BGE 109 Ib 193
 
33. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 26. Oktober 1983 i.S. Baumgartner gegen Politische Gemeinde Bronschhofen, Regierungsrat des Kantons St. Gallen und Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Raumplanung; Ausführungsvorschriften der Kantone.
 
Sachverhalt
Das Amt für Wasser- und Energiewirtschaft des Kantons St. Gallen verweigerte Baumgartner die Zustimmung zum Einbau einer Dreizimmerwohnung in seine im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Bronschhofen gelegene Pferdesportanlage. Ein beim Regierungsrat des Kantons St. Gallen erhobener Rekurs blieb grösstenteils ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen gelangte auf Beschwerde Baumgartners zum Schluss, es sei lediglich zuständig zur Beurteilung der Frage, ob der streitige Wohnungseinbau zonenkonform sei, nicht aber für den Entscheid über die Zulässigkeit einer Ausnahmebewilligung nach Art. 24 des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes (RPG). Soweit das Verwaltungsgericht auf die Beschwerde eintrat, wies es sie am 24. August 1982 ab.
Baumgartner ficht den Entscheid des Verwaltungsgerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde, jenen des Regierungsrates mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht an. In der Beschwerdeschrift wirft er unter anderem die Frage auf, ob das Verwaltungsgericht zu Recht seine Befugnis zur Entscheidung über die Ausnahmebewilligung nach Art. 24 RPG verneint habe.
 
