BGE 135 III 389
 
58. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Obergericht des Kantons Bern (Beschwerde in Zivilsachen)
 
5A_840/2008 vom 1. April 2009
 
Regeste
Art. 42 Abs. 1 ZGB; Berichtigung von Eintragungen im Zivilstandsregister.
Aktivlegitimation, wenn der Berichtigungskläger geltend macht, den Zivilstandsbeamten in Unkenntnis wichtiger Tatsachen gelassen zu haben (E. 3-3.3).
Die Beurkundung im Zivilstandsregister hat grundsätzlich deklaratorische Bedeutung. Bei Irreführung des Zivilstandsbeamten sind die Eintragungen zur Person im Zivilstandsregister zu berichtigen, sobald die Unrichtigkeit nachgewiesen ist (E. 3.4).
 
Sachverhalt


BGE 135 III 389 (390):

A. Im Jahre 1989 reiste Anwar X. aus seinem Heimatstaat Pakistan in die Schweiz ein. Im Jahre 1990 ging er die Ehe mit Z. ein; die kinderlose Ehe wurde am 27. Dezember 1999 geschieden. Mit dem Erwerb des Schweizer Bürgerrechts durch erleichterte Einbürgerung am 23. Juni 1995 wurde Anwar X. in das Familienregister der Gemeinde H./BE (Zivilstandskreis D./BE) eingetragen.
Am 24. Mai 2007 gelangte Anwar X. an den Gerichtspräsidenten des Gerichtskreises VI Signau-Trachselwald. Er beantragte gestützt auf Art. 42 Abs. 1 ZGB, es seien im Zivilstandsregister sein Vorname von "Anwar" in "Azam" und sein Geburtsdatum von "26. Juli 1958" in "10. Januar 1961" zu berichtigen. Zur Begründung brachte er im Wesentlichen vor, dass er bereits bei der Einreise als Asylbewerber im Jahre 1989 einen falschen Vornamen und ein falsches Geburtsdatum angegeben habe; die unwahren Angaben gegenüber dem Zivilstandsbeamten seien zu berichtigen, weil er nun Ordnung in seine Angelegeheiten bringen wolle.
B. Mit Entscheid vom 27. August 2007 wurde die Berichtigungsklage von Anwar X. abgewiesen. Auf Appellation hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 10. November 2008 die Abweisung.
C. Anwar X. führt mit Eingabe vom 15. Dezember 2008 (Postaufgabe) Beschwerde in Zivilsachen. Der Beschwerdeführer beantragt

BGE 135 III 389 (391):

dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und anzuordnen, dass er im Zivilstandsregister mit dem berichtigten Vornamen "Azam" und dem berichtigten Geburtsdatum "10. Januar 1961" eingetragen werde.
Das Obergericht des Kantons Bern und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement, Bundesamt für Justiz, haben auf eine Stellungnahme verzichtet.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
Vorliegend ist die Zuordnung von Daten (Vorname, Geburtsdatum) zu einer Person umstritten. Bestehen Zweifel über die Identität der Person, weil sie unter verschiedenen Namen und Geburtsdaten aufgetreten ist, steht zur Klärung das gerichtliche Verfahren gemäss Art. 42 ZGB offen (vgl. Ziff. 3.2 der Weisungen des Eidg. Amtes für das Zivilstandswesen [EAZW] über die Beurkundung der Personendaten von Ausländerinnen und Ausländern vom 30. Mai 2005; Ziff. 1.2.4 der Weisungen des EAZW über die Aufnahme ausländischer Personen in das Personenstandsregister vom 1. Oktober 2008; ANDREAS BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz, 4. Aufl. 2009, S. 67 Rz. 298). Der angefochtene Entscheid über die Führung des Zivilstandsregisters unterliegt gemäss Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 2 BGG der Beschwerde in Zivilsachen.
(...)
3. Anlass zur Berichtigungsklage des Beschwerdeführers gibt der Eintrag im Familienregister mit Bezug auf seinen Vornamen und sein Geburtsdatum. Gemäss Art. 42 Abs. 1 ZGB kann derjenige, welcher ein schützenswertes persönliches Interesse glaubhaft macht, beim Gericht auf Eintragung von streitigen Angaben über den

