BGE 121 III 420
 
82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. Juli 1995 i.S. T. AG gegen E. AG und M. AG (Berufung)
 
Regeste
Aktiengesellschaft; Anfechtung eines Generalversammlungsbeschlusses über die Sanierung der Gesellschaft durch Herabsetzung des Aktienkapitals auf Null mit anschliessender Wiedererhöhung auf den früheren Betrag (Art. 650 Abs. 2, Art. 700, Art. 706, Art. 725 Abs. 2, Art. 732 OR).
Der Beschluss über die vollständige Abschreibung des Aktienkapitals unter gleichzeitiger Wiedererhöhung auf den bisherigen Betrag setzt weder eine Zwischenbilanz gemäss Art. 725 Abs. 2 OR noch einen besonderen Revisionsbericht gemäss Art. 732 Abs. 2 OR voraus (E. 3).
Dieser Beschluss bedarf keiner Statutenänderung, wenn Anzahl, Nennwert und Art der Aktien nicht verändert werden. Diese Voraussetzung ist auch dann gegeben, wenn sich nicht alle bisherigen Aktionäre an der Kapitalerhöhung beteiligen und den nicht mehr zeichnenden bisherigen Aktionären die nicht entziehbaren Rechte auf die Mitgliedschaft und je eine Stimme verbleiben (E. 4).
 
Sachverhalt


BGE 121 III 420 (421):

Die E. AG und die M. AG sind neben H. und der G. AG Aktionärinnen der T. AG. Am 7. Juli 1993 erhielten sie eine schriftliche Einladung zur ordentlichen Generalversammlung vom 2. August 1993, in welcher die Traktanden aufgeführt waren. Traktandum 8 lautete wie folgt:
"Diskussion und Beschlussfassung über Sanierungsmassnahmen
a) Antrag des Verwaltungsrates gemäss Beilage
b) Diskussion und Beschlussfassung über Anträge aus dem Aktionärskreis
(z.B. Kapitalerhöhung mit oder ohne vorherige Kapitalherabsetzung etc.)"


BGE 121 III 420 (422):

In der erwähnten Beilage schlug die Verwaltung, die damals aus H. und K. bestand, den Aktionären vor, die Gesellschaft mittels à fonds perdu-Beiträgen zu sanieren, und zwar durch ihrem Aktienanteil entsprechende Zahlungen von insgesamt Fr. 200'000.--. Die Aktienanteile betrugen für H. 22.44% (101 Aktien), für die G. AG und die M. AG je 31.11% (je 140 Aktien) sowie für die E. AG 15.34% (69 Aktien). Aktionäre, welche diesen Vorschlag ablehnten, wurden mit der Beilage aufgefordert, "allfällige weitere Vorschläge an den VR zu Handen der Generalversammlung schriftlich einzureichen".
In der Generalversammlung vom 2. August 1993, an der am Anfang sämtliche Aktionäre vertreten waren, scheiterte der unter Punkt 8a der Traktanden angekündigte Sanierungsvorschlag der Verwaltung mangels erforderlicher Einstimmigkeit. Anschliessend erhob der Rechtsvertreter der M. AG erfolglos Einspruch gegen die nach Meinung seiner Klientin ungenügende Traktandierung von Punkt 8b. In der Folge stellte H. unter diesem Traktandum als Aktionär den Antrag, das gesamte Aktienkapital von Fr. 135'000.-- durch Vernichtung der 450 Namenaktien mit einem Nennwert von je Fr. 300.-- auf Null herabzusetzen und anschliessend durch die Ausgabe von 450 voll liberierten Namenaktien mit dem gleichen Nennwert wieder auf Fr. 135'000.-- zu erhöhen. Darauf verliess der Vertreter der E. AG die Versammlung. Der Antrag H. wurde dann mit einem Verhältnis von 241 Ja- zu 140 Nein-Stimmen angenommen.
Mit Schreiben vom 9. August 1993 forderte der Verwaltungsrat der T. AG die Aktionäre auf, entsprechend dem am 2. August 1993 gefassten Beschluss der Generalversammlung ihre Aktien bis 20. August 1993 zur Vernichtung einzureichen. Gleichzeitig gab er ihnen Gelegenheit, bis zu diesem Tag neue Aktien zu zeichnen, wobei eine alte Aktie mit Nennwert von Fr. 300.-- Anrecht auf Zeichnung einer neuen Aktie mit dem gleichen Nennwert gab. Die E. AG und die M. AG weigerten sich in der Folge, ihre Aktien zur Vernichtung einzuliefern, mit der Begründung, der Beschluss der Generalversammlung sei ungültig.
Am 24. September 1993 erhoben die E. AG und die M. AG beim Handelsgericht des Kantons Zürich Klage gegen die T. AG mit dem Rechtsbegehren, den Beschluss der Generalversammlung als ungültig zu erklären und aufzuheben.
Mit Urteil vom 31. März 1994 hiess das Handelsgericht die Klage gut und erklärte den Kapitalerhöhungsbeschluss der Beklagten vom 2. August 1993 für ungültig und damit aufgehoben.


