BGE 139 I 72
 
8. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. Publigroupe SA und Mitb. gegen Wettbewerbskommission (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
2C_484/2010 vom 29. Juni 2012
 
Regeste
Art. 30, 32 und 96 BV, Art. 6 und 7 EMRK, Art. 15 UNO-Pakt II, Art. 2 Abs. 1bis, Art. 4 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 und 2 lit. b, Art. 26 ff. und 49a KG.
bzw. strafrechtsähnlichen Charakter. Die Garantien von Art. 6 und 7 EMRK sowie Art. 30 und 32 BV sind bei solchen Sanktionen anwendbar (E. 2).
Anforderungen von Art. 6 EMRK können in einem Kartellsanktionsverfahren auch erst im Verwaltungsgerichtsverfahren erfüllt werden; Anforderungen an die Kognition des Verwaltungsgerichts (E. 4).
Frage der genügenden Bestimmtheit von Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b KG für Sanktionen nach Art. 49a KG (E. 8).
Relevanter Markt und marktbeherrschende Stellung (E. 9).
Diskriminierung von Handelspartnern bei Preisen oder sonstigen Geschäftsbedingungen als missbräuchliches Verhalten (Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b KG; E. 10).
 
Sachverhalt


BGE 139 I 72 (73):

A.
A.a Die Publigroupe SA ist ein internationaler Werbekonzern mit Sitz in Lausanne. Die Gesellschaft bezweckt, direkt oder durch

BGE 139 I 72 (74):

Beteiligung an anderen Gesellschaften, die Entwicklung und Vermarktung von Werbung, Inseraten und Reklamen aller Art, die Herausgabe von Zeitungen und Publikationen sowie die Ausübung aller Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Werbung. Nebst anderen Geschäftssegmenten führt die Publigroupe SA die so genannten "Media Sales", worin alle Medien-Vermarktungsaktivitäten der Gruppe vereint sind; dazu zählen auch die Printmedienaktivitäten, die im Bereich Publipresse zusammengefasst sind, der rund drei Viertel des jährlichen Gesamtumsatzes der Gesellschaft von durchschnittlich rund zwei Milliarden Franken erwirtschaftet.
A.b Dem Bereich Publipresse gehören vier Tochtergesellschaften (zu 100 %) an: Die Publicitas SA ist über ein Netz von mehr als 100 Filialen und Agenturen in der ganzen Schweiz als Pächterin und Universalvermittlerin für die Vermittlung von insbesondere lokalen und regionalen Anzeigen tätig. Die Publicitas Publimag AG betreut vor allem Grosskunden und für solche tätige Werbe- und Medienagenturen für überregionale oder nationale Anzeigekampagnen. Die Publicitas Publimedia AG betreut hauptsächlich mandatsorientiert Anzeigenkunden für regional oder überregional verbreitete Pressemagazine oder Fachzeitschriften. Die Publicitas Mosse AG bearbeitet schliesslich Anzeigen für Kunden aus den Tourismus-, Freizeit- und Ausbildungsbranchen in allen Printmedien.
A.c Die vier genannten, zum Bereich Publipresse gehörenden Tochtergesellschaften der Publigroupe SA sind wiederum im Verein Schweizerischer Werbegesellschaften VSW (nachfolgend: Verband VSW) zusammengeschlossen. Der Verband VSW erstellt Branchenstatistiken, unterhält eine Printdatenbank, ist in der Lehrlingsausbildung tätig und nimmt die Interessen der Branche bei anderen Verbänden wahr. Darüber hinaus ist er Anerkennungsstelle für die Kommissionierung für Berufsvermittler. In dieser letzten Funktion erstellt er entsprechende Richtlinien (Richtlinien für die Kommissionierung von Berufsvermittlern [nachfolgend: VSW-Kommissionierungsrichtlinien]).
B.
B.a Das Sekretariat der Wettbewerbskommission (nachfolgend: WEKO Sekretariat) erhielt erstmals im Jahre 1997 eine Anzeige im Zusammenhang mit den VSW-Kommissionierungsrichtlinien. In seiner Antwort vom 28. Januar 1998 sowie in einem Schreiben vom 28. Oktober 1998 an den Rechtsvertreter des Verbands VSW hielt das WEKO Sekretariat fest, die angezeigte Ungleichbehandlung von Universal- und anderen Vermittlern lasse sich betriebswirtschaftlich

BGE 139 I 72 (75):

rechtfertigen und werde erst bei missbräuchlichem Verhalten kartellrechtlich problematisch. Das WEKO Sekretariat behielt sich ein Eingreifen vor, sollte ein solcher Missbrauch auftreten.
B.b Nach einer weiteren Anzeige am 12. Juli 2001 und ersten Untersuchungen leitete das WEKO Sekretariat am 19. Dezember 2001 eine Vorabklärung zur kartellrechtlichen Zulässigkeit der Kommissionierungspraxis im Zusammenhang mit dem Verband VSW ein. Am 6. November 2002 eröffnete das WEKO Sekretariat, insbesondere wegen den VSW-Kommissionierungsrichtlinien, eine Untersuchung gemäss dem Bundesgesetz vom 6. Oktober 1995 über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz, KG; SR 251) gegen die Publigroupe SA (BBl 2002 7596).
Am 16. November 2004 stellte das WEKO Sekretariat der Publigroupe SA einen Verfügungsentwurf betreffend die Kommissionierung der Anzeigenvermittler zu. Mit Eingabe vom 30. März 2005 meldeten die Publigroupe SA und der Verband VSW dem WEKO Sekretariat gemäss der Übergangsregelung zur kartellrechtlichen Sanktionierungsbestimmung von Art. 49a KG eine möglicherweise unzulässige Wettbewerbsbeschränkung. Das WEKO Sekretariat bestätigte den Eingang dieser Meldung am 6. April 2005, hielt dazu aber fest, es sei derzeit offen, inwiefern ein bereits hängiges Verfahren noch gemeldet werden könne.
Mit Schreiben vom 14. November und 13. Dezember 2005 teilte das WEKO Sekretariat der Publigroupe SA unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung (vgl. das Urteil 2A.287/2005 vom 19. August 2005) mit, sie unterstehe der direkten Sanktionierbarkeit nach Art. 49a Abs. 1 KG, falls die Wettbewerbskommission (nachfolgend: WEKO) zum Schluss gelange, es liege darin eine Wettbewerbsbeschränkung gemäss Art. 7 KG, dass die Publigroupe SA auf die ihr im Verfügungsentwurf vorgehaltenen Verhaltensweisen nicht verzichtet habe.
B.c Am 5. März 2007 traf die WEKO folgende Verfügung (vgl. Recht und Politik des Wettbewerbs [RPW] 2007/2 S. 190 ff.):
    "1. Es wird festgestellt, dass Publigroupe SA mittels ihrer Tochtergesellschaften Publicitas SA, Publimedia AG, Publimag AG und Mosse Media AG sowie des Verbandes Schweizerischer Werbegesellschaften im Markt für die Vermittlung und den Verkauf von Inserate- und Werberaum in Printmedien in der Schweiz eine marktbeherrschende Stellung innehat.
    2. Es wird festgestellt, dass die Publigroupe mittels Publicitas SA, Publimedia AG, Publimag AG, Mosse Media AG und dem Verband

    BGE 139 I 72 (76):

    Schweizerischer Werbegesellschaften ihre marktbeherrschende Stellung gemäss Ziff. 1 missbrauchte, indem sie sich durch Ziff. 2.2 Abs. 1, Ziff. 2.2 Abs. 2 und Ziff. 2.5 der Richtlinien des VSW über die Kommissionierung von Berufs-Inseratevermittlern weigerte, Vermittler zu kommissionieren und diese dadurch nach Art. 7 Abs. 1 KG in der Aufnahme und der Ausübung des Wettbewerbs behinderte und gegenüber anderen unabhängigen Vermittlern diskriminierte.
    3. Publigroupe SA wird für das unter Ziff. 2 dieses Dispositivs genannte Verhalten gestützt auf Art. 49a Abs. 1 KG mit einem Betrag von CHF 2,5 Mio. belastet.
    4. Die Wettbewerbskommission genehmigt im Sinne einer einvernehmlichen Regelung die nachstehende Verpflichtungserklärung der Publigroupe SA, Publicitas SA, Publimedia AG, Mosse Media AG und dem Verband Schweizerischer Werbegesellschaften vom 30. November 2005: (...)
    (...)
    7. Die Verfahrenskosten von insgesamt CHF 148'754.- werden den Adressatinnen der Verfügung unter solidarischer Haftung auferlegt. (...)"
Grundlage der Verfügung bildete folgender Sachverhalt: Verleger von Zeitungen oder Zeitschriften haben für die Inserateakquisition grundsätzlich die Wahl zwischen Pacht- oder Eigenregie. Pachtregieverlage sind diejenigen Verlage, die mit Vermittlungsunternehmen einen Pachtvertrag abgeschlossen haben. Gegenstand dieses Vertrags ist die Verpflichtung des Vermittlungsunternehmens, den Geschäftsbereich Inserateakquisition integral für die Zeitung zu übernehmen. Bei der Vermarktung von Titeln in Eigenregie betreibt der Verlag die Inserateakquisition und die damit zusammenhängenden Tätigkeiten selbst oder bedient sich unabhängiger Vermittler. Publigroupe SA ist sowohl Pächterin als auch Vermittlerin. Als Pächterin übernimmt Publigroupe SA für ca. 600 schweizerische Zeitungen und Zeitschriften exklusiv die Vermarktung des Inserate- und Werberaumes. Als normale Vermittlerin vermittelt sie nicht exklusiv Anzeigen für Eigenregieverlage. Daneben sind auch unabhängige Vermittler auf dem Markt tätig, welche Werbung und Inserate an Eigenregietitel und auch an Pachtregietitel vermitteln. Wie das nachfolgende, der Verfügung entnommene Schaubild zeigt, kann der Werbeauftraggeber grundsätzlich auf fünf verschiedenen Wegen (Bst. a-e) seine Inserate in Verlagen platzieren. Welcher Weg gangbar ist, hängt davon ab, ob der Verlag ein Pacht- oder Eigenregieverlag ist. Gegenstand der hier strittigen Verfügung bildet die Situation (Bst. e im Schaubild), gemäss welcher der Werbeauftraggeber