BGE 135 III 389 (392):

Personenstand, auf Berichtigung oder Löschung einer Eintragung klagen. Das Verfahren der Berichtigung dient dazu, eine Eintragung zu korrigieren, die bereits im Zeitpunkt der Vornahme unrichtig war, sei es infolge eines Irrtums des Zivilstandsbeamten oder deshalb, weil dieser in Unkenntnis wichtiger Tatsachen gelassen wurde (vgl. BGE 131 III 201 E. 1.3 S. 204; BUCHER, a.a.O., S. 67 Rz. 295; SCHÜPBACH, a.a.O., S. 103 f.). Die Eintragung im Zivilstandsregister kann durch den Nachweis des Gegenteils widerlegt werden (Art. 9 ZGB).
3.1 Die umstrittene Eintragung im Familienregister stützt sich auf den Einbürgerungsentscheid vom 23. Juni 1995. Bis vor Einführung der elektronischen Register zur Beurkundung des Personenstandes (Art. 39 ZGB; vgl. Art. 7 der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 [ZStV; SR 211.112.2]) wurde bei der Einbürgerung ein Blatt im Familienregister eröffnet und die Angaben zum Personenstand eingetragen. Vorliegend geht es nicht darum, dass dem Zivilstandsbeamten bei der Eintragung gestützt auf den Einbürgerungsentscheid ein Fehler unterlaufen ist. Die umstrittene Eintragung betreffend Vorname und Geburtsdatum des Beschwerdeführers beruht vielmehr auf dem Umstand, dass der Zivilstandsbeamte bei Eintragung der betreffenden Angaben, wie sie aus dem Einbürgerungsentscheid hervorgingen, in Unkenntnis der richtigen Tatsachen gelassen wurde.
3.2 Das Bereinigungsverfahren genügt dort nicht, wo der einem Eintrag zugrunde liegende Entscheid materiell unrichtig ist. So muss im Fall, in dem eine Person wegen einer irrigen richterlichen Erklärung zu Unrecht als verschollen erklärt wird (Art. 38 ZGB), zuerst die gerichtliche Verschollenerklärung als ungültig erklärt werden (vgl. EGGER, Zürcher Kommentar, 2. Aufl. 1930, N. 4 zu aArt. 45 ZGB). Die hier umstrittene Unrichtigkeit betreffend Vorname und Geburtsdatum betrifft jedoch nicht die materielle (Un-)Richtigkeit des Einbürgerungsentscheides, dessen Gegenstand die Erteilung des Schweizer, Kantons- und Gemeindebürgerrechts ist. Dieser Entscheid ist zur Berichtigung des Vornamens und Geburtsdatums nicht umzustossen, da er sich über die Richtigkeit dieser Angaben nicht ausspricht. Das Obergericht hat demnach die Frage der Eintragung des Vornamens und des Geburtsdatums zu Recht zum Gegenstand des gerichtlichen Berichtigungsverfahrens (Art. 42 ZGB) gemacht.
3.3 Auf Berichtigung kann klagen, wer ein Interesse an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Eintragungen im Zivilstandsregister

BGE 135 III 389 (393):

hat (WILLI HEUSSLER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I, 3. Aufl. 2006, N. 6 zu Art. 42 ZGB). Dies sind nicht nur die kantonalen Aufsichtsbehörden (Art. 42 Abs. 2 ZGB), welche das öffentliche Interesse wahrnehmen, sondern jedermann, sofern er ein schützenswertes persönliches Interesse glaubhaft macht (Art. 42 Abs. 1 ZGB). Ein privates (sowie das öffentliche) Interesse würde z.B. wohl fehlen, wenn das Eheregister als Voraussetzung für das Familienregister bereinigt werden soll, die Ehe aber aufgelöst worden ist (vgl. Ziff. 6 des Kreisschreibens des EAZW betreffend die Behebung von Unstimmigkeiten in geschlossenen Zivilstandsregistern vom 1. Oktober 2007).
3.3.3 In aArt. 45 Abs. 1 ZGB fehlte eine ausdrückliche Umschreibung, wer beim Richter auf Berichtigung des Zivilstandsregisters klagen konnte. Seit jeher ist anerkannt, dass jeder "Beteiligte" die richterliche Berichtigung verlangen kann (Art. 50 Abs. 3 der [früheren] Zivilstandsverordnung vom 1. Juni 1953), worunter auch derjenige fällt, dessen Personenstand unrichtig beurkundet ist

