Es erscheint bereits zweifelhaft, bedarf hier aber keiner Entscheidung, ob das Anbringen der Stempelplakette auf dem Kennzeichen beweist, daß ein ordnungsgemäßes Kennzeichen verwendet wurde, soweit es dessen Ablesbarkeit unter besonderen Voraussetzungen betrifft (vgl. OLG Hamm VRS 7, 390; Lampe JR 1998, 304, 305; Tröndle/Fischer a.a.O. § 267 Rdn. 19). Jedenfalls soll und kann das abgestempelte Kennzeichen keinen Beweis über seine fortdauernde Ablesbarkeit nach der Zulassung des Fahrzeugs erbringen (Krack NStZ 1997, 602 f.). Das ergibt sich - wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat - schon daraus, daß etwa die nach § 23 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 4 StVZO durch die Zulassungsstelle bei der Abstempelung vorzunehmende Prüfung, daß das Kennzeichen nicht verschmutzt ist, naturgemäß keine weiter gehende Bedeutung haben kann als die, daß das Kennzeichen bei der Zulassung nicht verunreinigt war (vgl. dazu § 23 Abs. 1 Satz 3 StVO).
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2. Die Voraussetzungen der - hier allein in Betracht kommenden - Tatbestandsalternative des Verfälschens einer echten Urkunde (§ 267 Abs. 1 2. Alt. StGB) liegen nicht vor:
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Eine echte Urkunde wird verfälscht, wenn unbefugt nachträglich ihr Gedankeninhalt verändert wird, so daß sie etwas anderes als zuvor zum Ausdruck bringt (vgl. Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 267 Rdn. 20 m.w.N.). Entscheidend ist, daß die Urkunde infolge der Verfälschung einen irreführenden Beweisgehalt vermittelt, der vom angeblichen Urheber herzurühren scheint (vgl. Tröndle in LK 10. Aufl. § 267 Rdn. 144).
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Hier wurde - wie das Bayerische Oberste Landesgericht zutreffend annimmt - der Erklärungsinhalt der Urkunde durch das Besprühen des Kennzeichens mit dem farblosen Speziallack nicht verändert. Das Kennzeichen entsprach zwar danach nicht mehr den Anforderungen des § 60 StVZO, der Erklärungsinhalt blieb aber derselbe. Durch die Maßnahme des Angeklagten wurde lediglich die Ablesbarkeit des Kennzeichens unter bestimmten Voraussetzungen (Blitzlichtaufnahmen) - also der Beweisinhalt der Urkunde in seiner Erkennbarkeit - beeinträchtigt. Darin liegt kein Verfälschen einer Urkunde (vgl. RGSt 62, 11, 12; Fahl JA 1997, 925, 926; Geppert JK 1997, StGB § 267/ 22; Tröndle/Fischer a.a.O. § 267 Rdn. 19; Lackner/Kühl a.a.O.). Das gilt auch dann, wenn die Abstempelung des Kennzeichens durch die Zulassungsstelle den Beweis dafür erbrächte, daß zu diesem Zeitpunkt das Kennzeichen den Vorschriften entsprach; denn in diesen Aussagegehalt wurde durch die spätere Manipulation nicht eingegriffen (vgl. Krack a.a.O. S. 603; Lampe a.a.O. S. 305; Hoyer in SK-StGB § 267 Rdn. 36).
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3. Ob der Angeklagte durch sein Verhalten einen anderen Straftatbestand als den des § 267 Abs. 1 StGB erfüllt oder er (nur) ordnungswidrig gehandelt hat (vgl. dazu Fahl a.a.O. S. 926 ff.; Geppert a.a.O.; Krack a.a.O. S. 603; Lampe a.a.O. S. 305), hat der Senat nicht zu entscheiden.
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