BGE 82 III 1
 
1. Entscheid vom 20. April 1956 i.S. Gasser.
 
Regeste
Zwangsvollstreckung unter Ehegatten. Art. 173 ff. ZGB.
a) bei einer Verfügung im Scheidungsprozesse nach Art. 145
b) bei einer Verfügung zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft nach Art. 170 ZGB;
c) bei gerichtlicher Trennung der Ehe ausser Unterhaltsbeiträgen eine Prozessentschädigung zugesprochen, so ist auch für diese die Zwangsvollstreckung ohne Beschränkung zulässig.
Art. 176 Abs. 2 ZGB.
 
Sachverhalt


BGE 82 III 1 (2):

A.- Der von der Rekurrentin eingeleitete Scheidungsprozess wurde am 13. September 1955 vom Bezirksgericht St. Gallen dahin entschieden, dass die Ehe mit Rücksicht auf eine in Aussicht stehende Wiedervereinigung der Gatten auf die Dauer eines Jahres getrennt wurde. Das Bezirksgericht ordnete keine Gütertrennung an. Es verpflichtete den Ehemann zur Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge von Fr. 150.-- an die Ehefrau und sprach dieser ferner eine Prozessentschädigung von Fr. 475.70 zu. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.
B.- Für die vom Manne nicht bezahlte Prozessentschädigung leitete die Frau Betreibung ein. Über den vom Betreibungsamte St. Gallen zugestellten Zahlungsbefehl Nr. 25531 beschwerte sich der Schuldner mit Hinweis auf das Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nach Art. 173 ZGB. Die Gläubigerin widersetzte sich der Beschwerde und brachte vor, wenn sie die Prozessentschädigung nicht erhalte, müsse sie von den Unterhaltsbeiträgen mehr, als was auf ein Vierteljahr entfalle, für die Bezahlung der Anwaltsrechnung verwenden. Der Schuldner dagegen machte geltend, er sei ausserstande, neben den Gerichtskosten, die er wöchentlich abzahle, noch die Prozessentschädigung zu leisten. Im übrigen verfüge die Gläubigerin noch über eigene Mittel.
C.- Die untere Aufsichtsbehörde hob den Zahlungsbefehl auf, und die von der Gläubigerin angerufene obere Aufsichtsbehörde bestätigte diesen Entscheid am 13. März 1956, im wesentlichen aus folgenden Gründen: Art. 176 Abs. 2 ZGB darf nicht ausdehnend ausgelegt werden. Unter gerichtlich zugesprochenen Beiträgen sind solche nach Art. 145, 156, 170, 246 ZGB zu verstehen. Dass die bei Abweisung einer Scheidungsklage einem Ehegatten zugesprochene Prozessentschädigung nicht als Beitrag in diesem Sinne zu gelten hat, ist bereits entschieden worden

BGE 82 III 1 (3):

(BGE 48 III 125, BGE 53 III 152, wo der Unterschied zu einem dem Ehemanne für die Führung des Scheidungsprozesses durch die Ehefrau auferlegten Kostenvorschuss, provisio ad litem, hervorgehoben wird). Freilich ist einer Ehefrau die Betreibung für die Kosten eines Verfahrens gestattet worden, das gerade auf Erwirkung von Unterhaltsbeiträgen gemäss Art. 145 ZGB gerichtet war (BGE 63 III 46). Daraus lässt sich aber nichts für eine entsprechende Geltendmachung der Kosten des Scheidungs- oder Trennungsprozesses selbst herleiten. Denn in solchen Prozessen bilden Unterhaltsansprüche einen blossen Nebenpunkt, und die Prozessentschädigung als solche ist nicht als Beitrag zu betrachten. Der Zweck des in Art. 173 ZGB zum Grundsatz erhobenen Betreibungsverbotes, den ehelichen Frieden zu schützen, verdient auch bei gerichtlicher Trennung der Ehe beachtet zu werden, zumal wenn, wie hier, wegen Aussicht auf Wiedervereinigung der Ehegatten Trennung statt der verlangten Scheidung ausgesprochen wurde. Die Durchführung der von der Ehefrau angehobenen Betreibung könnte der Wiedervereinigung hinderlich sein.
D.- Mit vorliegendem Rekurse hält die Gläubigerin am Antrag auf Abweisung der Beschwerde des Schuldners fest. Es wird eine Änderung der bisherigen Praxis angeregt, in dem Sinne, dass die einem Ehegatten im Scheidungs- oder Trennungsprozesse zugesprochene Prozessentschädigung allgemein als Beitrag im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB zu betrachten und demgemäss gänzlich vom Betreibungsverbote des Art. 173 ZGB auszunehmen sei. Die Verweigerung der Zwangsvollstreckung für solche Prozessentschädigungen bringe Unzukömmlichkeiten mit sich, weshalb die Betroffenen und selbst die Gerichte nach Auswegen suchten, die als mehr oder weniger fragwürdig zu bezeichnen seien. Es wird auf einen Entscheid des Zürcher Obergerichtes vom 12. April 1951 hingewiesen, der auf Grund eingehender Erörterungen zum Schlusse kommt, der mit seiner Scheidungsklage unterliegende Ehemann sei zu verpflichten, die Anwaltsrechnung der Ehefrau direkt dem

