125 III 154
Urteilskopf
125 III 154
29. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 15. Dezember 1998 i.S. Nachlassmasse Neidhardt AG gegen Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband (Berufung)
  Regeste
Kollokationsklage; Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung;  Rangordnung der Gläubiger (Art. 146 SchKG, 219 SchKG; Art. 2 Abs. 3 der Schlussbestimmungen der Gesetzesänderung vom 16. Dezember 1994 [AS 1995 1306]).  
Die Frage der Geltungsdauer der nach altem Recht vorgesehenen, im neuen Recht eingeschränkten Privilegien gemäss Art. 146 und 
Im Nachlassverfahren, das eine Art Vollstreckungsersatz darstellt, zeitigt die Bewilligung der Nachlassstundung, durch welche das Verfahren eröffnet wird, gleichartige Wirkungen wie Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug. Aus diesem Grunde ist zwingend der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung und nicht jener der Genehmigung des Nachlassvertrages dafür entscheidend, ob eine Forderung nach der alten oder neuen Privilegienordnung zu kollozieren ist (E.  3b und 3c). 
    A.- Der Neidhart AG war am 21. August 1996 die Nachlassstundung bewilligt und am 13. Februar 1997 war der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung bestätigt worden. Die Forderung der Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband für AHV/IV/EO- und ALV-Beiträge von Fr. 147'060.25 wurde im Kollokationsplan gestützt auf Art. 219 des revidierten SchKG in der dritten Klasse kolloziert.
    B.- Das Obergericht des Kantons Luzern hiess auf Appellation der Ausgleichskasse Schweizerischer Baumeisterverband die Klage am 16. September 1998 gut und wies die Sachwalter an, die Forderung der Klägerin von Fr. 147'060.25 in der zweiten Klasse nach Art. 219 aSchKG zu kollozieren.
    C.- Die Nachlassmasse Neidhart AG (Beklagte) hat Berufung eingelegt mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Kollokationsklage abzuweisen, eventualiter festzustellen, dass im Falle der Gutheissung der Kollokationsklage sämtliche Forderungen nach den altrechtlichen SchKG-Bestimmungen zu kollozieren seien.
Das Bundesgericht hat die Berufung abgewiesen, soweit es darauf eingetreten ist.
  Aus den Erwägungen:
    2. Vor Obergericht war einzig streitig, ob auf die Forderung der Klägerin die bis Ende 1996 oder die seit Anfang 1997 geltende Privilegienordnung von Art. 219 SchKG anzuwenden, der Anspruch 
BGE 125 III 154 S. 156
mithin in der zweiten oder in der dritten Klasse zu kollozieren sei. Die Vorinstanz hält fest, gemäss Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen gälten die im bisherigen Recht enthaltenen Privilegien der Art. 146 und 219 weiter, wenn vor dem Inkrafttreten des revidierten SchKG der Konkurs eröffnet oder die Pfändung vollzogen worden sei. Weder sei ihm bezüglich der Weitergeltung jener Privilegien auf den Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung eine positive Anordnung zu entnehmen, noch seien Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Weitergeltung der Privilegienordnung beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung in jedem Fall auszuschliessen wäre. Die vorhandene Gesetzeslücke sei den Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen zugrunde liegenden gesetzgeberischen Motiven folgend dahin zu füllen, dass beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung die im bisherigen Recht enthaltenen Privilegien weiter gälten, falls vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes die Nachlassstundung bewilligt worden sei. Darauf, nicht auf den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages, komme es an.Die Beklagte zieht nicht infrage, dass die im alten Recht enthaltene Privilegienordnung auch im Falle eines Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung Geltung beanspruchen könne; sie hält indessen dafür, dass die dogmatisch einzige, zu einem widerspruchsfreien Ergebnis führende Lösung jene sei, die für deren Weitergeltung auf den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages abstelle.
Die Klägerin teilt demgegenüber die Auffassung des Obergerichts.
