BGer 6B_359/2017
 
BGer 6B_359/2017 vom 01.11.2017
6B_359/2017
 
Urteil vom 1. November 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Gerichtsschreiber Held.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Rippmann,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8090 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Grobe Verletzung der Verkehrsregeln; Nötigung,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 13. Januar 2017 (SB160437-O/U/cw).
 
Sachverhalt:
A. Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland wirft X.________ vor, am 30. November 2015 auf der A1 Richtung Zürich den auf der Normalspur fahrenden Y.________ (separat geführtes und mittels Strafbefehl beendetes Strafverfahren) und einen LKW überholt zu haben und sein Fahrzeug (Audi A4), ohne dass es die Verkehrssituation erfordert hätte, abrupt bis fast zum Stillstand abgebremst zu haben, so dass es trotz einer Vollbremsung von Y.________ zu einer Auffahrkollision mit geringer Geschwindigkeit gekommen sei, nachdem dieser aus Verärgerung über das seines Erachtens nicht korrekte Überholmanöver mehrmals die Lichthupe betätigt habe. Der hinter den beiden Unfallbeteiligten fahrende A.________ habe eine Kollision durch eine Vollbremsung vermeiden können. Eine unbekannte Anzahl weiterer Fahrzeuglenker habe den die Überholspur bis zum Eintreffen der Polizei blockierenden Fahrzeugen ausweichen müssen.
B. Das Bezirksgericht verurteilte X.________ am 22. August 2016 wegen Nötigung und (vorsätzlicher) grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 60.- und einer Busse von Fr. 2'700.-.
Die hiergegen erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich am 13. Januar 2017 im Strafpunkt gut und verurteilte X.________ wegen Nötigung und (grob fahrlässiger) grober Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 60.-.
C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und er sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Eventualiter sei er wegen einfacher Verkehrsregelverletzung schuldig zu sprechen.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 90 Abs. 2 SVG. Er habe nicht rücksichtslos gehandelt, denn er sei durch das zu nahe Auffahren von Y.________ bedrängt und durch das Fernlicht stark geblendet worden. Er habe sich mit erheblicher Geschwindigkeit zwischen einem Lastwagen auf der Normalspur und den Leitplanken befunden und sei in diesem Moment mithin selbst erheblich gefährdet gewesen, weshalb er sich als routinierter Autofahrer nicht anders zu helfen gewusst habe, als bis zum fast völligen Stillstand (auf der Überholspur) abzubremsen. Er sei derart stark geblendet worden, dass er eine Weiterfahrt nicht habe verantworten können. Er habe sich mithin in einer Notsituation befunden.
Nicht nachvollziehbar sei, dass er neben der grob fahrlässigen Verkehrsregelverletzung auch wegen vorsätzlicher Nötigung verurteilt worden sei. Er sei mithin vom Vorsatzdelikt der Nötigung freizusprechen.
1.2. Die Vorinstanz hält fest, unmittelbar nachdem der Beschwerdeführer das Fahrzeug von Y.________ und den davor fahrenden Lkw überholt hatte, sei Y.________ auf die Überholspur gewechselt und habe die Lichthupe betätigt, woraufhin der Beschwerdeführer gebremst habe. Y.________ habe erneut aufgeblendet und das Fernlicht angelassen. Hierdurch sei der Beschwerdeführer geblendet worden und habe bis fast zum Stillstand abgebremst, wodurch es zur Auffahrkollision mit Y.________ bei einer Geschwindigkeit von ca. 5-10 km/h gekommen sei. Es sei nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer, als er durch das nicht ausgeschaltete Fernlicht geblendet worden sei und neben sich auf der Normalspur einen Lkw und vor sich ein weiteres Auto gehabt habe, als einzige Möglichkeit, um die hohe Gefährdung von sich und weiteren Fahrzeugen durch den zu dicht auffahrenden Privatklägern zu mindern, die Reduktion seiner Geschwindigkeit in Betracht gezogen habe. Allerdings sei seine Sicht nicht derart eingeschränkt gewesen, dass er, anstatt das Tempo nur zu reduzieren, bis fast zum Stillstand habe abbremsen müssen. Hierdurch habe er die gebotene Rücksicht auf die übrigen Verkehrsteilnehmer grob fahrlässig missachtet.
Hinsichtlich des Tatbestands der Nötigung sei entgegen dem Bezirksgericht nicht nachgewiesen, dass der Beschwerdeführer durch das Bremsen "zurückschlagen" und Y.________ habe ausbremsen wollen. Allerdings habe er aufgrund der erstellten Umstände in Kauf genom men, dass Y.________ ebenfalls bis zum Stillstand abbremsen musste, weshalb auch der subjektive Tatbestand der Nötigung erfüllt sei.
 
