BGer 8C_852/2016 |
BGer 8C_852/2016 vom 12.09.2017 |
8C_852/2016
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Urteil vom 12. September 2017 |
I. sozialrechtliche Abteilung |
Besetzung
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Bundesrichter Maillard, Präsident,
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Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
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Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.
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Verfahrensbeteiligte |
A.________,
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vertreten durch Rechtsanwalt Roger Zenari,
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Beschwerdeführerin,
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gegen
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Generali Allgemeine Versicherungen SA, Avenue Perdtemps 23, 1260 Nyon,
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Beschwerdegegnerin.
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Gegenstand
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Unfallversicherung (Invalidenrente; Heilbehandlung),
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Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
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vom 28. November 2016.
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Sachverhalt: |
A. A.________, geboren 1989, hatte am 1. August 2010 bei der B.________ AG die Lehre zur Detailhandelsangestellten angetreten und war in dieser Eigenschaft gegen die Folgen von Unfällen bei der Generali Allgemeine Versicherungen AG (nachfolgend: Generali) versichert. Am 21. Juli 2011 verletzte sie sich am rechten Bein (vgl. Unfallmeldung vom 8. August 2011). Die Generali kam in der Folge ihrer Leistungspflicht (Heilbehandlung, Taggelder) nach. Aufgrund der Standortbestimmung per 31. Mai 2011 war bereits Anfang Juli 2011 das Berufsziel auf Detailhandelsassistentin zurückgestuft worden (vgl. die Verfügung des Amtes für Berufsbildung, Mittel- und Hochschulen vom 4. Juli 2011). Mit Verfügung vom 13. August 2015, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2015, stellte die Generali gestützt auf das Gutachten des Dr. med. C.________, Facharzt für Neurologie, vom 12. Januar 2015 die Leistungen per 31. Januar 2015 ein, verneinte den Anspruch auf eine Invalidenrente und sprach eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 15 % zu.
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B. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 28. November 2016 ab.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es seien der vorinstanzliche Entscheid, der ihm zugrunde liegende Einspracheentscheid mitsamt der Verfügung aufzuheben und ihr ab 1. Februar 2015 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 11 % (bzw. 10 %) sowie Heilbehandlung nach Art. 21 UVG zu gewähren.
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Die Vorinstanz und die Generali schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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D. Mit Schreiben vom 27. Februar 2017 äussert sich A.________ zu den eingegangenen Stellungnahmen.
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Erwägungen: |
1. |
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
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1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
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2. Streitig ist der Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung sowie auf Heilbehandlung nach Art. 21 UVG. Die Parteien sind sich namentlich in Bezug auf die Vergleichseinkommen zur Ermittlung des Invaliditätsgrades uneins. Unstreitig ist jedoch die medizinische Beurteilung gemäss Gutachten des Dr. med. C.________ vom 12. Januar 2015.
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3. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 18 Abs. 1 UVG) und die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG; BGE 128 V 29 E. 1 S. 30), namentlich die Begriffe des Validen- und des Invalideneinkommens (BGE 135 V 297 E. 5.1 S. 300 und E. 5.2 S. 301; vgl. zur LSE 2012 BGE 142 V 178), zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360) sowie den Anspruch auf Heilbehandlung nach Festsetzung der Rente (Art. 21 Abs. 1 UVG). Darauf wird verwiesen.
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4. |
4.1. Die Vorinstanz hat den Invaliditätsgrad nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs nach Art. 16 ATSG ermittelt. Dabei ist sie beim Invalideneinkommen vom aktuell erzielten Einkommen ausgegangen; das Valideneinkommen hat sie gestützt auf die LSE 2012 (TA1, Kompetenzniveau 2, Detailhandel, Frauen) festgesetzt.
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Die Verwendung von tabellarischen Werten begründet sie damit, dass einerseits die Versicherte nach Beendigung der Lehre nicht mit einer Weiterbeschäftigung bei der B.________ AG rechnen durfte, so dass nicht auf deren Lohnangaben abgestellt werden könne, und dass andererseits ein Vorgehen gemäss Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 nicht gegeben sei, da sich daraus keine allgemeine Regel ableiten lasse, wonach generell auf den mit der Behinderung absolvierten Berufsweg abzustellen sei. So sei auch bei jungen Versicherten eine Ausbildung, zu welcher sich die versicherte Person erst nach Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung entscheide, nicht zu berücksichtigen. Vorliegend entspreche die Tätigkeit der Verkaufsberaterin bei der D.________ AG nicht dem Tätigkeitsgebiet einer Detailhandelsassistentin; deshalb könne dem Valideneinkommen nicht der Lohn bei der D.________ AG zugrunde gelegt werden.
