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Original
 
Urteilskopf

103 Ib 29


8. Auszug aus dem Urteil vom 4. Februar 1977 i.S. Weisskopf gegen Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt

Regeste

Entzug des Führerausweises der Kategorie b (Taxi) mangels Erfüllung der medizinischen Mindestanforderungen.
1. Auslegung von Art. 7 des BRB vom 28. April 1971 über die medizinischen Mindestanforderungen an Fahrzeugführer und die ärztliche Untersuchung (E. 1a).
2. Anforderungen an die Verkehrssicherheit gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG (E. 1b).

Sachverhalt ab Seite 29

BGE 103 Ib 29 S. 29
Die Taxichauffeuse Verena Weisskopf besitzt seit 1957 den Führerausweis der Kategorie b (Taxi). Am 27. Dezember 1974 verursachte sie mit ihrem Taxi einen Verkehrsunfall, als sie beim Verlassen einer Stopstrasse einen von links kommenden Personenwagen übersah. Während der Tatbestandsaufnahme fiel der Unfallgruppe auf, dass sich die Taxichauffeuse "irgendwie vorsichtig und unsicher bewegte". Frau Weisskopf erklärte, sie sei am 20. Juni 1973 mit einem Taxi an einem
BGE 103 Ib 29 S. 30
Verkehrsunfall beteiligt gewesen. Bei dieser nicht von ihr verschuldeten Kollision habe sie sich eine Halswirbelquetschung und eine Augenverletzung zugezogen; wegen dieses Unfalls sei sie längere Zeit arbeitsunfähig gewesen. Heute führe sie nur noch während der Tageszeit Taxifahrten aus, weil sie nachts die Lichter zwei- oder dreifach sehe.
Im Anschluss an diesen Vorfall ordnete das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt eine vertrauensärztliche Untersuchung der Taxichauffeuse an, um abzuklären, ob sie noch über die Fähigkeit verfüge, ein Taxi verkehrssicher zu führen. In der Folge wurde Frau Weisskopf auch noch einer neurologischen sowie einer ophtalmologischen Spezialuntersuchung unterzogen. Prof. Dr. med. R. Wüthrich von der Neurologischen Universitätspoliklinik Basel kam in seinem Gutachten vom 20. Februar 1975 zum Schluss, dass hinsichtlich der von der Patientin beklagten bei Nacht auftretenden Doppelbilder "wahrscheinlich keine neurologische Affektation" verantwortlich sei, und er deshalb aufgrund seiner Untersuchungen keine Veranlassung sehe, der Patientin "aus neurologischer Ursache" das Führen eines Taxis zu verbieten. Dem Gutachten der Basler Universitäts-Augenklinik vom 7. April 1975 ist neben der Diagnose (Dekompensierte Hyperphorie und Esopherie rechts; Astigmatismus mixtus rechts; Myopicus rectus links bei Myopia parva) folgendes zu entnehmen:
"Die Befunde, insbesondere der Sehschulstatus sind unverändert gegenüber
der
letzten Untersuchung vor 1 Jahr, d.h. mit der verordneten Prismenbrille und
dem Ausgleich des Astigmatismus und der Myopie konnte ein ordentliches
Binocularsehen erreicht werden.
Unseres Erachtens ist die Patientin weiterhin als Taxichauffeuse
arbeitsfähig, doch sollte das Autofahren während der Nacht möglichst
vermieden werden."
Gestützt auf diesen Bericht sah der Vertrauensarzt in seiner ärztlichen Begutachtung Frau Weisskopf als tauglich an zur Führung eines Taxis unter der Auflage eines Nachtfahrverbots sowie der jährlichen Wiederholung der Untersuchung durch die Augenklinik.
Mit Verfügung vom 30. Juni 1975 entzog das Polizeidepartement des Kantons Basel-Stadt Verena Weisskopf den Führerausweis für alle Motorfahrzeugkategorien für unbestimmte Zeit mit Wirkung ab 3. Juli 1975. Als Grund wurde angegeben:
BGE 103 Ib 29 S. 31
"Mangelnde Gewähr zum Führen eines Motorfahrzeuges zufolge Nichterfüllens
der medizinischen Mindestanforderungen bezüglich Sehvermögen (Doppelsehen
bei Nacht)."
Hiegegen rekurrierte Verena Weisskopf erfolglos an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt, dessen Entscheid sie mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans Bundesgericht weiterzieht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab u.a. aus folgender