2.
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), wendet jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) das Recht - mit Ausnahme der Verletzung von Grundrechten sowie kantonalem und interkantonalem Recht - von Amtes wegen an (Art. 106 BGG). Es kann eine Beschwerde daher auch aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder den Entscheid mit einer Begründung bestätigen, die von jener der Vorinstanz abweicht (BGE 143 V 19 E. 2.3 S. 23 f.; 141 III 426 E. 2.4 S. 429; je mit Hinweisen).
2.2. Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt, wer durch grobe Verletzung von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand verlangt nach der Rechtsprechung, dass der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Diese setzt die naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung voraus. Eine konkrete Gefahr oder Verletzung ist nicht verlangt.
Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Je schwerer die Verkehrsregelverletzung objektiv wiegt, desto eher wird Rücksichtslosigkeit subjektiv zu bejahen sein, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen (BGE 142 IV 93 E. 3.1 mit Hinweisen).
2.3. Gemäss Art. 12 Abs. 2 VRV sind brüskes Bremsen und Halten nur gestattet, wenn kein Fahrzeug folgt und im Notfall.
2.4. Der Nötigung gemäss Art. 181 StGB macht sich strafbar, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Die Tatbestandsvariante der "anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit" ist restriktiv auszulegen und muss das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die ausdrücklich genannten Nötigungsmittel der Gewalt und der Androhung ernstlicher Nachteile gilt.
Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist, wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (zum Ganzen: BGE 137 IV 326 E..3.1; 134 IV 216 E. 4.1 f.; je mit Hinweisen).
 
