BGer 1C_606/2012
 
BGer 1C_606/2012 vom 05.06.2013
{T 1/2}
1C_606/2012, 1C_608/2012
 
Urteil vom 5. Juni 2013
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli, Karlen, Chaix,
Gerichtsschreiber Haag.
 
Verfahrensbeteiligte
1C_606/2012
Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) (Referendumskomitee Stopp fremde Steuervögte),
Pirmin  Schwander, p.A. Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS),
Beschwerdeführer, beide vertreten durch Fürsprecher Christian Gerber,
und
1C_608/2012
Hans Anton  Keller, Beschwerdeführer,
gegen
Schweizerische Bundeskanzlei, Bundeshaus West, 3003 Bern.
Gegenstand
Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 betreffend das Nicht-Zustandekommen des Referendums gegen den Bundesbeschluss vom 15. Juni 2012 über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich,
Beschwerden gegen die Verfügung vom 30. Oktober 2012 der Schweizerischen Bundeskanzlei.
 
Sachverhalt:
A. Die vom Bundesrat mit Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Österreich ausgehandelten Staatsverträge über die Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt wurden im Bundesblatt 2012 5039 ff., 5157 ff. und 5335 ff. veröffentlicht. Die Bundesversammlung erliess am 15. Juni 2012 entsprechende Bundesbeschlüsse über die Genehmigung der Abkommen. Die Abkommen unterstanden dem fakultativen Referendum. Die Referendumsfrist von 100 Tagen (Art. 141 Abs. 1 BV) lief für diese Bundesbeschlüsse am 27. September 2012 ab (BBl 2012 5823, 5825, 5827).
B. Am 27. September 2012 reichten das Referendumskomitee «Stopp fremde Steuervögte», die Junge SVP Schweiz, ein Referendumskomitee Steuerabkommen und die Lega dei Ticinesi gegen das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich bei der Bundeskanzlei um 16.30 h nach eigenen Angaben folgende Unterschriftenzahlen ein:
1. das Referendumskomitee «Stopp fremde Steuervögte», die Junge SVP Schweiz und das Referendumskomitee Steuerabkommen gemeinsam:
a) 41 647 Unterschriften;
b)ein ungeöffnetes Postpaket mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer Unterschriften und
c)einen weiteren Karton mit einer nicht bekannten Anzahl weiterer Unterschriften;
2. die Lega dei Ticinesi 5014 Unterschriften.
C. Die Bundeskanzlei kontrollierte die Unterschriften vom Donnerstagabend, 27. September bis und mit Montag, 1. Oktober 2012. Die Kontrolle ergab für das Referendum über den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich 47'363 gültige und 191 ungültige Unterschriften. Dabei zeigte sich, dass für eine korrekte Erhebung des Zustandekommens verschiedentlich einzelne Unterschriftenlisten zu einem der anderen beiden Referenden oder aber zu Gemeinden anderer Kantone umgeteilt werden mussten. Auch betrafen verschiedene Unterschriftenlisten unter den Referenden zu den Steuerabkommen mit Deutschland oder Österreich das Steuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich. Diese Umteilungen wurden von der Bundeskanzlei laufend vorgenommen.
D. Mit Verfügung vom 30. Oktober 2012 hielt die Schweizerische Bundeskanzlei fest, dass das Referendum gegen den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich nicht zustande gekommen sei, da die notwendigen 50'000 Unterschriften innert der Sammelfrist von 100 Tagen nicht eingereicht worden seien (BBl 2012 8575).
E. Der Verein Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS, Referendumskomitee "Stopp fremde Steuervögte") und dessen Präsident Nationalrat Pirmin Schwander haben am 28. November 2012 beim Bundesgericht eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen die Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 eingereicht. Sie beantragen, es sei festzustellen, dass das Referendum gegen den Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und dem Vereinigten Königreich und des Protokolls zur Änderung dieses Abkommens zustande gekommen sei. Eventuell sei die Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.
F. Mit Beschwerde an das Bundesgericht vom 28. November 2012 stellt zudem Anton Keller in Bezug auf die Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 zum Nicht-Zustandekommen des Referendums folgende Anträge:
"1. Es sei festzustellen, dass die nicht bedarfsgerechte, die nicht zweckmässige und/oder die nicht zeitgemässe Handhabung der Unterschriftenbeglaubigung durch eine signifikante Anzahl dafür zuständiger Behörden die Verfassungs-Garantie zu den politischen Rechten verletzte, auf welche auch der Beschwerdeführer Anspruch hat.
2. Es seien die Nichtzustandekommens-Verfügungen der Bundeskanzlei vom 1. November 2012 [recte 30. Oktober 2012] aufzuheben, und eine neue Verfügung zu erlassen gestützt auf eine Nachzählung, wobei alle beglaubigten Unterschriften zu den obigen Referenden als fristgerecht eingereicht mitzuzählen sind, soweit diese vor oder am 26. September 2012 sich im Besitz der Beglaubigungsbehörden befanden, und damit bei pflichtgemässer Behandlung am 27. September 2012 bei der Bundeskanzlei hätten fristgerecht eintreffen können.
3. Eventualiter sei die vom 20. Juni bis 27. September 2012 gelaufene Referendumsfrist zu den genannten Verträgen als ungültig zu erklären und neu anzusetzen.
4. Es sei die mit den angefochtenen Bundeskanzlei-Akten erfolgten Rechtsverweigerungen festzustellen.
5. Es sei dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung beizulegen.
6. Es sei im Sinne von Art. 62 Abs. 1 BGG auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ganz oder teilweise zu verzichten. Gegebenenfalls sei im Sinne von Art. 64 Abs. 2 BGG dem Beschwerdeführer ein besonders qualifizierter anwaltschaftlicher Beistand beizugeben.
7. Eventualiter, und soweit das Bundesgericht sich nicht zur selbstständigen Befolgung dieser Beschwerde in der Lage sehen mag, sei diese im Sinne von Art. 33 BV dem Bundesrat und/oder den dafür zuständigen Kommissionen der Eidgenössischen Räte zur Erledigung an die Hand zu geben."
G. Die Bundeskanzlei beantragt, die Beschwerde der AUNS und ihres Präsidenten abzuweisen und die Beschwerde von Anton Keller abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. In ihren Repliken halten die Beschwerdeführer an ihren Rechtsbegehren fest. Anton Keller stellt zusätzlich folgende Begehren:
"1. Es seien die Mitglieder der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung von den aus der Referendums-Beschwerde vom 28. November 2012 hervorgegangenen Verfahren zu entbinden, und es sei nach Art. 37 Abs. 3 BGG vorzugehen.
2. Es seien - gegebenenfalls mit Ausnahme der Verfügungen vom 5. Dezember 2012: 1C_608/2012 und 1C_609/2012 - die von Mitgliedern der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung in obiger Sache einzeln oder gemeinsam ergangenen Erlasse aufzuheben, neu zu beurteilen, und der von Anfang an beantragten Rechtskrafthemmung Nachachtung zu verschaffen.
3. Es sei im Sinne von Art. 64 Abs. 2 BBG dem Beschwerdeführer ein besonders qualifizierter anwaltschaftlicher Beistand beizugeben."
H. Mit Präsidialverfügung vom 11. Dezember 2012 wurde das Gesuch von Anton Keller um aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahmen abgewiesen. Am 14. Dezember 2012 wies das Gericht ein Ausstandsbegehren von Anton Keller gegen den Instruktionsrichter am Bundesgericht ab, soweit darauf einzutreten war. Mit Präsidialverfügung vom 18. Dezember 2012 wurde ein Gesuch von Anton Keller um Wiedererwägung bzw. Revision der Verfügung vom 11. Dezember 2012 betreffend aufschiebende Wirkung bzw. vorsorgliche Massnahmen abgewiesen, soweit darauf einzutreten war.
I. Das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Vereinigten Königreich von Grossbritannien und Nordirland über die Zusammenarbeit im Steuerbereich trat am 1. Januar 2013 durch Notenaustausch in Kraft (AS 2013 135).
J. Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 5. Juni 2013 öffentlich beraten (Art. 58 f. BGG).
 