Erwägungen:
Das Verwaltungsgericht hat allein die Frage beurteilt, ob dem Beschwerdeführer eine ordentliche Baubewilligung erteilt werden könne. Nicht materiell geprüft hat es dagegen, ob eine Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 24 RPG zu erteilen sei. Es stellt sich vorweg die Frage, ob das Verwaltungsgericht verpflichtet gewesen wäre, über die kantonale Beschwerde in vollem Umfang zu befinden.
a) Das Verwaltungsgericht hat seinen teilweisen Nichteintretensentscheid damit begründet, dass für die Beurteilung der Rechtmässigkeit des Entscheides über die Ausnahmebewilligung die Voraussetzungen seiner sachlichen Zuständigkeit nicht gegeben seien. Art. 3 der Raumplanungsverordnung vom 8. Juli 1980 (RPV) bestimme zwar, dass gegen Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden könne. Diese Verordnungsvorschrift widerspreche jedoch Art. 59 Abs. 1 Ingress des kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetzes (VRP), wonach die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes nicht gegeben sei in Streitsachen, die mit einem ordentlichen Bundesrechtsmittel angefochten werden können. Da sich das Verordnungsrecht an das höherstufige formelle Gesetz zu halten habe, habe der Regierungsrat seine Kompetenzen überschritten, wenn er das Verwaltungsgericht in Art. 3 RPV als zuständig erklärt habe zur Beurteilung von Entscheiden über Bewilligungen nach Art. 24 RPG.
b) Landammann und Regierungsrat des Kantons St. Gallen haben am 18. Juli 1980 in Anwendung von Art. 36 Abs. 2 RPG eine Verordnung erlassen, welche laut Art. 1 die vorläufige Einführung des Bundesgesetzes über die Raumplanung regelt. Art. 3 enthält die vom Verwaltungsgericht als gesetzwidrig bezeichnete Bestimmung, dass Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht angefochten werden können. Art. 36 Abs. 2 RPG ermächtigt ausdrücklich die Kantonsregierungen, zur Ausführung des Gesetzes vorläufige Regelungen zu treffen. Für solche Regelungen, die bloss übergangsrechtliche Lücken schliessen dürfen, sind die Kantone kraft Bundesrechts nicht gehalten, die Stufenordnung ihrer Rechtsformen zu wahren (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 11 zu Art. 36, S. 385 f.). Das RPG ist im übrigen nicht das einzige Gesetz, welches den Kantonen erlaubt, Ausführungsvorschriften auf dem Verordnungswege zu erlassen. Eine entsprechende Bestimmung enthält beispielsweise das Bundesgesetz über die Nationalstrassen vom 8. März 1960 in Art. 61 Abs. 2 (vgl. BGE 105 Ib 102 f.). Auch Art. 52 Abs. 2 des Schlusstitels zum ZGB ermächtigt die Kantone zum Erlass von Ausführungsvorschriften auf dem Verordnungswege, und zwar selbst von Bestimmungen, die in ihrer Gültigkeit zeitlich nicht begrenzt sind (BGE 108 Ia 183 f.). Zu untersuchen bleibt, ob sich Art. 3 der Raumplanungsverordnung, der unbestrittenermassen vom Grundsatz gemäss Art. 59 Abs. 1 Ingress VRP abweicht, im Rahmen der bundesrechtlichen Delegationsnorm von Art. 36 Abs. 2 RPG bewegt.
c) Die Ermächtigung gemäss Art. 36 Abs. 2 RPG schliesst auch die Befugnis ein, den Rechtsschutz dem Raumplanungsgesetz anzupassen, soweit dies nötig ist, um ihn nach den materiellen Grundsätzen dieses Gesetzes abwickeln zu können (EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 22 zu Art. 36, S. 391; AEMISEGGER, Leitfaden zum Raumplanungsgesetz, S. 127). Die vom Regierungsrat des Kantons St. Gallen mit Art. 3 RPV geschaffene Möglichkeit, seine Entscheide über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG ans Verwaltungsgericht weiterzuziehen, wird durch die erwähnte bundesrechtliche Ermächtigung zweifellos gedeckt. Im Kreisschreiben über die Raumplanungsverordnung weist das Baudepartement des Kantons St. Gallen mit Recht darauf hin, dass es bei der Beurteilung von Bewilligungen nach Art. 24 RPG kaum möglich sei, die Vorschriften des Bundesrechts und jene des kantonalen Rechts genau auseinanderzuhalten, weshalb sich eine Gabelung des Rechtsmittelweges (Beschwerde ans Verwaltungsgericht einerseits, Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht anderseits) als unzweckmässig und in der Praxis kaum durchführbar erweise. Es sei daher geboten, dass das kantonale Verwaltungsgericht im Beschwerdeverfahren auch Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG beurteile (Amtsblatt Kanton St. Gallen 1980, S. 982/83). Das Bundesamt für Raumplanung hebt in seinen Bemerkungen zu den Beschwerden hervor, dass Art. 24 RPG zwischen den Fragen der Zonenkonformität und der Standortgebundenheit eine unlösbare Verbindung schaffe, die es verbiete, den Rechtsweg zu spalten, ansonsten ein sinnvoller Rechtsschutz erheblich behindert würde. Die vom Regierungsrat in Art. 3 RPV getroffene Regelung, den Beschwerdeweg ans kantonale Verwaltungsgericht im Rahmen von Art. 24 RPG auch für Rügen des Bundesrechts zu öffnen, ist erforderlich und geeignet, um einen Rechtsschutz gemäss den materiellen Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes zu ermöglichen. Am übergangsrechtlichen, vorläufigen Charakter dieser Regelung kann dabei kein Zweifel bestehen. Eine entsprechende Bestimmung hat inzwischen bereits Eingang in ein formelles kantonales Gesetz gefunden. Art. 59 VRP hat mit dem Nachtragsgesetz zum Baugesetz vom 6. Januar 1983, in Vollzug seit 1. September 1983, einen neuen Absatz 3 erhalten, wonach gegen Entscheide des Regierungsrates über Bewilligungen nach Art. 24 RPG Beschwerde an das Verwaltungsgericht erhoben werden kann, obwohl ein ordentliches Bundesrechtsmittel offensteht.
Da Art. 3 RPV somit in Art. 36 Abs. 2 RPG eine ausreichende gesetzliche Grundlage besitzt, konnte der Regierungsrat gemäss Art. 2 Abs. 2 VRP von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichen und das Verwaltungsgericht als zuständig erklären zur Beurteilung von Entscheiden über Bewilligungen im Sinne von Art. 24 RPG. Das Verwaltungsgericht ist folglich zu Unrecht auf den entsprechenden Teil der kantonalen Beschwerde nicht eingetreten. In der Nichtanwendung von Art. 3 RPV durch das Verwaltungsgericht ist dabei eine Verletzung von Bundesrecht zu erblicken, da die vom Regierungsrat getroffene Regelung unmittelbar der Durchsetzung des RPG dient. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar (vgl. EJPD/BRP, Erläuterungen RPG, N. 6 zu Art. 34, S. 360). Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Urteil erhobene staatsrechtliche Beschwerde ist deshalb als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen und als solche gutzuheissen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur ergänzenden Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Über die in der Beschwerde gegen die Nichterteilung der ordentlichen Baubewilligung erhobenen Einwände kann wegen des engen Zusammenhangs zwischen den Fragen der Zonenkonformität und der Standortgebundenheit ebenfalls nicht befunden werden, bevor sich das Verwaltungsgericht mit der Frage der Erteilung einer Ausnahmebewilligung auseinandergesetzt hat. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates ist nicht einzutreten, da es sich dabei, wie gezeigt, nicht um einen letztinstanzlichen kantonalen Entscheid im Sinne von Art. 34 Abs. 1 RPG handelt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die staatsrechtliche Beschwerde wird als Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegengenommen und als solche gutgeheissen, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 24. August 1982 wird aufgehoben und die Sache zur ergänzenden Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Regierungsrates des Kantons St. Gallen vom 15. September 1981 wird nicht eingetreten.