BGE 121 III 420 (423):

Die Beklagte hat dieses Urteil mit Berufung angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.
 
Aus den Erwägungen:
Die Klägerinnen bezeichnen ihre Rechtsschrift zwar als Berufungsantwort, stellen aber teilweise Anträge, welche über die Bestätigung des angefochtenen Urteils hinausgehen, indem sie namentlich die Ungültigerklärung und Aufhebung des Generalversammlungsbeschlusses vom 2. August 1993 auch insoweit verlangen, als das Aktienkapital auf Null herabgesetzt worden ist, und indem sie eventualiter für den Fall der Gutheissung der Berufung die Feststellung verlangen, dass sie ihre Aktionärsrechte nicht verlieren, auch wenn sie keine neuen Aktien gezeichnet und liberiert haben. Unter diesen Umständen ist ihre Eingabe nicht nur als Berufungsantwort, sondern auch als Anschlussberufung entgegenzunehmen. Aus Gründen der Zweckmässigkeit ist die Anschlussberufung im folgenden vorweg zu behandeln, soweit damit solche Einwände gegen die Gültigkeit der Beschlüsse der Generalversammlung erhoben werden, die bereits vom Handelsgericht als unbegründet verworfen worden sind.
a) In der Einberufung der Generalversammlung sind nach Gesetz die Verhandlungsgegenstände sowie die Anträge des Verwaltungsrates und der Aktionäre bekanntzugeben, welche die Durchführung einer Generalversammlung oder die Traktandierung eines Verhandlungsgegenstandes verlangt haben (Art. 700 Abs. 2 OR). Über Anträge zu nicht gehörig angekündigten Verhandlungsgegenständen können unter Vorbehalt hier nicht gegebener Ausnahmen keine Beschlüsse gefasst werden (Abs. 3). Zur Stellung von Anträgen im Rahmen der Verhandlungsgegenstände bedarf es keiner vorgängigen Ankündigung (Abs. 4).
Die Vorschrift, wonach in der Einberufung nicht nur die Verhandlungsgegenstände, sondern auch die Anträge bekanntzugeben sind, ist

BGE 121 III 420 (424):

