BGer 6B_570/2017
 
BGer 6B_570/2017 vom 16.10.2017
6B_570/2017
 
Urteil vom 16. Oktober 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Oberholzer,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Williner.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Ulrich Siegrist,
Beschwerdeführerin,
gegen
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. A.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Versuchte Nötigung; Willkür,
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, vom 14. März 2017 (SST.2016.71 / nl).
 
Sachverhalt:
 
A.
X.________ gelangte als damalige Anwältin der B.________ mit zwei Schreiben vom 14. und vom 26. Juli 2011 an Rechtsanwalt C.________, welcher A.________ und B.________ als gemeinsamer Anwalt im Scheidungsverfahren vertreten hatte. X.________ kritisierte darin die im Urteil des Gerichtspräsidiums Aarau vom 25. Mai 2010 vereinbarungsgemäss geregelten finanziellen Nebenfolgen der Scheidung sowie eine im Anschluss daran angeblich entschädigungslos erfolgte Rückübertragung eines Grundstücks in das Alleineigentum des A.________. Sie bat deshalb darum, "die geschehenen Ungerechtigkeiten in einem nachträglichen Vertrag wenigstens teilweise auszugleichen." Die beiden Schreiben blieben von Seiten des Rechtsanwalts C.________ unbeantwortet.
X.________ wird im Strafbefehl vom 28. August 2013 vorgeworfen, als Anwältin der B.________ versucht zu haben, A.________ telefonisch zu einer Abänderung des Scheidungsurteils zu nötigen. Konkret habe sie diesem am 4. August 2011 Folgendes mitgeteilt: "Ich habe alle Mails gelesen, die Sie an Ihre Frau geschrieben haben. Da ist klar erkennbar, wie sie den Druck kontinuierlich aufgebaut haben... Leute wie Sie werde ich nicht schonen und darum auch den Stadtrat über diese Mails orientieren, wenn Sie nicht einlenken."
Die Staatsanwaltschaft verurteilte X.________ wegen versuchter Nötigung im Sinne von Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB sowie mehrfacher übler Nachrede im Sinne von Art. 173 Ziff. 1 StGB zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je Fr. 200.-- mit einer Probezeit von 2 Jahren. Allfällige Zivilforderungen verwies die Staatsanwaltschaft auf den Zivilweg.
 
B.
Das Bezirksgericht Lenzburg sprach X.________ am 3. Dezember 2015 der versuchten Nötigung gemäss Art. 181 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig und belegte sie - teilweise als Zusatzstrafe zu einem Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 14. Februar 2012 - mit einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je Fr. 70.--, d.h. Fr. 3'500.--, bei einer Probezeit von 4 Jahren und einer Busse von Fr. 700.--, ersatzweise 10 Tage Freiheitsstrafe. In Zusammenhang mit der versuchten Nötigung verurteilte es X.________ zudem zur Bezahlung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 540.-- an A.________. Die übrigen Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche verwies es auf den Zivilweg. In Bezug auf den Vorwurf der mehrfachen üblen Nachrede stellte das Bezirksgericht das Verfahren infolge Verjährung ein.
Dagegen erhob X.________ Berufung. Mit Ausnahme der vom Bezirksgericht zugesprochenen Schadenersatzforderung in Höhe von Fr. 540.-- an A.________, welche neu ebenfalls auf den Zivilweg verwiesen wurde, bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau das bezirksgerichtliche Urteil (Urteil vom 14. März 2017).
 
C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, sie sei freizusprechen, eventuell die Sache zur Wiederholung des Beweisverfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt offensichtlich fehlerhaft ermittelt, weil sie davon ausgegangen sei, es sei bei dem streitbetroffenen Telefonat vom 4. August 2011 zwischen A.________ und B.________ einzig um finanzielle Forderungen bzw. um eine Änderung des Scheidungsurteils gegangen und nicht um Dinge in Zusammenhang mit dem Kindeswohl. Weiter wirft sie dem kantonalen Gericht vor, dieses habe willkürlich einen zentralen Beweisantrag (Einverlangen der Akten der Sozialregion Unteres Niederamt und der Sozialdienste der Stadt Aarau) abgelehnt und stattdessen willkürliche Annahmen, insbesondere in Bezug auf den Inhalt der E-Mails, getroffen. Schliesslich fehle es für die Verurteilung nach Art. 181 StGB auch am Vorsatz sowie an einer Rechts- oder Sittenwidrigkeit.
1.2. Die Vorinstanz nimmt hinsichtlich des Schuldspruchs wegen Nötigung nach Art. 181 StGB in tatsächlicher Hinsicht an, die Beschwerdeführerin habe A.________ mit der anlässlich des Telefonats vom 4. August 2011 - dessen Inhalt von der Beschwerdeführerin ausdrücklich als sinngemäss richtig anerkannt worden sei - getätigten Ankündigung, bei Nichteinlenken den persönlichen Mailverkehr mit B.________ an den Stadtrat D.________ weiterzuleiten, zu finanziellen Zugeständnissen zwingen wollen.
 