BGE 139 I 72 (77):

in eine Pachtregie-Zeitung inserieren möchte und seine Anzeige über unabhängige Vermittler aufgibt. Diese können allerdings wegen des exklusiven Pachtvertrags die Anzeige nur an die Publigroupe SA weiterleiten. Der Vermittler erhält für diese Vermittlungsleistung von der Publigroupe SA eine Kommission, sofern er die Voraussetzungen der VSW-Kommissionierungsrichtlinien erfüllt.
Folgende vier Kommissionierungsvoraussetzungen der VSW-Kommissionierungsrichtlinien erweckten kartellrechtliche Bedenken: Die Forderung in Ziff. 2.2 Abs. 1, dass die Inserate von mehreren juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängigen Auftraggebern stammen müssen; die Bestimmung in Ziff. 2.2 Abs. 2, wonach nur Universalvermittler, nicht aber Spartenvermittler oder Vermittler in Nebentätigkeit kommissioniert werden; die Bestimmung in Ziff. 2.2 Abs. 3, wonach Werbe-, PR- oder Mediaberater oder -Agenturen nicht sowohl die Beraterkommission als auch die Vermittlungskommission erhalten dürfen; sowie die Voraussetzungen betreffend das Geschäftsvolumen in Ziff. 2.5. Im dritten Punkt verneinte die WEKO einen Kartellrechtsverstoss, bejahte aber einen solchen im ersten, zweiten und vierten Punkt.
C. Gegen die Verfügung der WEKO vom 5. März 2007 erhoben die Publigroupe SA, die Publicitas SA, die Publicitas Publimedia AG, die Publicitas Publimag AG, die Publicitas Mosse AG sowie der Verband VSW am 2. Mai 2007 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht, das diese am 27. April 2010 abwies.
D. Vor Bundesgericht beantragen die Publigroupe SA, die Publicitas SA, die Publicitas Publimedia AG, die Publicitas Publimag AG, die Publicitas Mosse AG sowie der Verband VSW, u.a. das Urteil


BGE 139 I 72 (78):

des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2010 aufzuheben. Die WEKO schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht weist in der öffentlichen Beratung vom 29. Juni 2012 die Beschwerde ab.
(Zusammenfassung)
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 2
2.2.2 Gemäss einer gefestigten, langjährigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) handelt es sich um eine strafrechtliche Anklage, wenn alternativ entweder das nationale Recht eine staatliche Massnahme dem Strafrecht

BGE 139 I 72 (79):

zuordnet oder wenn die Natur des Vergehens oder wenn die Art und Schwere des Vergehens und/oder der Sanktionen für den strafrechtlichen Charakter spricht (so genannte Engel-Kriterien, zurückgehend auf das Urteil des EGMR Engel gegen Niederlande vom 8. Juni 1976, Serie A Bd. 22; vgl. auch die Urteile Öztürk gegen Deutschland vom 21. Februar 1984, Serie A Bd. 73; Belilos gegen Schweiz vom 29. April 1988, Serie A Bd. 132; Jussila gegen Finnland vom 23. November 2006, Nr. 73053/01, Recueil CourEDH 2006-XIV S. 27; JENS MEYER-LADEWIG, EMRK, Handkommentar, 3. Aufl. 2011, N. 23 ff. zu Art. 6 EMRK; FROWEIN/PEUKERT, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 3. Aufl. 2009, N. 25 ff. zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl. 2012, S. 393 ff.; CHRISTOPH TAGMANN, Die direkten Sanktionen nach Art. 49a Abs. 1 Kartellgesetz, 2007, S. 90 ff.; LUZIUS WILDHABER, EMRK, Wettbewerbsrecht und Verwaltungsstrafen, in: Jusletter vom 4. Juli 2011, Rz. 6; NIGGLI/RIEDO, Eine Lösung, viele Probleme, einige Beispiele und kein Märchen, in: Verwaltungsstrafrecht und sanktionierendes Verwaltungsrecht, 2010, S. 51 ff., 58).
Die Massnahme nach Art. 49a KG zeichnet sich durch den ihr zugeschriebenen abschreckenden sowie vergeltenden Charakter (vgl. Botschaft vom 7. November 2001 über die Änderung des Kartellgesetzes [nachfolgend: Botschaft KG II], BBl 2002 2022, 2052) und eine die Schwere des Vergehens belegende erhebliche Sanktionsdrohung aus, die zur Auferlegung einer finanziellen Belastung in der Höhe von etlichen Millionen Franken führen kann. Unabhängig davon, dass die Massnahme ihre Grundlage im Kartell- und nicht im (Kern-) Strafrecht findet, verfügt sie daher über einen strafrechtlichen bzw. "strafrechtsähnlichen" (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 15. Dezember 2011 i.S. Lukasz Marcin Bonda [Rechtssache C-489/10] Titel vor Rz. 32) Charakter. Davon sind bereits der Bundesrat 2001 in seiner Botschaft KG II (BBl 2002 2052 Ziff. 5) und die Literatur ausgegangen (vgl. etwa TAGMANN, a.a.O., S. 92 ff.; DANIEL ZIMMERLI, Zur Dogmatik des Sanktionssystems und der "Bonusregelung" im Kartellrecht, 2007, S. 449 ff.; DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, Der Rechtsschutz im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, in: SIWR Bd. I/2, 3. Aufl. 2011, S. 479; NIGGLI/RIEDO, a.a.O., S. 59 ff.; PETER REINERT, in: Kartellgesetz, 2007, N. 4 ff. zu Art. 49a KG; JÜRG BORER, Wettbewerbsrecht, Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2011, N. 2 zu Art. 49a KG; WILDHABER, a.a.O., Rz. 7 ff.; NIGGLI/RIEDO, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 25 ff.

BGE 139 I 72 (80):

vor Art. 49a-53 KG; ANDREA DOSS, Vertikalabreden und deren direkte Sanktionierung nach dem schweizerischen Kartellgesetz, 2009, S. 157). Diese Auffassung ist auch nunmehr durch oberste "europäische" Gerichte bestätigt worden (vgl. Urteil des EGMR Menarini Diagnostics S.R.L. gegen Italien vom 27. September 2011, Nr. 43509/08, § 44; Urteil des EFTA Court Posten Norge AS gegen EFTA Sur veillance Authority vom 18. April 2012 [E-15/10], Nr. 84 ff.; Urteil des EuGH vom 8. Dezember 2011 C-389/10 P, KME, Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehen, Randnrn. 118 ff. [dazu WEITBRECHT/MÜHLE, Die Entwicklung des Europäischen Kartellrechts im Jahre 2011, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht [EuZW] 2012 S. 290 ff., 294; bereits früh in diese Richtung SCHWARZE/WEITBRECHT, Grundzüge des europäischen Kartellverfahrensrechts, 2004, S. 139 ff.; ZIMMERLI, a.a.O., S. 416 ff.; anders noch [verwaltungsrechtliche Sanktion] etwa WALTER FRENZ, Handbuch Europarecht, Bd. II: Europäisches Kartellrecht, 2006, S. 594 f.; BECHTOLD/BOSCH/BRINKER/HIRSBRUNNER, EG-Kartellrecht, Kommentar, 2. Aufl. 2009, S. 336 f. Rz. 90; zu Art. 47 Grundrechte-Charta [Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht] etwa HANS-PETER FOLZ, in: Europäisches Unionsrecht - EUV, AEUV, Grundrechte-Charta, Handkommentar, 2012, passim zu Art. 47 Grundrechte-Charta]). Auch das Bundesgericht hat dies in BGE 135 II 60 (E. 3.2.3 S. 71) nebenbei so vermerkt. Die entsprechenden Garantien von Art. 6 und 7 EMRK und Art. 30 bzw. 32 BV sind demnach grundsätzlich anwendbar. Über ihre Tragweite ist bei der Prüfung der einzelnen Garantien zu befinden.
(...)
 
Erwägung 4


BGE 139 I 72 (81):

4.3 Die WEKO wird vom Bundesrat bestellt (Art. 18 Abs. 1 KG), ist aber von diesem und der Verwaltung unabhängig (Art. 19 Abs. 1 KG) und lediglich administrativ dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement zugeordnet (Art. 19 Abs. 2 KG). Sie zählt zu den so genannten Behördenkommissionen (Art. 8a Abs. 1 und 3 der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 [RVOV; SR 172.010.1]; vgl. dazu statt aller STEFAN VOGEL, Einheit der Verwaltung - Verwaltungseinheiten, 2008, S. 255 ff., insbes. 257 ff.). Diese werden von der Rechtsprechung, soweit das zu beurteilen war, nicht als richterliche Behörden anerkannt (vgl. BGE 138 I 154 E. 2.7 S. 158 m.w.H.). Auch in der Literatur werden sie nicht zur Justiz, sondern zur dezentralen Bundesverwaltung (vgl. Art. 178 Abs. 3 BV) gerechnet (vgl. WEBER/BIAGGINI, Rechtliche Rahmenbedingungen für verwaltungsunabhängige Behördenkommissionen, 2002, S. 58 ff. und 77 f.; PETER UEBERSAX, Unabhängige Verwaltungsinstanzen und offene Gesetze im öffentlichen Wirtschaftsrecht des Bundes - ein rechtliches Risiko?, in: Risiko und Recht, 2004, S. 688 ff.). Abgesehen davon bestehen auch Hindernisse in Bezug auf die Gewaltenteilung (Einsitz von "Chefbeamten" in die WEKO) und die Unabhängigkeit (Einsitz von Interessenvertretern in die WEKO). Das Sanktionsverfahren vor der WEKO erfüllt insofern die Anforderungen von Art. 6 EMRK und Art. 30 BV nicht. Da entsprechend der oben dargestellten Rechtslage das Sanktionsverfahren nach Art. 49a KG diesen beiden Bestimmungen zu genügen hat, stellt sich die Frage, ob bereits im nichtstreitigen Verfahren, d.h. im Verwaltungsverfahren, die Anforderungen des Art. 6 EMRK Anwendung finden müssen oder ob dies auch erst im Rechtsmittelverfahren erfolgen kann.
4.4 Mit Urteil Menarini Diagnostics S.R.L. (§§ 57 ff.) hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte - wie bereits früher in anderem Zusammenhang (vgl. etwa GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 419 Rz. 58, 477 Rz. 153 i.f.; CHRISTOPH GRABENWARTER, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit [nachfolgend: Verfahrensgarantien], 1997, S. 359 ff. mit umfassenden Hinweisen; sieheauch Urteil des EGMR Mamidakis gegen Griechenland vom 11. Januar 2007, Nr. 35533/04) - erstmals in einem Kartellverfahren (mit hohen Bussgeldern) festgehalten, dass die Anforderungen von Art. 6 EMRK auch erst im Verwaltungsgerichtsverfahren erfüllt werden können; insoweit lässt die EMRK zu, dass die Verwaltung im Verwaltungsverfahren Sanktionen mit strafrechtlichem Charakter