mit der Aktienrechtsrevision vom 4. Oktober 1991 (in Kraft seit 1. Juli 1992, AS 1992 733/786) ins Gesetz aufgenommen worden. Es müssen nach dem Gesetzeswortlaut die Anträge jener Personen bekanntgegeben werden, welche die Generalversammlung einberufen bzw. einberufen lassen, wobei mit Absatz 4 von Art. 700 OR klargestellt wird, dass im Rahmen der gehörig angekündigten Traktanden weitere Anträge gestellt und gestellte Anträge modifiziert werden können. In der Botschaft des Bundesrates vom 23. Februar 1983 (nachfolgend: Botschaft) wird hiezu ausgeführt, dieses Recht müsse auch für den Verwaltungsrat und die einberufenen Aktionäre gelten, da nur unter dieser Voraussetzung die Erfüllung des Informationsbedürfnisses mit dem freien Diskussionsrecht und der Forderung nach Flexibilität vereinbart werden könne (BBl 1983 II 915). Nach wie vor gilt im übrigen der Grundsatz, dass die Umschreibung der einzelnen Verhandlungsgegenstände für einen durchschnittlichen Aktionär klar verständlich sein muss (BGE 103 II 141 E. a S. 143 mit Hinweisen; BÖCKLI, Das neue Aktienrecht, S. 353 Rz. 1286).
b) Unter Punkt 8 der Einladung zur Generalversammlung vom 2. August 1993 war die "Diskussion und Beschlussfassung über Sanierungsmassnahmen" traktandiert, wobei der Verwaltungsrat gemäss lit. a beantragte, eine Sanierung mittels à fonds perdu-Beiträgen durchzuführen mit dem Verteilungsschlüssel, wie er bereits am Anfang dieses Urteils in der Darstellung des Sachverhalts aufgeführt worden ist. Unter Punkt 8 lit. b war sodann eine "Diskussion und Beschlussfassung über Anträge aus dem Aktionärskreis (z.B. Kapitalerhöhung mit oder ohne vorherige Kapitalherabsetzung...)" vorgesehen. Damit wurde klar verständlich angekündigt, dass andere Massnahmen in Betracht gezogen und auf eine Sanierung auch dann nicht verzichtet werden sollte, wenn der Antrag des Verwaltungsrats abgelehnt werden würde. Die auf Antrag von H. als Aktionär beschlossene Abschreibung des Aktienkapitals mit nachfolgender Erhöhung auf den bisherigen Betrag lag für einen durchschnittlichen Aktionär durchaus im Bereich der möglichen Massnahmen, die zur Sanierung der Gesellschaft beschlossen werden konnten. Denn zur Sanierung kommen alle Massnahmen in Betracht, mit denen eine finanzielle Gesundung der Gesellschaft bezweckt wird, namentlich auch die Herabsetzung des Grundkapitals mit gleichzeitiger Wiedererhöhung auf den gleichen Betrag (KÜNG, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 7 Vorbemerkungen zu Art. 732-735 OR). Der Vorinstanz kann somit keine Verletzung von Art. 700 OR vorgeworfen

BGE 121 III 420 (425):

werden. Sie hat diese Vorschrift im Gegenteil richtig ausgelegt, indem sie auf Traktandum 8 als Ganzes abgestellt und die mit den angefochtenen Beschlüssen gewählten Massnahmen zu jenen gezählt hat, die im Rahmen einer Sanierung in Betracht fallen und auf die sich ein Aktionär aufgrund der Ankündigung von Sanierungsmassnahmen ausreichend vorbereiten konnte.
Was die Klägerinnen hiegegen vorbringen, vermag nicht zu überzeugen. So schliesst die Verpflichtung des Verwaltungsrates, seine Anträge bereits in der Einberufung zu formulieren, eine spätere Modifikation oder das Stellen weiterer Anträge in der Generalversammlung auch von seiten der Aktionäre nicht aus. Sodann trifft zwar zu, dass der Verwaltungsrat bei Kapitalverlust im Sinne von Art. 725 Abs. 1 OR gehalten ist, Sanierungsmassnahmen vorzubereiten und entsprechende Vorschläge der Generalversammlung in entschlussreifer Form vorzulegen (vgl. BÖCKLI, a.a.O., S. 457 Rz. 1686). Daraus lässt sich aber ebenfalls nicht ableiten, dass die Generalversammlung nicht andere Massnahmen beschliessen darf.
a) Art. 725 Abs. 2 OR verpflichtet den Verwaltungsrat, eine Zwischenbilanz zu erstellen und diese der Revisionsstelle zur Prüfung vorzulegen, wenn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht. Diese Bestimmung dient dem Gläubigerschutz und bildet die Voraussetzung für die Benachrichtigung des Richters, welche - auch im Interesse der Allgemeinheit und künftiger Kreditgeber - gesetzlich für den Fall der Überschuldung vorgeschrieben wird. Absatz 1 sieht dagegen zum Schutz der Aktionäre vor, dass der Verwaltungsrat bereits dann eine Generalversammlung einberufen muss, wenn die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nach der letzten Jahresbilanz nicht mehr gedeckt ist. Unter dieser Voraussetzung soll die Generalversammlung über Liquidation, Sanierung oder Fortführung ohne Sanierung beschliessen können, bevor eine Überschuldung eingetreten ist (Botschaft, BBl 1983 II 926 f.; BÖCKLI, a.a.O., S. 455 Rz. 1678; WÜSTINER, in Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 3 zu