2.
2.1. Der Nötigung nach Art. 181 StGB macht sich schuldig, wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Bei der Androhung ernstlicher Nachteile stellt der Täter dem Opfer ein Übel in Aussicht, dessen Eintritt er als von seinem Willen abhängig erscheinen lässt. Es kommt nicht darauf an, ob der Täter die Drohung wahr machen will, sofern sie nur als ernst gemeint erscheinen soll. Ernstlich sind Nachteile, wenn ihre Androhung nach einem objektiven Massstab geeignet ist, auch eine besonnene Person in der Lage des Betroffenen gefügig zu machen und so seine Freiheit der Willensbildung oder -betätigung zu beschränken (BGE 122 IV 322 E. 1a S. 324 f.; 120 IV 17 E. 2a/aa S. 19; je mit Hinweisen). Die Drohung muss eine gewisse Intensität aufweisen, die von Fall zu Fall und nach objektiven Kriterien festzulegen ist. Misslingt die Bestimmung von Willensbildung oder -betätigung, bleibt es beim Versuch (BGE 106 IV 125 E. 2b S. 129). Ob eine Äusserung als Drohung zu verstehen ist, beurteilt sich nach den gesamten Umständen, unter denen sie erfolgte (Urteil 6B_934/2015 vom 5. April 2016 E. 3.3.1 mit Hinweisen).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser ist offensichtlich unrichtig oder beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 141 IV 305 E. 1.2 mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1; 141 IV 369 E. 6.3; je mit Hinweisen).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft sogenannte innere Tatsachen, und ist damit Tatfrage. Als solche prüft sie das Bundesgericht nur unter dem Gesichtspunkt der Willkür (vgl. oben; Art. 9BV; Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 369 E. 6.3 S. 375 mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4 mit Hinweisen).
 
