BGer 6B_1097/2017
 
BGer 6B_1097/2017 vom 11.12.2017
 
6B_1097/2017
 
Urteil vom 11. Dezember 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Lucius Richard Blattner und/oder Dr. Laura Jetzer, Rechtsanwälte,
Beschwerdeführer,
gegen
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
Stauffacherstrasse 55, 8004 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einfache Körperverletzung; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 28. Juni 2017 (SB170038).
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Nach der Anklageschrift stand A.________ (Privatkläger) am 14. Juni 2013 auf der Fahrbahn, weil er noch etwas mit X.________ besprechen wollte. Dieser fuhr mit 25 km/h auf den Privatkläger zu, welcher auf die Motorhaube sprang, um nicht angefahren zu werden. Weil er weiter beschleunigte, geriet der Privatkläger auf das Dach des Personenwagens und fiel schliesslich hinter dem Personenwagen wieder auf die Fahrbahn, weil X.________ mit unverminderter Geschwindigkeit, wenn auch langsam, weiterfuhr. Beim Fall zog sich der Privatkläger an beiden Händen Schürfwunden zu.
1.2. Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 30. November 2016 wegen Störung des öffentlichen Verkehrs und einfacher Körperverletzung. X.________ führte Berufung.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach ihn am 28. Juni 2017 vom Vorwurf der Störung des öffentlichen Verkehrs (Art. 237 Ziff. 1 StGB) frei und bestrafte ihn wegen einfacher Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) mit einer bedingten Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 300.--.
1.3. X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, (1) das Urteil im Schuld-, Straf- und Zivilpunkt sowie hinsichtlich Kosten- und Entschädigungsfolgen aufzuheben, (2) ihn freizusprechen und zu entschädigen sowie die Zivilforderung abzuweisen und von einer Entschädigung des Privatklägers abzusehen, (3) ihn bei Rückweisung zu entschädigen und die Kosten auf die Staatskasse zu nehmen.
 
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes.
Nach der Anklageschrift sei er mit seinem Personenwagen auf den Privatkläger zugefahren, so dass dieser nur mit einem Sprung auf die Motorhaube des fahrenden Fahrzeugs ein Anfahren habe verhindern können. Weil er weiter beschleunigt habe, sei der Privatkläger auf das Dach des Personenwagens geraten und hernach heruntergefallen.
Die Vorinstanz stelle fest, es könne nicht rechtsgenüglich erstellt werden, dass er den Privatkläger angefahren bzw. diesen "aufgeladen" habe und auch nicht, ob der Privatkläger durch die Beschleunigung bzw. durch das Anfahren auf das Dach geschleudert worden sei. Die Vorinstanz werfe ihm vor, die Bremse gelöst, den Personenwagen anfahren gelassen zu haben und langsam mit einer Geschwindigkeit von maximal 9-10 km/h gefahren zu sein, als sich der Privatkläger auf dem Dach befunden habe, weswegen dieser über das Dach gerutscht und hinter dem Personenwagen wieder auf die Fahrbahn gefallen sei. Dergestalt sei der äussere Sachverhalt nicht von der Anklage gedeckt und er sei für einen nicht angeklagten Sachverhalt verurteilt worden.
Den Inhalt der Anklageschrift umschreibt Art. 325 StPO. Gemäss Abs. 1 lit. f StPO ist möglichst kurz, aber genau die der beschuldigten Person vorgeworfene Tat zu bezeichnen. Sie muss aus der Anklage ersehen können, wessen sie angeklagt ist; sie darf nicht Gefahr laufen, erst an der Gerichtsverhandlung mit neuen Anschuldigungen konfrontiert zu werden (BGE 143 IV 63 E. 2.2 S. 65). Der Anklagevorwurf besteht in der Umschreibung eines realen Lebenssachverhalts (BGE 140 IV 188 E. 1.6 S. 191). Die Anklageschrift genügt offenkundig dem Anklagegrundsatz (Art. 9 StPO).
 
