BGE 101 Ia 73
 
14. Auszug aus dem Urteil vom 28. Mai 1975 i.S. Association nationale suisse pour le tourisme équestre und Mitbeteiligte gegen Verwaltungsgericht des Kantons Zürich.
 
Regeste
Art. 4 BV; Fahr- und Reitverbot entlang der Töss.
 
Sachverhalt


BGE 101 Ia 73 (73):

Die Baudirektion des Kantons Zürich erliess am 25. April 1972 ein allgemeines Fahrverbot entlang den Tössufern von der Tössegg bis zur Tössscheide sowie ein Reitverbot für das selbe Gebiet, ausgenommen das linke Tössufer zwischen Rossbergsteg und Kyburgbrücke. Diese Verbote wurden von vier Reitvereinen, dem Gemeinderat Neftenbach und 17 Einzelpersonen beim Regierungsrat angefochten, welcher die Rekurse vereinigte und am 23. Januar 1974 abwies. Gegen seinen Entscheid erklärte der Regierungsrat die Beschwerde an das Verwaltungsgericht zulässig. Das Verwaltungsgericht, das von 11 der Rekurrenten angerufen wurde, trat jedoch am 24. Oktober 1974 auf die Beschwerde nicht ein, da es sich beim angefochtenen Fahr- und Reitverbot um eine Anordnung generell-abstrakter Natur handle, die der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht entzogen sei. Gegen den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichtes erhoben am 5. Dezember 1974 die Association nationale suisse pour le tourisme équestre (ANSTE), Alfred J. Büchi, Dr. Gottfried E. Stiefel, Jürg Hasler, der Kavallerieverein Winterthur und Umgebung, der Reitclub Winterthur, der Reitverein Tösstal, Fritz Meier,

BGE 101 Ia 73 (74):

Werner Bosshard, Rolf T. Kasser und der Gemeinderat Neftenbach staatsrechtliche Beschwerde wegen formeller Rechtsverweigerung. Das Bundesgericht hat die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
 
Aus den Erwägungen:
a) Rechtssätze sind Anordnungen genereller und abstrakter Natur, die für eine unbestimmte Vielheit von Menschen gelten und die eine unbestimmte Vielheit von Tatbeständen regeln ohne Rücksicht auf einen bestimmten Einzelfall oder auf eine Person (GIACOMETTI, Allgemeine Lehren des rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts, Bd. 1, S. 6; vgl. auch IMBODEN, Schweiz. Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I, Nr. 212 I). Der Verwaltungsakt, bzw. die Verwaltungsverfügung ist demgegenüber ein individueller, an den einzelnen gerichteten Hoheitsakt, durch den eine konkrete verwaltungsrechtliche Rechtsbeziehung rechtsgestaltend oder feststellend in verbindlicher und erzwingbarer Weise geregelt wird (vgl. BGE 92 I 79; IMBODEN a.a.O. Nr. 321 I; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 11; Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren). Zwischen Rechtssatz und Verfügung steht die sog. Allgemeinverfügung. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie sich einerseits an einen unbestimmten Personenkreis richtet, also "genereller" Natur ist, andererseits aber einen konkreten Tatbestand regelt. Ihrer Konkretheit wegen wird die Allgemeinverfügung in der Lehre den Verwaltungsakten zugeordnet (GRISEL, Droit administratif suisse, S. 193, IMBODEN a.a.O. Nr. 212 IV; GIACOMETTI nennt diese Verwaltungsanordnungen "generelle Verwaltungsakte", vgl. Allgemeine Lehren, S. 343 f.).
b) Aufgestellte Verkehrszeichen gelten für eine unbestimmte Zahl von Personen, regeln aber - örtlich begrenzt - eine bestimmte Verkehrssituation. Sie sind daher im Gegensatz zu den allgemeinen Regeln der Strassenverkehrsordnung konkreter Natur und stellen, wie Lehre und Rechtsprechung