3.
Die vorinstanzlichen Erwägungen sind widersprüchlich. Der Beschwerdeführer rügt zwar zu Recht, dass die Schuldsprüche wegen grob fahrlässiger Verkehrsregelverletzung und (eventual-) vorsätzlicher Nötigung sich vorliegend diametral entgegenstehen. Allerdings erweisen sich die Schuldsprüche wegen grober Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 BGG und Nötigung gemäss Art. 181 StGB im Ergebnis als bundesrechtskonform; zu beanstanden ist lediglich deren Begründung, an die das Bundesgericht nicht gebunden ist (vgl. vorstehend E. 2.1).
3.1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die objektiven Voraussetzungen von Art. 90 Abs. 2 SVG erfüllt sind. Ein Notfall im Sinne von Art. 12 Abs. 2 VRV, der ein brüskes Bremsen gerechtfertigt hätte, lag nach den vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen nicht vor. Der Beschwerdeführer hat auf der Überholspur der Autobahn aus hoher Geschwindigkeit bewusst bis fast zum Stillstand abgebremst, obwohl kein Hindernis auf der Fahrbahn war oder die vor ihm fahrenden Verkehrsteilnehmer hierzu Anlass gegeben hätten. Dass die Vorinstanz das Verhalten des Beschwerdeführers trotz des von ihr festgestellten bewussten abrupten Abbremsens auf der Überholspur der Autobahn nur als grob fahrlässige Verkehrsregelverletzung eingestuft hat, ist nicht nachvollziehbar und erweist sich als bundesrechtswidrig, auch wenn auf den Schuldspruch insoweit nicht zurückgekommen werden kann.
Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, es sei nachvollziehbar und verständlich, dass der Beschwerdeführer als einziges Mittel, um eine hohe Gefährdung von sich und anderen Verkehrsteilnehmern durch den dicht, mit eingeschaltetem Fernlicht hinter ihm fahrenden Y.________ abzuwenden, die Verringerung der Geschwindigkeit durch (starkes) Bremsen in Betracht gezogen habe. Das Gegenteil ist der Fall. Bei einem zu dicht hinterherfahrenden Auto erhöht respektive begründet ein starkes, abruptes Bremsmanöver die Gefahr eines Auffahrunfalls, insbesondere auf der Überholspur, wo in der Regel höhere Geschwindigkeiten als auf der Normalspur gefahren werden. Dies erkennt auch die Vorinstanz, da sie das Vorliegen eines rechtfertigenden und entschuldbaren Notstands gemäss Art. 17 und 18 StGB mit der Begründung verneint, der Beschwerdeführer habe die Gefahr einer Kollision mit dem ihm zu dicht folgenden Y.________ signifikant erhöht und das Abbremsen bis zum Stillstand sei weder geeignet noch die einzige Möglichkeit gewesen, um die Gefährdung abzuwenden. Warum sie diese Umstände im Rahmen der tatbestandsmässigen Verkehrsregelverletzung anders würdigt als bei der Prüfung eines rechtfertigenden oder entschuldbaren Notstands, ist nicht nachvollziehbar. Dass man durch das Licht respektive durch Fernlicht eines hinter einem fahrenden Personenwagens beim Blick in den (Rück-) Spiegel geblendet wird, ist eine alltägliche, wenn auch unangenehme, Verkehrssituation, die fast jeder Automobilist kennt. Eine normale und verkehrsadäquate Reaktion wäre gewesen, den Winkel des Innenspiegels mit dem extra hierfür angebrachten Hebel zu verstellen (oder nicht mehr in den Rückspiegel zu schauen). Die sogenannte "Abblendfunktion" beendet das Blenden sofort, da das Licht des nachfolgenden Fahrzeugs in einem leicht veränderten Winkel gebrochen wird, ohne dass sich das Sichtfeld ändert. Ein bewusstes und abruptes Abbremsen auf der Überholspur bei dicht folgendem Verkehr ist keine nachvollziehbare oder erklärbare Reaktion auf Fernlicht "von hinten". Ob und inwieweit die Sicht des Beschwerdeführers, der selbst angibt, nicht durch das Fernlicht an sich, sondern durch (den Blick in) die Spiegel geblendet worden zu sein, obwohl er während des gesamten Bremsvorgangs aufgrund der "gleich bleibenden Blendung" gesehen haben will, dass sich der Abstand zum Fahrzeug von Y.________ nicht verringert habe, tatsächlich eingeschränkt war, erscheint mehr als fraglich, kann aber vorliegend offenbleiben.
3.2. Aufgrund der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, insbesondere das vorgängige mehrmalige Aufblenden und Abbremsen als wechselseitige Reaktionen, lässt sich das abrupte und starke Abbremsen des Beschwerdeführers nur als bewusster Schikanestopp qualifizieren. Es steht den einzelnen Verkehrsteilnehmern nicht zu, das (Fahr-) Verhalten anderer Automobilisten zu beurteilen und - aus welchen Motiven auch immer - zu sanktionieren oder zu disziplinieren. Das Bremsmanöver auf der Überholspur war höchst gefährlich und begründet erhebliche Zweifel an der Fahreignung des Beschwerdeführers. Dass Y.________ sich ebenfalls verkehrswidrig und anmassend verhalten hat, ändert hieran nichts. Völlig unverständlich ist zudem, dass die beiden Unfallverursacher eine Vielzahl weiterer Verkehrsteilnehmer gefährdet und behindert haben, indem sie trotz des glimpflichen Auffahrunfalls bis zum Eintreffen der Polizei die Überholspur blockierten, anstatt die Autobahn möglichst schnell und gefahrlos frei zu geben.
4. Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 1. November 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Held