BGer 6B_681/2016
 
BGer 6B_681/2016 vom 13.02.2017
6B_681/2016
 
Urteil vom 13. Februar 2017
 
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Hochuli.
 
Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Flurin Turnes,
Beschwerdeführerin,
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Einfache Verletzung der Verkehrsregeln,
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 30. März 2016.
 
Sachverhalt:
A. X.________ fuhr am 20. August 2014 um 17.15 Uhr mit ihrem Personenwagen auf der Bernrainstrasse von Kreuzlingen her über den Schwaderlohkreisel und die erste Kreiselausfahrt auf die Zufahrtsstrasse zur Autobahn A7. In gleicher Fahrtrichtung rechts entlang der Bernrainstrasse führt parallel ein Fahrradweg, welcher gleich nach dem Kreisel die Zufahrtsstrasse im rechten Winkel kreuzt und gegenüber der Zufahrtsstrasse vortrittsbelastet ist (Signal "Kein Vortritt" und Wartelinie; Art. 36 Abs. 2 und 75 Abs. 3 der Signalisationsverordnung vom 5. September 1979 [SSV; SR 741.21]; Signal 3.02 und Markierung 6.13). Dort hatte ein ebenfalls von Kreuzlingen herannahender 73-jähriger Radfahrer beim Überqueren der Fahrbahn die Mittelinsel der Zufahrtsstrasse mit dem Vorderrad schon erreicht, als der Personenwagen mit der äussersten linken Seite das Hinterrad des Fahrrades streifte und den Radfahrer zu Fall brachte.
B. Mit Strafbefehl vom 5. März 2015 sprach die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen X.________ der fahrlässig begangenen einfachen Verletzung von Verkehrsregeln (Nichtbeherrschen des Fahrzeugs) schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von Fr. 350.--.
X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl. Das Bezirksgericht Kreuzlingen bestätigte am 5. Oktober 2015 sowohl den Schuldspruch als auch die Busse.
Das Obergericht des Kantons Thurgau wies die von X.________ hiegegen erhobene Berufung am 30. März 2016 ab.
C. X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und sie sei freizusprechen. Die Kosten seien der Staatskasse aufzuerlegen. Der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
 