BGE 121 III 420 (426):

Art. 725 OR). Die Erstellung einer Zwischenbilanz zur Orientierung der Sanierungs-Generalversammlung ist somit nach der gesetzlichen Regelung nicht erforderlich. Das schliesst nicht aus, dass der Verwaltungsrat den Aktionären Auskunft über den aktuellen Stand zu geben hat, soweit dies für die Ausübung ihrer Rechte erforderlich ist (Art. 697 OR). Die Klägerinnen behaupten zwar, ein vom Verwaltungsrat erstellter Zwischenabschluss sei ihnen vorenthalten worden. Sie machen indes nicht geltend, sie hätten an der Versammlung vom 2. August 1993 gestützt auf Art. 697 OR Auskunft verlangt und diese nicht erhalten. Sie belegen im übrigen auch nicht, dass sie eine entsprechende Behauptung schon im vorinstanzlichen Verfahren prozessual zulässig vorgebracht haben. Sie beschränken sich auf den Vorwurf, der Verwaltungsrat hätte ihnen von sich aus einen Zwischenabschluss vorlegen müssen, und rügen in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 725 Abs. 1 OR. Die Vorinstanz hat diese Bestimmung jedoch zu Recht nicht angewendet. Sie verpflichtet den Verwaltungsrat, unverzüglich eine Generalversammlung einzuberufen, falls die Jahresbilanz zeigt, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt sind. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen verlangt das Gesetz dagegen nicht, dass der Verwaltungsrat der Sanierungsversammlung einen Zwischenabschluss vorlegen muss.
b) Der Beschluss über die Herabsetzung des Aktienkapitals darf nach Art. 732 Abs. 2 OR nur gefasst werden, wenn durch einen besonderen Revisionsbericht festgestellt ist, dass die Forderungen der Gläubiger trotz der Herabsetzung voll gedeckt sind. Der besondere Revisionsbericht bildet eine notwendige Grundlage für den Herabsetzungsbeschluss der Generalversammlung. Er soll dem allgemeinen Zweck der Vorschriften über die Kapitalherabsetzung entsprechend einen wirksamen Gläubigerschutz gewährleisten (BÜRGI, Zürcher Kommentar, N. 15 zu Art. 732 aOR; KÜNG, a.a.O., N. 2 Vorbemerkungen zu Art. 732-735 OR sowie N. 5 zu Art. 732 OR). Der besondere Revisionsbericht ist daher auch im Fall des vereinfachten Herabsetzungsverfahrens zur Beseitigung einer Unterbilanz unentbehrlich (BGE 76 I 162; BÜRGI, Zürcher Kommentar, N. 17 zu Art. 732 aOR). Nicht gesetzlich vorgeschrieben ist der besondere Revisionsbericht dagegen dann, wenn das Aktienkapital gleichzeitig bis zur bisherigen Höhe durch neues, voll einzubezahlendes Kapital ersetzt wird, wie sich aus Art. 732 Abs. 1 OR ergibt, auf den Absatz 2 verweist (FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht,

BGE 121 III 420 (427):