Erwägungen

Erwägung:

1. Die Beschwerdeführerin macht in erster Linie geltend, der angefochtene Entscheid beruhe auf einer falschen Anwendung von Art. 7 des BRB vom 28. April 1971 über die medizinischen Mindestanforderungen an Fahrzeugführer und die ärztliche Untersuchung (SR 741.534; im folgenden: BRB). Sie ist der Ansicht, aufgrund dieser Bestimmung hätte ihr der Führerausweis belassen werden können unter der Auflage, dass sie nur tagsüber als Taxichauffeuse tätig sei.
a) Gemäss Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG darf der Führerausweis nicht erteilt werden, wenn der Bewerber "durch körperliche oder geistige Krankheiten oder Gebrechen gehindert ist, ein Motorfahrzeug sicher zu führen". Wird festgestellt, dass die Voraussetzungen zur Erteilung des Ausweises nicht mehr gegeben sind, so ist dieser zu entziehen (Art. 16 Abs. 1 SVG).
Im Anhang 2 zum BRB werden die medizinischen Mindestanforderungen an die Fahrzeugführer näher umschrieben. Danach dürfen Taxichauffeure (Kategorie b) und Führer leichter Motorwagen (Kategorie a) nicht unter Doppelsehen leiden; Taxiführer dürfen zudem nicht nachtblind sein (Anhang 2 Ziff. 2). Werden die Anforderungen gemäss Anhang 2 nicht erfüllt, so ist die Erteilung des Führerausweises zu verweigern (Art. 1 Abs. 4 BRB), bzw. - was sich daraus selbstverständlich ergibt - ist ein erteilter Ausweis zu entziehen. Handelt es sich um einen Grenzfall oder lassen sich Zweifel durch ein vertrauensärztliches Zeugnis nicht beheben, so kann eine Spezialuntersuchung angeordnet werden (Art. 1 Abs. 4 BRB). Die mit einer solchen Spezialuntersuchung betrauten Stellen können der Behörde das Ergebnis durch ein begründetes Gutachten bekannt geben (Art. 5 Abs. 3 BRB). Auf Antrag dieser Stellen kann sodann die Behörde "unter Berücksichtigung
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der gesamten Persönlichkeit des Untersuchten im Einvernehmen mit der Eidgenössischen Polizeiabteilung" von den Mindestanforderungen abweichen, soweit nicht ein gesetzlicher Ausschlussgrund nach Art. 14 SVG vorliegt (Art. 5 Abs. 3 BRB). Wird der Führerausweis erteilt - bzw. belassen -, obschon die Mindestanforderungen nach Anhang 2 nicht erfüllt sind oder andere Zweifel an der körperlichen oder geistigen Eignung eines Fahrzeugführers bestehen, so können medizinisch bedingte Auflagen und Beschränkungen damit verbunden werden (Art. 7 Abs. 1 BRB). Auflagen und Beschränkungen, die kontrollierbar sind, werden im Führerausweis eingetragen (Art. 7 Abs. 2 BRB).
Ein Abweichen von den im Anhang 2 zum BRB aufgeführten medizinischen Mindestanforderungen kommt somit nur dann in Frage, wenn durch entsprechende Auflagen und Beschränkungen gewährleistet ist, dass ein Motorfahrzeugführer trotz seines Gebrechens fähig ist, ein Motorfahrzeug im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG sicher zu führen. Soweit die Verkehrssicherheit im Sinne dieser Vorschrift nicht mehr gewährleistet ist, hat der Entzug des Ausweises aus Sicherheitsgründen zwingend zu erfolgen; eine andere Auslegung des Art. 7 BRB widerspräche dem klaren Zweck des Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG. Das bedeutet auch, dass hier kein Raum mehr ist für eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Entfernung eines solchen Motorfahrzeuglenkers aus dem Verkehr und allfälligen entgegenstehenden individuellen Interessen des betreffenden Motorfahrzeugführers. Wenn somit im vorliegenden Fall trotz einer Auflage oder Beschränkung die Gewähr nicht bestehen sollte, dass die Beschwerdeführerin ihr Taxi verkehrssicher zu führen vermag, so muss ihr nach dem Gesagten notwendigerweise der Führerausweis entzogen werden; er könnte ihr auch nicht deshalb noch belassen werden, um sie davor zu bewahren, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben kann, so sehr eine solche Auswirkung der zu treffenden Massnahme für sie persönlich zu bedauern ist.
b) Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, wenn sie Taxifahrten nur bei Tag ausführe, bestehe die genügende Gewähr, dass sie ihr Taxi im Sinne von Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG verkehrssicher führe, weshalb ihr der Ausweis unter der genannten Auflage zu belassen sei.
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Wie der Regierungsrat in der Vernehmlassung ergänzend zu seinem Entscheid ausführt, anerkennt er durchaus den guten Willen der Beschwerdeführerin und ihrer Arbeitgeberin, die vorgeschlagene Auflage nach Möglichkeit einzuhalten; er hält indessen eine solche Auflage nicht für erfüllbar. Die Grenzen zwischen Tag und Nacht seien fliessend, und in der Zeit von Oktober bis März müsse zudem jederzeit auch tagsüber mit dermassen schlechten Sichtverhältnissen (Nebel, Schneetreiben, starker Regen etc.) gerechnet werden, dass in diesen Fällen die Beanspruchung an das Sehvermögen ohne weiteres jener bei nächtlicher Dunkelheit gleichgestellt werden müsse. Es dürfte der Beschwerdeführerin nicht immer möglich und zumutbar sein, beim unvermuteten Eintreten solcher Sichtverhältnisse einfach anzuhalten und das Fahrzeug bis auf weiteres stehen zu lassen (z.B. bei Auswärtsfahrten). Auch könnten verkehrsbedingte Verzögerungen entgegen dem ursprünglichen Vorhaben eine Fahrt in die Dämmerung verlegen, und es wäre äusserst unwahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin in einem solchen Fall die Fahrt z.B. in der weiteren Region von Basel unterbrechen und erst wieder am andern Tag fortsetzen würde. Obwohl solche Vorkommnisse sicher nicht alltäglich seien, so sei doch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge früher oder später damit zu rechnen. Wohl seien die begutachtenden Spezialärzte der Meinung, die Beschwerdeführerin sei bei normalen Sichtverhältnissen (Tageslicht) fähig, ein Taxi ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit zu führen doch sei es nicht Aufgabe der betreffenden Ärzte, die praktischen Konsequenzen und insbesondere die Realisierbarkeit der vorgeschlagenen Auflage zu berücksichtigen. Zusammenfassend müsse festgehalten werden, dass eine Motorfahrzeuglenkerin, bei der bei eventuell unverhofften misslichen Sichtverhältnissen Sehstörungen in Form von Doppelbildern auftreten könnten, eine erhebliche Beeinträchtigung der Sicherheit im Strassenverkehr darstelle, weshalb ihr das Führen von Motorfahrzeugen untersagt werden müsse.
Die Frage, ob ein Motorfahrzeugführer fähig ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, hängt wesentlich von der Beurteilung der Person und der konkreten Umstände des einzelnen Falles ab, bei deren Überprüfung sich das Bundesgericht gegenüber der Verwaltungsbehörde, die diese Beurteilung vorzunehmen hat, eine gewisse Zurückhaltung auferlegt (vgl. dazu bezüglich
