BGer 5A_262/2008
 
BGer 5A_262/2008 vom 08.09.2008
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
5A_262/2008/don
Urteil vom 8. September 2008
II. zivilrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Escher, Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Levante.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Raoul Stampfli,
gegen
Bezirksgericht Kulm,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Erbteilung/unentgeltliche Rechtspflege,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 17. März 2008.
Sachverhalt:
A.
A.a Der Präsident des Bezirksgerichts Kulm hiess am 28. September 2001 das Gesuch von X.________ um unentgeltliche Rechtspflege für die von ihr erhobene Erbteilungsklage gut und bestimmte Rechtsanwalt A.________ zum unentgeltlichen Rechtsbeistand. Mit Schreiben vom 30. August 2002 verlangte X.________ vom Gerichtspräsidium Kulm, einen Wechsel des unentgeltlichen Rechtsbeistand zu bewilligen, weil sie das Vertrauen in Rechtsanwalt A.________ verloren habe. Der Bezirksgerichtspräsident verweigerte am 23. September 2002 einen Wechsel des unentgeltlichen Rechtsbeistands, weil dieser nur in Frage komme, wenn der bestellte Rechtsvertreter die Interessen des Verbeiständeten nicht pflichtgemäss wahre, wovon im konkreten Fall keine Rede sein könne. Am 14. Oktober 2002 teilte X.________, vertreten durch Rechtsanwalt B.________, dem Bezirksgerichtspräsidium mit, dass sie auf den unentgeltlichen Rechtsbeistand durch Rechtsanwalt A.________ verzichte. In der Folge entliess der Bezirksgerichtspräsident mit Verfügung vom 24. Dezember 2002 den unentgeltlichen Rechtsvertreter A.________ aus seinem Amt.
A.b Am 10. Januar 2008 stellte X.________, nun vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Raoul Stampfli, im gleichen Hauptverfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und ersuchte, Rechtsanwalt Stampfli als unentgeltlichen Rechtsbeistand einzusetzen. Der Präsident des Bezirksgerichts Kulm wies das Gesuch mit Verfügung vom 23. Januar 2008 ab.
B.
Gegen die Verfügung des Bezirksgerichtspräsidenten gelangte X.________ an das Obergericht des Kantons Aargau (Zivilgericht, 4. Kammer), welches die Beschwerde mit Entscheid vom 17. März 2008 abwies.
C.
Mit Eingabe vom 24. April 2008 hat X.________ Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin beantragt dem Bundesgericht, der obergerichtliche Entscheid sei aufzuheben, und die Vorinstanz sei anzuweisen, die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Weiter ersucht die Beschwerdeführerin um aufschiebende Wirkung und unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren.
Mit Präsidialverfügung vom 19. Mai 2008 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Der Präsident des Bezirksgerichts Kulm schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Erwägungen:
1.
1.1 Angefochten ist ein letztinstanzlicher Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG), mit dem die unentgeltliche Rechtspflege, insbesondere Verbeiständung verweigert wurde. Der Zwischenentscheid über die Verweigerung der Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsbeistandes kann einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken und ist daher gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG sofort gesondert anfechtbar (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2; zum bisherigen Recht: BGE 129 I 129 E. 1.1 S. 131).
1.2 Bei Zwischenentscheiden folgt der Rechtsweg jenem der Hauptsache (Urteil 5A_108/2007 vom 11. Mai 2007, E. 1.2). In dieser ging es um eine Klage auf Erbteilung. Bei entsprechenden Entscheiden handelt es sich um Zivilsachen (Art. 72 Abs. 1 BGG). Insoweit unterliegt auch die unentgeltliche Verbeiständung der Beschwerde in Zivilsachen. Der in vermögensrechtlichen Angelegenheiten erforderliche Streitwert von Fr. 30'000.-- ist vorliegend erreicht (Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG).
1.3 Mit der Beschwerde in Zivilsachen kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), zu dem laut der Begriffsbestimmung des BGG auch das Verfassungsrecht gehört.
2.