    3. a) Das Obergericht geht zutreffend davon aus, es liege eine Gesetzeslücke vor (BGE 121 III 219 E. 1d/aa S. 225 mit Hinweisen). Die Frage der Geltungsdauer der nach altem Recht vorgesehenen, im neuen Recht eingeschränkten Privilegien gemäss Art. 146 und 
BGE 125 III 154 S. 157
analogen, gesetzlich bereits geregelten Tatbeständen auszugehen (BGE 119 Ib 311 E. 4b S. 322 und BGE 118 II 139 E. 1a S. 141, je mit Hinweisen), hier also insbesondere von der für Konkurs und Pfändung in der gleichen Frage getroffenen Regelung, wie es das Obergericht zutreffend getan hat.b) Bestimmend dafür, welche gesetzliche Privilegienordnung angewendet werden muss, ist gemäss Art. 2 Abs. 3 der Übergangsbestimmungen im Konkurs die Konkurseröffnung, bei Pfändung der Pfändungsvollzug. Diese Regelung ergibt sich als zwingende Folge aus den Rechtswirkungen von Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug, wie altes und neues Recht sie vorsehen. Mit der Konkurseröffnung bildet sämtliches pfändbare Vermögen des Schuldners eine einzige, zur gemeinsamen Befriedigung der Gläubiger dienende Masse (Art. 197  Abs. 1 SchKG), sind Rechtshandlungen des Schuldners über zu dieser gehörende Vermögensstücke den Konkursgläubigern gegenüber ungültig  (Art. 204 Abs. 1  SchKG) und können zur Masse gehörende Forderungen nicht mehr durch Zahlung an den Schuldner getilgt werden (Art. 205 Abs. 1 SchKG); ferner sind alle gegen den Schuldner hängigen Betreibungen aufgehoben und können neue Betreibungen für vor der Konkurseröffnung entstandene Forderungen nicht eingeleitet werden (Art.  206 Abs. 1 SchKG); sodann werden sämtliche Schuldverpflichtungen fällig (Art.  208 Abs. 1 SchKG), der Zinsenlauf gegenüber dem Schuldner hört auf (Art. 209  Abs. 1 SchKG), und die Verrechnung ist teilweise ausgeschlossen (Art. 213  SchKG). Der Pfändungsvollzug bewirkt, dass der Schuldner bei Straffolge ohne Bewilligung des Betreibungsbeamten nicht mehr über die gepfändeten Vermögensstücke verfügen darf (Art. 96 Abs. 1 SchKG); Gläubiger, die das Fortsetzungsbegehren innerhalb von 30 Tagen stellen, nehmen an der Pfändung teil (Art. 110 Abs. 1 SchKG).
Im Nachlassverfahren zeitigt die Bewilligung der Nachlassstundung, durch welche das Verfahren eröffnet wird, gleichartige Wirkungen wie Konkurseröffnung und Pfändungsvollzug: Es sind unverzüglich die zur Erhaltung des schuldnerischen Vermögens notwendigen Anordnungen zu treffen (Art. 293 Abs. 3  SchKG), es muss ein Sachwalter bestimmt werden, der die Handlungen des Schuldners, insbesondere die Fortführung der Geschäftstätigkeit, falls und soweit sie dem Schuldner überhaupt überlassen wird, überwacht (Art. 295 Abs. 1  und 2 sowie Art. 298 Abs. 1 SchKG); eine Betreibung gegen den Schuldner kann weder eingeleitet noch fortgesetzt werden, Verjährungs- und Verwirkungsfristen stehen still, 
BGE 125 III 154 S. 158
der Zinsenlauf für alle nicht pfandgesicherten Forderungen hört auf, und für die Verrechnung gelten die Vorschriften des Konkursverfahrens, wobei an die Stelle der Konkurseröffnung die Bekanntmachung der Nachlassstundung tritt (BGE 125 III 154 S. 159
