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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
[img]
{T 0/2}
9C_594/2016
Urteil vom 18. November 2016
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichterin Glanzmann, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner,
Gerichtsschreiber R. Widmer.
Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Studer,
Beschwerdeführer,
gegen
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 20. Juli 2016.
Sachverhalt:
A.
A.________ zog sich am 22. Dezember 2007 bei einem Verkehrsunfall zahlreiche Verletzungen, u.a. ein Schädel-Hirntrauma, zu. Für die Folgen des Unfalls erbrachte die SWICA Gesundheitsorganisation die gesetzlichen Leistungen. Im September 2010 trat A.________ eine Vollzeitstelle als Koch bei der Genossenschaft Migros an, wobei die IV-Stelle des Kantons Thurgau bis 31. Januar 2011 einen Einarbeitungszuschuss bezahlte. Für die Zeit vom 1. Dezember 2008 bis 31. Oktober 2009 sprach die IV-Stelle dem Versicherten eine ganze Invalidenrente zu (Verfügung vom 18. Februar 2011). Für den Zeitraum ab 1. November 2009 setzte sie den Invaliditätsgrad auf 38 % fest. Diese Verfügung blieb unangefochten. Auf den 30. September 2012 wurde der Arbeitsvertrag mit der Genossenschaft Migros aufgelöst. In der Folge war der Versicherte an verschiedenen Stellen als Küchenmitarbeiter tätig. Am 17. März 2015 meldete sich A.________ wiederum bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Er wies auf den Verlust der Stelle bei der Migros und eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hin. Gestützt auf ein vom Unfallversicherer bei der B.________ AG, eingeholtes polydisziplinäres Gutachten vom 15. September 2015 verneinte die IV-Stelle mit Verfügungen vom 29. März 2016 sowohl einen Rentenanspruch als auch einen Anspruch auf berufliche Massnahmen (Invaliditätsgrad von 32 %).
B.
A.________ liess Beschwerde führen mit den Anträgen, unter Aufhebung der Verfügungen vom 29. März 2016 seien ihm ab 1. November 2015 eine Viertelsrente und berufliche Eingliederungsmassnahmen zuzusprechen. Mit Entscheid vom 20. Juli 2016 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
2.1. Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG) und die Prüfung einer Neuanmeldung nach vorangegangener Ablehnung eines Invalidenrentengesuchs (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 2 IVV) unter Hinweis auf das Urteil 9C_733/2007 vom 3. April 2008 E. 3.1 richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen ist, dass für die Bestimmung des Invaliditätsgrades Art. 16 ATSG massgebend ist. Es wird das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälligen Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre.
2.2. Die Vorinstanz stellte in Bezug auf die Invaliditätsbemessung einleitend fest, der von der Unfallversicherung ermittelte Invaliditätsgrad sei für die Invalidenversicherung nicht verbindlich. Sie hielt hinsichtlich des hypothetischen Einkommens ohne Invalidität (Valideneinkommen) fest, dass von den Angaben des früheren Arbeitgebers ausgegangen werden könne. Für das Jahr 2015 resultiere nach Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung ein hypothetisches Einkommen von Fr. 97'148.-. Für die Festlegung des Invalideneinkommens stellte das kantonale Gericht auf das Total gemäss Tabelle TA 1 Kompetenzniveau 1, Männer, der Lohnstrukturerhebung 2012 des Bundesamtes für Statistik (LSE) ab, woraus sich nach Berücksichtigung der Nominallohnentwicklung und einer betriebsüblichen wöchentlichen Arbeitszeit von 41,7 Stunden ein Invalideneinkommen von Fr. 66'309.- ergab. Verglichen mit dem Valideneinkommen von Fr. 97'148.- resultierte ein Invaliditätsgrad von 32 %, der keinen Rentenanspruch begründet.
2.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz habe Bundesrecht verletzt, indem sie den höheren Invaliditätsgrad, der sich in der Unfallversicherung ergab (46 %), ausser Acht gelassen habe, obwohl der Invaliditätsbemessung der Invalidenversicherung und der Unfallversicherung der gleiche Gesundheitsschaden und die gleichen Tatsachen in erwerblicher Hinsicht zugrunde gelegen hätten. Art. 16 ATSG sei in der Invalidenversicherung und Unfallversicherung gleichermassen anwendbar. Zu Unrecht habe die Vorinstanz sodann das Invalideneinkommen in Abweichung von dem vom Unfallversicherer angenommenen Wert (Fr. 55'182.45) auf Fr. 66'309.- festgesetzt. Da die Tätigkeit als Koch in untergeordneter Funktion laut Gutachten der B.________ AG als angepasste Arbeit in Betracht fällt, lasse es sich nicht begründen, anstelle der von der Unfallversicherung als massgebend erachteten Löhne im Gastgewerbe die Löhne im allgemeinen Hilfsarbeitersektor heranzuziehen. Ferner sei aufgrund der zunehmenden neuropsychologischen Störungen ein leidensbedingter Abzug vom Tabellenlohn vorzunehmen.
