BGE 94 II 161
 
29. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 12. November 1968 i.S. Werz gegen Immorex AG
 
Regeste
Werkvertrag, Art. 363 ff. OR.
Begriff der Ablieferung des Werks bei Gebäuden.
Anspruch des Bestellers auf Preisminderung wegen Abweichungen vom Bauprojekt (Erw. 2).
Beginn der Prüfungs- und Rügefrist wegen Mängeln.
Rechtslage beim Generalunternehmungsvertrag (Erw. 3).
 
Sachverhalt


BGE 94 II 161 (161):

Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 18. Dezember 1963 verkaufte die Immorex AG an Max Werz ein Baugrundstück in Goldach (SG) zum Preise von Fr. 85'000.--. Am 24. Januar 1964 schlossen die gleichen Parteien einen" Werk- und Generalunternehmungsvertrag "ab, wonach sich die Immorex AG verpflichtete, auf diesem Grundstück ein 9-Familienhaus zum Preise von Fr. 575'000.-- schlüsselfertig zu erstellen.


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Werz bezog am 1. Februar 1965 eine Wohnung im Neubau. An den vereinbarten Werklohn bezahlte er insgesamt Fr. 560'000.--; die Bezahlung der restlichen Fr. 15'000.-- verweigerte er wegen Minderwerts der Baute und weil noch nicht alle Arbeiten ausgeführt worden seien.
Das Kantonsgericht St. Gallen schützte die Klage der Immorex AG auf Bezahlung des restlichen Werklohns.
Das Bundesgericht weist auf Berufung des Beklagten hin die Sache an die Vorinstanz zurück.
 
Aus den Erwägungen:
1. Gemäss dem Vertrag der Parteien vom 24. Januar 1964 hat sich die Klägerin verpflichtet, für den Beklagten unter Übernahme des gesamten Baurisikos ein schlüsselfertiges Haus nach behördlich genehmigtem Projekt zum Pauschalpreis von Fr. 575'000.-- zu erstellen. Dieses Vertragsverhältnis ist nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz rechtlich als Werkvertrag im Sinne von Art. 363 ff. OR zu werten. Ein Auftragsverhältnis kommt nicht in Betracht, da die Klägerin nicht nur die mit der Bauleitung zusammenhängenden Obliegenheiten zu besorgen hatte, sondern als Generalunternehmerin die Verträge mit den einzelnen Unternehmern und Handwerkern im eigenen Namen und auf eigene Rechnung abschloss. Dass die Klägerin selber keine Bauarbeiten ausführte, sondern sie alle an andere Unternehmer und Handwerker als Unterakkordanten vergab, ändert am Charakter ihres Verhältnisses zum Beklagten nichts. Nach Art. 364 Abs. 2 OR darf der Unternehmer das Werk durch Dritte ausführen lassen, wenn die Erstellung nach der Natur des Geschäftes nicht den Einsatz seiner persönlichen Eigenschaften erfordert, was hier nicht zutrifft. Die Auffassung, in diesem Falle sei das Rechtsverhältnis als Kauf einer künftigen Sache oder als fiduziarisches Auftragsverhältnis anzusehen (so GAUTSCHI, Vorbemerkungen zu Art. 363-379 OR N. 18, Art. 363 N. 15 e S. 67, Art 365 N. 25 b) ist abzulehnen. Ein Kauf ist nach der Rechtsprechung (BGE 15 S. 840) nur anzunehmen, wenn der Generalunternehmer die Baute auf ihm gehörendem Boden erstellt und die vereinbarte Pauschalsumme auch den Preis für das Land umfasst. Im vorliegenden Falle haben die Parteien jedoch über den Kauf des Landes und die Erstellung des Hauses getrennte, wenn auch von einander abhängige Verträge geschlossen. Abzulehnen ist

