BGer 6B_732/2017
 
BGer 6B_732/2017 vom 15.11.2017
6B_732/2017
 
Urteil vom 15. November 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterinnen Jacquemoud-Rossari, Jametti,
Gerichtsschreiber Traub.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokat Dr. Stefan Suter,
Beschwerdeführer,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Emma Herwegh-Platz 2a, 4410 Liestal,
2. Pensionskasse A.________,
Beschwerdegegnerinnen.
Gegenstand
Gewerbsmässiger Betrug; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 8. November 2016 (460 15 273).
 
Sachverhalt:
 
A.
In Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils verurteilte das Kantonsgericht Basel-Landschaft X.________ unter anderem wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren (Urteil vom 8. November 2016).
Die Verurteilung erfolgte aufgrund des Vorwurfs, X.________ habe gegenüber den Organen der Invalidenversicherung jahrelang eine sehr schlechte psychische und physische Verfassung vorgetäuscht. Damit habe er zu Unrecht Rentenleistungen der Invalidenversicherung - und infolgedessen auch der beruflichen Vorsorge - erwirkt.
 
B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene Urteil vom 8. November 2016 sei aufzuheben und er von der Anklage (des gewerbsmässigen Betrugs) freizusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Rechtsverbeiständung) zu gewähren.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers stellt die Vorinstanz den Sachverhalt willkürlich fest, indem sie ihm Täuschungsabsicht unterstelle. Er selber habe nie einen Antrag auf Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung gestellt. Behandelnde Ärzte hätten aufgrund der gestellten Diagnosen (unter anderem andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung und anhaltende somatoforme Schmerzstörung) seinerzeit die Anmeldung veranlasst. Diskutiert worden sei sogar ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung. Die gesundheitlichen Beschwerden seien subjektiver Natur, das heisst, er habe diese als invalidisierend wahrgenommen. Seit Mitte der neunziger Jahre habe er ärztliche Behandlung in Anspruch genommen, um geheilt zu werden, und nicht mit der Absicht, nicht geschuldete Sozialversicherungsleistungen erhältlich zu machen. Entsprechend habe er die subjektiv empfundenen Beschwerden im Hinblick auf eine wirksame ärztliche Behandlung kommuniziert. Von der ihm vorgeworfenen Inszenierung könne keine Rede sein. Dementsprechend existiere der im Betrugstatbestand (Art. 146 StGB) vorausgesetzte Motivationszusammenhang zwischen einem täuschenden Verhalten seinerseits und irrigen Vorstellungen bei Versicherungsmedizinern und Sozialversicherern in seinem Fall nicht. Werde ein solcher Zusammenhang - ohne weitere Abklärungen - leichthin angenommen, so verletze dies die Unschuldsvermutung.
1.2. Die Vorinstanz hat das medizinische Dossier, insbesondere die amtlichen und privat beigebrachten Gutachten, sowie die Dokumentierung des Privatlebens ausführlich gewürdigt. Sie schliesst, es gebe keine Zweifel, dass der Beschwerdeführer während des von der Anklage erfassten Zeitraums, in welchem er Renten der Invalidenversicherung und der Pensionskasse bezogen habe, nicht unter einer Erkrankung gelitten habe, welche die Arbeitsfähigkeit derart eingeschränkt hätte, dass er zum Bezug der entsprechenden Leistungen berechtigt gewesen wäre. Im täglichen Leben habe er sich denn auch massiv anders verhalten als gegenüber den Ärzten, die seinen Gesundheitsstatus zuhanden der Sozialversicherungen beurteilten. Hier habe er das wahrheitswidrige Bild eines schwerkranken Menschen inszeniert, der physisch und psychisch derart stark beeinträchtigt sei, dass er sich weder in der Arbeitswelt noch im Alltag zurechtfand, und der demzufolge vollständig arbeitsunfähig sei. Arglistig sei sein täuschendes Verhalten nicht nur wegen der fehlenden Überprüfbarkeit des dargestellten Beschwerdenbildes; darüber hinaus habe er ein eigentliches Lügengebäude im Sinne der Rechtsprechung (vgl. BGE 142 IV 153 E. 2.2.2) errichtet, dessen Elemente raffiniert aufeinander abgestimmt gewesen seien. Dass er bewusst das Ziel verfolgt habe, Sozialversicherungsleistungen zu erlangen, die ihm nicht zustanden, sei klar ersichtlich, zumal er auch noch im Strafprozess entgegen der erdrückenden Beweislast an seinen Schilderungen festhalte und die Personen und Sachverständigen, deren Aussagen und Stellungnahmen sich zu seinen Lasten auswirkten, als Lügner bezeichne.
 