2.4. In BGE 133 V 549 hat das Bundesgericht zwar den Grundsatz der Einheitlichkeit des Invaliditätsbegriffs (BGE 126 V 288) wiederholt, wonach bei gleichem Gesundheitsschaden die Invaliditätsbemessung in der Invalidenversicherung, der Unfallversicherung und der Militärversicherung denselben Invaliditätsgrad ergeben soll (E. 6.1 S. 553). Eine Bindungswirkung der Invaliditätsschätzung der Unfallversicherung für die Invalidenversicherung hat es jedoch verneint (siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung MEYER/REICHMUTH, Rechtsprechung zum IVG, 3.A., NN 112 ff. zu Art. 4, besonders N 120).
2.5. Die unterschiedlichen Ergebnisse der Invaliditätsbemessung der Unfallversicherung (46 % ab 1. November 2015) und der IV-Stelle (32 %) sind laut Ausführungen des kantonalen Gerichts einzig darauf zurückzuführen, dass die IV-Stelle auf die im allgemeinen Hilfsarbeitersektor massgebenden Tabellen der LSE abgestellt hat, die Unfallversicherung aber auf die Tabellenlöhne im Gastgewerbe. Bei der Frage nach der anwendbaren Tabelle der LSE handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei prüft (BGE 132 V 393 E. 3.3 S. 399).
2.6. Der angefochtene Entscheid lässt eine stichhaltige Begründung dafür vermissen, weshalb für das Invalideneinkommen auf die Tabelle für Hilfsarbeiter statt auf die Tabellenlöhne im Gastgewerbe abgestellt worden ist. Diesbezüglich hat die Vorinstanz auf die Verfügung der IV-Stelle vom 29. März 2016 verwiesen. Diese hat dazu lediglich festgehalten, bei versicherten Personen, die nach Eintritt des Gesundheitsschadens lediglich noch leichte und intellektuell nicht anspruchsvolle Arbeiten verrichten können, sei vom durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn ("Total") für Männer im tiefsten Kompetenzniveau 1 auszugehen. Diese vom kantonalen Gericht für die Wahl des Durchschnittslohns gemäss Kompetenzniveau 1 der LSE 2012 herangezogene Begründung lässt sich nicht als bundesrechtswidrig bezeichnen. Dass sich dadurch im Vergleich zum Tabellenlohn im Gastgewerbe, auf welchen die Unfallversicherung für die Festsetzung des Invalideneinkommens abgestellt hat, erhebliche Unterschiede ergeben, indem der von der IV-Stelle bemessene Invaliditätsgrad unter der für einen Rentenanspruch erforderlichen Mindesthöhe von 40 % liegt, trifft zu; diese abweichenden Resultate sind jedoch mangels Verbindlichkeit des von der Unfallversicherung ermittelten Invaliditätsgrades für die Invalidenversicherung und wegen Fehlens einer expliziten gesetzlichen Regelung zur Handhabung der LSE-Tabellen für die Belange der Invaliditätsschätzung nicht Grund dafür, dass die Invalidenversicherung die Bemessungsmethode der Unfallversicherung oder das daraus hervorgegangene Ergebnis zu übernehmen hätte. Das Argument des Beschwerdeführers, der Einkommensvergleich müsse bei Vorliegen des gleichen Gesundheitsschadens zum gleichen Invaliditätsgrad führen, ist im Verhältnis der Invaliden- und Unfallversicherung nicht stichhaltig (E. 2.4 hievor).
2.7. Die übrigen Einwendungen gegen die Invaliditätsbemessung sind unbegründet. Soweit der Versicherte geltend macht, das Valideneinkommen müsse um Fr. 1'000.- erhöht werden, weil er ohne Invalidität auch nach dem Unfall ab 2008 Überstunden geleistet hätte, kann ihm nicht gefolgt werden. Ob er Überstunden geleistet hätte, ist als hypothetische Tatfrage einer letztinstanzlichen Überprüfung nicht zugänglich, soweit keine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts vorliegt, was hier verneint werden kann. Ob die Gutachter der B.________ AG festgestellt haben, die Arbeit als Koch in untergeordneter Funktion entspreche einer angepassten Tätigkeit, ist nicht entscheidend, kennt doch der ausgeglichene Arbeitsmarkt zahlreiche Erwerbsmöglichkeiten, deren Profil den unfallbedingt eingeschränkten Fähigkeiten des Versicherten entspricht. Eine Bundesrechtsverletzung ist nicht erkennbar.