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schliesslich auch die Auffassung der Klägerin, der Vertrag der Parteien sei ein Innominatkontrakt, denn die getroffenen Vereinbarungen lassen sich ohne weiteres den Regeln des Werkvertrages unterstellen.
Da der Vertrag vom 24. Januar 1964 die SIA-Normen nicht als anwendbar erklärt, ist er ausschliesslich nach den gesetzlichen Bestimmungen des OR zu beurteilen.
b) Das Kantonsgericht hat festgestellt, die behaupteten Abweichungen vom Projekt seien von der Klägerin im wesentlichen zugestanden und tatsächlich vorhanden, mit der einen Ausnahme, dass der Belag des Hausvorplatzes von der Klägerin inzwischen, im Mai 1967, angebracht worden sei. Die aus den übrigen Abweichungen abgeleiteten Ansprüche hat es jedoch gestützt auf die Bestimmungen über die Haftung des Unternehmers für Mängel des Werkes mit folgender Begründung abgewiesen: Abweichungen vom Projekt seien den Mängeln im Sinne von Art. 367 OR gleichzusetzen und daher wie solche zu rügen; sie könnten nicht nach den Vorschriften über die Nichterfüllung (Art. 97 ff. OR) geltend gemacht werden. Der Beklagte hätte daher diese Abweichungen, die er bei seinem Einzug in die Liegenschaft anfangs Februar 1965 ohne Schwierigkeit feststellen konnte, der Klägerin unverzüglich anzeigen müssen. Das habe er unterlassen und damit das Werk gemäss Art. 370 Abs. 2 OR stillschweigend genehmigt; seine erst mit Schreiben vom 31. Mai 1965 angebrachten Beanstandungen seien verspätet gewesen; angeblich früher erfolgte mündliche Rügen seien nur gegenüber dem hiefür nicht zuständigen Bauführer gemacht worden und zudem nicht genügend substanziert gewesen.


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c) Die Bezahlung des Werklohnes und die Ablieferung des fertigen und mängelfreien Werkes haben mangels anderer, hier nicht behaupteter vertraglicher Abrede gemäss Art. 82 OR Zug um Zug zu erfolgen (Art. 372 OR; BGE 89 II 235 Erw. 4 a). Die Zurückhaltung des Werklohnes (oder eines Restbetrages davon) ist daher ein zulässiges Mittel, um die vertragsgemässe Ablieferung des Werkes zu erreichen (BGE 89 II 235 Erw. 4 a, BGE 93 II 328 unten).
Erste Voraussetzung für die Fälligkeit des Werklohnes ist demnach die Ablieferung des vollendeten, dem Vertrag in allen Teilen entsprechenden Werkes (vgl. die oben erwähnten Entscheide; ferner BECKER, OR Art. 372 N. 3; OSER/SCHÖNENBERGER, OR Art. 372 N. 2; GAUTSCHI, OR Art. 367 N. 8 und 12, Art. 372 N. 4 und 11 c). Vollendet in diesem Sinne ist das Werk, wenn alle im Vertrag vorgesehenen Arbeiten ausgeführt sind (BGE 48 II 50f., sowie sinngemäss BGE 93 II 328). Bei Bauwerken ist der Einzug des Bestellers für sich allein nicht entscheidend. Erfolgt er vor der vollständigen Vollendung aller Arbeiten, wie dies häufig zutrifft, so liegt noch keine Ablieferung im Sinne des Gesetzes vor (BGE 25 II 867; OSER/SCHÖNENBERGER und BECKER, je N. 2 zu Art. 367 OR; GAUTSCHI, OR Art. 367 N. 8 und 12, Art. 372 N. 11 c).
d) Beim Einzug des Beklagten am 1. Februar 1965 war das Werk noch nicht vollendet, da es in den oben aufgezählten Punkten vom Bauprojekt abwich. Nach den Ausführungen der Vorinstanz wurde dann wohl der Belag des Hausvorplatzes im Mai 1967 ausgeführt. Dass die übrigen Abweichungen vom Projekt damals oder später ebenfalls behoben wurden, stellt die Vorinstanz nicht fest und wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Demnach war im Mai 1967 das Werk noch nicht vollendet im Sinne des Gesetzes. Der Bezug des Hauses durch den Beklagten anfangs Februar 1965 bedeutete daher lediglich die Inbesitznahme, nicht die Abnahme des abgelieferten Werkes. Dass die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 5. und 14. April 1965 den Standpunkt einnahm, das Haus sei mit dem Bezug am 1. Februar 1965 übergeben worden, ändert nichts. Diese Erklärungen der Klägerin vermochten die Tatsache, dass das Werk damals wegen der von ihr zugestandenen Abweichungen vom Projekt noch nicht vollendet war, nicht aus der Welt zu schaffen. Der Beklagte war daher befugt, eine Minderung des Preises geltend zu machen und zu diesem Zwecke den noch