2.1 Das Obergericht hat erwogen, dass eine Partei, die ausdrücklich auf ihren unentgeltlichen Rechtsbeistand verzichtet habe, wohl jederzeit bis zur Beendigung des Prozesses ein neues Gesuch stellen könne. Das Gesuch der Beschwerdeführerin laufe jedoch darauf hinaus, durch Verzicht und Neueinreichung eines Gesuchs einen Anwaltswechsel zu erreichen, welcher ihr zu Recht verweigert worden sei. Dies sei rechtsmissbräuchlich. Daran ändere nichts, dass der Rechtsbeistand (Rechtsanwalt A.________), auf den sie damals verzichtet hatte, heute nicht mehr anwaltlich tätig sei, zumal diese Behauptung nicht belegt sei. Die Beschwerdeführerin habe damals auf jenen Rechtsbeistand aus freien Stücken verzichtet, weshalb sie sich heute nicht auf dessen späteres Schicksal berufen könne, um nun dennoch die Einsetzung eines neuen unentgeltlichen Rechtsvertreters zu erwirken.
2.2 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV, weil das Obergericht ihrem damaligen Verzicht auf unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Ergebnis definitive Wirkung zukommen lasse, wenn es die Praxisaufgabe des früheren Rechtsvertreters A.________ nicht berücksichtige. Sodann verletze die Vorinstanz das Willkür- bzw. Rechtsverweigerungsverbot, wenn sie für die Behauptung, dass Rechtsanwalt A.________ nicht mehr im Anwaltsregister eingetragen sei, keine Einsicht ins Register nehme und einen Beleg verlange.
3.
Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und deren Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Falls es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.
3.1 Anlass zur vorliegenden Beschwerde gibt die Verweigerung des Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege, dem ein Verzicht auf die Rechtswohltat infolge eines verweigerten Wechsels des unentgeltlichen Rechtsvertreters vorausgegangen ist. Da die Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass der im kantonalen Recht verankerte Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege weiter gehe als der bundesrechtliche Minimalanspruch, kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob der direkt aus Art. 29 Abs. 3 BV hergeleitete Armenrechtsanspruch verletzt worden ist.
3.2 Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 3 bzw. Art. 4 aBV ergibt sich, dass ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege jederzeit bis zur Beendigung des Prozesses gestellt werden kann (BGE 122 I 203 E. 2c S. 205). Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege hängt vom Gesuch der mittellosen Partei ab. So wie diese auf die Rechtswohltat überhaupt verzichten kann, indem sie gar kein Gesuch stellt, kann sie auch während des Prozesses grundsätzlich ihren (auch teilweisen) Verzicht darauf erklären (Ries, Die unentgeltliche Rechtspflege nach der aargauischen Zivilprozessordnung vom 18. Dezember 1984, Diss. Zürich 1990, S. 251; Meichssner, Das Grundrecht auf unentgeltliche Rechtspflege [Art. 29 Abs. 3 BV], Diss. Basel 2008, S. 171). Es steht nicht in Frage, dass der im Jahre 2002 ausdrücklich erklärte Verzicht auf den unentgeltlichen Rechtsbeistand im angehobenen Erbteilungsprozess wirksam war. Ein stillschweigend oder - wie hier - ausdrücklich erklärter Verzicht auf unentgeltliche Rechtspflege kann nur bedeuten, dass im Rahmen eines später eingereichten Gesuchs die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege auf den Zeitpunkt der Einreichung dieses Gesuchs zurückwirkt (BGE 122 I 203 E. 2c S. 205).