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Den im Verfügungszeitpunkt bei der D.________ AG erzielten Lohn setzte die Vorinstanz dem Invalideneinkommen gleich, da diese Tätigkeit der zumutbaren adaptierten Tätigkeit gemäss Gutachten des Dr. med. C.________ vom 12. Januar 2015 entspreche. Nebst dem vertraglich vereinbarten Lohn sei ein Bonus von mindestens Fr. 1'000.- mitzuberücksichtigen, auch wenn darauf kein Rechtsanspruch bestehe und er in der Höhe variiere; er werde jedoch regelmässig ausbezahlt und unterliege der AHV-Beitragspflicht.
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4.2. Die Versicherte macht unter Berufung auf das Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 geltend, der hier strittige Sachverhalt sei mit jenem vergleichbar, so dass auch in ihrem Fall der an der aktuellen Stelle erzielte Lohn dem Valideneinkommen zugrunde zu legen sei. Die Vorinstanz stelle den Sachverhalt willkürlich fest, wenn sie davon ausgehe, ihre Tätigkeit für die D.________ AG entspreche nicht der erlernten Tätigkeit. Sie wäre auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigung bei der D.________ AG tätig, da sie in ihrem Lehrbetrieb nicht habe weiter beschäftigt werden können; allerdings wäre sie ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu 100 % tätig, so dass von einem Invaliditätsgrad von 10 % auszugehen sei. Die Frage des Abstellens auf tabellarische Löhne sei eine Rechtsfrage. Die Vorinstanz verletze Bundesrecht, wenn sie sich auf die Urteile 9C_735/2014 vom 10. März 2015 sowie 8C_629/2011 vom 16. Januar 2012 stütze. Die Versicherte habe schon vor dem Unfall ihre Lehre auf das Ausbildungsziel Detailhandelsassistentin beschränkt, so dass kein Spartenwechsel stattgefunden habe. Ihr beruflicher Werdegang wäre ohne Unfall derselbe gewesen. Ihr jetziger Arbeitgeber und der Lehrbetrieb B.________ AG seien in derselben Sparte tätig. Aus den angeführten Urteilen lasse sich nichts anderes ableiten: Beim Urteil 9C_735/2014 vom 10. März 2015 sei infolge nicht besonders stabiler Arbeitsverhältnisse auf Tabellenlöhne abgestellt worden, was auf sie nicht zutreffe; beim Urteil 8C_629/2011 vom 16. Januar 2012 habe sich eine während der Lehre verunfallte Person infolge der unfallbedingten Limitationen umschulen lassen, was bei ihr nicht der Fall sei, sei sie doch weiterhin als Tabakwarenverkäuferin tätig. Schliesslich sei auch nicht klar, inwiefern die von Dr. med. C.________ attestierte Beschränkung von 10 % gegen die Ermittlung des Valideneinkommens gestützt auf den aktuellen Lohn spreche. Beim Invalideneinkommen habe die Vorinstanz unzulässigerweise den Bonus miteinbezogen, obwohl sie darauf keinen Rechtsanspruch habe. Selbst bei Zugrundelegung von Tabellenlöhnen resultiere ein Invaliditätsgrad von mindestens 10 %.
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4.3. Die Generali macht geltend, unbestrittenermassen könne zur Ermittlung des Valideneinkommens nicht auf die Löhne im Lehrbetrieb abgestellt werden, da dieser die Versicherte nach Abschluss der Lehre nicht weiter beschäftigt hätte. Es sei deshalb auf Tabellenlöhne abzustellen. Strittig sei jedoch, ob die Pensenreduktion von 10 % unfallbedingt sei, gehe doch Dr. med. C.________ von einem zeitlich unbeschränkt zumutbaren Arbeitspensum aus. Es könne nicht von der medizinisch-theoretischen Einschränkung auf den Invaliditätsgrad geschlossen werden. Zu beachten sei auch, dass der aktuelle Arbeitgeber überdurchschnittliche Löhne bezahle, was zu kleineren, auch negativen Invaliditätsgraden führen könne. Die Verwendung von Tabellenlöhnen sei nicht zu beanstanden, auch nicht die Berücksichtigung des Bonus.