BGE 139 I 72 (82):

aussprechen kann. Voraussetzung für die Zulässigkeit dieser Situation bilde aber, dass im nachfolgenden Gerichtsverfahren die Vorgaben von Art. 6 EMRK eingehalten werden. Zudem könne der Sinn einer "procédure administrative" Abweichungen von einer "procédure pénale au sens strict du terme" so weit zulassen, als damit die staatlichen Verpflichtungen, die Anforderungen von Art. 6 EMRK einzuhalten, nicht obsolet werden. Insoweit wiederholt der Gerichtshof die bereits andernorts geäusserte differenzierte Betrachtungsweise (vgl. Urteile des EGMR Sigma Radio Television Ltd gegen Zypern vom 21. Juli 2011, Nr. 32181/04 und 35122/05, § 151; Jussila , § 43; grundlegend: Albert und Le Compte gegen Belgien vom 10. Februar 1983, Nr. 7299/75, § 29; siehe auch EFTA Court Posten Norge AS, Nr. 89; vgl. auch bereits ANDREAS HEINEMANN, Direkte Sanktionen im Kartellrecht [nachfolgend:Sanktionen], Jusletter vom 21. Juni 2010, Rz. 27 ff.).Auch der EFTA Court (Posten Norge AS) und der EuGH (KME, Randnrn. 118 ff.; siehe auch ANDREAS HEINEMANN, Kriminalrechtliche Individualsanktionen im Kartellrecht?, in: Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis, Festschrift für Roland von Büren, 2009, S. 595 ff., 598 f.) haben in Bezug auf Art. 6 EMRK bzw. den diesem gleichkommenden Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union gleich entschieden wie der Gerichtshof in Strassburg.
Insoweit bedarf es somit aus Sicht der Europäischen Menschenrechtskonvention keiner institutioneller Strukturänderung des schweizerischen Kartellverfahrens, wie sie etwa der Bundesrat in seiner Botschaft vom 22. Februar 2012 zur Änderung des Kartellgesetzes und zum Bundesgesetz über die Organisation der Wettbewerbsbehörde ([nachfolgend: Botschaft KG III] BBl 2012 3905) vorgeschlagen hat.
4.5 Der gerichtliche Entscheid über die kartellrechtliche Sanktion muss - entsprechend Art. 6 EMRK und den diesbezüglichen Ausführungen des EGMR sowie Art. 30 BV - mit voller Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erfolgen (vgl. CHRISTOPH GRABENWARTER, in: Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Textsammlung und Kommentar, Bd. III: Kommentar zu den Grundrechten, 8. Lieferung 2007, N. 46 zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER, Verfahrensgarantien, a.a.O., S. 414 ff., 420 ff.; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 89 zu Art. 6 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 400). Dazu gehört, dass das Organ die für das Verfahren rechtserheblichen Tatsachen selbst ermitteln und den so festgestellten Sachverhalt unter die entsprechenden Rechtsvorschriften subsumieren können muss. Auch

BGE 139 I 72 (83):

die Rechtsfolge, also die Sanktion selbst, muss uneingeschränkt auf Vereinbarkeit mit dem massgeblichen Recht unter Einschluss des Verfassungsrechts und den Grundsätzen rechtsstaatlichen Handelns (vgl. Art. 5 BV), namentlich des Verhältnismässigkeitsprinzips, überprüfbar sein. Auch wenn dem Gericht volle Kognitionsbefugnisse in Rechts- und Tatsachenfragen zukommen muss, ist indessen nicht ausgeschlossen, dass das den Verwaltungsentscheid überprüfende Gericht in Bereichen des Sachverständigenermessens (dazu BGE 135 II 384 Regeste i.V.m. E. 2.2 S. 384 i.V.m. 390; BGE 133 II 232 E. 4.1 S. 244; BGE 131 II 680 E. 2.3 S. 683 ff.; je mit Hinweisen; BENJAMIN SCHINDLER, Verwaltungsermessen, 2010, S. 341 ff.), vor allem in besonderen Rechtsbereichen, seine Kognition zurücknehmen kann (vgl. Urteil des EGMR Sigma Radio Television Ltd § 153; PHILIPP EGLI, Rechtsverwirklichung durch Sozialversicherungsverfahren, 2012, S. 105; GRABENWARTER, Verfahrensgarantien, a.a.O., S. 426 ff.). Ob die Kognitionsbeschränkung den Anforderungen von Art. 6 EMRK genügt, ist anhand des Verfahrensgegenstandes (ist professionelles Wissen bzw. Erfahrung notwendig), der Art und Weise, in welcher der Verwaltungsentscheid unter Berücksichtigung der vor Verwaltungsbehörden zugestandenen Verfahrensgarantien zustande kam und des Streitgegenstandes (geltend gemachten und tatsächlich geprüften Rügen) zu prüfen (Urteil Sigma Radio Television Ltd § 154; zu diesen Kriterien GRABENWARTER, Verfahrengarantien, a.a.O., S. 426 ff. mit Hinweisen auf ältere Fälle). Massgebend ist der Einzelfall und ob sich das überprüfende Gericht "point by point" mit den Argumenten bzw. Rügen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt hat (vgl. Urteil Sigma Radio Television Ltd § 156). Insofern anerkennt der EGMR, dass die Rechtsprechung in den Mitgliederstaaten den Gerichten oftmals erlaubt, sich bei der Beurteilung von ausgesprochenen Fachfragen Zurückhaltung aufzuerlegen (vgl. Urteil Sigma Radio Television Ltd § 153 i.i.). Das Sachverständigenermessen bezweckt die Fruchtbarmachung spezialisierten Sachverstands bei der Umsetzung des gesetzgeberischen Normprogramms, um damit die interdisziplinäre Richtigkeit des Verwaltungshandelns sicherzustellen (vgl. SCHINDLER, a.a.O., N. 451 f.). Nicht anders verhält es sich bei verwaltungsrechtlichen Fällen, welche in Bezug auf gewisse Sanktionen strafrechtsähnlich sind; entscheidend ist, dass die Voraussetzungen von Art. 6 EMRK erfüllt werden. Massgebend bleibt demnach der Einzelfall, die aufgelisteten drei Kriterien und die Abarbeitung der Rügen Punkt für Punkt. Insofern ist die "Effektivität der Überprüfung" (MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen

BGE 139 I 72 (84):

Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl. 1999, S. 271) dasentscheidende Moment ("sufficient jurisdiction": vgl. Urteile des EGMR Steininger gegen Austria vom 17. April 2012, Nr. 21539/07 § 49 i.f.; Sigma Radio Television Ltd §§ 151 f.; GRABENWARTER, Verfahrensgarantien, a.a.O., S. 431 oben, 444 f.). Es lässt sich - wie auch das Urteil des EGMR Sigma Radio Television Ltd §§ 129, 147 i.V.m. 151 f. zeigt - demnach auch nicht generell festhalten, dass nicht auf die fachtechnischen Ausführungen der die Untersuchungs- und Anklagefunktion mitübernehmenden erstentscheidenden WEKO abgestellt werden dürfte.
 
Erwägung 4.6
4.6.2 Die Beschwerdeführer sehen eine angeblich unzulässige Zurückhaltung darin, dass die Vorinstanz verschiedentlich ausgeführt habe, eine bestimmte Beurteilung der WEKO sei nachvollziehbar, so etwa bei der sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung, bei der Bestimmung des Marktanteils der Beschwerdeführer sowie bei der Beurteilung des Vorliegens bzw. Fehlens potenziellen Wettbewerbs. In all diesen Fällen interpretieren die Beschwerdeführer jedoch das von der Vorinstanz verwendete Wort "nachvollziehbar" falsch. Das Bundesverwaltungsgericht hat nicht einfach ohne weitere Prüfung die Auffassung der WEKO übernommen, sondern jeweils, teilweise sogar recht ausführlich, dargelegt und begründet, weshalb es sich der Auffassung derselben anschliesst. Es hat sich dabei nicht auf reine Plausibilitätsüberlegungen beschränkt und sich nicht eine unzulässige Zurückhaltung auferlegt.


BGE 139 I 72 (85):

(...)
 
Erwägung 8
8.2.1 Nach Art. 7 EMRK und Art. 15 des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II; SR 0.103.2) darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war ("Nulla poena sine lege" [Art. 1 StGB; dazu etwa BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 19 f.; BGE 138 I 367 E. 5.2 f. S. 372 ff.]; vgl. auch Art. 5 Abs. 1 BV). Die Straftat muss im Gesetz klar umrissen sein (vgl. MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 5 zu Art. 7 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 462 ff.; WALTER GOLLWITZER, Menschenrechte im Strafverfahren, 2005, N. 1 zu Art. 7 MRK/Art. 15 IPBPR; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 2 zu Art. 7 EMRK; VILLIGER, a.a.O., S. 338 ff.). So ist etwa der Grundsatz verletzt, wenn jemand wegen eines Verhaltens strafrechtlich verfolgt wird, das im Gesetz überhaupt nicht als strafbar bezeichnet wird, wenn das Gericht ein Verhalten unter eine Strafnorm subsumiert, unter welche es auch bei weitestgehender Auslegung der Bestimmung nach den massgebenden Grundsätzen nicht subsumiert werden kann, oder wenn jemand in Anwendung einer Strafbestimmung verfolgt wird, die rechtlich keinen Bestand hat (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; siehe auch BGE 138 I 367 E. 5.3 S. 373 f.).
Art. 7 EMRK und Art. 15 UNO-Pakt II enthalten neben dem Rückwirkungsverbot vor allem ein Bestimmtheits- und Klarheitsgebot für

BGE 139 I 72 (86):

gesetzliche Straftatbestände (vgl. BGE 138 I 367 E. 5.3 S. 373; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 468 ff.; GOLLWITZER, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 MRK/Art. 15 IPBPR; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., N. 4, 6 zu Art. 7 EMRK; MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 7 ff. zu Art. 7 EMRK). Nur ein hinreichend klar und bestimmt formuliertes Gesetz darf einen Straftatbestand bilden und eine Strafe androhen. Allerdings bedürfen auch Strafgesetze der Auslegung, und die beiden Vorschriften - wie auch Art. 1 StGB und Art. 5 Abs. 1 BV (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; BGE 138 I 367 E. 5.3 S. 373 f.) - enthalten kein Verbot der schrittweise erfolgenden Klärung der Vorschriften durch richterliche Auslegung; es ist gerade die Aufgabe der Gerichte, verbleibende Auslegungszweifel zu beheben (Urteile des EGMR Kafkaris gegen Cyprus vom 12. Februar 2008, Nr. 21906/04, § 141; S.W. und C.R. gegen United Kingdom vom 22. November 1995, Nr. 20166/92 bzw. 20190/92, § 36 bzw. 34; MEYER-LADEWIG, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 EMRK; GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 469; VILLIGER, a.a.O., S. 339 [N. 535 f.]; WILDHABER, a.a.O., Rz. 75 ff.; GOLLWITZER, a.a.O., N. 8 zu Art. 7 MRK/Art. 15 IPBPR). Der Grad der erforderlichen Bestimmtheit lässt sich nicht abstrakt festlegen. Er hängt unter anderem von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung ab (BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 20; BGE 132 I 49 E. 6.2 S. 58 f.; BGE 128 I 327 E. 4.2 S. 339 ff., je mit Hinweisen; Urteil des EGMR Larissis Dimitrios gegen Griechenland vom 24. Februar 1998, Recueil CourEDH 1998-I S. 362; siehe auch GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I: Die Straftat, 4. Aufl. 2011, S. 90 ff.; POPP/LEVANTE, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 2. Aufl. 2007, N. 31 ff. zu Art. 1 StGB). Technische oder relativ unbestimmte Begriffe, die im Allgemeinen zu unbestimmt sein mögen, können als Bestandteile von Straftatbeständen im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht noch die Bestimmtheitserfordernisse erfüllen (vgl. GRABENWARTER/PABEL, a.a.O., S. 470 f.; Urteil des EGMR Cantoni gegen Frankreich vom 15. November 1996, §§ 26 ff., in: EuGRZ 1999 S. 193 ff., 196 ff.). So hat der EGMR etwa den Begriff "verwerflich" in § 240 Abs. 2 des deutschen StGB als mit Art. 7 EMRK konform betrachtet (vgl. Urteil des EGMR Witt gegen Deutschland vom 8. Januar 2007, Nr. 18397/03, § 1; siehe dazu auch LEIBHOLZ/RINCK, Grundgesetz, Rechtsprechung des BVerfG, Kommentar, 7. Aufl. 2012, N. 1316 ff. zu