Band I/Lieferung 1, S. 623 Rz. 484 f.). In diesem Fall stehen keine Gläubigerinteressen auf dem Spiel. Die Vorinstanz hat somit den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung entgegen der Rüge der Klägerinnen nicht verkannt, wenn sie den angefochtenen Generalversammlungsbeschluss nicht wegen Fehlens eines besonderen Revisionsberichts für ungültig erklärt hat.
4. Die Vorinstanz ist unter Berufung auf Art. 650 Abs. 2 Ziff. 2 OR zum Ergebnis gekommen, der Erhöhungsbeschluss der Generalversammlung vom 2. August 1993 sei ungültig, weil eine Herabsetzung des Aktienkapitals mit anschliessender Kapitalerhöhung auf den ursprünglichen Betrag aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz gegen aussen nach einem klaren, ausdrücklichen Entscheid der Generalversammlung über das Schicksal der Rechte von Aktionären verlange, die sich an der Erhöhung nicht beteiligen wollen. Die Beklagte rügt mit der Berufung, diese Betrachtungsweise sei bundesrechtswidrig. Nach ihrer Auffassung ergibt sich aus Art. 692 Abs. 2 OR, dass solchen Aktionären, die keine eigene Aktionärskategorie bildeten, je eine Stimme verbleibe, wenn ein diesbezüglicher Entscheid der Generalversammlung fehle.
a) Im Rahmen einer Sanierung der Gesellschaft kann der Nennwert der Aktien unter den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbetrag von zehn Franken herabgesetzt werden (Art. 622 Abs. 4 OR). Es ist auch zulässig, die Aktien gänzlich abzuschreiben (BGE 86 II 78 E. 3c S. 82; FORSTMOSER, a.a.O., S. 609 f. N. 424). Die Abschreibung kann entweder durch Vernichtung der Aktien oder durch Herabsetzung des Nennwertes auf Null erfolgen (KÜNG, a.a.O., N. 13 Vorbemerkungen zu Art. 732-735 OR). Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass bei der Herabsetzung ebenso wie bei der Wiedererhöhung des Kapitals die allgemeinen Rechtsgrundsätze beachtet werden, welche hinsichtlich der Beziehungen der Aktionäre untereinander und zur Gesellschaft gelten. Im Vordergrund stehen in diesem Zusammenhang das Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre und die Gewährleistung der unentziehbaren Aktionärsrechte. Das alte Aktienrecht regelte diese Fragen unter dem Titel des Schutzes der wohlerworbenen Rechte, welche den einzelnen Aktionären nicht ohne ihre Zustimmung entzogen werden konnten (Art. 646 Abs. 1 aOR). Dazu gehörten insbesondere die Mitgliedschaft und das Stimmrecht (Art. 646 Abs. 3 aOR). Im revidierten Aktienrecht wird der Begriff der wohlerworbenen Aktionärsrechte nicht mehr verwendet. Damit wurde gemäss der Botschaft des Bundesrates (a.a.O., S. 821) der Entwicklung von Rechtsprechung und Lehre

BGE 121 III 420 (428):

Rechnung getragen, welche die Mangelhaftigkeit der Legaldefinition und die Lückenhaftigkeit der exemplarischen Aufzählung in Art. 646 Abs. 3 aOR gezeigt hatte. Nicht übernommen wurde zudem die in der Lehre teilweise befürwortete Unterscheidung zwischen absolut und relativ wohlerworbenen Aktionärsrechten (vgl. dazu WALTER RENÉ SCHLUEP, Die wohlerworbenen Rechte des Aktionärs und ihr Schutz nach schweizerischem Recht, Diss. St. Gallen 1955, S. 18 f., 20 f., 30 ff., S. 415 f.). Massgebendes Unterscheidungskriterium sollten vielmehr die im Gesetz festgelegten Rechtsfolgen eines Eingriffs der Generalversammlung in bestimmte Aktionärsrechte sein (Botschaft, a.a.O., S. 822; vgl. Art. 706 und 706b OR). Auch nach der Revision des Aktienrechts muss somit beim Entscheid über die Zulässigkeit des Entzugs oder der Einschränkung von Aktionärsrechten durch die Generalversammlung wegleitend sein, dass unentziehbare Aktionärsrechte bestehen (vgl. zum Beispiel die in Art. 706b Ziff. 1 OR aufgezählten Rechte). Dazu gehören auch nach neuem Aktienrecht die Mitgliedschaft und das Recht auf mindestens eine Stimme (BÖCKLI, a.a.O., S. 527 Rz. 1936; vgl. zum alten Aktienrecht: SCHLUEP, a.a.O., S. 97 ff. und S. 133 ff.). Diese Rechte können bei einer sanierungsbedingten vollständigen Abschreibung des Aktienkapitals den Aktionären, die sich an der Sanierung nicht beteiligen wollen, nicht gegen ihren Willen entzogen werden.
b) Die Klägerinnen stellen zu Recht nicht in Frage, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre sowohl in bezug auf die Kapitalherabsetzung wie auch die Heraufsetzung beachtet worden ist. Zur Durchführung der Herabsetzung des bisherigen Aktienkapitals auf Null wurden sämtliche Aktien abgeschrieben, betroffen waren somit alle Aktionäre in gleicher Weise. Allen bisherigen Aktionären wurde sodann für die Wiedererhöhung des Aktienkapitals auf den früheren Betrag ein Bezugsrecht auf neue, gleichartige Aktien eingeräumt, so dass auch in dieser Hinsicht die Gleichbehandlung der Aktionäre gewährleistet war. Die Klägerinnen behaupten zudem nicht, durch die vollständige Abschreibung der Aktien seien ihre Rechte in weitergehendem Masse beschnitten worden, als sachlich gerechtfertigt war. Sie räumen im Gegenteil selbst ein, die vollständige Abschreibung sei gerechtfertigt gewesen, wenn sie in Frage stellen, ob die von der Generalversammlung getroffenen Massnahmen zur Sanierung ausreichten und in diesem Zusammenhang behaupten, die Gesellschaft sei höher verschuldet als angenommen. Es ist unter diesen Umständen als unbestritten anzusehen, dass die Aktionäre ihr Aktienkapital im Falle der Liquidation