3.3 Das Obergericht hat sich im Wesentlichen auf diese Grundsätze gestützt. Allerdings sind die Schlussfolgerungen, welche es im konkreten Fall gezogen hat, mit der Bundesverfassung nicht vereinbar. Nachdem die Beschwerdeführerin auf den im Jahre 2002 bewilligten unentgeltlichen Rechtsbeistand verzichtet hatte, war es ihr möglich, später im gleichen Verfahren erneut um einen unentgeltlichen Rechtsbeistand zu ersuchen. Das Obergericht verkennt, dass die Bundesverfassung keinen Anspruch auf freie Wahl des Rechtsvertreters gewährt (BGE 116 Ia 102 E. 4b/aa S. 105; vgl. Steinmann, in: St. Galler Kommentar, 2. Aufl. 2008, N. 41 zu Art. 29 BV; Kiener/Kälin, Grundrechte, Bern 2007, S. 432). Insoweit müsste die Beschwerdeführerin die Wiedereinsetzung des damaligen unentgeltlichen Rechtsvertreters grundsätzlich akzeptieren, zumal ein Wechsel des betreffenden unentgeltlichen Rechtsvertreters bereits geprüft und verweigert worden war. Dass die Beschwerdeführerin die Beiordnung eines anderen unentgeltlichen Rechtsvertreters beantragt hat, kann ihr jedoch nicht zum Nachteil gereichen, wenn der frühere unentgeltliche Rechtsvertreter nicht mehr als Rechtsanwalt praktiziert und sie dessen Wiedereinsetzung gar nicht beantragen konnte. Sodann könnte der Bezirksgerichtspräsident im Fall, dass er die Wiedereinsetzung des früheren Rechtsvertreters für zweckmässig erachten würde, eine Praxisaufgabe von Rechtsanwalt A.________ nicht übergehen. Wenn das Obergericht die Praxisaufgabe des früheren unentgeltlichen Rechtsvertreters als unerheblich erachtet hat, schliesst sie im Ergebnis ein neues Gesuch der Beschwerdeführerin auf unentgeltliche Verbeiständung im laufenden Verfahren aus und verunmöglicht die Geltendmachung ihrer Rechte aus Art. 29 Abs. 3 BV in unzulässiger Weise. Die Beschwerde ist begründet.
3.4 Das Obergericht hat festgehalten, dass die Behauptung, wonach der frühere unentgeltliche Rechtsvertreters (Rechtsanwalt A.________, Zürich) nicht mehr praktiziere, nicht belegt worden sei. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz eine Rechtsverweigerung bzw. Verfassungsverletzung vor, weil sie sich geweigert habe, Einblick in das Anwaltsregister des Kantons Zürich zu nehmen.
Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) ergibt sich der Anspruch der Parteien, Beweise zu beantragen zu Tatsachen, die für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung sein können (BGE 119 Ia 136 E. 2d S. 139). Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Beschwerde (auf S. 5, Ziff. 6) an das Obergericht behauptet, dass Rechtsanwalt A.________ nicht mehr im Anwaltsregister des Kantons Zürich eingetragen sei und hierfür als Beweismittel die "Erkundigung bei zürcherischen Behörden von Amtes wegen", mithin die Einholung eines Amtsberichts betreffend Registereintrag beantragt. Dass dieses Beweismittel für die - wie dargelegt (E. 3.3) - rechtserhebliche Behauptung der Tatsache der Nichteintragung tauglich ist und rechtzeitig sowie formrichtig angeboten wurde, steht nicht in Frage. Wenn das Obergericht unter diesen Umständen angenommen hat, dass es für die Tatsache der Nichteintragung im Anwaltsregister keinen Beweis abzunehmen habe, ist dies nicht haltbar. Das Obergericht hat demnach der Beschwerdeführerin das Recht auf den Beweis verweigert und Art. 29 Abs. 2 BV verletzt.
4.
Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde begründet und gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid über die Verweigerung der unentgeltliche Rechtspflege ist aufzuheben. Das Obergericht hat die (Nicht-) Eintragung von Rechtsanwalt A.________ im Anwaltsregister festzustellen. Ist dieser nicht eingetragen, wird sie über den Antrag zur Einsetzung von Rechtsanwalt Stampfli als unentgeltlichen Rechtsbeistand zu entscheiden haben (sofern die weiteren Voraussetzungen zur Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege erfüllt sind).
5.
Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat die durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 68 Abs. 2 BGG). Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren erweist sich damit als gegenstandslos.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde in Zivilsachen wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, vom 17. März 2008 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Der Kanton Aargau wird verpflichtet, die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 4. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 8. September 2008
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Raselli Levante