BGE 82 III 1 (4):

Anwalte zu bezahlen. Die einem Ehegatten gegenüber dem andern auferlegte Prozessentschädigung lasse sich zwangslos als Beitrag bezeichnen. Dass die Wiedervereinigung getrennt lebender Ehegatten durch die Einforderung einer solchen Entschädigung auf dem Betreibungsweg erschwert werde, treffe nicht zu. In erster Linie sei dem in der Zahlung säumigen Ehemann ein der Aussöhnung abträgliches Verhalten zuzuschreiben.
 
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Unter Ehegatten ist eine Zwangsvollstreckung während der Ehe nur in den vom Gesetze bezeichneten Fällen zulässig (Art. 173 ZGB). Somit besteht das grundsätzliche Betreibungsverbot auch bei gerichtlich getrennter Ehe. Entzogen ist ihm die Durchführung einer gerichtlich angeordneten Gütertrennung (Art. 176 Abs. 1 ZGB), wie sie die Rekurrentin für den Fall einer Trennung der Ehe hätte verlangen können (Art. 155 Abs. 2 ZGB), mit der Folge, dass alsdann die ihr zugesprochene Prozessentschädigung in die güterrechtliche Auseinandersetzung einbezogen worden wäre und daher ebenfalls gemäss Art. 176 Abs. 1 ZGB hätte in Betreibung gesetzt werden können (BGE 73 III 83). Da indessen im vorliegenden Falle die Gütertrennung nicht verlangt und nicht angeordnet wurde, hängt die Zulässigkeit der vom Ehemann angefochtenen Betreibung davon ab, ob die deren Gegenstand bildende Prozessentschädigung zu den nach Art. 176 Abs. 2 ZGB vom Betreibungsverbot ausgenommenen "Beiträgen" ("subsides", "sovvenzioni") gehöre. Von dieser Fragestellung geht der angefochtene Entscheid zutreffend aus.
Versteht man unter Beiträgen nur Leistungen zur Bestreitung des gewöhnlichen Lebensaufwandes, so sind Prozessentschädigungen nicht dazu zu rechnen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist jedoch der Begriff des Beitrages nicht so eng. Es ist durchaus geläufig, von einem Beitrag an die Prozesskosten des Gegners zu sprechen

BGE 82 III 1 (5):

(besonders bei bloss teilweiser Ersatzpflicht; volle Ersatzpflicht stellt aber noch um so mehr einen Beitrag dar). Die Rechtsprechung zu den Art. 173 ff. ZGB hält sich nun allerdings nach den von der Vorinstanz angeführten Entscheidungen (vgl. auch BGE 81 III 1) an jenen engern Begriff des Beitrages. Da aber auch der weitere Begriff sich mit den gesetzlichen Bestimmungen vereinbaren lässt und es als unabweislich erschien, besondern Bedürfnissen Rechnung zu tragen, wird in bestimmten Fällen auch der für den andern Ehegatten zu erbringende Prozessaufwand dem Betreibungsverbot entzogen und dem Art. 176 Abs. 2 ZGB unterstellt; und zwar nicht nur der vom Ehemann an die Ehefrau zu leistende Vorschuss für einen Scheidungs- oder Trennungsprozess (BGE 53 III 151, wobei die allfällige Rückerstattungspflicht vorbehalten bleibt, BGE 66 II 70), sondern auch eine erst im Entscheid über Unterhaltsbeiträge nach Art. 145 ZGB dem dazu verpflichteten Ehegatten auferlegte Prozessentschädigung (BGE 63 III 46). Gleiches muss gelten, wenn über Unterhaltsbeiträge nicht im Rahmen eines Scheidungsprozesses, gemäss Art. 145 ZGB, sondern in einer Verfügung zum Schutze der ehelichen Gemeinschaft, bei Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes der Ehegatten, nach Art. 170 ZGB entschieden wird. Zur Begründung der Zulässigkeit einer selbständigen Betreibung für solche Prozesskosten wird im zuletzt erwähnten Entscheid vor allem angeführt, der unterhaltsberechtigte Ehegatte müsse davor geschützt werden, die Unterhaltsbeiträge zur Bestreitung von Prozesskosten verwenden zu müssen, wenn und soweit ihn der andere Ehegatte dafür zu entschädigen hat. Diese Erwägung trifft nun aber auch dann zu, wenn Unterhaltsbeiträge und Prozessentschädigung an den unterhaltsberechtigten Ehegatten in einem die Ehe trennenden Urteil ausgesprochen sind. Auch in diesem Falle verdient es der unterhaltsberechtigte Ehegatte, durch Gestattung der zwangsweisen Einforderung der Prozessentschädigung im vollen Genuss der Unterhaltsbeiträge geschützt zu werden.