BGE 139 I 72 (87):

Art. 103 GG; PHILIP KUNIG, in: Grundgesetzkommentar, von Münch/Kunig [Hrsg.], Bd. III, 5. Aufl. 2003, N. 27 ff., 34 ff. zu Art. 103 GG; GEORG NOLTE, in: Kommentar zum Grundgesetz, von Mangoldt/Klein/Starck [Hrsg.], Bd. III, 5. Aufl. 2005, N. 139, 141 ff., 144 ff. [Entscheidungsleitende Gesichtspunkte] zu Art. 103 Abs. 2 GG; HELMUTH SCHULZE-FIELITZ, in: Grundgesetz-Kommentar, Dreier [Hrsg.], Bd. III, 2. Aufl. 2008, N. 7 i.f. [zur grundsätzlichen Parallelität mit Art. 7 EMRK], 38 ff., 46 ff.).
8.2.2 Es trifft zu, dass Art. 7 Abs. 1 KG einige unbestimmte Rechtsbegriffe wie denjenigen der marktbeherrschenden Stellung oder denjenigen des Missbrauchs dieser Stellung enthält, die durch die Praxis zu interpretieren sind (vgl. WILDHABER, a.a.O., Rz. 81 ff.). Ob diese Norm für sich allein als hinreichend bestimmt zu beurteilen ist (so etwa HEINEMANN, Sanktionen, a.a.O., Rz. 24; a.M. WILDHABER, a.a.O., Rz. 87), kann hier letztlich offenbleiben, wobei immerhin darauf zu verweisen ist, dass es auch im ordentlichen Strafrecht Bestimmungen mit mehreren auslegungsbedürftigen Begriffen gibt wie etwa den Betrug gemäss Art. 146 StGB oder die Misswirtschaft nach Art. 165 StGB (vgl. dazu allgemein STRATENWERTH, a.a.O., S. 91; POPP/LEVANTE, a.a.O., N. 33 zu Art. 1 StGB). Zu berücksichtigen ist hingegen, dass Art. 7 Abs. 1 KG zusammen mit Abs. 2 derselben Bestimmung zu lesen ist (vgl. dazu ZÄCH/HEIZMANN, Markt und Marktmacht, in: Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. IX, 2005, S. 29 ff., 57), worin die verpönten Verhaltensweisen beispielhaft genannt werden. Obwohl diese Aufzählung nicht abschliessend ist (vgl. BGE 137 II 199 E. 4.3.4 S. 210 f.), womit ein gewisser davon unabhängiger Spielraum für die Grundregel von Abs. 1 verbleibt, führt sie diese doch näher aus. Insbesondere ergibt sich aus der Verknüpfung von Art. 7 Abs. 1 mit Art. 7 Abs. 2 lit. b KG, wie sie hier zur Diskussion steht, ein klareres Bild (vgl. RHINOW/BIAGGINI, Verfassungsrechtliche Aspekte der Kartellgesetzrevision, in: Grundfragen der schweizerischen Kartellrechtsreform, 1995, S. 93 ff., 140; RHINOW/GUROVITS, Gutachten vom 5. Juli 2001 über die Verfassungsmässigkeit der Einführung von direkten Sanktionen im Kartellgesetz, Recht und Politik des Wettbewerbs [RPW] 2001/3 S. 592 ff., 611).
8.2.3 Es stellt sich mithin die Frage, ob der Tatbestand von Art. 7 Abs. 2 lit. b KG genügend bestimmt ist, damit dieser Grundlage für Sanktionen bilden kann. Der fragliche Tatbestand stellt nur ein Beispiel des Verhaltens nach Art. 7 Abs. 1 KG dar; ob dieses schliesslich

BGE 139 I 72 (88):

missbräuchlich ist, ist im Zusammenhang mit Art. 7 Abs. 1 KG zu beurteilen (BGE 137 II 199 E. 4.3.4 S. 211; Botschaft vom 23. November 1994 zu einem Bundesgesetz über Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen [Kartellgesetz, KG] [nachfolgend: Botschaft KG I], BBl 1995 I 468, 570; ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 57; DÄHLER/KRAUSKOPF/STREBEL, Aufbau und Nutzung von Marktpositionen, in: Schweizerisches und europäisches Wettbewerbsrecht, 2005, S. 267 ff., 303; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 25 zu Art. 7 KG; BORER, a.a.O., N. 4 zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 109 zu Art. 7 KG; MICHAEL TSCHUDIN, Rabatte als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäss Art. 7 KG, 2011, S. 79). Insofern müssen selbstverständlich auch die Elemente der marktbeherrschenden Stellung und die dabei massgebliche Vorfrage der Marktabgrenzung genügend bestimmt sein; dies trifft zu: Art. 4 Abs. 2 KG für den Begriff "marktbeherrschend" und Art. 11 Abs. 3 der Verordnung vom 17. Juni 1996 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (VKU; SR 251.4) für die Marktabgrenzung. Schwieriger zu beantworten ist, ob mit dem Begriff "Diskriminierung" i.V.m. Art. 7 Abs. 1 KG das verpönte Verhalten genügend klar umrissen ist. Zunächst ist festzuhalten, dass identisches Verhalten je nach den konkreten Umständen wettbewerbskonform oder wettbewerbswidrig sein kann (vgl. AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 24 zu Art. 7 KG; ROGER ZÄCH, Schweizerisches Kartellrecht [nachfolgend: Kartellrecht], 2. Aufl. 2005, S. 304 f.). Insofern kann nur einzelfallweise eruiert werden, ob ein Verhalten diskriminierend ist. Wie im Kernstrafrecht müssen auch im Wirtschaftsstrafrecht angesichts vielfältiger Problemstellungen und der Komplexität der zu ordnenden Sachverhalte offene Normen verwendet werden. Allerdings schadet das nicht: Hier wie dort ist eine Auslegung der Norm und sind Konkretisierungen der Gerichte und der Behörden zulässig (vgl. oben E. 8.2.1). So ist beispielsweise auch im Strafrecht eine komplexe Auslegung notwendig, um zu bestimmen, ob im Cache gespeicherte pornographische Daten als strafbarer Besitz im Sinne von Art. 197 StGB gelten (BGE 137 IV 208), was überhaupt Pornographie ist (BGE 131 IV 64 E. 10.1.1 [entscheidend ist der Gesamteindruck]; siehe auch BGE 133 II 136 E. 5.3 S. 144 ff.) oder ob eine inhaltlich unwahre Rechnung eine Falschbeurkundung i.S. von Art. 251 Ziff. 1 StGB oder eine straffreie schriftliche Lüge darstellt (BGE 138 IV 130). Nicht anders verhält es sich im Kartellrecht: Diskriminierung ist Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt; dieser Missbrauch besteht darin, dass andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert


BGE 139 I 72 (89):

oder die Marktgegenseite benachteiligt wird. Missbräuchlich heisst wettbewerbswidrig (vgl. ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 57). Zur Bestimmung, ob Verhalten wettbewerbswidrig oder wettbewerbskonform ist, haben Lehre und Rechtsprechung verschiedene Beurteilungskriterien entwickelt: Legitimate business reasons (sachliche Gründe), Vorliegen einer Behinderungs- oder Verdrängungsabsicht, Schwächung der Wettbewerbsstruktur, Nichtleistungswettbewerb, normzweckorientierte Interessenabwägung, Gleichbehandlungsprinzip und Abschottung des schweizerischen Marktes (vgl. dazu ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 58; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 305 ff.; AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 27-71, 179 ff., 198 ff. zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 61 ff. zu Art. 7 KG). Diskriminierend sind in jedem Fall Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Unternehmen, die Handelspartner ohne sachliche Gründe unterschiedlich behandeln (vgl. etwa OLAF KIENER, Marktmachtmissbrauch, 2002, S. 242; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 326) und diese damit im Wettbewerb bzw. in ihrer wirtschaftlichen Freiheit spürbar behindern (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, Schweizerisches Wettbewerbsrecht, 2012, S. 247 Rz. 718, S. 251; siehe dazu auch unten E. 10). Da das schweizerische Kartellgesetz sich stark am europäischen Wettbewerbsrecht orientiert (vgl. Botschaft KG I, BBl 1995 I 471, 494, insbes. 531 ["Parallelen bestehen beispielsweise bei der Formulierung der Tatbestände des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung"]), ist auch die Praxis zu Art. 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV; ABl. C 115/47 vom 9. Mai 2008; vgl. dazu statt aller PETER-CHRISTIAN MÜLLER-GRAFF, in: Europäisches Unionsrecht [...], a.a.O., passim zu Art. 102 AEUV; vormals Art. 82 EGV) zu berücksichtigen (vgl. jetzt MONIQUE STURNY, Der Einfluss des europäischen Kartellrechts auf das schweizerische Kartellrecht, in: Die Europakompatibilität des schweizerischen Wirtschaftsrechts: Konvergenz und Divergenz, 2012, S. 107 ff., 113 ff. i.V.m. 112, 124 Fn. 90 und S. 127; siehe auch AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 198 zu Art. 7 KG; CLERC, a.a.O., N. 64 zu Art. 7 KG; KÖCHLI/REICH, in: Kartellgesetz, 2007, N. 32 zu Art. 4 KG; dazu auch MARC AMSTUTZ, Evolutorische Rechtsmethodik im europäischen Privatrecht, Zur richtlinienkonformen Auslegung und ihren Folgen für den autonomen Nachvollzug des Gemeinschaftsprivatrechts in der Schweiz, in: Das schweizerische Privatrecht im Lichte des europäischen Gemeinschaftsrechts, 2004, S. 105 ff.; ROBERTO DALLAFIOR, in: Kommentar zum schweizerischen Kartellgesetz, 1996, 2. Lieferung 1997, N. 96 zu Art. 7 KG). Diesbezüglich lassen sich bereits

BGE 139 I 72 (90):