BGE 135 III 389 (394):

(KAUFMANN, Die gerichtliche Berichtigung des Zivilstandsregisters nach Art. 45 ZGB, SJZ 21/1915 S. 327). Mit Art. 42 ZGB wird die Aktivlegitimation auf Gesetzesstufe konkretisiert (Bundesgesetz vom 26. Juni 1998 über die Änderung des ZGB [Personenstand...]; in Kraft seit 1. Januar 2000). Das erforderliche schützenswerte persönliche Interesse, das (lediglich) glaubhaft zu machen ist, bezieht sich auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Eintragungen im Zivilstandsregister. Wenn - wie hier - der Beschwerdeführer geltend macht, den Zivilstandsbeamten in Unkenntnis wichtiger Tatsachen gelassen zu haben, so hat er mit seiner Begründung, "Ordnung in seine Angelegenheiten" bringen zu wollen, ohne Weiteres ein schützenswertes persönliches Interesse glaubhaft gemacht. Davon geht in diesen Fällen auch die kantonale Praxis aus (Gerichts- und Verwaltungspraxis des Kantons Zug [GVP/ZG] 2006 S. 159 f. E. 2), welche im Weiteren zu Recht darauf hinweist, dass der Berichtigungsanspruch aus dem Persönlichkeitsrecht fliesst (Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide [LGVE] 2002 I S. 11 Nr. 5). Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass es sich bei den umstrittenen Einträgen um Personenstandsdaten handelt, welche für den Beschwerdeführer aus registerrechtlichen Gründen nicht von Bedeutung seien. Wenn das Obergericht dem Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung eines schützenswerten persönlichen Interesses abgesprochen hat, verkennt es die Klagelegitimation gemäss Art. 42 Abs. 1 ZGB. Ob die falschen Angaben des Beschwerdeführers gegenüber dem Zivilstandsbeamten in den Bereich des Strafrechts fallen oder ein Einschreiten der Einbürgerungsbehörden nach sich ziehen, ist hier nicht zu entscheiden.
3.3.4 Auch mit dem Argument, bei einer Berichtigung des Zivilstandsregisters von Vornamen und Geburtsdatum sei das Strafregister nicht mehr nachvollziehbar, kann das Obergericht dem Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung eines schützenswerten persönlichen Interesses nicht absprechen. Gemäss Art. 43a Abs. 4 Ziff. 3 ZGB hat die für die Führung des automatisierten Strafregisters des StGB zuständige Stelle des Bundes auf die identitätsrelevanten Daten des Personenstandsregisters im Abrufverfahren Zugriff. Zu den im Strafregister erfassten Daten gehören auch ehemalige Namen und Angaben über Falschpersonalien (Art. 10 Abs. 1 und Anhang 1 der Verordnung vom 29. September 2006 über das Strafregister [SR 331]). Sodann hat das Zivilstandsamt die Bereinigung von Personenstandsdaten von Amtes wegen verschiedenen Behörden bekannt zu geben (vgl. Art. 49 ZStV).