3.
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz spalte den Sachverhalt willkürlich in zwei Sequenzen, in die Ereignisse bis zum Aufsprung und die Fahrt ab dem Aufsprung. Sie würdige die zweite Sequenz losgelöst vom Umstand, dass der Privatkläger selber auf die Motorhaube gesprungen und das Dach hinaufgeklettert sei. Die isolierte Betrachtung der zweiten Sequenz sei unhaltbar. Die Sache müsse als ein Gesamtgeschehen beurteilt werden. Die Vorinstanz würdige das Mitverschulden des Privatklägers als leichten Fall einer einfachen Körperverletzung (Urteil S. 47). Der Frage der Erfüllung des objektiven Tatbestands vorgelagert sei die Rechtsfrage, ob die Verletzungen adäquat-kausal auf sein (des Beschwerdeführers) Verhalten zurückzuführen seien (Beschwerde Ziff. 22).
3.2. Der Adäquanz vorgelagert ist die Frage der natürlichen Kausalität (Äquivalenz). Nach der conditio sine qua non-Formel ist die Handlung auch kausal, wenn sie den Eintritt des Erfolgs bloss beschleunigte (TRECHSEL/NOLL/PIETH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 7. Aufl., S. 82). Die natürliche Ursache ist rechtserheblich, wenn das Verhalten geeignet ist, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen. Diese Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände wie das Mitverschulden des Opfers als Mitursachen hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie alle anderen Ursachen ausschliessen (BGE 135 IV 56 E. 2.1 S. 64).
3.3. Die Vorinstanz konnte die erste Sequenz (Fahrt bis zum Aufsprung) nicht rechtsgenügend feststellen (Urteil S. 40). In den wesentlichen Punkten erstellt werden konnte die zweite Sequenz des eingeklagten Sachverhalts. Die Vorinstanz liess zugunsten des Beschwerdeführers offen, ob der Privatkläger durch die Beschleunigung oder das Anfahren auf das Autodach geschleudert wurde oder ob er auf das Dach hinaufgeklettert war (Urteil S. 42). Unbestritten bzw. seitens des Beschwerdeführers klar anerkannt war zumindest, dass er das Fahrzeug in Bewegung setzte, als sich der Privatkläger auf dem Dach befand, und dass dieser irgendwann während der Fahrt vom Dach auf die Strasse geriet (Urteil S. 43). Es ist von Schritttempo bzw. maximal 8-10 km/h auszugehen (Urteil S. 44).
3.4. Es ergibt sich: Der Beschwerdeführer geriet während der Fahrt vom Fahrzeugdach auf die Strasse. Nach den Erfahrungen des Lebens muss damit gerechnet werden, dass eine Person, die sich auf dem Dach eines mit 8-10 km/h fahrenden Personenwagens ohne Haltevorrichtung aufhält, irgendwann auf die Strasse gerät. Ein allfälliges "Mitverschulden" der fraglichen Person bei diesem Vorgang ist kein ganz aussergewöhnlicher Umstand, der alle anderen mitwirkenden Ursachen wie die nicht einverständliche Fahrt mit 8-10 km/h auf dem Dach eines Personenwagens ausschliesst. Die gerügte Aktenwidrigkeit, weil sich auf dem Fahrzeug nicht keine Haltevorrichtung, wie die Vorinstanz annimmt, sondern eine Dachreling befand, schätzt auch der Beschwerdeführer als von untergeordneter Bedeutung ein (Beschwerde Ziff. 37).
3.5. Der Beschwerdeführer wendet überdies ein, die Vorinstanz falle in Willkür, indem sie trotz unüberwindlicher, nicht nur theoretischer Zweifel davon ausgehe, dass sich der Privatkläger die Schürfwunden an den Händen bei seinem Sturz vom Personenwagen auf die Strasse zugezogen haben müsse. "Ausgeblendet wird willkürlich sodann die naheliegendste Möglichkeit, dass in Ermangelung einer Beschleunigung der Privatkläger aus eigenem Antrieb vom Dach heruntergelangen wollte, mithin den Sturz selber verursachte" (Beschwerde Ziff. 32).
Die Vorinstanz nimmt nicht trotz unüberwindlicher Zweifel an (Beschwerde Ziff. 28, 36), dass sich der Privatkläger beim Fall auf die Fahrbahn die Schürfwunden zuzog, sondern schliesst das schlicht und willkürfrei aus dem zweifelsfrei nachvollziehbaren Geschehen (Urteil S. 45). Dass sich der Privatkläger aus naheliegenden Gründen allenfalls aus dieser misslichen Lage befreien und "heruntergelangen wollte", ändert nichts an der adäquat-kausalen Verursachung dieser Lage durch den Beschwerdeführer sowie der Zurechnung der Verletzungen in seinen Verantwortungskreis.
 
4.
Auf die im Rahmen einer Gutheissung gestellten und nicht weiter begründeten übrigen Rechtsbegehren (oben E. 1.3) ist bei diesem Verfahrensausgang nicht mehr einzutreten.
 
5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, und Barbara Fink Winzap schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 11. Dezember 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Briw