der Bewilligung der Nachlassstundung entscheidend, wie es das Obergericht zutreffend erkannt hat, nicht jener der Genehmigung des Nachlassvertrages, welche mit der Konkurseröffnung und dem Pfändungsvollzug überhaupt nichts gemein hat.c) Was die Beklagte einwendet, um stattdessen den Zeitpunkt der Bestätigung des Nachlassvertrages als bestimmend anzusehen, hält nicht stand. LORANDI/SCHWANDER (AJP 1996, S. 1466) erachten den Zeitpunkt der Genehmigung des Nachlassvertrages deswegen als massgeblich, weil erst dann feststehe, ob  überhaupt ein Kollokationsplan erstellt werden müsse; käme es darauf als entscheidenden Vorgang an, so bliebe unerklärlich, weshalb im Konkurs und bei der Pfändung nach der eindeutigen Übergangsbestimmung von Art. 2 Abs. 3 als solcher die Konkurseröffnung bzw. der Pfändungsvollzug vorgeschrieben worden ist, wo infolge der Möglichkeit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven  (Art. 230 SchKG) oder der Befriedigung sämtlicher Gläubiger (Art. 146 SchKG) ebenso wenig als bei Bewilligung der Nachlassstundung feststeht, ob in der Folge ein Kollokationsplan nötig sein wird. Ist nach eigenem Zugeständnis der Beklagten beim Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung «in wesentlichen Bereichen analog dem Konkurs vorzugehen», so drängt sich daher auf, als analoges Stichdatum zur Konkurseröffnung dasjenige der Bewilligung der Nachlassstundung und nicht jenes der Genehmigung des Nachlassvertrages heranzuziehen. Die Nachlassstundung hat, wie die Erwägungen zu deren Bedeutung und Wirkung zeigen, weder funktionell noch verfahrensmässig oder im Ergebnis etwas mit Betreibungsferien oder Rechtsstillstand gemeinsam; sie kann diesen folglich auch nicht gleichgestellt werden. Bedeutet die Bestätigung des Nachlassvertrages nach richtiger Darstellung der Beklagten den Abschluss eines der Zwangsvollstreckung dienenden Verfahrens, so kann diese gerade deswegen nicht «die genau gleiche Bedeutung bzw. Funktion» wie die Konkurseröffnung oder der Pfändungsvollzug haben, welche das betreffende Verfahren - wie die Bewilligung der Nachlassstundung- in Gang setzen. Inwiefern bei Massgeblichkeit der Bewilligung der Nachlassstundung ein unlösbarer Widerspruch zu Art. 2 Abs.  3 der Übergangsbestimmungen geschaffen werden, dies gar zu einem klaren Gesetzesverstoss führen könnte, bleibt unerfindlich; bei Konkurs kommt es nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift stets und allein, also unbekümmert darum, ob diesem eine Nachlassstundung vorausgegangen, die erteilte Stundung widerrufen oder der Nachlassvertrag nicht genehmigt worden ist, damit aber auch im Falle von 
   BGE 125 III 154 S. 160
Art. 309 SchKG, auf den Zeitpunkt der Konkurseröffnung an, was die Beklagte in anderem Zusammenhange ohne Bedenken unterstellt; liegen Bewilligung der Nachlassstundung und Konkurseröffnung im Sinne von Art. 309 SchKG nicht beide vor oder nach dem Inkrafttreten des neues Rechts, so sind die Forderungen notwendigerweise unterschiedlich zu kollozieren. Dass besondere Elemente des konkreten Einzelfalles bei der Lückenfüllung unbeachtlich bleiben müssen, anerkennt mit Recht auch die Beklagte; das Obergericht hat solche Elemente denn auch nicht zur Lückenfüllung herangezogen, sondern anhand derselben einzig belegt, dass sich die abstrakt gefundene Lösung gerade unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles bewähre. Die These der Beklagten, bei der Lückenfüllung sei es eher angebracht, einer baldmöglichen Befolgung der neurechtlichen Bestimmungen zum Durchbruch zu verhelfen, ist mit dem Grundsatz der Nichtrückwirkung (Art. 1 Abs. 1 SchlT ZGB) unvereinbar.Referenzen
BGE: 121 III 219, 119 IB 311, 118 II 139
            Artikel:
                                          Art. 146 SchKG,
                                          Art. 309 SchKG,
                                          Art. 219 SchKG,