Erwägungen:
1. Die Beschwerdeführerin beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen. Sie habe aufgrund des angefochtenen Urteils gemäss Ankündigung des Strassenverkehrsamtes des Kantons Thurgau vom 13. Mai 2016 mit der Administrativmassnahme eines einmonatigen Führerausweisentzuges zu rechnen.
Die strafrechtliche Beschwerde hat unter Vorbehalt von Art. 103 Abs. 2 lit. b BGG in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Indessen kann der Instruktionsrichter über die aufschiebende Wirkung eine andere Anordnung treffen (Art. 103 Abs. 3 BGG). Wie der Beschwerdeführerin am 17. Juni 2016 mitgeteilt wurde, können nur die im Urteil direkt angeordneten Rechtsfolgen suspendiert werden, nicht aber allfällige Administrativmassnahmen. Die Beschwerdeführerin belegt nicht, dass Vollzugsmassnahmen angeordnet wurden oder unmittelbar bevorstünden, und begründet keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 103 BGG (Urteil 6B_719/2016 vom 13. Oktober 2016 E. 2 mit Hinweisen). Worin der für sie "schwere Nachteil" des kurzfristigen Ausweisentzuges bestehe, legt sie nicht dar. Auf das Gesuch ist nicht einzutreten.
2. Die Beschwerdeführerin bemängelt die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz. Es sei absurd, dass man ihr die Aussage unterstelle, sie habe gerade dann auf die Zeitanzeige des Displays am Armaturenbrett geschaut, als sie aus dem Kreisel heraus mit einer Wendung nach rechts in die Zufahrtsstrasse zur Autobahn eingefahren sei.
2.1. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 139 II 404 E. 10.1 S. 445 mit Hinweisen; vgl. zum Willkürbegriff: BGE 138 I 305 E. 4.3 S. 319 mit Hinweis). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253).
Vorliegend bildet ausschliesslich eine Übertretung Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens (Art. 398 Abs. 4 StPO). In diesem Fall prüft das Bundesgericht frei, ob die Vorinstanz auf eine gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachte Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung hin zu Unrecht Willkür verneint hat. Die Beschwerdeführerin muss sich bei der Begründung der Rüge, die Vorinstanz habe Willkür zu Unrecht verneint, auch mit den Erwägungen der ersten Instanz auseinandersetzen (Urteil 6B_969/2016 vom 12. Dezember 2016 E. 2 mit Hinweisen).
2.2. Die Vorinstanz verweist für den Sachverhalt (angefochtenes Urteil E. 2b/bb) auf die diesbezüglich im Berufungsverfahren unbeanstandet gebliebene Beweiswürdigung gemäss erstinstanzlichem Entscheid (S. 7 ff.). Demnach sagten beide Zeugen aus, die Beschwerdeführerin habe nach dem Unfall mit ihnen gesprochen. Dabei habe sie gesagt, sie habe kurz auf die Uhranzeige geschaut, sei vermutlich deshalb abgelenkt gewesen und habe folglich den Fahrradfahrer erst im letzten Moment gesehen. Ob sie während der Kreisel-Einfahrt oder -Ausfahrt auf die Uhranzeige geschaut habe, liess die erste Instanz offen. Gemäss angefochtenem Urteil (E. 2b/cc) ändert nichts am Vorwurf der mangelnden Aufmerksamkeit, wenn die Beschwerdeführerin schon vor der Einfahrt in den Kreisel auf die Uhranzeige geschaut hätte. Denn während sie sich bei der Kreiseleinfahrt ohnehin nach links auf den vortrittsberechtigten Verkehr habe konzentrieren müssen, hätte sie nach der Einfahrt ihren Blick sofort wieder in Fahrtrichtung wenden und auf die beabsichtigte erste Kreiselausfahrt ausrichten sollen. Hätte sie dies getan, hätte sie den Fahrradfahrer rechtzeitig erblickt und eine Kollision vermeiden können und müssen. Aufgrund der Berechnungen der Staatsanwaltschaft habe der vortrittsbelastete Fahrradfahrer bei einer Geschwindigkeit von 5 km/h die Wartelinie auf dem Fahrradweg am Rande der Zufahrtsstrasse überfahren, als die Beschwerdeführerin bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 20-30 km/h noch ca. 8 Meter von der Kreiseleinfahrt entfernt war. Dies decke sich mit der unbestrittenen Zeugenaussage, wonach der Fahrradfahrer bereits beim Überqueren der Zufahrtsstrasse auf der Fahrbahn war, als die Beschwerdeführerin in den Kreisel einfuhr. Bei genügender Aufmerksamkeit (Art. 31 Abs. 1 SVG und Art. 3 Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]) hätte die Beschwerdeführerin den Fahrradfahrer spätestens bei der Ausfahrt aus dem Kreisel erkennen und reagieren müssen. Die Kollision wäre vermeidbar gewesen. Es hätte genügend Platz gehabt, um hinter dem Radfahrer am rechten Fahrbahnrand vorbei zu fahren (Art. 34 Abs. 1 SVG), und es hätte auch genügend Zeit für ein rechtzeitiges Bremsmanöver zur Verfügung gestanden.
