BGer 1C_156/2017
 
BGer 1C_156/2017 vom 18.05.2017
{T 0/2}
1C_156/2017
 
Urteil vom 18. Mai 2017
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Karlen, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Chaix, Kneubühler,
Gerichtsschreiber Störi.
 
Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Gilomen,
gegen
Staatssekretariat für Migration,
Quellenweg 6, 3003 Bern.
Gegenstand
Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung,
Beschwerde gegen das Urteil vom 6. Februar 2017 des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI.
 
Sachverhalt:
A. Der Äthiopier A.________ (Jg. 1965) reiste 1996 in die Schweiz ein und stellte ein Asylgesuch. Es wurde abgewiesen und seine Wegweisung angeordnet. Er blieb in der Schweiz und heiratete am 3. August 2001 die Schweizerin B.________ (Jg. 1977), worauf er im Kanton Bern eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Die beiden haben zwei gemeinsame Töchter (Jg. 2000 und 2004).
Am 12. Dezember 2003 stellte A.________ eine Gesuch um erleichterte Einbürgerung, auf welches das Staatssekretariat für Migration (SEM) nicht eintrat, weil die zeitlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
Am 11. Oktober 2004 stellte A.________ erneut ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung. Wegen einer strafrechtlichen Verurteilung im Jahr 2005 wurde das Einbürgerungsverfahren vorübergehend sistiert. Am 29. November 2008 unterzeichneten die Ehegatten A.________-B.________ die gemeinsame Erklärung, in einer tatsächlichen, stabilen, auf die Zukunft gerichtete Gemeinschaft an derselben Adresse zu leben. Am 18. Dezember 2008 wurde A.________ erleichtert eingebürgert.
Ende August 2009 verliess A.________ die gemeinsame Wohnung und bezog auf den 1. September 2009 eine eigene Wohnung. Die Ehe wurde am 28. Februar 2012 auf gemeinsames Begehren der Ehegatten hin geschieden. Am 15. November 2013 heiratete A.________ eine Äthiopierin.
B. Am 15. April 2014 teilte das SEM A.________ mit, dass es ein Verfahren betreffend Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung einleite. Am 8. Juli 2015 erteilte der Kanton Bern seine Zustimmung zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung.
Am 21. Juli 2015 erklärte das SEM die erleichterte Einbürgerung von A.________ für nichtig.
Am 6. Februar 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von A.________ gegen diesen Entscheid des SEM ab.
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
D. Das Bundesverwaltungsgericht und das SEM verzichten auf Vernehmlassung.
A.________ hält an der Beschwerde fest.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerde richtet sich gegen einen Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. a BGG). Die Ausnahme der ordentlichen Einbürgerungen nach Art. 83 lit. b BGG erstreckt sich nicht auf die Nichtigerklärung der Einbürgerung. Es liegt auch keine der übrigen Ausnahmen von Art. 83 BGG vor. Der Beschwerdeführer hat sich am Verfahren vor der Vorinstanz beteiligt und ist beschwerdelegitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde unter diesem Vorbehalt einzutreten ist.
 