Weiter trifft zu, dass die Vorinstanz von einem leidensbedingten Abzug vom Invalideneinkommen abgesehen hat. Der Beschwerdeführer vermag indessen nicht darzutun, inwiefern sie dadurch Bundesrecht verletzt haben soll. Im Übrigen würde sich auch mit einem Abzug von 10 % nichts am Ergebnis ändern. Das Invalideneinkommen würde sich alsdann von Fr. 66'687.- auf Fr. 60'018.- vermindern. Der Invaliditätsgrad würde sich bei einem Valideneinkommen von Fr. 98'073.- gemäss vorinstanzlich bestätigter Verfügung vom 29. März 2016 auf aufgerundet 39 % (Fr. 98'073.- - Fr. 60'018.- x 100 : Fr. 98'073.-) belaufen. Ein höherer leidensbedingter Abzug liesse sich jedenfalls nicht rechtfertigen.
Eine Verletzung der Rechtsgleichheit ist sodann nicht ersichtlich. Weder die Ermittlung eines tieferen Invaliditätsgrades als in der ursprünglichen Verfügung noch die Differenz zum Invaliditätsgrad, den die Unfallversicherung anerkannt hat, erweisen sich als verfassungswidrig.
Eine Ermessensunterschreitung der Vorinstanz, welche als Rechtsverletzung einer Korrektur durch das Bundesgericht zugänglich wäre, liegt nicht vor. Aus dem Urteil 8C_676/2010 vom 11. Februar 2011 E. 4.3.1 (Plädoyer 2011 5 S. 55) vermag der Beschwerdeführer in Bezug auf die von ihm behauptete Ermessensunterschreitung der Vorinstanz nichts abzuleiten. Das zitierte Urteil befasst sich mit der Höhe des Honorars eines unentgeltlichen Rechtsvertreters und hält fest, dass eine unzulässige Beschränkung der Ermessensausübung vorläge, wenn eine generelle schematische Beschränkung des Stundenansatzes für den unentgeltlichen Rechtsbeistand im Verwaltungsverfahren auf Fr. 200.- vorgenommen würde. Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt nicht vor. Dass eine Ermessensunterschreitung angenommen werden müsse, "wenn generell das unterste Limit des Spielraums berücksichtigt wird", hat das Bundesgericht im Urteil 8C_676/2010 vom 11. Februar 2011 entgegen den Aussagen des Beschwerdeführers nicht festgestellt. Schliesslich kann der Vorinstanz auch nicht eine Verletzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV) vorgeworfen werden. Mit der Auswahl der Grundlagen für den Einkommensvergleich ist das kantonale Gericht im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens geblieben, weshalb eine Verletzung des Prinzips der Verhältnismässigkeit nicht gegeben ist (vgl. unveröffentlichte E. 1.2 von BGE 139 I 145).
3.
3.1. Der Beschwerdeführer macht nicht mehr geltend, Anspruch auf eine Umschulung zu haben. Hingegen beantragt er, es sei ihm Arbeitsvermittlung zu gewähren. Zur Begründung bringt er vor, die Folgerung der Vorinstanz, er habe keinen Anspruch auf Arbeitsvermittlung, da keine spezifische Einschränkung gesundheitlicher Art gegeben ist, sei unhaltbar. Aus dem Verlauf der Eingliederungsmassnahme gehe deutlich hervor, dass er ohne Hilfe der IV-Stelle niemals ein Invalideneinkommen in der Grössenordnung des Lohnes, den er an seiner früheren, adaptierten Stelle bei der Migros verdiente, werde erzielen können. Das kantonale Gericht habe auch im Zusammenhang mit dem Antrag auf berufliche Massnahmen Art. 61 lit. c ATSG verletzt.
3.2. Arbeitsunfähige Versicherte, welche eingliederungsfähig sind, haben Anspruch auf aktive Unterstützung bei der Suche eines geeigneten Arbeitsplatzes (Art. 18 Abs. 1 lit. a IVG). Zur Begründung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung genügt der Eintritt einer (teilweisen) Arbeitsunfähigkeit, welche quantitativ, qualitativ und zeitlich so beschaffen sein muss, dass sie den Versicherten bei der Arbeitssuche erheblich behindert. Vorausgesetzt ist die Eingliederungsfähigkeit des Versicherten, d.h. seine objektive Möglichkeit und subjektive Bereitschaft, von einem durchschnittlichen Arbeitgeber angestellt zu werden. Ist die Arbeitsfähigkeit einzig insoweit eingeschränkt, als dem Versicherten leichte Tätigkeiten voll zumutbar sind, bedarf es zur Begründung des Anspruchs auf Arbeitsvermittlung zusätzlich einer spezifischen Einschränkung gesundheitlicher Art (MEYER/REICHMUTH, a.a.O., Art. 18 N. 3 ff.). Auf diesen Umstand hat bereits die Vorinstanz hingewiesen, und der Beschwerdeführer vermag nicht darzutun, worin eine solche spezifische Einschränkung bestehen sollte. Dem Antrag auf Arbeitsvermittlung ist daher nicht stattzugeben.
4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 18. November 2016
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Glanzmann
Der Gerichtsschreiber: Widmer