BGer 8C_335/2017
 
BGer 8C_335/2017 vom 06.10.2017
8C_335/2017
 
Urteil vom 6. Oktober 2017
 
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Maillard, Präsident,
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold.
 
Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdeführerin,
gegen
vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 10. März 2017 (IV.2015.01106).
 
Sachverhalt:
A. A.________, geboren 1992, bezog infolge seines Leidens gemäss Ziff. 404 der Verordnung über Geburtsgebrechen (ADHS; vormals "psychoorganisches Syndrom" POS) von Juni 1997 bis November 2012 Leistungen der Invalidenversicherung in Form von Sonderschul- und medizinischen Massnahmen. In der Folge absolvierte er eine Anlehre als Gärtnereiarbeiter Fachrichtung Zierpflanzen sowie eine Ausbildung als Gärtner mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau. Für Letzteres übernahm die Invalidenversicherung die Mehrkosten im Rahmen von beruflichen Massnahmen und richtete Taggelder aus. Die IV-Stelle des Kantons Zürich erteilte Kostengutsprache für ein Job Coaching von Oktober 2014 bis August 2015. Vom 15. August 2014 bis 31. Dezember 2015 arbeitete A.________ bei der Hans B.________ AG, Bäretswil. Nachdem er sich am 11. Mai 2012 zum Bezug einer Invalidenrente angemeldet hatte, nahm die IV-Stelle medizinische und berufliche Abklärungen vor und sprach ihm mit Verfügung vom 25. September 2015 ab August 2014 eine Dreiviertelsrente und ab Juli 2015 eine Viertelsrente zu.
B. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 10. März 2017 teilweise gut und sprach A.________ ab Juli 2015 eine halbe Invalidenrente zu.
C. Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, es sei der vorinstanzliche Entscheid aufzuheben und ihre Verfügung vom 25. September 2015 zu bestätigen. Zudem ersucht sie um aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde.
D. Mit Verfügung vom 29. August 2017 gewährte das Bundesgericht der Beschwerde der IV-Stelle aufschiebende Wirkung.
 
Erwägungen:
 
1.
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen).
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
Die beschwerdeführende Partei, welche die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz anfechten will, muss substanziiert darlegen, inwiefern die Voraussetzungen einer Ausnahme gemäss Art. 105 Abs. 2 BGG gegeben sind und das Verfahren bei rechtskonformer Ermittlung des Sachverhalts anders ausgegangen wäre; andernfalls kann ein Sachverhalt, der vom im angefochtenen Entscheid festgestellten abweicht, nicht berücksichtigt werden (BGE 140 III 16 E. 1.3.1 S. 18 mit Hinweisen).
2. Streitig ist der Rentenanspruch des Versicherten.
3. Die Vorinstanz hat die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über die Begriffe der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG) und der Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG), den Anspruch auf eine Invalidenrente (Art. 28 Abs. 1 und 2 IVG) sowie die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 IVG), insbesondere bei Versicherten ohne zureichende Ausbildung (Art. 26 Abs. 1 IVV), zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Aufgabe des Arztes bei der Ermittlung des Invaliditätsgrades (BGE 140 V 193 E. 3.2 S. 195; 132 V 93 E. 4 S. 99). Darauf wird verwiesen.
4. Die Vorinstanz hat in E. 3 ihres Entscheids die massgebenden ärztlichen Unterlagen zutreffend wiedergegeben. Darauf wird ebenfalls verwiesen.
 
5.
5.1. Die IV-Stelle legte ihrer Verfügung vom 25. September 2015 für das Jahr 2014 ein Valideneinkommen von Fr. 58'869.55 und für 2015 von Fr. 59'281.65 zugrunde. Sie ging dabei davon aus, der Versicherte habe im Rahmen der beruflichen Eingliederungsmassnahmen eine zureichende Ausbildung erwerben können, und setzte das Valideneinkommen gestützt auf die Tabellenlöhne gemäss LSE fest.
5.2. Die Vorinstanz bejahte angesichts der absolvierten zwei Ausbildungen den Erwerb von zureichenden beruflichen Kenntnissen im Sinne von Art. 26 Abs. 1 IVV. Hingegen kam sie gestützt auf den Bericht der C.________ AG vom 12. Januar 2015 sowie des Verlaufs der absolvierten Ausbildungen und Rückmeldungen von Arbeitgebern zum Schluss, der Versicherte könne seine erworbenen beruflichen Kenntnisse auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt nur unter sehr bestimmten Voraussetzungen und selbst dann nicht wie eine gesunde Person verwerten. In der Folge setzte sie das Valideneinkommen gestützt auf Art. 26 Abs. 1 IVV auf Fr. 66'000.-- fest und ermittelte ab August 2014 einen Invaliditätsgrad von 65 % und ab April 2015 von 53 %, so dass sich der Anspruch auf eine Dreiviertelsrente per Juli 2015 auf eine halbe Rente reduzierte.
5.3. Vor Bundesgericht rügt die IV-Stelle, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie sich bei der Festsetzung des Valideneinkommens auf Art. 26 Abs. 1 IVV gestützt habe. Der Versicherte habe mit seiner abgeschlossenen Ausbildung zureichende berufliche Kenntnisse erworben. Gemäss Angaben des Arbeitgebers betrage der Lohn im erlernten Beruf bei voller Arbeitsfähigkeit Fr. 52'000.- pro Jahr; dieser habe als Valideneinkommen zu gelten. Der Umstand, dass der Versicherte durch eine verminderte Leistungsfähigkeit in seiner Arbeitsfähigkeit limitiert sei, fliesse bei der Bemessung des Valideneinkommens nicht ein; die gesundheitlichen Beeinträchtigungen seien beim Invalideneinkommen zu berücksichtigen.
 