2.
2.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 BüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einer Schweizerin ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit der Schweizerin lebt. Art. 26 Abs. 1 BüG setzt ferner in allgemeiner Weise voraus, dass der Bewerber in der Schweiz integriert ist (lit. a), die schweizerische Rechtsordnung beachtet (lit. b) und die innere und äussere Sicherheit der Schweiz nicht gefährdet (lit. c). Alle Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch in demjenigen der Einbürgerungsverfügung erfüllt sein (BGE 140 II 65 E. 2.1).
2.2. Nach Art. 41 Abs. 1 BüG kann die Einbürgerung vom Bundesamt mit Zustimmung der Behörde des Heimatkantons nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht.
Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt vielmehr voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist (BGE 132 II 113 E. 3.1 S. 115). Arglist im Sinne des strafrechtlichen Betrugstatbestands ist nicht erforderlich. Immerhin ist notwendig, dass der Betroffene bewusst falsche Angaben macht bzw. die Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, die Behörde über eine erhebliche Tatsache zu informieren (BGE 135 II 161 E. 2 S. 165; 132 II 113 E. 3.1 S. 115).
Bei der Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung ist deshalb von der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Im Wesentlichen geht es dabei um innere Vorgänge, die der Behörde oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind. Sie kann sich daher veranlasst sehen, von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 485 f.). Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166; 130 II 482 E. 3.2 S. 486).
2.3. Die tatsächliche Vermutung betrifft die Beweiswürdigung und bewirkt keine Umkehrung der Beweislast (BGE 130 II 482 E. 3.2 S. 486). Begründet die kurze Zeitspanne zwischen der erleichterten Einbürgerung einerseits und der Trennung oder Einleitung einer Scheidung andererseits die tatsächliche Vermutung, es habe schon bei der Einbürgerung keine stabile eheliche Gemeinschaft mehr bestanden, so muss der Betroffene deshalb nicht das Gegenteil beweisen. Es genügt, wenn er einen Grund anführt, der es als plausibel erscheinen lässt, dass er bei der Erklärung, wonach er mit seiner Schweizer Ehepartnerin in einer stabilen ehelichen Gemeinschaft lebt, nicht gelogen hat. Bei diesem Grund kann es sich um ein ausserordentliches, nach der Einbürgerung eingetretenes Ereignis handeln, welches zum raschen Scheitern der Ehe führte, oder um das fehlende Bewusstsein des Gesuchstellers bezüglich bestehender Eheprobleme im Zeitpunkt der Einbürgerung (BGE 135 II 161 E. 2 S. 166 mit Hinweisen).
2.4. Gemäss dem hier anwendbaren, am 1. März 2011 in Kraft getretenen Art. 41 Abs. 1bis BüG (in der Fassung vom 25. September 2009; AS 2011 347) kann die Einbürgerung innert zwei Jahren, nachdem das Bundesamt vom rechtserheblichen Sachverhalt Kenntnis erhalten hat, spätestens aber innert acht Jahren nach dem Erwerb des Schweizer Bürgerrechts nichtig erklärt werden. Nach jeder Untersuchungshandlung, die der eingebürgerten Person mitgeteilt wird, beginnt eine neue zweijährige Verjährungsfrist zu laufen. Die Fristen stehen während eines Beschwerdeverfahrens still. Die Neuregelung löste die frühere fünfjährige Frist ab (vgl. AS 1952 1087; BGE 140 II 65 E. 2.3). Dass die Nichtigerklärung vorliegend fristgerecht erfolgte, ist nicht mehr umstritten.
 