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4.4. |
4.4.1. Die Versicherte absolvierte in einem Tabakgeschäft der B.________ AG eine zweijährige Lehre als Detailhandelsassistentin. Danach war sie vom 2. August 2012 befristet bis 30. November 2012 bei der B.________ AG zu einem monatlichen Lohn von Fr. 3'700.- zuzüglich 13. Monatslohn angestellt. In der Folge war sie arbeitslos. Ab 17. Juni 2013 war sie bei der D.________ AG zu 50 % als Verkaufsberaterin angestellt (vgl. die Angaben dazu im Gutachten des Dr. med. C.________ vom 12. Januar 2015, S. 7). Nachdem die parallel dazu in Angriff genommene Umschulung gescheitert war, wurde ihr Pensum per 1. Juli 2015 auf 90 % erhöht.
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4.4.2. Soweit die Versicherte aus dem Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 (publiziert in SVR 2009 IV Nr. 6 S. 11) etwas zu ihren Gunsten ableiten will, kann ihr nicht gefolgt werden. Denn anders als im erwähnten Urteil erhielt sie an ihrer im Unfallzeitpunkt innegehabten Stelle nicht aus wirtschaftlichen Gründen einen unterdurchschnittlichen Lohn ausbezahlt. Zudem geht auch die Generali davon aus, dass die Löhne der B.________ AG mangels Weiterbeschäftigung der Versicherten nach Abschluss der Lehre nicht massgebend sind.
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4.4.3. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist nicht ersichtlich, inwiefern die Tätigkeit als Verkaufsberaterin in einem Zigarrengeschäft nicht dem erlernten Beruf als Detailhandelsassistentin in einem Tabakgeschäft entsprechen sollte. So deckt sich insbesondere die im Gutachten des Dr. med. C.________ vom 12. Januar 2015 geschilderte aktuelle Arbeit mit dem Beschrieb der in der Berufsausbildung erlernten Tätigkeit als Detailhandelsassistentin.
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4.4.4. Bei dieser Ausgangslage, in welcher die adaptierte Tätigkeit dem bisherigen Beruf entspricht, erfolgt in der Praxis ein Prozentvergleich, der eine zulässige Variante des Einkommensvergleichs darstellt (SVR 2014 UV Nr. 1 S. 1 E. 4.1, 8C_211/2013). Dabei kann die Frage offenbleiben, ob dem Validen- und Invalideneinkommen Tabellenlöhne oder das an der aktuellen Stelle erzielte Einkommen zugrunde zu legen sind, resultiert doch so oder anders ein Invaliditätsgrad im Umfang der eingeschränkten zumutbaren Arbeitsfähigkeit, mithin ein solcher von 10 % (vgl. die Beurteilung des Dr. med. C.________ in seinem Gutachten vom 12. Januar 2015, S. 21 und 23, der von einem zeitlich vollen Einsatz bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit infolge der schmerzbedingten Pausen ausgeht und die Leistungsminderung auf 10 % resp. die zumutbare Arbeitsfähigkeit auf 90 % festsetzt). Folglich kann auch die Frage, wie es sich mit der Berücksichtigung des Bonus verhält, offenbleiben.
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5. Die beantragte Übernahme der Heilbehandlung nach Art. 21 UVG wird von der Vorinstanz mangels Anspruchs der Versicherten auf eine Invalidenrente abgelehnt. Nachdem ihr jedoch eine solche zusteht (E. 4), kann der Anspruch auf Heilbehandlung nach Art. 21 UVG nicht grundsätzlich verneint werden. Mangels konkreter im Streit liegender Heilbehandlung ist hier darüber nicht abschliessend zu urteilen. Vielmehr hat die Generali im Einzelfall zu entscheiden, ob die übrigen gesetzlich statuierten Anforderungen an die Übernahme der Heilbehandlung gegeben sind oder nicht. Somit kann offenbleiben, ob die Heilbehandlung nach Art. 21 UVG überhaupt zum Streitgegenstand gehört, ist sie doch weder in der Verfügung vom 13. August 2015 noch im Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2015 vom Dispositiv erfasst. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
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6. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende Generali hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Versicherte hat Anspruch auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Generali (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
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Demnach erkennt das Bundesgericht: |
1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 28. November 2016 und der Einspracheentscheid der Generali Allgemeine Versicherungen AG vom 15. Dezember 2015 werden insoweit abgeändert, als festgestellt wird, dass die Beschwerdegegnerin der Beschwerdeführerin ab 1. Februar 2016 eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 10 % auszurichten hat. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
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2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
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3. Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
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4. Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn zurückgewiesen.
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5. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
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Luzern, 12. September 2017
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Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
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des Schweizerischen Bundesgerichts
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Der Präsident: Maillard
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Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold
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