6.
6.1. Als Erwerb von zureichenden beruflichen Kenntnissen im Sinne von Art. 26 Abs. 1 IVV ist der Abschluss einer Berufsausbildung zu betrachten. Dazu gehören auch Anlehren, wenn sie auf einem besonderen, der Invalidität angepassten Bildungsweg ungefähr die gleichen Kenntnisse vermitteln wie eine eigentliche Lehre oder ordentliche Ausbildung und der versicherten Person in Bezug auf den späteren Verdienst praktisch die gleichen Möglichkeiten eröffnen (ZAK 1974 S. 548 und Rz. 3037 des Kreisschreibens über Invalidität und Hilflosigkeit in der Invalidenversicherung, KSIH). Würde im Rahmen von Ziff. 3037 KSIH als Erwerb von zureichenden beruflichen Kenntnissen ausschliesslich ein ordentlicher Lehrabschluss anerkannt, so erschiene dies im Einzelfall vorteilhaft (er). Es würde aber ausser Acht lassen, dass die Invalidenversicherung Erwerbsunfähigkeit und nicht Berufsunfähigkeit versichert. Darum stellt sich nicht die Frage, warum die versicherte Person keine bestimmte Berufsausbildung geschafft hat, sondern in Anlehnung an ZAK 1974 S. 548 und Rz. 3037 KSIH vielmehr, ob die versicherte Person ihre absolvierte Ausbildung, durch die sie offensichtlich zureichende berufliche Kenntnisse erworben hat, auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt "ummünzen" kann (vgl. auch Rz. 3035 KSIH). Ob die Ausbildung auf einem besonderen oder auf dem "normalen" Bildungsweg gemacht wurde, kann mit Blick auf das Ziel der Invalidenversicherung nicht entscheidend sein (vgl. zum Ganzen Urteil 9C_611/2014 vom 19. Februar 2015 E. 4.3).
6.2. Der Versicherte hat mit seiner Anlehre als Gärtnereiarbeiter Fachrichtung Zierpflanzen sowie seiner Ausbildung als Gärtner mit eidgenössischem Berufsattest (EBA) Fachrichtung Garten- und Landschaftsbau offensichtlich zureichende berufliche Kenntnisse erworben. Entgegen der Ansicht der IV-Stelle reicht dies jedoch nicht aus. Vielmehr ist zu prüfen, ob der Versicherte die erworbenen Fähigkeiten auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt auch verwerten kann. Wie sich aus den Berichten des Job Coachings ergab, war das Arbeitstempo des Versicherten schwankend (ausreichend bis unzureichend) und die Konzentrationsfähigkeit im Laufe des Tages nachlassend bei guter Motivation und Arbeitshaltung; zudem bedurfte er einer straffen Führung und konnte nur zwei Anweisungen zu einem Arbeitsauftrag selbstständig ausführen. Diese Schwierigkeiten des Versicherten, seine Arbeitskraft auf dem ausgeglichenen Arbeitsmarkt seiner Ausbildung entsprechend zu verwerten, stehen gestützt auf die medizinischen Einschätzungen in Zusammenhang mit dem Geburtsgebrechen. Es ist dazu insbesondere auf den Bericht der C.________ AG vom 12. Januar 2015 zu verweisen. Danach wurden beim Versicherten bei einem unterdurchschnittlichen prämorbiden Leistungsvermögen Teilleistungsbeeinträchtigungen in den Bereichen Aufmerksamkeit und Gedächtnisfunktionen festgestellt und diese als mögliche kognitiven Defizite im Rahmen des ADHS interpretiert, so dass eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt als zu anforderungsreich erachtet wurde. Die Vorinstanz hat demnach zu Recht das Valideneinkommen gestützt auf Art. 26 Abs. 1 IVV ermittelt. Nachdem die IV-Stelle keine weiteren Einwände erhebt, hat es bei der Rentenzusprache gemäss vorinstanzlichem Entscheid sein Bewenden.
7. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Die unterliegende IV-Stelle hat die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Versicherte hat Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 6. Oktober 2017
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Maillard
Die Gerichtsschreiberin: Riedi Hunold