3.
3.1. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer 1996 in die Schweiz einreiste und hier blieb, obwohl sein Asylgesuch abgewiesen und seine Wegweisung angeordnet worden waren. In dieser prekären Aufenthaltssituation lernte er eine 12 Jahre jüngere Schweizerin kennen, mit der er 2000 ein Kind hatte und die er am 3. August 2001 heiratete, worauf er eine Aufenthaltsbewilligung erhielt. Am 12. Dezember 2003 stellte er verfrüht ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung, am 11. Oktober 2004 reichte er ein zweites Gesuch ein. Dessen Behandlung wurde zeitweise sistiert, weil der Beschwerdeführer wegen Beschimpfung etc. zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 10 Tagen verurteilt worden war, nachdem er am 19. März 2005 gegenüber einer Patrouille der Bahnpolizei, die ihn kontrollieren wollte, ausfällig geworden war (Strafmandat des Untersuchungsrichteramts III Bern-Mittelland vom 22. April 2005). Nachdem der Beschwerdeführer und seine Ehefrau am 29. November 2008 die gemeinsame Erklärung, in einer stabilen, auf die Zukunft gerichteten Gemeinschaft zu leben, unterzeichnet hatten, wurde der Beschwerdeführer am 28. Dezember 2008 erleichtert eingebürgert. Am 1. September 2009 verliess der Beschwerdeführer seine Familie und bezog eine eigene Wohnung. Die eheliche Gemeinschaft wurde nicht wieder aufgenommen; die Scheidung erfolgte am 28. Februar 2012. Am 15. November 2013 heiratete er eine Äthiopierin, die er nach eigenen Angaben 2011 kennengelernt hatte. Diese hatte allerdings bei der Asylbefragung angegeben, in die Schweiz einreisen zu wollen, um ihren Jugendfreund ("petit ami d'enfance") zu heiraten und mit ihm eine Familie zu gründen.
3.2. Gewisse Zweifel an der Lauterkeit der Heiratspläne des Beschwerdeführers erweckt schon der Umstand, dass der Eheschluss mit einer Schweizerin für ihn die einzige Möglichkeit darstellte, eine dauerhafte Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz zu erlangen. Obwohl sein Bleiberecht damit gesichert war, setzte er in der Folge alles daran, so rasch als möglich - bzw. sogar vor Ablauf der gesetzlichen Fristen - eingebürgert zu werden. Rund acht Monate, nachdem er dieses Ziel erreicht hatte, verliess er, für seine Ehefrau völlig überraschend, seine Familie. 2 ½ Jahre danach folgte die Scheidung, worauf er ein Jahr und neun Monate später seine zweite, äthiopische Ehefrau heiratete.
Diese Umstände lassen vermuten, dass der Beschwerdeführer Ende 2008, als er eingebürgert wurde, keineswegs die Absicht hatte, seine Ehe unbeschränkt weiterzuführen, sondern sie baldmöglichst zu beenden, was er rund 8 Monate danach auch tat, indem er Frau und Kinder verliess um alsdann, geschieden und als Schweizer Bürger, eine Äthiopierin in die Schweiz kommen zu lassen und zu heiraten.
3.3. Der Beschwerdeführer bringt zwar vor, seine Ehe sei Ende 2008 intakt gewesen. Zum Scheitern gebracht habe sie erst der Besuch seiner Schwester im Juli 2009. Seine Ehefrau habe sich dieser gegenüber sehr feindselig gezeigt. Das habe ihn so schwer getroffen, dass er kurz darauf ausgezogen sei.
Die Erklärung überzeugt nicht. Eheliche Schwierigkeiten bestanden schon länger. So wurde 2002 und zweimal 2004 die Polizei alarmiert wegen Familienstreitigkeiten; einmal wurde der Beschwerdeführer für eine Nacht aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen. Die Ehefrau hat denn auch auf die schon vor der Ehe bestehenden finanziellen Schwierigkeiten ("Working-Poor-Familie") und die Problematik von bi-nationalen Ehen bzw. deren fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz hingewiesen. Die Ehe war somit offensichtlich bereits Ende 2008 stark belastet. Auch wenn die Ehefrau (jedenfalls bis zum Auszug des Beschwerdeführers) gewillt war, die Ehe trotz dieser Spannungen weiterzuführen, so bedeutet das nicht, dass dieser Wille auch beim Ehemann vorhanden war. Der Konflikt um die Beherbergung seiner Schwester im Juli 2009 stellt offenkundig kein isoliertes Ereignis dar, sondern eine Eskalation schon lange vorbestehender Meinungsverschiedenheiten. Die Ehefrau wollte die knappen finanziellen Mittel der Familie im Wesentlichen für ihre Kernfamilie einsetzen, währenddem es sich der Beschwerdeführer nicht nehmen lassen wollte, auch seine Verwandten in Äthiopien zu unterstützen und, im Falle seiner Schwester, grosszügig zu beherbergen und in einem das Familienbudget sprengenden Mass zu beschenken. Der Beschwerdeführer vermag daher mit dem Einwand, der Besuch seiner Schwester habe zum Bruch mit seiner Frau geführt, die Vermutung nicht zu widerlegen, dass er bereits Ende 2008 entschlossen war, die Ehe nach der erfolgreichen Einbürgerung zum Scheitern zu bringen. Dazu passt, dass er nicht einmal versuchte, seine Ehefrau auf den Konflikt um den Besuch seiner Schwester anzusprechen und ihn im Gespräch zu klären, sondern ohne weitere Erklärungen aus der Familienwohnung auszog. Der Besuch war damit für den Beschwerdeführer nicht Anlass, die Ehe zu beenden, sondern diente ihm vielmehr als blosser Vorwand. Ob er diese Absicht bereits von Anfang hatte, wie die Vorinstanz argwöhnt, oder ob er diesen Entschluss erst später fasste, als die Ehe nicht so verlief, wie er es sich vorgestellt hatte, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben. Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet.
4. Die Beschwerde ist dementsprechend abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
4. Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatssekretariat für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 18. Mai 2017
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Das präsidierende Mitglied: Karlen
Der Gerichtsschreiber: Störi