Erkenntnisse über den Normsinn und damit auch Rechtssicherheit (vgl. STURNY, a.a.O., S. 124, 125) gewinnen. Wie bereits ausgeführt hat der EGMR die Tragweite des Begriffs der Vorhersehbarkeit in grossem Mass von der Vielfalt der zu ordnenden Sachverhalte, von der Komplexität und der Vorhersehbarkeit der im Einzelfall erforderlichen Entscheidung, von den Normadressaten, von der Schwere des Eingriffs in Verfassungsrechte und von der erst bei der Konkretisierung im Einzelfall möglichen und sachgerechten Entscheidung abhängig gemacht. Dabei steht es dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit nicht entgegen, wenn das betroffene Unternehmen in einem vernünftigen, den Umständen entsprechenden Masse rechtlichen Rat einholen muss, um die möglichen Folgen eines bestimmten Handelns zu ermitteln (vgl. Urteil des EGMR Cantoni, § 35, in: EuGRZ 1999 S. 193 ff., 198; ähnlich AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 38 i.f. zu Art. 7 KG). Der schweizerische Gesetzgeber hat - gestützt (vgl. Botschaft KG II, BBl 2002 2036) auf ein Rechtsgutachten (RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 592 ff.) - eine solche Möglichkeit, rechtlichen Rat einzuholen, institutionalisiert. Besteht bei einem Unternehmen Unsicherheit darüber, ob ein wettbewerbsbeschränkendes Verhalten unter Art. 7 KG fällt, soll ihm die Möglichkeit offenstehen, dieses der Wettbewerbskommission zu melden, bevor es Wirkung entfaltet (vgl. Art. 49a Abs. 3 lit. a KG). Damit wird sichergestellt, dass die Unternehmen das Risiko einer Fehlbeurteilung des eigenen Verhaltens nicht selbst tragen müssen (vgl. Botschaft KG II, BBl 2002 2039; RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 612; BGE 135 II 60 E. 3.2.1 S. 70). Mit diesem Instrument hat es jede Unternehmung in der Hand, die materielle Rechtslage im Zweifelsfall abklären zu lassen und damit der Gefahr einer Sanktion zu entgehen (vgl. RHINOW/GUROVITS, a.a.O., S. 612). Insoweit stellt die Vorabmeldung ein notwendiges Korrektiv der Unbestimmtheit des Normtextes dar und insoweit ist auch Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. b KG hinreichend bestimmt, um als gesetzliche Grundlage für eine Sanktionierung zu dienen (vgl. auch RHINOW/SCHMID/BIAGGINI/UHLMANN, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 414 f.; DOSS, a.a.O., S. 72).
Angesichts der Vorgeschichte in den späten 90er Jahren und dem damaligen Hinweis des WEKO Sekretariats, dass ein gewisses Diskriminierungspotenzial der Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer bestehe und sie sich deshalb vorbehalte, ein formelles Untersuchungsverfahren zu eröffnen, musste die Beschwerdeführerin bereits zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass ihre

BGE 139 I 72 (91):

Verhaltensweise unter den Tatbestand des Art. 7 KG fallen könnte. Sie hätte deshalb die materielle Rechtslage vorteilhafterweise zu diesem Zeitpunkt abklären lassen sollen(vgl. Urteil des EGMR Cantoni,§ 35, in: EuGRZ 1999, S. 193 ff., 198).
8.3.1 Die Beschwerdeführer verwechseln teilweise die Regeln der Beweislast und -würdigung, die in tatsächlicher Hinsicht gelten (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f.), mit den anwendbaren Auslegungsgrundsätzen. Lediglich sachverhaltsmässige Unklarheiten sind aufgrund der Unschuldsvermutung nach Art. 6 Ziff. 2 EMRK bzw. Art. 32 Abs. 1 BV zu Gunsten der Beschwerdeführer zu werten. Allfällige Unschärfen bei den Rechtsbegriffen unterliegen demgegenüber den Regeln der Gesetzesinterpretation. Der Grundsatz "in dubio pro reo" hat insofern keine Bedeutung.
8.3.2 Die Beschwerdeführer bringen vor, für die Würdigung der tatsächlichen Voraussetzungen bei der Beurteilung der Marktstellung sei zu verlangen, dass eine solche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliege. Es ist indessen nicht zu übersehen, dass die Analyse der Marktverhältnisse komplex und die Datenlage oft unvollständig und die Erhebung ergänzender Daten schwierig ist. So ist etwa bei der Marktabgrenzung die Substituierbarkeit aus der Sicht der Marktgegenseite mit zu berücksichtigen. Die Bestimmung der massgeblichen Güter sowie die Einschätzung des Ausmasses der Substituierbarkeit ist kaum je exakt möglich, sondern beruht zwangsläufig auf gewissen ökonomischen Annahmen. Die Anforderungen an den Nachweis solcher Zusammenhänge dürfen mit Blick auf die Zielsetzung des Kartellgesetzes, volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern und damit den Wettbewerb im Interesse einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu fördern (vgl. Art. 96 BV und Art. 1 KG), nicht übertrieben werden (vgl. dazu STEFAN BILGER, Das Verwaltungsverfahren zur Untersuchung von Wettbewerbsbeschränkungen, 2002, S. 305 f.; PAUL RICHLI, Kartellverwaltungsverfahren, in: Kartellrecht, SIWR Bd. V/2, 2000, S. 417 ff., 454; TSCHUDIN, a.a.O., S. 142 f.; DAVID/FRICK/KUNZ/STUDER/ZIMMERLI, a.a.O., S. 465 ff. [zurückhaltender]; siehe auch AMSTUTZ/KELLER/REINERT, "Si unus cum una ...": Vom Beweismass im Kartellrecht,

BGE 139 I 72 (92):

Baurecht [BR] 2005 S. 114 ff., 118 f., 119 f.; zur Beweiswürdigung und zum Beweismass allgemein siehe KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Öffentliches Verfahrensrecht, 2012, S. 168 f.; RHINOW/KOLLER/KISS/THURNHERR/BRÜHL-MOSER, Öffentliches Prozessrecht, 2010, S. 268; AMSTUTZ/KELLER/REINERT, a.a.O., S. 116 f.). In diesem Sinne erscheint eine strikte Beweisführung bei diesen Zusammenhängen kaum möglich. Eine gewisse Logik der wirtschaftlichen Analyse und Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit müssen aber überzeugend und nachvollziehbar erscheinen (BILGER, a.a.O., S. 305 [zur Begründungsdichte]). Der vorliegende Sanktionstatbestand unterscheidet sich insoweit nicht von komplexen Wirtschaftsdelikten des ordentlichen Strafrechts.
 
Erwägung 9
9.1 Als marktbeherrschend gelten gemäss Art. 4 Abs. 2 KG einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf dem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von andern Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten (dazu KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 26 ff. zu Art. 4 KG; REINERT/BLOCH, in: Basler Kommentar, Kartellgesetz, 2010, N. 94 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; TAGMANN, a.a.O., S. 53 ff.; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 258 ff.; PATRIK DUCREY, in: Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. 1478 i.V.m. 1331 ff.). Bevor sich die Marktmacht beurteilen lässt, ist der relevante Markt zu definieren. Dieser beurteilt sich analog Art. 11 Abs. 3 VKU nach einer sachlichen und räumlichen Komponente (dazu etwa ZÄCH/HEIZMANN, a.a.O., S. 34). Hinzu kommt die zeitliche Dimension.
 
Erwägung 9.2


BGE 139 I 72 (93):

9.2.2 In zeitlicher Hinsicht ist im Wesentlichen von den Verhältnissen in der massgeblichen Zeitperiode, hier also vom 1. April 2004 bis zum 30. November 2005, auszugehen (vgl. nicht publ. E. 5.3). Die Berücksichtigung nachträglicher Entwicklungen, wie das die Beschwerdeführer geltend machen, ist nur bedingt möglich, nämlich dann, wenn diese zwingende Schlüsse auf die frühere Situation zulassen. Im Übrigen ist entscheidend, dass es um die kartellrechtliche Sanktionierung eines in der Vergangenheit liegenden und abgeschlossenen Marktverhaltens geht. Gerade mit Blick auf den strafrechtlichen Charakter des Sanktionsverfahrens verbietet sich eine zeitliche Vermischung der massgeblichen Umstände mit Ereignissen aus anderen Zeitperioden.
 
Erwägung 9.2.3
9.2.3.1 Der sachliche Markt umfasst alle Waren und Leistungen, die von der Marktgegenseite hinsichtlich ihrer Eigenschaften und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar angesehen werden (Art. 11 Abs. 3 lit. a VKU; siehe rechtsvergleichend dazu Ziff. 7 der Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. C 372 vom 9. Dezember 1997, S. 5 ff.). Die Definition des sachlichen Marktes erfolgt somit aus Sicht der Marktgegenseite; massgebend ist, ob aus deren Optik Waren oder Dienstleistungen miteinander im Wettbewerb stehen. Dies hängt davon ab, ob sie vom Nachfrager hinsichtlich ihrer Eigenschaften und des vorgesehenen Verwendungszwecks als substituierbar erachtet werden (BGE 129 II 18 E. 7.3.1 S. 33; HEIZMANN, a.a.O., S. 105 ff.; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 102 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; CLERC, in: Droit de la concurrence, 2002, N. 54 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., Rz. 538 ff.; BORER, a.a.O., N. 10 ff. zu Art. 5 KG; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 42 f. zu Art. 4 KG). Entscheidend ist somit die funktionelle Austauschbarkeit (Bedarfsmarktkonzept) von Waren und Dienstleistungen aus Sicht der Marktgegenseite (vgl. etwa BORER, a.a.O., N. 10 zu Art. 5 KG; HEIZMANN, a.a.O., S. 106). Daneben bestehen weitere Methoden zur Bestimmung der Austauschbarkeit der Waren und Dienstleistungen aus Nachfragersicht. Dabei ist stets vom Untersuchungsgegenstand auszugehen (vgl. HEIZMANN, a.a.O., S. 106).
9.2.3.2 Die WEKO und die Vorinstanz bestimmten den Markt für die Vermittlung und den Verkauf von Inserate- und Werberaum in den Printmedien als sachlich relevanten Markt. Das unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilende Marktverhalten ist die

BGE 139 I 72 (94):

Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer gegenüber den unabhängigen Vermittlern im Rahmen des Pachtregiesystems. Insofern steht das entsprechende Dienstleistungsangebot im Vordergrund.
9.2.3.3 Die Beschwerdeführer sind der Ansicht, die Vorinstanz habe die Substitutionsverhältnisse falsch definiert. Der sachlich relevante Markt umfasse nicht nur die Printmedien, sondern auch die anderen Werbeträger, insbesondere die Plakatwerbung (Aussenwerbung), die Direktwerbung und die elektronischen Medien. Dabei seien klare Substitutionsbewegungen von der Presse hin zu den anderen Medien festzustellen, denen eine höhere Beweiskraft zukomme als den von den Vorinstanzen bewerteten Marktbefragungen.
9.2.3.4 Vorweg ist die Auffassung der Beschwerdeführer, dass die Marktabgrenzung "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen" werden muss, zurückzuweisen. Wie bereits oben (E. 8.3.2) festgehalten worden ist, ist eine strikte Beweisführung bei der Marktabgrenzung kaum möglich, da u.a. auch auf Erfahrungssätze, Marktbeobachtungen und Marktteilnehmerbefragungen abzustellen ist (vgl. HEIZMANN, a.a.O., S. 104, 109, 111; MANI REINERT, Ökonomische Grundlagen zur kartellrechtlichen Beurteilung von Alleinvertriebsverträgen, 2004, S. 26, 28, 38 f.; ZÄCH/ZWEIFEL, Plädoyer für das neue Kartellgesetz, in: Grundfragen der schweizerischen Kartellrechtsreform, 1995, S. 19 ff., 24; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 16 zu Art. 4 Abs. 2 KG; TAGMANN, a.a.O., S. 57 f.; ROGER ZÄCH, Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen [nachfolgend: Verhaltensweisen], in: Kartellrecht, SIWR Bd. V/2, 2000, S. 137 ff., 149; ADRIAN KÜNZLER, Effizienz oder Wettbewerbsfreiheit? Zur Frage nach den Aufgaben des Rechts gegen private Wettbewerbsbeschränkungen, 2008, S. 80 ff.).
9.2.3.5 Es ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass neue Technologien auch das Werbeverhalten beeinflussen werden (vgl. KASPAR ANDREAS HEMMELER, Die kartellrechtliche Bestimmung von Medienmärkten, 2007, passim). Bei alledem darf indes nicht übersehen werden, dass die Eigenschaften und Gestaltoptionen der Werbeträger sowie die anzusprechende Zielgruppe (vgl. WEBER/VOLZ, Online-Werbemarkt und Kartellrecht - Innovation vs. Marktmacht [nachfolgend: Online-Werbemarkt], sic! 2010 S. 777 ff., 780; siehe auch DOSS, a.a.O., S. 18) die massgebenden Kriterien für die Feststellung des sachlich relevanten Marktes sind, ist doch auf die Sicht der Marktgegenseite abzustellen (ZÄCH, Verhaltensweisen, S. 150; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 259; DOSS, a.a.O., S. 18 [Rz. 24]). So

BGE 139 I 72 (95):

wird deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass Radio-, Fernseh- und Pressewerbung unterschiedliche Märkte darstellen. Die Werbung in den unterschiedlichen Medientypen unterscheidet sich wesentlich aufgrund der Gestaltungsoptionen und des Adressatenkreises; jedes Medium weist hinsichtlich der Werbemöglichkeiten zudem unterschiedliche Eigenschaften und Vorteile auf (vgl. WEBER/VOLZ, Online Marketing und Wettbewerbsrecht[nachfolgend: Online Marketing], 2011, S. 96 f.;WEBER/VOLZ, Online-Werbemarkt, a.a.O., S. 779 f.; HARALD MAAG, Medienkonzentration - zur Reichweite des fusionskontrollrechtlichen Instrumentariums, 2002, S. 116 ff., 137, 147; HEMMELER, a.a.O., S. 56 f.). Angesichts dieses Umstands ist auch von einem eigenen Online-Werbemarkt, d.h. einem eigenen Werbemarkt im Internet, auszugehen (vgl. WEBER/VOLZ, Online Marketing, a.a.O., S. 97), der in gewissen Bereichen zudem noch weiter abgestuft werden kann (vgl. WEBER/VOLZ, Online Marketing, a.a.O., S. 97). Für den Printbereich hat das Bundesgericht bereits ähnliche Werbeteilmärkte akzeptiert (vgl. Urteil 2A.327/2006 vom 22. Februar 2007 E. 7.3.2). Insofern sind die Vorinstanzen zu Recht davon ausgegangen, dass es sich um unterschiedliche Märkte handelt und die verschiedenen Werbeträger eher komplementär zur Anwendung kommen.
Die Beschwerdeführer heben allerdings hervor, dass eine Substituierung zwischen Printbereich und Internet bestehe. Sie beziehen sich dabei insbesondere auf verschiedene Online-Plattformen in den Rubriken "Fahrzeuge", "Immobilien" und "Stellen". Auch die Vorinstanz anerkennt vor allem in Bezug auf crossmediale Werbestrategien (Mediamix bei Werbekampagnen) eine gewisse Substitutionswirkung, doch werden die Werbeträger vor allem komplementär eingesetzt. Sie hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass Online- und Printwerbung u.a. unterschiedliche Nachfrager bedienen sowie unterschiedlichen Kosten und Produktionsbedingungen unterliegen (dazu MATTHIAS AMANN, Zeitungsfusionskontrolle, 2000, S. 133; MAAG, a.a.O., S. 112 f.). Kommt hinzu, dass entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer die Frage weniger lautet, ob es Substitutionsangebote gibt, sondern vielmehr bis zu welchem Grad die fraglichen Güter austauschbar sind. Diese Frage ist daher auch nicht mit Ja oder Nein zu beantworten, sondern sie ist gradueller Art (vgl. CLERC, a.a.O., N. 63 zu Art. 4 KG; SILVIO VENTURI, in: Droit de la concurrence, 2002, N. 31 zu Art. 10 KG; MAAG, a.a.O., S. 112 f.; siehe auch AMANN, a.a.O., S. 132 ff.), wie sich anhand der Methode der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage, wonach hinreichende

BGE 139 I 72 (96):

Austauschbarkeit zweier Produkte vorliegt, wenn relativ geringe Preiserhöhungen für das eine Produkt eine Abwanderung der Nachfrage zum anderen Produkt bewirkt (dazu etwa CLERC, a.a.O., N. 63 zu Art. 4 Abs. 2 KG; HEIZMANN, a.a.O., S. 116 ff.; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 114 zu Art. 4 KG; MANI REINERT, a.a.O., S. 27 ff.), und auch nach dem der Kreuzpreiselastizitätsmethode sehr ähnlichen SSNIP-Test (small but significant and nontransitory increase in price), wonach untersucht wird, wie die Unternehmen der Marktgegenseite oder Konkurrenten auf eine kleine, aber spürbare und dauerhafte Preiserhöhung eines Monopolisten reagieren (dazu HEIZMANN, a.a.O., S. 118 ff; AMANN, a.a.O., S. 137 ff.; MANI REINERT, a.a.O., S. 29 ff.; CLERC, a.a.O., N. 63 zu Art. 4 Abs. 2 KG; TSCHUDIN, a.a.O., S. 29), zeigen lässt. Angesichts dieses Umstandes ist eine strikte Beweisführung weder möglich (siehe oben E. 8.3.2) noch überhaupt zu rechtfertigen, ansonsten eine "objektive Berechenbarkeit vorgetäuscht und das Erfordernis von Werturteilen verdeckt wird" (WALTER R. SCHLUEP, in: KG + PüG, Schürmann/Schluep [Hrsg.], 1988, S. 260; KÜNZLER, a.a.O., S. 80 ff.).
Gestützt auf diese Methoden werden Substitutionsbeziehungen einerseits innerhalb des relevanten Produkte- bzw. Leistungsmarktes (Marktwettbewerb) und andererseits zwischen Gütern des relevanten Marktes und solchen, die im marktnahen Bereich liegen (Substitutionswettbewerb), unterschieden (vgl. MAAG, a.a.O., S. 113; AMANN, a.a.O., S. 134 ff.). Die teilweise Substituierbarkeit von Produkten, welche dem Substitutionswettbewerb und nicht dem Marktwettbewerb unterliegen, wird indes nicht als ausreichend angesehen, damit diese zum sachlich relevanten Markt hinzugerechnet werden können (für den Medienmarkt: AMANN, a.a.O., S. 132 ff.; MAAG, a.a.O., S. 111 ff., 194 ff.). Ihnen kommt aber disziplinierende Wirkung zu (vgl. Urteil 2A.327/2006 vom 22. Februar 2007 E. 7.3.5).
9.2.3.6 Die Vorinstanz hat anhand der von der WEKO durchgeführten Abklärungen festgestellt, dass die Preiselastizität gering ist. An die Feststellung dieses Sachverhalts ist das Bundesgericht gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diese kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Dabei sind strenge Anforderungen an die Begründungspflicht der Beschwerde gerechtfertigt; entsprechende Beanstandungen sind vergleichbar mit den in Art. 106 Abs. 2 BGG genannten Rügen (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.3 i.V.m. E. 1.4.2 S. 255 i.V.m. 254).


BGE 139 I 72 (97):

Die Beschwerdeführer stellen den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt nicht qualifiziert in Frage. Insbesondere genügen die Hinweise auf die drei Rubriken "Fahrzeuge", "Stellen" und "Immobilien" den strengen Anforderungen nicht: Die Vorinstanz hat bereits in ihrem Entscheid die den Sachverhalt betreffenden Rügen gründlich erörtert. Die Beschwerdeführer setzten sich diesbezüglich nicht vertieft damit auseinander und unterlassen es, auch qualifiziert darzulegen, inwiefern die Rückläufigkeit der Werbung in den Printmedien nicht auf die Pressekrise zurückgeführt werden kann. Insofern erweist sich der vorinstanzlich bestimmte sachlich relevante Markt als bundesrechtskonform.
9.3.1 Nach Art. 4 Abs. 2 KG gelten als marktbeherrschende Unternehmen einzelne oder mehrere Unternehmen, die auf einem Markt als Anbieter oder Nachfrager in der Lage sind, sich von anderen Marktteilnehmern (Mitbewerbern, Anbietern oder Nachfragern) in wesentlichem Umfang unabhängig zu verhalten, insbesondere wenn diese keine zumutbaren Ausweichmöglichkeiten haben; entscheidend ist die Möglichkeit des unabhängigen Verhaltens eines Unternehmens in einem bestimmten Markt (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.3.1 S. 536; ZÄCH, Verhaltensweisen, a.a.O., S. 172; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 281; DUCREY, a.a.O., S. 326; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 31, 34 zu Art. 4 KG). Marktbeherrschende Unternehmen können in wichtigen Belangen entscheidende Wettbewerbsparameter ohne Rücksicht auf Mitbewerber bzw. Kunden nach eigenem Gutdünken festlegen (vgl. DUCREY, a.a.O., S. 326). Mit der Änderung des Kartellgesetzes im Jahre 2003 hat der Gesetzgeber zudem verdeutlicht, dass nicht allein auf Marktstrukturdaten abzustellen ist, sondern auch konkrete Abhängigkeitsverhältnisse zu prüfen sind (vgl. Botschaft KG II, BBl 2002 2045; DUCREY, a.a.O., S. 326; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 280; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 30, 36 zu Art. 4 KG). Eine marktbeherrschende Stellung lässt sich nicht anhand fixer Kriterien bestimmen, sondern ist im Einzelfall mit Blick auf die konkreten Verhältnisse auf dem relevanten Markt zu entscheiden (dazu etwa KÜNZLER, a.a.O., S. 423; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 238 [Rz. 696 i.f.]; KÖCHLI/REICH, a.a.O., N. 33, 37 zu Art. 4 KG; PHILIPP CANDREIA, Konzerne als marktbeherrschende Unternehmen nach Art. 7 KG, 2007, S. 160). Die Lehre hat dazu verschiedene Beurteilungskriterien entwickelt (vgl.