2.3. 
2.3.1. Entgegen den Behauptungen der Beschwerdeführerin wirft ihr die Vorinstanz nicht vor, während der Kreiselausfahrt auf die Uhranzeige geschaut zu haben. Vielmehr macht sie ihr zum Vorwurf, nicht frühzeitig genug mit der erforderlichen Aufmerksamkeit den vortrittsbelasteten Fahrradfahrer erkannt und die nötigen Massnahmen (Fahren am rechten Strassenrand und/oder rechtzeitiges Einleiten eines Bremsmanövers) zur Vermeidung der Kollision mit dem Hinterrad des Fahrrades ergriffen zu haben. Jedenfalls ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden, soweit die Vorinstanzen aus den Zeugenaussagen und der Aussage der Beschwerdeführerin darauf schlossen, dass Letztere zumindest vor der Einfahrt in den Kreisel auf die Uhranzeige schaute und dabei kurzfristig von der Aufmerksamkeit auf den Verkehr abgelenkt war, als der Radfahrer bereits mit dem Überqueren der Zufahrtsstrasse begonnen hatte.
2.3.2. Die Beschwerdeführerin wiederholt ihren vorinstanzlichen Einwand, wonach der vortrittsbelastete Fahrradfahrer ihr Vortrittsrecht in Verletzung von Verkehrsregeln missachtet habe. Sie habe nach dem Vertrauensgrundsatz (Art. 26 SVG) davon ausgehen dürfen, andere Verkehrsteilnehmer würden sich ordnungsgemäss verhalten. Diesbezüglich argumentiert die Beschwerdeführerin widersprüchlich. Angeblich war die Verkehrssituation für den Fahrradfahrer beim Kreisel und bei der Überquerung der Zufahrtsstrasse vom Fahrradweg aus mit der nötigen Aufmerksamkeit überblickbar gewesen, so dass er ihr hätte den Vortritt gewähren können und müssen. Umgekehrt soll ihr selber bei der Zufahrt zum Kreisel die Beachtung des Fahrradfahrers auf dem am rechten Strassenrand parallel verlaufenden Fahrradweg nicht zumutbar gewesen sein, weil sie sich auf den im Kreisel von links kommenden Verkehr habe konzentrieren müssen. Dass ihr bei der gebotenen Aufmerksamkeit auf den Verkehr (Art. 3 VRV) anstatt auf die Uhranzeige ein Blick auf den Fahrradfahrer, welcher im Zeitpunkt der Einfahrt in den Kreisel bereits mit dem Überqueren der Zufahrtsstrasse begonnen hatte, nicht möglich gewesen wäre, behauptet die Beschwerdeführerin zu Recht nicht.
2.3.3. Zwar muss ein kurzer Blick auf die Uhr, wenn es die Verkehrssituation erlaubt, nicht zum Vorwurf der ungenügenden Aufmerksamkeit führen (Urteil 1C_183/2016 vom 22. September 2016 E. 2.1.1 mit Hinweisen). Doch hatte die Beschwerdeführerin die geforderte Aufmerksamkeit bei der Anfahrt zum Kreisel der ganzen Strassenbreite zu widmen, wobei das zu beachtende Umfeld auch den Radstreifen umfasst (Andreas Roth, in: Niggli/Probst/Waldmann [Hrsg.], Strassenverkehrsgesetz, Basler Kommentar, 2014, N. 47 zu Art. 31 SVG). Vor der Kreiseleinfahrt hatte sie zudem die Geschwindigkeit zu mässigen und dem von links herannahenden Verkehr den Vortritt zu lassen (Art. 41b Abs. 1 VRV). Spätestens unmittelbar nach der Einfahrt in den Kreisel musste sie erkennen, dass sie der vortrittsbelastete Fahrradfahrer nicht gesehen haben könnte, weshalb sie gegen die Sorgfaltsregel von Art. 26 Abs. 2 SVG verstiess (vgl. PHILIPPE WEISSENBERGER, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Aufl. 2015, N. 49 zu Art. 26 SVG), wenn sie ab diesem Zeitpunkt nicht unverzüglich die nötigen Massnahmen (Fahren am rechten Strassenrand und/oder rechtzeitiges Bremsmanöver) einleitete. Hätte sie dies getan, wäre es nicht zur Streifkollision von der linken Seite des Personenwagens mit dem Hinterrad des Fahrrades gekommen und der Fahrradfahrer nicht gestürzt. Gemäss angefochtenem Entscheid wäre eine Kollision mit dem Fahrradfahrer bei vorschriftsgemässer Fahrweise (Art. 34 Abs. 1 SVG) - sogar trotz Unaufmerksamkeit und nicht erfolgtem Bremsmanöver - nicht erfolgt. Eine willkürliche Beweiswürdigung der ersten Instanz wird nicht substanziiert geltend gemacht (vgl. E. 2.1 hievor) und ist nicht ersichtlich.
2.4. Nach dem Gesagten ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden.
3. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2. Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3. Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Februar 2017
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Denys
Der Gerichtsschreiber: Hochuli