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ausstehenden Rest des Werklohnes von Fr. 15'000.-- zurückzubehalten, wie er dies mit seinem Schreiben vom 31. Mai 1965 getan hatte. Da das Werk damals noch nicht abgeliefert war, hatte der Beklagte ferner sein Recht, sich auf die übrigen im genannten Schreiben aufgezählten Abweichungen vom Bauprojekt zu berufen, nicht verwirkt. Indem die Vorinstanz auf den Zeitpunkt des Bezugs des Hauses abstellte, die Beanstandungen des Beklagten als verspätet erklärte und Genehmigung des Werkes annahm, hat sie den Begriff der Ablieferung verkannt, den auf Art. 372 OR beruhenden Anspruch des Bestellers auf Preisminderung für nicht ausgeführte Arbeiten unzulässigerweise den Vorschriften von Art. 367 f. OR über die Haftung für Mängel des Werkes unterstellt und damit Bundesrecht verletzt.
e) Der streitige Vertrag sieht eine feste Vergütung im Sinne von Art. 373 OR vor. Auf den Pauschalpreis von Fr. 575'000.-- hat die Klägerin indessen nur Anspruch unter der Voraussetzung, dass das Werk in allen Teilen den getroffenen Abmachungen entspricht. Ist dies nicht der Fall, sondern hat der Generalunternehmer einzelne Teile des Werks überhaupt nicht oder in einer geringeren Qualität als der vertraglich vereinbarten ausgeführt, so erhält der Bauherr die versprochene Leistung nur unvollständig, während der Unternehmer bereichert ist. Will der Bauherr nicht vertragsgemässe Lieferung, d.h. Vollendung des Werkes verlangen, so muss der Unternehmer daher nach Treu und Glauben den Pauschalpreis entsprechend herabsetzen. Der Standpunkt des Beklagten, die Klägerin habe den Preis entsprechend dem Minderwert zu ermässigen, ist daher berechtigt. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den vom Beklagten angetragenen Beweis für den behaupteten Minderwert abnehme und den Pauschalpreis um den unter diesem Titel als begründet befundenen Betrag herabsetze.
b) Da infolge der Abweichungen vom Bauprojekt das Werk noch nicht vollendet und abgeliefert war, konnte auch die Prüfungs- und Rügefrist für die eigentlichen Mängel noch nicht

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zu laufen beginnen. Die Auffassung der Vorinstanz, die vom Beklagten wegen solcher Mängel mit Schreiben vom 31. Mai und 30. September 1965, sowie vom 15. Januar und 18. August 1966 vorgebrachten Beanstandungen seien wegen Verspätung nicht zu hören, verstösst daher gegen Bundesrecht.
Zudem hat die Vorinstanz die Frage der Mängelhaftung behandelt, wie wenn der Beklagte jedem einzelnen Handwerker die von ihm auszuführenden Arbeiten mit selbständigem Vertrag übertragen hätte. Sie ist der Ansicht, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Arbeit jedes einzelnen Handwerkers nach ihrer Beendigung gesondert zu prüfen. Diese Auffassung ist unvereinbar mit der Natur des Generalunternehmungsvertrages. Bei diesem steht dem Bauherrn als Vertragspartner einzig der Generalunternehmer gegenüber, während er zu den einzelnen Unterakkordanten keine vertraglichen Beziehungen hat. Dem Generalunternehmer gegenüber hat der Bauherr Anspruch auf die Ablieferung des schlüsselfertigen Werkes. Er darf daher mit der Prüfung und Rüge zuwarten, bis die Übergabe des schlüsselfertigen Werkes erfolgt, ohne Rücksicht darauf, wann die einzelnen Handwerker, denen der Generalunternehmer die Arbeiten als Unterakkordanten vergeben hat, ihre Tätigkeit abgeschlossen haben.
Die Vorinstanz weist darauf hin, dass die Klägerin während des Prozesses dem Beklagten die Garantiescheine der Handwerker übergeben und mit ihm vereinbart habe, er habe gegenüber den einzelnen Handwerkern direkt Mängelrüge zu erheben. Wie die Vorinstanz selber bemerkt, hat der Beklagte jedoch an seinem grundsätzlichen Standpunkt festgehalten, dass ihm gegenüber ausschliesslich die Klägerin hafte. Die Parteien haben somit nicht etwa den Vertrag in dem Sinne abgeändert, dass die einheitliche Haftung des Generalunternehmers durch eine unmittelbare Haftung jedes einzelnen Handwerkers ersetzt werde. Die Vereinbarung bezweckte nur, die Handwerker trotz dem Prozesse und ohne Präjudiz für diesen dazu anzuhalten, die von ihnen zu vertretenden Mängel zu beheben, um ein Anwachsen des Schadens zu vermeiden. Auf jeden Fall ergibt sich auch aus dieser Vereinbarung, dass der Anspruch der Klägerin auf Bezahlung des restlichen Werklohnes nicht fällig sein kann, bevor allfällige Mängel behoben sind (BGE 93 II 328).
Da die Beanstandungen des Beklagten nicht als verspätet

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abgelehnt werden können, ist das Urteil auch in diesem Punkte aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird über die sachliche Begründetheit der Beanstandungen und die vom Beklagten daraus abgeleiteten Ansprüche zu entscheiden haben.