BGE 101 Ia 73 (75):

in der Schweiz und in Deutschland in neuerer Zeit übereinstimmend annehmen, Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar (GRISEL, a.a.O. S. 193, IMBODEN a.a.O. Nr. 212 IV, BGE 99 IV 166, anders noch BGE 77 I 107; FORSTHOFF, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 10. A., S. 217 f. N. 4, WOLFF/BACHOF, Verwaltungsrecht I, 9. A., S. 389, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 27 Nr. 34 S. 181, Neue Juristische Wochenschrift 1970 S. 2075). Verkehrssignale sind jedoch nicht an sich unmittelbar verbindliche, verselbständigte Vorschriften, sondern verkörpern von der zuständigen Behörde durch Verfügung erlassene örtliche Verkehrsanordnungen (vgl. BGE 98 IV 121, BGE 99 IV 166; s. auch Art. 82 Abs. 4 und 6 SSV). Das Verkehrszeichen ist somit ein Erscheinungsbild der ihm zugrundeliegenden Verfügung und weist als solches die gleiche Rechtsnatur wie diese auf. Behördliche Anordnungen zur Regelung bestimmter örtlicher Verkehrsverhältnisse sind demnach als Allgemeinverfügungen zu behandeln.
c) Es stellt sich die Frage, ob eine Verkehrsanordnung auch dann noch als "örtlich" betrachtet werden darf, wenn ihr räumlicher Anwendungsbereich ausserordentlich gross ist, sich etwa wie im vorliegenden Fall über 50 km erstreckt.
Ob die räumliche Ausdehnung als Kriterium zur Unterscheidung von Rechtsnormen und Verfügungen überhaupt geeignet ist, mag hier offenbleiben. Sie vermag jedenfalls die Rechtsnatur der angefochtenen Anordnung nicht zu beeinflussen. Das erlassene Fahr- und Reitverbot bezieht sich konkret nur auf die beiden Tössufer, bzw. grosse Teile davon, und ist damit örtlich eindeutig bestimmt; die Länge des Flusses ändert nichts daran.
Das von der Baudirektion erlassene Fahrverbot entlang der Töss kann in gewissem Sinne als Summe von einzelnen Allgemeinverfügungen verstanden werden. Beschränkungen und Anordnungen für den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr, welche nicht für die ganze Schweiz gelten, müssen, um verbindlich zu sein, durch Signale oder Markierungen angezeigt werden (Art. 5 Abs. 1 SVG). Gilt eine Vorschrift auf langen Strecken, so ist das betreffende Signal in angemessenen Abständen zu wiederholen (Art. 73 Abs. 3 SSV). Jedes dieser Signale, das sich nur auf eine begrenzte, ihm sichtbar zugeordnete Verkehrsfläche beziehen kann, bedarf der rechtlichen

BGE 101 Ia 73 (76):

Grundlage, d.h. einer entsprechenden behördlichen Verfügung. Diese einzelnen Verfügungen sind in der Anordnung des allgemeinen Fahrverbotes der Baudirektion zusammengefasst, welches insofern als Summe von Allgemeinverfügungen erscheint. Für das Reitverbot, das nach kantonalem Recht erlassen wird, gilt Analoges (vgl. § 6 Abs. 1 und § 9 der Verordnung über die Verkehrsbeschränkungen und die Strassensignalisation vom 20. August 1964).
Das Verwaltungsgericht hält die Verbote deshalb für abstrakt, weil sie "für eine unbestimmte Zahl von Einzelfällen" gelten, "in denen das rund 50 km lange öffentliche Tössufer auf beiden Seiten, unter Vorbehalt der genannten Ausnahmen, zu irgendwelcher Zeit und auf irgend eine Weise befahren oder beritten werden soll". Dass die Verbote für eine unbestimmte Zahl von Einzelfällen gelten, bedeutet in diesem Falle jedoch nichts anderes, als dass sich die Verbote an eine unbestimmte Zahl von Personen richten, die sich in die Verkehrssituation entlang der Töss begeben oder sich dorthin begeben könnten; dies ist das Merkmal der generellen, nicht der konkreten Natur der fraglichen Verkehrsanordnung. Abstraktheit des angefochtenen Verbotes kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Ufer der Töss "zu beliebiger Zeit" nicht befahren oder beritten werden dürfen; auch eine dauernd, auf unbestimmte Zeit geltende Anordnung kann zur Regelung eines konkreten Falles dienen (GRISEL, a.a.O. S. 193).
Es hilft deshalb auch nicht, wenn sich das Verwaltungsgericht darauf beruft, dass das Bundesgericht mit Urteil vom 14. März 1973 i.S. Buff und Mitbeteiligte den Nichteintretensentscheid des Verwaltungsgerichts geschützt habe, obgleich in jenem Falle der Adressatenkreis der damals streitigen abstrakten und generellen Anordnung sehr viel enger gewesen sei. Die hier angefochtene Verkehrsanordnung richtet sich wohl an einen unbestimmten Personenkreis, ist aber auf Grund ihres konkreten Charakters als Allgemeinverfügung zu qualifizieren.