BGE 82 III 1 (6):

Er läuft freilich in dieser Hinsicht keine Gefahr, wenn er seinen Prozessaufwand bereits beglichen hat, die Prozessentschädigung ihm also Ersatz für gehabte Auslagen bietet und er auch nicht etwa ein für die Prozesskosten aufgenommenes Darlehen zurückzahlen muss. Wie es sich damit verhält, ist im vorliegenden Falle nicht festgestellt. Es erübrigt sich jedoch, die Sache zur näheren Abklärung des Tatbestandes an die Vorinstanz zurückzuweisen. Denn es rechtfertigt sich allgemein, die Prozessentschädigung, die einem Ehegatten gegenüber dem andern ausser Unterhaltsbeiträgen vom Richter zugesprochen wird - sei es in einem Verfahren gemäss Art. 145 oder 170 ZGB oder auch bei gerichtlicher Trennung der Ehe -, als vom Betreibungsverbot ausgenommenen Beitrag im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB gelten zu lassen. Ob noch weitergehend jede einem Ehegatten an den andern zustehende Prozessentschädigung zu den "Beiträgen" in diesem Sinne zu rechnen sei (was in der Literatur mit ernsthaften Gründen vertreten wird, vgl. F. GUISAN, Journal des Tribunaux 1931 II 165/6 und 1932 II 96), kann hier offen bleiben. Zuzugeben ist, dass sich aus dem Betreibungsverbot für Prozessentschädigungen mannigfache Schwierigkeiten ergeben, und es mag bezweifelt werden, ob der in den Blättern für zürcherische Rechtsprechung 50 Nr. 214 aufgezeigte Ausweg zulässig sei, wie auch umstritten ist, ob eine der Ehefrau zugesprochene Prozessentschädigung je nach dem Güterstande nur mit Einwilligung des Ehemannes abgetreten werden könne oder aber zu dem der freien Verfügung durch die Ehefrau unterstehenden Sondergut gehöre (was F. GUISAN, a.a.O., annimmt). Fraglich bleibt aber, ob es angeht, die einem Ehegatten gegenüber dem andern auferlegte Prozessentschädigung lediglich aus praktischen Gründen vom Betreibungsverbot auszunehmen, auch wenn der gemeinsame Haushalt fortbesteht, wovon bei abgewiesener Scheidungsklage ohne Ehetrennung wie auch bei abgewiesener blosser Trennungsklage auszugehen ist. In diesen Fällen darf nicht wohl unbeachtet gelassen werden,

BGE 82 III 1 (7):

dass es dem allgemeinen Empfinden zuwiderläuft, eine Zwangsvollstreckung unter Ehegatten, die zusammen leben, zuzulassen (durant la vie commune, BGE 63 III 143). Dieser moralische Grund zu einschränkender Auslegung von Art. 176 Abs. 2 ZGB entfällt jedoch bei gerichtlich getrennter Ehe. Es ist keineswegs stossend, wenn die getrennt vom Manne lebende Frau, der gerichtlich bestimmte, auf dem Betreibungsweg vollstreckbare Unterhaltsbeiträge zugesprochen sind (im Unterschied zu dem nicht auf solchem Weg vollstreckbaren Haushaltungsgeld einer mit dem Manne zusammen lebenden Frau, BGE 81 III 1), auch eine ihr ferner zuerkannte Prozessentschädigung in Betreibung setzen kann, und zwar selbst dann, wenn sie in der Lage wäre, ihren Prozessaufwand aus andern Mitteln zu bestreiten, und auch, wenn sie ihn bereits erbracht hat. Endlich ist der Rekurrentin darin beizustimmen, dass der wegen der Begleichung der Prozessentschädigung entstandene Streit in erster Linie dem in der Zahlung säumigen Ehemanne zuzuschreiben ist. Nach alldem darf der Rekurrentin nicht verwehrt werden, diese Entschädigung durch Betreibung einzufordern. Die Aussöhnung der Eheleute wird dadurch nicht wesentlich erschwert, sondern unter Umständen - namentlich wenn der Ehemann nun bezahlt und damit eine Fortsetzung der Betreibung vermeidet - erleichtert werden.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Beschwerde des Ehemannes abgewiesen.