BGE 139 I 72 (98):

DUCREY, a.a.O., S. 326 ff.; ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 284 ff.; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 258 ff. zu Art. 4 Abs. 2 KG; TSCHUDIN, a.a.O., S. 114 ff.).
 
Erwägung 9.3.2
9.3.2.1 Zur Marktstellung machen die Beschwerdeführer - wie bereits bei der Marktabgrenzung - zu Unrecht geltend, dass die Tatbestandselemente des Art. 7 KG mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden müssen. Diesbezüglich kann auf die bereits oben aufgeführten Argumente verwiesen werden (vgl. E. 8.3.2 und 9.2.3.4).
9.3.2.2 Die Beschwerdeführer führen sodann aus, dass der Gegenstand der zu beurteilenden Untersuchung die Kommissionierungspraxis der Beschwerdeführer im Rahmen des Pachtregiesystems sei; in Bezug auf diese Praxis sei zu prüfen, ob die Beschwerdeführer sich missbräuchlich verhalten hätten. Konsequenz hieraus sei, dass die Möglichkeit eines unabhängigen Verhaltens der Beschwerdeführer bezüglich dieser Verhaltensweise geprüft werden müsse. Mit anderen Worten gehen die Beschwerdeführer davon aus, dass für das Tatbestandsmerkmal "marktbeherrschendes Unternehmen" nicht der relevante Markt der notwendige Bezugspunkt sei, sondern lediglich der Markt, wo die strittige Kommissionierungspraxis erfolgt sei, mithin also ein engerer Markt. Folglich sei ihr Marktanteil wesentlich tiefer als von der WEKO festgestellt und von der Vorinstanz bestätigt (63 %). Er betrage lediglich 42,5 %; dieser entspreche dem durch die Beschwerdeführerinnen 2-5 in Pachtregie erwirtschafteten Umsatz.
Die Vorinstanz hatte in ihrem Urteil bereits festgehalten, dass für die Beurteilung der "Marktbeherrschung" der ausgeschiedene relevante Markt massgebend sei. Die Beschwerdeführer verfügten deshalb im hier fraglichen Zeitraum über einen Marktanteil von über 63 %, da einerseits zahlreiche Verlage mit den Beschwerdeführern exklusive Pachtverträge abgeschlossen hätten, wo die Beschwerdeführer praktisch konkurrenzlos waren, und andererseits die Eigenregieverlage rund 40-50 % mit von den Beschwerdeführern vermittelten Inseraten generiert hätten.
 
Erwägung 9.3.3
9.3.3.1 Die Beschwerdeführer nehmen für die Begründung der Marktbeherrschung auf die strittige Kommissionierungspraxis Bezug. Sie setzen sich allerdings wenig begründet mit der vorinstanzlichen

BGE 139 I 72 (99):

Auffassung auseinander. Art. 4 Abs. 2 KG hält klar fest: Der Markt, auf welchem Unternehmen "herrschen", ist derjenige Markt, wo diese sich von anderen Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig verhalten können (vgl. DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 237 Rz. 696 i.i.; CANDREIA, a.a.O., S. 159; MARKUS RUFFNER, Unzulässige Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen, AJP 1996 S. 834 ff., 836 ["zweistufiger Marktbeherrschungstest"]; so auch für die identische Regelung auf EU-Ebene: MÜLLER-GRAFF, a.a.O., N. 11 zu Art. 102 AEUV). Würde keine Marktübereinstimmung bestehen, könnten sich einerseits die Marktteilnehmer bezüglich der Waren bzw. Dienstleistungen ohnehin unabhängig verhalten, weshalb eine diesbezügliche Regelung in Art. 4 Abs. 2 KG sinnlos wäre, und andererseits wäre auch die Frage der funktionellen Substituierbarkeit obsolet. Zudem wäre auch das Beurteilungskriterium des Marktverhaltens, worin auch die Reaktion der Marktgegenseite einzubeziehen ist (vgl. ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 288; HEIZMANN, a.a.O., S. 200 ff.; CANDREIA, a.a.O., S. 166 f.), die wiederum für die Bestimmung des relevanten Marktes massgebend ist (vgl. etwa ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 259), seines Inhaltes entleert. Die von den Beschwerdeführern in den Vordergrund geschobene strittige Kommissionierungspraxis bildet erst Gegenstand bei der Beurteilung der Frage, ob diese, sofern sie marktbeherrschend sind, sich unzulässig verhalten haben (Art. 7 KG; zum möglichen engeren Markt beim Missbrauch so auch für die EU: vgl. MARKUS M. WIRTZ, in: Europäisches Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, N. 37 zu 6. Kapitel [S. 293]).
9.3.3.2 Angesichts dieses Befundes ist von einem Marktanteil von 63 % auszugehen, welcher von den Beschwerdeführern nicht bestritten wird. Im Gegensatz zur Praxis in der EU (vgl. hierzu etwa die Hinweise bei CANDREIA, a.a.O., S. 161 f.; CLERC, a.a.O., N. 111 zu Art. 4 Abs. 2 KG) folgert die schweizerische Praxis und Lehre aus einem hohen Marktanteil nicht per se eine marktbeherrschende Stellung (vgl. CLERC, a.a.O., N. 108 zu Art. 4 Abs. 2 KG; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 270, 277 zu Art. 4 Abs. 2 KG; CANDREIA, a.a.O., S. 163; BORER, a.a.O., N. 20 zu Art. 4 KG; RUFFNER, a.a.O., S. 837). Allerdings bildet der Marktanteil von 50 % Indiz für eine marktbeherrschende Stellung ("kritische Schwelle": vgl. BORER, a.a.O., N. 19 zu Art. 4 KG; REINERT/BLOCH, a.a.O., N. 277 zu Art. 4 Abs. 2 KG; CLERC, a.a.O., N. 116, siehe auch 108-110 zu Art. 4 Abs. 2 KG; HEIZMANN, a.a.O., S. 168, 171, 172). Insofern spricht bei einem Marktanteil von 63 % viel dafür, dass die Beschwerdeführer eine

BGE 139 I 72 (100):

marktbeherrschende Stellung innehaben. Diese "Vermutung" wird durch die Erhebungen und Abklärungen der WEKO, welche die Vorinstanz bestätigt hat, nicht widerlegt, sondern vielmehr bekräftigt.
Was die Beschwerdeführer dagegen vorbringen, vermag daran nichts zu ändern: Es genügt nicht, lediglich geltend zu machen, dass die Ausführungen der Vorinstanz falsch, nicht ausreichend begründetoder nicht nachvollziehbar sind. Hier wäre vielmehr eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem vorinstanzlichen Entscheid unter Darstellung der eigenen Auffassung notwendig. Zudem wird - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer - in der Beurteilung der Vorinstanz berücksichtigt, dass es neben den Beschwerdeführern auch grössere andere Eigenregieverlage gab. Die von den Beschwerdeführern angerufenen angeblichen Verschiebungen in den letzten Jahren sind für den hier fraglichen Zeitraum nur bedingt wesentlich und belegen keine massgebliche Fehleinschätzung durch die Vorinstanz. Das gilt insbesondere für die behauptete disziplinierende Wirkung durch potenziellen Wettbewerb. Schliesslich ist nicht ersichtlich, dass die Verlage und die alternativen Werbeträger das Verhalten der Beschwerdeführer im Markt der Vermittlung und dem Verkauf von Anzeige- und Werberaum in Printmedien sowie ihr Verhalten gegenüber den Vermittlern effektiv hätten beeinflussen können. Schliesslich legen die Beschwerdeführer ihrer Argumentation auch einen falschen Massstab zugrunde, wenn sie ausführen, dass sie sich von anderen Marktteilnehmern nie unabhängig verhalten können; sie wären abhängig von diversen anderen Marktteilnehmern (z.B. [Print-] Verlage). Art. 4 Abs. 2 KG verlangt nicht, dass sie sich von anderenMarktteilnehmern vollständig unabhängig verhalten können, sondern vielmehr, dass sie sich von anderen Marktteilnehmern nur in wesentlichen Umfang unabhängig verhalten können. Dies trifft im vorliegenden Fall zu.
 
Erwägung 10
 
Erwägung 10.1
 
Erwägung 10.2
Diskriminierungen enthalten für den Handelspartner regelmässig ungünstige, aufgezwungene Bedingungen und führen hinsichtlich der Wettbewerbsstruktur zu Verfälschungen auf verschiedenen Ebenen: Dabei ergibt sich der Missbrauchscharakter diskriminierender Verhaltensweisen aus einem Ausbeutungsaspekt und aus Wettbewerbsbehinderungsaspekten. Diskriminierung bedeutet zunächst eine sachwidrige Benachteiligung der Handelspartner eines beherrschenden Unternehmens, ohne dass ihnen adäquate Ausweichmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Damit wird deren Stellung im Wettbewerb auf vor- oder nachgelagerten Märkten beeinträchtigt, worin der hauptsächliche Schutzzweck von Art. 7 Abs. 2 lit. b KG gesehen wird (so vor allem AMSTUTZ/CARRON, a.a.O., N. 204 zu Art. 7 KG; differenzierend RUFFNER, a.a.O., S. 842; siehe auch SCHRÖTER, in: Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Aufl. 2003, N. 221 zu Art. 82 EG; DIRKSEN, a.a.O., 145 zu Art. 82 EGV). Allerdings darf nicht vergessen werden, dass diskriminierende Bedingungen neben Benachteiligungen der einen stets eine Begünstigung der anderen Gruppe von Handelspartnern bewirken. Damit lässt sich deren Interesse für Angebote von Wettbewerbern des Marktbeherrschers gezielt ausschalten, was eine Behinderung des Wettbewerbs auf dessen eigener Wirtschaftsstufe darstellt (vgl. JUNG, a.a.O., N. 188 zu Art. 102 AEUV; grundsätzlich KOCH, in: Kommentar zum EWG-Vertrag, 1984, 4. Lieferung 1990, N. 53, 68, 69 zu Art. 86; so wohl auch ZÄCH, Kartellrecht, a.a.O., S. 326 ff; siehe auch RUFFNER, a.a.O., S. 842 rechte Spalte; CLERC, a.a.O., N. 166 zu Art. 7 KG; so wohl auch DIRKSEN, a.a.O., N. 147 zu Art. 82 EGV). Behinderungsmissbrauch richtet sich auch gegen potentielle Konkurrenten (vgl. DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 246). Eine Diskriminierung von Handelspartnern kann zudem auch deshalb eine Behinderung eines potentiellen Konkurrenten darstellen. Insofern ist nicht unbedingt eine Beeinträchtigung der "second level

BGE 139 I 72 (106):

competition" erforderlich, um diskriminierende Preise und Geschäftsbedingungen als missbräuchlich erscheinen zu lassen.
 