BGE 135 III 389 (395):

3.3.5 Nach dem Dargelegten ist mit Art. 42 Abs. 1 ZGB nicht vereinbar, wenn das Obergericht dem Beschwerdeführer die Legitimation zur Berichtigungsklage betreffend Vornamen und Geburtsdatum im Zivilstandsregister abgesprochen hat.
3.4.1 Die Vorinstanz erblickt Rechtsmissbrauch darin, weil der Beschwerdeführer einen falschen Registereintrag erwirkt, von seiner "falschen Identität profitiert" habe und aus dieser unredlich erwirkten Rechtsposition Vorteile ziehen wolle. Entgegen der Meinung der Vorinstanz hat jedoch der Beschwerdeführer durch die unwahren Angaben und die sich darauf stützende Eintragung im Zivilstandsregister keinen neuen oder anderen Personenstand geschaffen, denn die Beurkundung hat (mit Vorbehalt des Anerkennungsregisters) keine materielle Wirkung, sondern lediglich deklaratorische Bedeutung (vgl. BGE 117 II 11 E. 4 S. 12; ERNST GÖTZ, Die Beurkundung des Personenstandes, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. II, 1967, S. 389; BUCHER, a.a.O., S. 62 Rz. 269 f.). Die gleiche Wirkung hat der richterliche Entscheid, mit welchem gestützt auf Art. 42 ZGB diejenigen Eintragungen, welche nicht auf einem offensichtlichen Versehen oder Irrtum beruhen (Art. 43 ZGB), bereinigt werden (vgl. PIERRE B. JAQUES, La rectification des actes de l'état civil, 1949, S. 296; Botschaft vom 15. November 1995 über die Änderung des ZGB [Personenstand...], BBl 1996 I 52 Ziff. 211.41). Das Obergericht geht fehl in der Annahme, dass mit der Berichtigung dem Beschwerdeführer eine neue materielle "Identität" verschafft würde bzw. bei Nicht-Berichtigung der tatsächliche Personenstand ohne materielle Bedeutung wäre.
3.4.2 Bei der Führung der Personenstandsregister ist sodann die Sicherheit darüber, dass der Inhalt richtig und vollständig ist, der entscheidende Gesichtspunkt (GÖTZ, a.a.O., S. 395). Die Vorinstanz übergeht, dass die Rechtsordnung ein Personenstandsregister

BGE 135 III 389 (396):

voraussetzt, das auf einschlägige Fragen schlüssig antworten kann (vgl. GÖTZ, a.a.O., S. 391). Zu Recht hält MONTINI fest, dass bei Irreführung des Zivilstandsbeamten die Angaben zur Person im Zivilstandsregister "selbstverständlich" zu berichtigen sind, sobald die Unrichtigkeit nachgewiesen ist (MICHEL MONTINI, Missbräuche im Umfeld des Zivilstandsdienstes, ZZW 2001 S. 182). Besteht aber ein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Berichtigung, ist nicht haltbar, wenn das Obergericht das - nachweislich unrichtige - Zivilstandsregister unberichtigt lassen will. Nach überzeugender kantonaler Rechtsprechung werden Angaben über Namen und Geburtsdaten von Asylsuchenden, die bei der Einreise falsche Angaben machen und die später gestützt auf Art. 42 ZGB die Berichtigung von Eintragungen im Zivilstandsregister verlangen ("reinen Tisch machen"), nicht wegen Rechtsmissbrauch als unrichtig belassen, sondern es wird - bei Nachweis der wahren Identität - der ermittelte Zivilstand eingetragen (GVP/ZG 2006 S. 159 f. E. 2).
3.4.3 Die weiteren Erwägungen zum "Profit", den der Beschwerdeführer aus dem unrichtigen Eintrag im Zivilstandsregister gezogen habe und durch die Berichtigung nun ziehen soll, vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern, zumal die Unrichtigkeit der Eintragungen im Zivilstandsregister, auf welches in verschiedenen Gesetzen abgestellt wird, für die betreffende Person - je nach Situation - Vor- oder Nachteile mit sich bringen kann. Ob die bereits am 27. Dezember 1995 (während der Ehe mit Z.) in Pakistan geschlossene zweite Ehe wirksam ist (vgl. Art. 45 Abs. 2 IPRG [SR 291]), wird nicht mit der Berichtigung entschieden. Ebenso wenig wird die pakistanische Ehefrau - bei Vorliegen einer wirksamen Eheschliessung - mit der Berichtigung im Zivilstandsregister Schweizer Bürgerin, sondern darüber wird von den zuständigen Behörden entschieden.