BGE 103 V 157
 
35. Urteil vom 28. Oktober 1977 i.S. Müller gegen Schweizerische Unfallversicherungsanstalt und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
 
Regeste
Art. 9 Abs. 1 lit. a der VO II über die Unfallversicherung, Art. 20 Abs. 1 VwVG.
 
Sachverhalt


BGE 103 V 157 (157):

A.- Arnold Müller erlitt am 2. Mai 1976 einen Unfall, für den die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) mit Verfügung vom 22. November 1976 ihre Leistungspflicht grundsätzlich anerkannte, die Geldleistungen aber im Sinne von Art. 91 KUVG wegen einer Prädisposition um 50% kürzte. Aus der postamtlichen Bescheinigung ergibt sich, dass die Verfügung dem Schweizerischen Beobachter als Vertreter des Versicherten am 23. November 1976 eröffnet wurde.
B.- Am 24. Mai 1977 beschwerte sich das Advokaturbüro X. im Auftrag des Arnold Müller beim Verwaltungsgericht des Kantons Luzern gegen die Kürzungsverfügung. - Mit Entscheid vom 8. Juli 1977 trat die Sozialversicherungsrechtliche Abteilung des Verwaltungsgerichts auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.
C.- Gegen diesen Entscheid lässt Arnold Müller rechtzeitig Verwaltungsgerichtsbeschwerde einreichen und die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sowie die Rückweisung zur materiellen Beurteilung beantragen. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Vorinstanz leite aus Art. 20

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Abs. 1 VwVG e contrario ab, dass der Tag, an dem eine Frist zu laufen beginne, mitzuzählen sei, wenn diese Frist nicht nach Tagen, sondern nach Monaten berechnet werde. Diese Interpretation gehe über den Gesetzeswortlaut hinaus und finde nirgends eine Stütze. Im Verfahrensrecht gelte die "eiserne Faustregel", dass der Tag, an dem die Fristen zu laufen begännen, nicht mitzuzählen sei. Sofern das Eidg. Versicherungsgericht den Standpunkt der Vorinstanz schützen sollte, beantrage er die Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist, da er gutgläubig davon ausgegangen sei, dass die Frist mit dem auf die Eröffnung folgenden Tag zu laufen begonnen habe und demzufolge am 24. Mai 1977 abgelaufen sei.
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
Streitig ist im vorliegenden Fall die Berechnung dieser sechsmonatigen Klagefrist. Die Vorinstanz schloss aus Art. 20 Abs. 1 VwVG e contrario, dass die Beschwerdefrist mit dem Tag der Eröffnung zu laufen beginne, und bezeichnete den 23. Mai 1977 als letzten Tag dieser Frist. Der Beschwerdeführer dagegen argumentiert, der Tag, an dem die Verfügung eröffnet worden sei, dürfe bei der Fristberechnung nach allgemein gültigen Regeln nicht mitgerechnet werden. Der erste Tag der Rechtsmittelfrist sei somit der 24. November 1976, so dass die am 24. Mai 1977 der Post übergebene Beschwerde an die Vorinstanz als rechtzeitig zu gelten habe.
2. a) Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass der Umkehrschluss aus Art. 20 Abs. 1 VwVG über den Gesetzeswortlaut hinausgeht und nirgends eine Stütze findet. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesgesetzgeber

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eine von den Normen des übrigen Bundesrechts abweichende Ordnung aufstellen und zum Ausdruck bringen wollte, wonach in der Verwaltungsrechtspflege das Gegenteil von dem gelten soll, was bereits auf dem Gebiet des StGB (Art. 29; BGE 73 IV 6, BGE 97 IV 238), SchKG (Art. 31 Abs. 1), OR (Art. 77 und 132) und ZGB (Art. 7, BGE 42 II 333) sowie insbesondere in der Bundesrechtspflege (Art. 32 Abs. 1 OG) gilt, nämlich dass bei den Verjährungs-, Verwirkungs- und prozessualen Fristen der Tag, an dem die Frist beginnt, nicht mitzuzählen ist. Auf eine solche Ausnahme kann auch nicht aus dem Wortlaut des oben zitierten Art. 9 Abs. 1 lit. a der Verordnung II über die Unfallversicherung geschlossen werden, auch wenn nach dieser Bestimmung der Fristenlauf mit der Eröffnung der Verfügung ausgelöst wird. Aus der Festsetzung des Tages, an dem eine Frist zu laufen beginnt, ergibt sich noch nicht schlüssig, wie der Lauf der Frist zu berechnen ist. So bestimmt beispielsweise Art. 130 Abs. 2 OR, dass die Verjährung einer auf Kündigung gestellten Forderung mit dem Tag beginnt, auf den die Kündigung zulässig ist; dennoch ist der Tag des Fristbeginns nach Art. 132 Abs. 1 OR nicht mitzuzählen.
Der von der Vorinstanz gezogene Umkehrschluss aus Art. 20 Abs. 1 VwVG würde dem Interesse einer im Bundesrecht einheitlichen Fristberechnung zuwiderlaufen und die Rechtssicherheit gefährden. Entscheidend ist indessen, dass bei einer solchen Regelung dem Beschwerdeführer nicht die volle Frist (30 ganze Tage, 6 volle Monate) zur Verfügung stünde; denn die Eröffnung erfolgt im Verlaufe eines Tages in der Regel durch Postzustellung. Vom Eröffnungstag verbleibt dem Beschwerdeführer deshalb nur ein Bruchteil, der nicht in Anschlag zu bringen ist. Die sechsmonatige Klagefrist, innerhalb welcher die am 23. November 1976 eröffnete Verfügung der SUVA angefochten werden konnte, begann demnach am 24. November 1976 um 00.00 Uhr zu laufen.
b) Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung, wonach die Klagefrist erst am 24. Mai 1977 ablief, geht fehl. Der Monat ist nach der Kalenderzeit zu berechnen (vgl. Art. 110 Ziff. 6 StGB). Die sechsmonatige Frist endete daher am 23. Mai 1977 um 24.00 Uhr (BGE 97 IV 240 letzter Absatz). Nach der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Berechnungsweise beträgt die Frist 6 Monate und ein Tag, weil der

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24. des Monats (November und Mai) zweimal gezählt würde. Die am 24. Mai 1977 der Post übergebene Beschwerde gegen die Verfügung der SUVA ist mithin verspätet, wie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend erkannt hat.
3. Der Beschwerdeführer verlangt ausdrücklich die Wiederherstellung der Rechtsmittelfrist, sofern seine Auffassung keine Unterstützung findet. Gemäss Art. 24 VwVG in Verbindung mit Art. 125 KUVG kann die Wiederherstellung einer Frist erteilt werden, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter unverschuldet abgehalten worden ist, innert der Frist zu handeln, binnen zehn Tagen nach Wegfall des Hindernisses ein begründetes Begehren um Wiederherstellung einreicht und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Die Säumnis des Vertreters des Beschwerdeführers beruht auf einem Rechnungsfehler, den er selbst zu vertreten hat. Er wurde daher nicht "unverschuldet abgehalten", rechtzeitig zu handeln, so dass das Vorliegen der weitern Voraussetzungen für eine Wiederherstellung nicht mehr zu prüfen ist.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.