3.
3.1. Die Beschwerdeführerin legt - soweit überhaupt beanstandet - nicht substanziiert (vgl. E. 2.2 hievor) dar, inwiefern die vorinstanzlichen Feststellungen zum Inhalt des Telefonats vom 4. August 2011 sowie zu der vorangegangenen Korrespondenz zwischen ihr und Rechtsanwalt C.________ (Schreiben vom 14. und 26. Juli sowie E-Mail vom 3. August 2011) bundesrechtswidrig sein sollen. Das Bundesgericht ist deshalb insbesondere an die Feststellung gebunden, die Beschwerdeführerin habe A.________ mit der telefonischen Ankündigung, sie würde bei Nichteinlenken die von ihm an B.________ gesendeten E-Mails an den Stadtrat D.________ senden, zu finanziellen Zugeständnissen - worunter auch der Kindesunterhalt zu zählen sei - zwingen wollen. An diesem Ergebnis ändern die zahlreichen Einwände betreffend den Inhalt der (nur teilweise aktenkundigen) persönlichen E-Mails zwischen A.________ und B.________ nichts. Die Beschwerdeführerin lässt weitestgehend ausser Acht, dass deren Inhalt einzig zur Klärung der Frage taugt, ob der angedrohte Nachteil (Versand dieser E-Mails an den Stadtrat D.________) ein ernstlicher im Sinne von Art. 181 StGB darstellt (vgl. dazu nachfolgend E. 3.3). Indessen vermögen die E-Mails weder etwas über den Inhalt des Telefonats vom 4. August 2011 noch über die von der Beschwerdeführerin dabei gehegten Absichten auszusagen.
3.2. Tatsachenwidrig ist die Behauptung, der Inhalt der zwischen A.________ und B.________ versandten E-Mails sei nicht geklärt, weshalb sich die Vorinstanz gar nicht habe im Klaren darüber sein können, worin denn das eigentliche Mittel der Drohung bestanden habe. So finden sich zahlreiche E-Mails in den Akten, welche A.________ im Zeitraum von Januar bis August 2011 an B.________ (oder umgekehrt) versendet hatte. Das Bezirksgericht Lenzburg hatte eine Vielzahl der darin enthaltenen höchst privaten und teils ungeschützten Einblick in die Intimsphäre der Korrespondierenden offenbarenden Inhalte konkret wiedergegeben. Das kantonale Gericht verzichtete auf eine diesbezügliche Wiederholung und verwies stattdessen auf die vorinstanzlichen Erwägungen.
3.3. Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, die Vorinstanz habe die Frage nach dem Vorliegen eines konkreten Nachteils offengelassen, entspricht auch dies nicht den Tatsachen. Das kantonale Gericht erblickte den ernstlichen Nachteil in der Offenlegung höchst privater Details betreffend die gescheiterte Ehe des A.________ (als Mitglied des Einwohnerrates) gegenüber dem ihm persönlich bekannten Stadtrat. Inwiefern dieser Schluss Bundesrecht verletzt, legt die Beschwerdeführerin nicht ansatzweise dar. Offensichtlich an der Sache vorbei gehen in diesem Zusammenhang ihr Hinweis auf das dem Stadtrat obliegende Amtsgeheimnis sowie die Behauptung, es habe in der Folge in der politischen Zusammenarbeit zwischen A.________ und dem Stadtrat kein (weiterer) konkreter Nachteil resultiert.
Genügen gemäss den nicht zu beanstandenden vorinstanzlichen Erwägungen bereits die in den Akten befindlichen E-Mails zur Darlegung des ernstlichen Nachteils, so erübrigen sich zum Vornherein Weiterungen zur Frage der Notwendigkeit des Beizugs weiterer Akten bei der Sozialregion Unteres Niederamt und der Sozialdienste der Stadt Aarau.
3.4. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, sie habe im Rahmen des Telefonats vom 4. August 2011 weder eine bestimmte Geldzahlung noch die Abgabe einer bestimmten Zustimmung verlangt. Thema sei einzig gewesen, dass A.________ "einlenke", womit nur ein Verhandeln über das Erbringen von Leistungen verlangt worden sei. Mit diesen Ausführungen verkennt die Beschwerdeführerin, dass geschütztes Rechtsgut von Art. 181 StGB die Handlungsfreiheit bzw. die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung des Einzelnen ist (BGE 134 IV 216 E. 4.4.3 S. 221). Es ist somit nicht erforderlich, dass eine bestimmte Geldzahlung verlangt wird. Vielmehr genügt, dass die Täterschaft gegen den Willen des Opfers ein Verhalten oder Handeln erwirkt, auf das sie keinen Anspruch hat (vgl. DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 14 zu Art. 181 StGB). Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen: Die Beschwerdeführerin versuchte mit ihrem Vorgehen (vgl. dazu E. 3.1 hievor) zu Gunsten ihrer damaligen Klientin und gegen den Willen des A.________ Nachverhandlungen der im Urteil des Gerichtspräsidiums Aarau vom 25. Mai 2010 geregelten Scheidungsfolgen zu erwirken.
3.5. Nicht einzugehen ist auf die Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit sie zur Bestreitung des subjektiven Tatbestands vom vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt abweicht, ohne Willkür darzutun (vgl. dazu E. 2.2 hievor).
3.6. Unbehelflich ist schliesslich der Einwand, die Vorinstanz habe das Vorliegen der Rechtswidrigkeit nicht (genügend) begründet. Wie die Beschwerdeführerin selber ausführt, erblickte das kantonale Gericht die Rechtswidrigkeit im fehlenden sachlichen Zusammenhang zwischen dem Mittel (Drohung der Herausgabe privater E-Mails an den Stadtrat) und dem Zweck ("Revision" der güterrechtlichen Auseinandersetzung des Scheidungsurteils sowie Ausgleichszahlung für nachträgliche Übertragung einer Liegenschaft). Fehlt es in diesem Sinne an einem sachlichen Zusammenhang, liegt rechtsprechungsgemäss Sittenwidrigkeit vor (vgl. BGE 120 IV 17 E. 2a/bb S. 17; DELNON/RÜDY, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. II, 3. Aufl. 2013, N. 57 zu Art. 181 StGB).
 
4.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Kosten sind der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 16. Oktober 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Jacquemoud-Rossari
Der Gerichtsschreiber: Williner