BGE 87 IV 7
 
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1961 i.S. Frank gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
 
Regeste
Art. 128 StGB.
 
Sachverhalt


BGE 87 IV 7 (7):

Aus dem Tatbestand:
Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte am 4. November 1960 Frank wegen unvollendeten Tötungsversuches und Imstichelassens eines Verletzten zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus und drei Jahren Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit. Frank hatte am 29. Dezember 1958 nach Wirtschaftsschluss den sich auf dem Heimweg befindlichen Hammer ohne Grund angegriffen, ihn mit der Bemerkung, er werde ihn nun kalt machen, in brutaler Weise mit Fäusten und Füssen geschlagen, zu Boden geschleudert und schliesslich in verletztem und bewusstlosem Zustand in der nasskalten, regnerischen Winternacht auf der Strasse liegen gelassen.
Der Kassationshof hiess die von Frank gegen das obergerichtliche Urteil eingereichte Nichtigkeitsbeschwerde gut, soweit damit die Freisprechung des Verurteilten von der Anklage des Imstichelassens eines Verletzten verlangt wurde.
 
Aus den Erwägungen:
Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer ausser wegen unvollendeten Tötungsversuches auch wegen Imstichelassens eines Verletzten bestraft, weil er in dem Augenblicke, als er das bewusstlose Opfer hilflos auf der Strasse liegen liess, den Tötungsvorsatz aufgegeben gehabt habe.


BGE 87 IV 7 (8):

Der Entschluss, Hammer im Stiche zu lassen, und die Ausführung dieses Deliktes seien somit dem Tötungsversuch nachgefolgt.
Mit dieser zeitlichen Folge von Tötungsversuch und Imstichelassen des Verletzten ist jedoch über die Frage, ob die zwei Tatbestände zueinander im Verhältnis der Realkonkurrenz stehen können, nichts ausgesagt. Denn die beiden zeitlichen Phasen sind in solchen Fällen immer gegeben. Entscheidend ist einzig, ob mit der Bestrafung des Täters wegen Tötungsversuches auch das Nichthilfeleisten abgegolten werde oder nicht. Das ist entgegen der Auffassung der Vorinstanz zu bejahen. Für den vollendeten Versuch, wo der Täter alles unternimmt, was er zur Tötung seines Opfers für nötig hält, versteht sich das von selbst. Denn wer töten will und die darauf gerichtete Tätigkeit zu Ende führt, kann nicht gleichzeitig den Willen haben, nach Beendigung seines strafbaren Tuns das Opfer vom Tode zu erretten. Der Tötungsvorsatz schliesst, gleichviel ob der Täter das Opfer nach der Tat verlässt oder nicht, das Nichthilfeleisten notwendigerweise ein. Die Strafe, die der Täter wegen des in die Tat umgesetzten Tötungswillens verwirkt, gilt daher auch das Imstichelassen ab. Durch die Tötung (Art. 111 ff. StGB) wird das geschützte Rechtsgut verletzt, durch das Imstichelassen wird es bloss gefährdet (Art. 128 StGB; s.BGE 75 IV 61). Der Täter, der für die Verletzung bestraft wird, kann infolgedessen nicht überdies für die Gefährdung zur Verantwortung gezogen werden (vgl. hiezu LOGOZ, Kommentar, S. 59/60; SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar, 8. Auflage, S. 389 oben und 1116; Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, 3 S. 67/68; ferner allgemein über die Gefährdungsdelikte, GERMANN, Das Verbrechen, S. 93, 243 ff.).
Was aber für den vollendeten Tötungsversuch gilt, muss ebenso für den unvollendeten Versuch gelten, wo der Täter in einem bestimmten Stadium der Ausführung von seinem Tötungsvorsatz absteht. Der Inhalt seines

BGE 87 IV 7 (9):

durch Ausführungshandlungen geoffenbarten Willensentschlusses, auf den es nach dem dem StGB zugrunde liegenden Schuldprinzip für die Strafbarkeit entscheidend ankommt, ist bei den verschiedenen Formen des Versuches wie bei der vollendeten Straftat derselbe (GERMANN, a.a.O. S. 16/17, 63/64). Dass der Täter im einen Fall seine strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt, kann der Richter strafmildernd berücksichtigen (Art. 21 Abs. 1 StGB), ändert aber nichts daran, dass Straftatbestand der Tötungsversuch bleibt; der Täter wird nicht bloss wegen Körperverletzung bestraft. Der im unvollendeten Versuch geäusserte Tötungswille begreift daher gleicherweise wie beim vollendeten Versuch den Willen zur Nichthilfeleistung in sich, mit der Folge, dass die in diesem Fall für das Tötungsdelikt ausgefällte Strafe die nachfolgende Unterlassung ebenfalls abgilt.
Ist dem so, dann wurde der bereits wegen unvollendeten Tötungsversuches bestrafte Beschwerdeführer von der Vorinstanz zu Unrecht auch nach Art. 128 StGB verurteilt.