BGE 121 III 420 (429):

oder des Konkurses der Gesellschaft verloren hätten. Keine Rolle spielt deshalb im vorliegenden Fall die Frage, ob den bisherigen Aktionären, die sich an der Kapitalheraufsetzung nicht beteiligen wollten, über das gesetzliche Minimum hinausgehende Rechte zum Ausgleich von Ansprüchen eingeräumt werden müssten, die sie hätten realisieren können, wenn die Gesellschaft nicht saniert, sondern liquidiert worden wäre.
c) Wie bereits festgehalten worden ist, kann die Generalversammlung einem Aktionär die Mitgliedschaft und das Recht auf mindestens eine Stimme nicht gegen seinen Willen entziehen. An der Generalversammlung vom 2. August 1993 wurde darüber nicht entschieden, was nach Auffassung der Vorinstanz, der sich die Klägerinnen anschliessen, die Ungültigkeit des Erhöhungsbeschlusses zur Folge hat. Diese Frage ist im folgenden zu prüfen.
aa) Das Verfahren der Kapitalerhöhung ist mit der Revision des Aktienrechts neu geregelt worden. Die Generalversammlung hat danach im Unterschied zur altrechtlichen Ordnung nur noch einen einzigen Beschluss zu fassen, nämlich jenen über die Kapitalerhöhung selbst, zu deren Durchführung neu der Verwaltungsrat beauftragt und ermächtigt wird (BÖCKLI, a.a.O., S. 47 Rz. 153; ISLER, Ausgewählte Fragen der Kapitalerhöhung, AJP 1992, S. 726). Der Beschluss der Generalversammlung bewirkt für sich allein noch keine Kapitalerhöhung (BÖCKLI, a.a.O., S. 52 Rz. 170). Vielmehr hat der Verwaltungsrat nach Art. 652g OR in Durchführung des Beschlusses die Statuten zu ändern und dabei insbesondere festzustellen, dass sämtliche Aktien gültig gezeichnet worden sind (Abs. 1 Ziff. 1), dass die versprochenen Einlagen dem gesamten Ausgabebetrag entsprechen (Abs. 1 Ziff. 2) und sie in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gesetzes, der Statuten oder des Generalversammlungsbeschlusses geleistet worden sind (Abs. 1 Ziff. 3). Der Verwaltungsrat hat sodann die Statutenänderungen und seine Feststellungen beim Handelsregister zur Eintragung anzumelden (Art. 652h Abs. 1 OR; vgl. dazu BÖCKLI, a.a.O., S. 63 f. Rz. 215 und 218; ZINDEL/ISLER, in Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Basel, N. 1-5 zu Art. 652g OR).
bb) Art. 650 Abs. 2 OR zählt abschliessend auf, welchen Inhalt der Beschluss der Generalversammlung über die Kapitalerhöhung haben muss (ZINDEL/ISLER, a.a.O., N. 5 zu Art. 650 OR). Von Interesse ist im vorliegenden Fall Ziffer 2 von Absatz 2, wonach der Beschluss Anzahl, Nennwert und Art der Aktien sowie Vorrechte einzelner Kategorien angeben muss. Diese Angaben sind nach zutreffender Lehrmeinung dann nicht