1.3.
1.3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist. Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder in klarem Widerspruch zur tatsächlichen Situation steht (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1).
1.3.2. Vor Bundesgericht wendet sich der Beschwerdeführer nicht mehr gegen die Würdigung der verschiedenen Beweise als solchen (amtliches medizinisches Gutachten vom 27. Juli 2013, Ergebnisse einer Observation und einer Hausdurchsuchung, Aussagen von Zeugen und Auskunftspersonen); er macht auch nicht geltend, die Vorinstanz habe die jeweilige Tragweite des eingereichten Privatgutachtens vom 14. Dezember 2013 und des Berichts des behandelnden Psychiaters vom 1. Februar 2016 im Verhältnis zum amtlichen Gutachten verkannt (vgl. dazu BGE 141 IV 369 E. 6). Der Willkürvorwurf richtet sich vielmehr gegen die vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen bezüglich der Täuschungsabsicht und dem Kausal- resp. Motivationszusammenhang (Urteil 6B_1231/2016 vom 22. Juni 2017 E. 7.3) zwischen dem täuschenden Verhalten und der dadurch erzeugten irrtümlichen Überzeugung von Ärzten und involvierten Sozialversicherungen, es sei ein invalidisierendes Krankheitsbild gegeben (vgl. oben E. 1.1).
1.3.3. Die Vorinstanz stellte - insoweit unangefochten - auf die Feststellung des von der Staatsanwaltschaft eingesetzten psychiatrischen Sachverständigen ab, wonach die während der ärztlichen Untersuchungen gezeigten "skurrilen und bizarren Verhaltensweisen" sowie die Angabe extremer psychischer und körperlicher Beeinträchtigung einerseits und das "geordnete, geplante, zielstrebige und unbeeinträchtigte Verhalten, wie es aus der Dokumentation des Alltagsverhaltens hervorgegangen sei", anderseits sehr deutlich divergieren. Der massgebliche Sachverhalt erscheint vollständig; für die vom Beschwerdeführer verlangten weiteren Abklärungen über die "Irrtumsumstände", vor allem über die Umstände, unter denen er die Ärzte aufsuchte, bestand kein Anlass.
Die Vorinstanz hat in diesem Kontext zutreffend festgehalten, dass die beobachteten Verhaltensdiskrepanzen nicht etwa damit erklärt werden könnten, dass es dem Beschwerdeführer (nur) phasenweise gut gegangen sein könnte. Das ist schon deswegen nicht anzunehmen, weil der Beschwerdeführer selber geltend macht, er leide an einem durchgehend und anhaltend schlechten Gesundheitszustand. Nichts für sich abzuleiten vermag der Beschwerdeführer sodann aus dem Umstand, dass eine Person, die zu Alltagsverrichtungen in der Lage ist, nicht immer ohne Weiteres auch den Anforderungen einer beruflichen Tätigkeit (vollständig) gerecht werden kann, was Leistungsparameter wie Ausdauer, Konstanz und Zuverlässigkeit angeht. Die umfangreichen Abklärungen ergaben keine Hinweise darauf, dass der Beschwerdeführer im privaten Bereich überhaupt jemals in erheblichem Ausmass funktionell eingeschränkt gewesen wäre. Aus diesem Grund kann auch nicht im Zweifel von einer - gegebenenfalls strafrechtlich irrelevanten - blossen Verdeutlichung ausgegangen werden, das heisst von einem übertrieben-demonstrativen Verhalten, das als Symptom der gesundheitlichen Störung oder auch aus einem hilflosen Bemühen heraus erklärlich sein kann, mit seinem Leiden ernstgenommen zu werden (vgl. Urteil 9C_154/2016 vom 19. Oktober 2016 E. 4.3).
1.3.4. Angesichts der massiven Divergenzen ist auszuschliessen, dass der Beschwerdeführer mit seinen Schilderungen und auch nonverbalen Darbietungen von Schmerzen und anderen Beschwerden beabsichtigte, Bedürfnisse im Hinblick auf eine wirksame Therapie deutlich zu machen. Denn dafür hätte eine so krasse Darstellung auch aus Sicht des Beschwerdeführers keinen Sinn ergeben. Ohnehin musste ihm bewusst sein, dass die zahlreichen ärztlichen Untersuchungen über Jahre hinweg jeweils der Abklärung von Sozialversicherungsleistungen dienten. Der als fehlend gerügte Motivationszusammenhang zwischen Verhalten und Täuschungserfolg ist erstellt. Somit ist nicht ersichtlich, inwiefern die Unschuldsvermutung verletzt sein könnte.
1.4. Nach der Rechtsprechung liegt - anders als bei einer Verletzung der Meldepflicht etwa bei einem verbesserten Gesundheitszustand (keine Garantenstellung) - eine aktive Täuschung im Sinne von Art. 146 StGB schon dann vor, wenn die leistungsbeziehende Person auf Nachfragen des Versicherers nicht wahrheitsgemäss antwortet oder ihre (gebesserten) Verhältnisse nicht offen legt (BGE 140 IV 11 E. 2.4.6 S. 17; Urteil 6B_1099/2016 vom 1. September 2017 E. 4 mit weiteren Hinweisen zur Tathandlung der arglistigen Täuschung beim Sozialversicherungsbetrug). Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass sein Fall anders einzuordnen sei. Angesichts der tatsächlichen Ausgangslage - nämlich des durchgehend inszenatorischen Verhaltens - hat er sowohl anlässlich der ärztlichen Untersuchungen im Hinblick auf die erstmalige Rentenzusprechung als auch im Zusammenhang mit den seitherigen Überprüfungen des Rentenanspruchs (Revisionsverfahren) aktiv getäuscht.
1.5. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz unter keinem der in der Beschwerde gerügten Gesichtspunkte willkürliche Sachverhaltsfeststellungen getroffen. Ebensowenig hat sie die rechtliche Tragweite des massgebenden Sachverhalts verkannt.
 
2.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die bundesgerichtlichen Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Befreiung von den Prozesskosten und Bestellung eines Rechtsbeistandes) im Verfahren vor Bundesgericht ist abzuweisen, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 15. November 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Traub