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der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe BGE 98 Ib 341 E. 3a, 89 E. 2a; 97 I 545). Die im vorliegenden Fall entscheidende Frage, ob sich die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Auflage überhaupt erfüllen lässt, ist zudem weitgehend eine Ermessensfrage. Was der Regierungsrat in dieser Hinsicht anführt, ist vertretbar. Angesichts der vom Bundesgericht geübten Zurückhaltung kann darin jedenfalls keine Verletzung materiellen Bundesrechts erblickt werden. Zwar scheint es - soweit das aus den Akten hervorgeht - dass die Beschwerdeführerin seit dem Unfall vom 27. Dezember 1974 mit ihrem Taxi unfallfrei gefahren ist; indes lässt sich daraus noch nicht schliessen, die von den kantonalen Behörden angenommene Gefährdung der Verkehrssicherheit sei nicht vorhanden. Es kann nicht zugewartet werden, bis sich ein Unfall ereignet, um anzunehmen, die Beschwerdeführerin stelle tatsächlich eine bedeutende Gefahr für sich und andere im Strassenverkehr dar. Ein die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigendes Gebrechen fällt bei einem Taxiführer bereits durch die Vielzahl der zu erwartenden Fahrten, welche das Unfallrisiko vergrössert, mehr ins Gewicht als bei einem Bewerber oder Inhaber des Ausweises für die Kategorie a. In erster Linie ist indessen zu beachten, dass ein Taxichauffeur nicht nur sich und die andern Verkehrsteilnehmer gefährden kann, sondern im besonderen auch die ihm anvertrauten Fahrgäste, für deren Sicherheit er verantwortlich ist und die seine Dienste im Vertrauen auf seine Fahrtüchtigkeit und in Unkenntnis seines Gebrechens in Anspruch nehmen.
Dem steht auch nicht entgegen, dass z.B. Epileptiker als Motorfahrzeugführer zugelassen werden, welchen der Führerausweis - nach einem genügend langen unfallfreien Intervall - unter Auflagen grundsätzlich erteilt werden kann, wenn sie für die Einhaltung der Auflagen Gewähr bieten (Entscheid des EJPD vom 18. Januar 1974, VPB 39/1/1975 Nr. 22). Zwar erfüllt ein solcher Fahrzeugführer die Mindestanforderungen gemäss Anhang 2 zum BRB ebenfalls nicht; und die Erfüllbarkeit oder Kontrollierbarkeit der Auflagen, unter denen ihm der Ausweis erteilt wird, erscheint auch dort nicht als völlig problemlos - etwa hinsichtlich der Auflage, er habe die verordneten Medikamente vorschriftsgemäss einzunehmen und eine regelmässige Lebensführung zu pflegen (vgl. Entscheid des EJPD a.a.O.). Indes liegt dort verglichen mit dem
BGE 103 Ib 29 S. 35
vorliegenden Fall in tatbeständlicher Hinsicht ein nicht unwesentlicher Unterschied vor, der es jedenfalls rechtfertigt, an die Verkehrssicherheit hier strengere Anforderungen zu stellen als dort. Der Fahrausweis für das Ausführen von Taxifahrten berechtigt zu einer besonders verantwortungsvollen Funktion im öffentlichen Verkehr. Dieser Unterschied wird auch im erwähnten Entscheid des EJPD hervorgehoben, und es wird dort entsprechend der konsequente Ausschluss der Epileptiker vom Führen eines Taxis empfohlen.
Die Vorinstanz durfte daher zu Recht davon ausgehen, dass wegen der nicht durchwegs erfüllbaren Auflage die Sicherheit im Strassenverkehr nicht hinreichend gewährleistet wäre, wenn der Beschwerdeführerin der Führerausweis der Kategorie b (Taxi) weiterhin belassen würde. Es liegt darin keine Verletzung materiellen Bundesrechts, auch nicht in Form einer Ermessensüberschreitung. Die Beschwerde muss deshalb in bezug auf den Entzug des Fahrausweises der Kategorie b abgewiesen werden.

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 1

Referenzen

BGE: 98 IB 341, 97 I 545

Artikel: Art. 14 Abs. 2 lit. b SVG, Art. 16 Abs. 1 SVG, Art. 14 SVG