Erwägung 10.3
 


BGE 139 I 72 (107):

Erwägung 10.4
    "Als Berufs-Inseratevermittler kommissioniert werden nur Unternehmen, die im Hauptzweck als Universalvermittler in der Disposition in eigenem Namen und auf eigene Rechnung von Inseraten, Werbebeilagen und Beiheften (Inserate) mehrerer juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängiger Auftraggeber in verschiedenen Printmedien voneinander wirtschaftlich und juristisch unabhängiger Verlage tätig sind."
Kommissioniert werden durch diese Regelung nur Inseratevermittler, welche Inserate von mehreren juristisch und wirtschaftlich voneinander unabhängigen Auftraggebern vermitteln. Die pauschale Nichtkommissionierung von Vermittlern, die nicht für mehrere juristisch und wirtschaftlich unabhängige Inserenten tätig sind bzw. nicht in verschiedenen Printmedien voneinander wirtschaftlich unabhängiger Verlage vermitteln, stellt eine Marktzutrittsschranke auf dem vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtigt die Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem Mass. Angesichts fehlender Kommissionen sind sie auch gegenüber ihren direkten Konkurrenten in Bezug auf die Akquirierung von Werbeaufträgen benachteiligt. Entsprechend den Ausführungen der Beschwerdeführer, wonach "die Inseratekunden [...] von den Vermittlungsleistungen der Beschwerdeführer[...] überzeugt [seien] und wenig Bedarf darin [sähen], die Verkaufsanstrengungen noch eines weiteren Untervermittlers (Berufsvermittler) zu nutzen", muss davon ausgegangen werden, dass Handelspartner zudem diskriminiert werden, um die eigenen Vermittlungsdienste gegenüber missliebigen Konkurrenten zu begünstigen (siehe oben E. 10.2.2). Diesbezüglich handelt es sich sowohl um einen Behinderungs- als auch Ausbeutungsmissbrauchstatbestand. Insofern sind die von Ziff. 2.2 Abs. 1 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien betroffenen nicht kommissionierten Vermittler im Wettbewerb bzw. in ihrer wirtschaftlichen Freiheit (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 247 Rz. 718, S. 251) spürbar behindert worden.
Das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten der Beschwerdeführer ist dann missbräuchlich, wenn keine sachlichen Gründe dieses Verhalten rechtfertigen können. Die von den Beschwerdeführern bereits in den vorinstanzlichen Verfahren vorgebrachten sachlichen Gründe, welche sich allerdings auf das hier nicht vorliegende selektive

BGE 139 I 72 (109):

Vertriebssystem bezogen, haben die Vorinstanzen ausführlich analysiert sowie sachgemäss und -gerecht beurteilt, dass diese eine Wettbewerbsbeschränkung nicht zu rechtfertigen vermögen. Diesbezüglich erübrigt sich eine Wiederholung dieser Ausführungen, und es kann auf den Entscheid der Vorinstanz verwiesen werden. Die schliesslich vor Bundesgericht vorgebrachten Gründe vermögen nicht zu überzeugen: Die Beschwerdeführer gehen implizit davon aus, dass ihre dem selektiven Vertriebssystem angepasste Strategie, wonach eine professionelle Verkaufsorganisation zu fördern sei, ohne weiteres zulässig sei. Dies trifft indes nur dann zu, wenn selektive Vertriebssysteme - in der Ausdrucksweise der Bundesverfassung - keine volkswirtschaftlich oder sozial schädlichen Auswirkungen haben bzw. - in der Sprache des Kartellgesetzes - nicht missbräuchlich sind, sofern es sich um ein marktbeherrschendes Unternehmen handelt. Vertikalabreden schränken den Wettbewerb ein und sind deshalb volkswirtschaftlich in der Regel nachteilig (vgl. HANGARTNER, a.a.O., S. 325; KRAUSKOPF/RIESEN, a.a.O., passim; DOSS, a.a.O., S. 103 ff.; Ausnahme aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz [vgl. dazu Art. 6 KG und Vertikalbekanntmachung der Wettbewerbskommission (zuletzt) vom 28. Juni 2010, in: BBl 2010 5078]). Ob in casu indes eine Schädigung bzw. ein Missbrauch vorliegt, ist unter Berücksichtigung sachlicher Gründe zu bestimmen. Detaillierte sachliche Gründe, warum die oben ausgewiesenen wettbewerbsnachteiligen Beeinträchtigungen nicht wettbewerbsschädlich und damit missbräuchlich sind, führen die Beschwerdeführer vor Bundesgericht allerdings nicht an; eine pauschale Aussage genügt diesbezüglich nicht.
Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.2 Abs. 1 der damaligen VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands diskriminierend.
    "Unternehmen, die nicht als Universalvermittler tätig sind, d.h. ihre Vermittlungstätigkeit auf einen oder auch mehrere spezielle Rubriken beschränken oder diese Tätigkeit nur nebenher betreiben oder einen anderen Hauptzweck haben, werden nicht kommissioniert. Andere Hauptzwecke sind zum Beispiel die Personal-, Werbe-, Unternehmens- oder Finanzberatung, die Vermittlung von Immobilien oder anderen Kauf- oder Mietobjekten sowie Treuhandfunktionen."


BGE 139 I 72 (110):

Nach dieser Vorschrift ist nur kommissionsberechtigt, wer zweierlei erfüllt: Einerseits muss der Vermittler Universalvermittler sein und andererseits die Vermittlungstätigkeit als Haupttätigkeit oder als Hauptzweck betreiben. Die Fokussierung auf Sparten sowie die Betreibung der Vermittlungstätigkeit als Nebentätigkeit oder als Nebenzweck sind nicht erlaubt. Kommissionsberechtigt ist somit kein Vermittler, der sich auf eine Marktnische konzentriert bzw. in diesem Markt noch nicht etabliert ist. Auch hier handelt es sich auf nachgelagerten Märkten wiederum um eine erhebliche Markteintrittsschranke und gegenüber den Universalvermittlern um Wettbewerbsbehinderungen. Zudem werden auch hier Handelspartner diskriminiert, um sich selbst als Universalvermittler gegenüber allfälligen Konkurrenten zu begünstigen (siehe oben E. 10.2.2). Wie die empirischen Erhebungen gezeigt haben, hat diese Strategie funktioniert: Nicht-Universalvermittler konnten sich auf dem relevanten Markt nicht etablieren. Insofern sind auch die von Ziff. 2.2 Abs. 2 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien betroffenen nicht kommissionierten Vermittler im Wettbewerb bzw. in ihrer wirtschaftlichen Freiheit (vgl. BGE 129 II 497 E. 6.4.2 S. 538, BGE 129 II 18 E. 5.2.1 S. 24; DAVID/JACOBS, a.a.O., S. 247 Rz. 718, S. 251) spürbar behindert worden.
Ebenso bedarf es hier sachlicher Gründe, um das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten der Beschwerdeführer nicht als diskriminierend bzw. als missbräuchlich erscheinen zu lassen. Rechtfertigend beziehen sich die Beschwerdeführer - wie bereits vor der Vorinstanz - wiederum auf ihr Geschäftsmodell des selektiven Vertriebs, welches die Universalvermittlung im Blick habe. Vor Bundesgericht ergeben sich aus den noch verbliebenen (vgl. oben E. 10.4.1) Argumenten der Beschwerdeführer - auch unter Berücksichtigung des fehlenden selektiven Vertriebssystems - keine neuen Aspekte, welche das wettbewerbsbeeinträchtigende Verhalten der Beschwerdeführer rechtfertigen würden, weshalb auf die Ausführungen der Vorinstanz und der Verfügung der WEKO verwiesen werden kann, die die verschiedenen Argumente für bzw. gegen den Ausschluss von Spartenvermittlern und den Ausschluss der Vermittler in Nebentätigkeiten überzeugend analysiert sowie sachgemäss und -gerecht beurteilt haben.
Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.2 Abs. 2 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands diskriminierend.
    "Als Berufs-Inseratevermittler kommissioniert werden nur Unternehmen, die nachweisen, dass sie entweder im Inserateverkauf ein Geschäftsvolumen von total 1 Million Franken pro Jahr in Pressemedien erreichen oder mit Pachtorganen von VSW-Mitgliedfirmen einen Nettoumsatz von mindestens Fr. 100'000.- pro Jahr erzielen. In beiden Fällen muss mindestens die Hälfte des Umsatzes von kommerziellen Inseraten stammen."
Kommissioniert werden Berufsvermittler nach Ziff. 2.5 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien somit nur dann, wenn sie zwei weitere Kriterien kumulativ erfüllen: Zum einen muss mindestens die Hälfte des Umsatzes von kommerziellen Inseraten stammen. Diese Vorschrift hängt eng mit der bereits oben behandelten Ziff. 2.2 Abs. 2 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien zusammen, gemäss welchen Spartenvermittler von einer Kommission ausgeschlossen sind; dasselbe Ziel soll nun auf einem anderen Weg erreicht werden. Insofern sind hier auch die gleichen Wettbewerbsbeeinträchtigungen wie dort gegeben (siehe E. 10.4.3). Zum anderen wird ein Anzeigenumsatz von 1 Mio. Franken oder ein Nettoumsatz von mindestens Fr. 100'000.- bei den Beschwerdeführern verlangt. Dieses quantitative Kriterium stellt vor allem in Bezug zum Gesamtvolumen des Schweizer Marktes und zum Marktanteil von 5 % aller unabhängiger Vermittler eine erhebliche Marktzutrittsschranke auf dem vorgelagerten Vermittlungsmarkt dar und beeinträchtigt die Wettbewerbspotentiale der nicht kommissionierten Vermittler in erheblichem Mass. Für das Kriterium eines Nettoumsatzes von mindestens Fr. 100'000.- haben die Beschwerdeführer und die Wettbewerbsbehörden in der einvernehmlichen Regelung eine Karenzfrist von zwei Jahren für neu eintretende Vermittler vereinbart. Insofern wird den Beschwerdeführern diesbezüglich auch kein Kartellrechtsverstoss vorgeworfen.
Als rechtfertigende sachliche Gründe, um ihr wettbewerbsbeeinträchtigendes Verhalten nicht als diskriminierend bzw. als missbräuchlich erscheinen zu lassen, nennen die Beschwerdeführer - wie bereits vor der Vorinstanz - wiederum ihr Geschäftsmodell des selektiven Vertriebs. Nähere Begründungen vor Bundesgericht fehlen. Es kann deshalb auf die Ausführungen der Vorinstanz und der Verfügung der WEKO verwiesen werden, die die verschiedenen Argumente überzeugend analysiert sowie sachgemäss und -gerecht beurteilt haben.


BGE 139 I 72 (112):

Den Ausführungen entsprechend ist Ziff. 2.5 der VSW-Kommissionierungsrichtlinien gestützt auf Art. 7 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 7 Abs. 1 KG i.S. eines Ausbeutungs- und Behinderungsmissbrauchstatbestands diskriminierend.