BGer 6B_481/2016
 
BGer 6B_481/2016 vom 06.03.2017
6B_481/2016
 
Urteil vom 6. März 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Held.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Werner Schib,
Beschwerdeführer,
gegen
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einsprache gegen Strafbefehl; Gültigkeit der Einsprache,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 14. März 2016.
 
Erwägungen:
 
1.
Die Staatsanwaltschaft sprach mit Strafbefehl vom 10. Juli 2014 gegen X.________ wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 560.- sowie eine Busse von Fr. 2'500.- aus. Der eingeschriebene Strafbefehl wurde am 11. Juli 2014 an der von X.________ angegebenen Adresse zur Abholung gemeldet und am 21. Juli 2014 als "nicht abgeholt" an die Staatsanwaltschaft retourniert. X.________ ersuchte am 22. August 2014 bei der Staatsanwaltschaft um Wiederherstellung der Einsprachefrist und erhob gleichzeitig Einsprache gegen den Strafbefehl. Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest, überwies die Akten dem Bezirksgericht Lenzburg und sistierte das Verfahren im Hinblick auf das Gesuch um Wiederherstellung der Einsprachefrist.
Mit Verfügung vom 18. Januar 2016 stellte das Bezirksgericht die Rechtskraft des Strafbefehls vom 10. Juli 2014 fest. Die hiergegen von X.________ erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau am 14. März 2016 ab.
 
2.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der Entscheid des Obergerichts sei aufzuheben. Es sei festzustellen, dass die Einsprache gegen den Strafbefehl gültig ist, und die Angelegenheit sei an das Bezirksgericht zur Durchführung des Hauptverfahrens zurückzuweisen. X.________ ersucht um aufschiebende Wirkung der Beschwerde.
Der Beschwerdeführer rügt sinngemäss eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren. Zwar sei durch die polizeiliche Einvernahme ein Prozessverhältnis entstanden, jedoch hätten ihn die Strafverfolgungsbehörden ungenügend über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt und ihn nicht ausdrücklich und schriftlich auf die Zustellfiktion, die einen gravierenden Eingriff in die verfassungsmässigen Rechte darstelle, hingewiesen. Der von ihm vor Ort aufgrund der polizeilichen Anhaltung in einer emotionalen Situation unterschriebenen Belehrung seien die durch die Einvernahme entstandenen Rechte und Pflichten nicht zu entnehmen. Selbst wenn die Zustellfiktion zur Anwendung käme, hätten die Strafverfolgungsbehörden gestützt auf Treu und Glauben weitere Vorkehrungen treffen müssen, insbesondere wäre eine erneute Zustellung per A-Post oder durch die Polizei angezeigt gewesen. Zusammenfassend basiere die Begründung der Vorinstanz auf der Annahme einer doppelten Fiktion, nämlich der fingierten Zustellung, durch die die Einsprachefrist ausgelöst wird, und dem darauf basierenden fingierten Einverständnis mit dem "Urteilsvorschlag". Dies sei mit einem fairen rechtsstaatlichen Verfahren nicht vereinbar.
 
3.
Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss die Rechtsstandpunkte, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, erneut bekräftigen, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen und im Einzelnen aufzuzeigen, worin eine Verletzung von Bundesrecht liegt (BGE 140 III 115 E. 2 S. 116).
 
4.
Die Rügen erweisen sich als unbegründet, soweit sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 BGG genügen. Der Beschwerdeführer setzt sich mit dem angefochtenen Entscheid allenfalls rudimentär auseinander und wiederholt im Wesentlichen seine bereits im kantonalen Verfahren erhobene Kritik am Institut des Strafbefehls und dessen verfahrensrechtlicher Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. Er übersieht, dass unabhängig davon, ob seine Kritik an der gesetzlichen Zustellfiktion begründet ist, gemäss Art. 190 BV Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend sind. Das Bundesgericht und die kantonalen Gerichte müssen die Vorschriften über das Strafbefehlsverfahren selbst dann anwenden, wenn diese - wie vom Beschwerdeführer gerügt - gegen seinen verfassungsmässig und völkerrechtlich garantierten Anspruch auf ein faires Verfahren (vgl. Art. 9 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verstossen sollten. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die allenfalls erforderlichen Anpassungen und Neuregelungen im Hinblick auf ein rechtsstaatliches Strafbefehlsverfahren vorzunehmen (vgl. BGE 139 I 180 E. 2.2 mit Hinweisen).
Dass die Vorinstanz Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO falsch angewendet habe, behauptet der Beschwerdeführer nicht. Warum die gesetzliche Zustellfiktion, die keine prozessuale Besonderheit des Strafbefehlsverfahrens darstellt, sondern für alle Zustellungen gemäss StPO gilt (vgl. zu identischen Regelungen: Art. 138 Abs. 3 lit. a ZPO; Art. 44 Abs. 2 BGG; Art. 20 Abs. 2bis VwVG), auf den Fall des Beschwerdeführers trotz bestehenden Verfahrensverhältnisses, während dem mit einer Zustellung zu rechnen ist (vgl. hierzu: Urteile 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 141 IV 286; 6B_704/2015 vom 16. Februar 2016 E. 2.3), keine Anwendung finden soll, legt er nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Soweit er vorbringt, diverse Strafbehörden würden bei Retournierung eingeschriebener Postsendungen eine Kopie derselben mit Hinweis auf den infolge der Zustellfiktion ausgelösten Fristenlauf nochmals per A-Post verschicken, kann er hieraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Die Praxis erscheint zwar im Strafbefehlsverfahren angesichts der kurzen 10-tägigen Einsprachefrist als sinnvoll, jedoch weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass die StPO ein derartiges Vorgehen nicht vorschreibt und der Zeitpunkt der (fingierten) Zustellung hierdurch nicht verschoben wird.
 
5.
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. Die Verfahrenskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 6. März 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Held