BGE 121 III 420 (430):

notwendig, wenn die Aktienstruktur durch die zur Kapitalerhöhung neu geschaffenen Aktien nicht verändert wird, weil diese Aktien in ihrer Art und dem Nennwert den bisherigen - mit der Kapitalherabsetzung abgeschriebenen - Aktien entsprechen. Unter solchen Umständen muss auch keine Statutenänderung erfolgen (ROBERT MEIER, Die Aktiengesellschaft, S. 294 Rz. 429; MONTAVON/WERMELINGER, Droit et pratique de la société anonyme, Bd. II, S. 341). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Generalversammlung beschliesst, die mit der Herabsetzung des Aktienkapitals abgeschriebenen Aktien zu vernichten. Davon zu unterscheiden ist der - hier nicht gegebene - Fall, dass der Nennwert der alten Aktien auf Null vermindert wird, die Aktien somit zu solchen ohne Nennwert umgestaltet werden (vgl. BGE 86 II 78 E. 3a S. 81 und dazu JÄGGI, Zur Schaffung von privilegierten Aktien und von Genusscheinen, in Etudes de droit commercial en l'honneur de Paul Carry, S. 79 ff., S. 89). Die damit, bzw. an sich schon mit der Herabsetzung, geschaffenen Aktien stellen eine eigene Aktienart im Sinne von Art. 650 Abs. 2 OR dar. Ihre Anzahl und Ausgestaltung hinsichtlich des Stimmrechts muss deshalb Gegenstand des Beschlusses der Generalversammlung bilden. Darüber hinaus ist eine Änderung der Statuten erforderlich (KÜNG, a.a.O., N. 13 Vorbemerkungen zu Art. 737-735 OR). Für den Ausgang dieses Verfahrens unerheblich und deshalb nicht zu prüfen ist im übrigen die Frage, welche Stellung und allenfalls speziellen Rechte den Aktionären mit solchen Aktien ohne Nennwert innerhalb der Aktiengesellschaft zukommen soll.
cc) Im vorliegenden Fall hat die Generalversammlung beschlossen, die im Rahmen der Aktienkapitalherabsetzung abgeschriebenen Aktien zu vernichten. Zur Frage der Mitgliedschaft und des Stimmrechts von Aktionären, die sich an der anschliessenden Erhöhung des Kapitals auf den vorherigen Betrag nicht beteiligen wollten, hat sich die Generalversammlung nicht geäussert, und brauchte sie von Gesetzes wegen auch nicht, wie schon ausgeführt worden ist. Die damit entstandene Regelungslücke ist nach Massgabe der bereits in Erwägung 4a) erörterten Grundsätze über die unentziehbaren Aktionärsrechte zu füllen. Unentziehbar ist zunächst die Mitgliedschaft als solche. Die Klägerinnen bleiben deshalb Aktionärinnen der Beklagten, obschon sie nicht mehr an deren Aktienkapital beteiligt sind. Sie nehmen im Vergleich zu den übrigen Aktionären eine Sonderstellung ein, da ihrer Mitgliedschaft nicht wie im Normalfall eine Kapitalbeteiligung zugrunde liegt, sondern sie

BGE 121 III 420 (431):

unmittelbar gesetzlich begründet ist. Unentziehbar ist sodann auch das Mindeststimmrecht der Klägerinnen. Es wäre zwar - entsprechend dem eventuellen Feststellungsbegehren der Klägerinnen - möglich gewesen, ihnen die Stimmrechte im bisherigen Umfang zu belassen (vgl. dazu FORSTMOSER, a.a.O., S. 610 Rz. 425; BÜRGI, Zürcher Kommentar, N. 44 ff. zu Art. 692 OR). Das hätte indessen einen entsprechenden Beschluss der Generalversammlung vorausgesetzt. Fehlt er wie im vorliegenden Fall, so verbleibt den betreffenden Aktionären einzig das ihnen nach den erwähnten Grundsätzen nicht entziehbare Recht auf mindestens eine Stimme. Dieses Stimmrecht braucht weder im Erhöhungsbeschluss der Generalversammlung angegeben noch in den Statuten festgehalten zu werden, da es von Gesetzes wegen mit der unentziehbaren Mitgliedschaft verbunden ist. Nicht zu prüfen ist im übrigen, ob die den Klägerinnen zustehenden Stimmrechte im Handelsregister bekannt zu machen sind, da diese Frage die Gültigkeit der angefochtenen Beschlüsse nicht beeinflussen kann.