Erwägungen:
1. Beide Beschwerden richten sich gegen die Verfügung der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 betreffend das Nichtzustandekommen des Referendums über den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich. Die Beschwerdeführer stellen im Wesentlichen dieselben Rechtsfragen zur Diskussion. Die Beschwerden sind somit zu vereinigen und in einem einzigen Urteil zu behandeln.
2. Anton Keller beantragt den Ausstand der Mitglieder der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts und verlangt ein Vorgehen nach Art. 37 Abs. 3 BGG. Er beruft sich auf die Ausstandsgründe von Art. 34 Abs. 1 lit. a und b BGG, legt aber nicht dar, inwiefern die betroffenen Richter ein persönliches Interesse in der Sache haben sollen oder in anderer Stellung in der gleichen Sache tätig gewesen wären. Auf das Ausstandsgesuch kann somit nicht eingetreten werden. Ein Vorgehen nach Art. 37 Abs. 3 BGG erübrigt sich.
3. Gegenstand des vorliegenden Urteils ist der Entscheid der Bundeskanzlei vom 30. Oktober 2012 über das Nicht-Zustandekommen des Referendums betreffend den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich.
3.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht ist zulässig gegen Verfügungen der Bundeskanzlei über das Nicht-Zustandekommen einer Volksinitiative oder eines Referendums (Art. 80 Abs. 2 BPR i.V.m. Art. 82 lit. c und Art. 88 Abs. 1 lit. b BGG). Stimmberechtigte Bürger wie die Beschwerde führenden Privatpersonen sind zur Beschwerde legitimiert (Art. 89 Abs. 3 BGG). Ebenso ist der Verein AUNS als politische Gruppierung mit Rechtspersönlichkeit, die mit dem Referendumskomitee «Stopp fremde Steuervögte» Unterschriften für das Referendum sammelte und einreichte, zur Beschwerde in Stimmrechtssachen legitimiert (vgl. BGE 134 I 172 E. 1.3.1 S. 175; 130 I 290 E. 1.3 S. 292; 121 I 334 E. 1a S. 337; 115 Ia 148 E. 1b S. 153).
3.2. Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Begründung der Anträge in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Blosse Verweise auf die Akten sind unbeachtlich. Inwiefern das angefochtene Urteil Recht verletzt, ist in der Rechtsschrift selbst darzulegen (BGE 133 II 396 E. 3.1 S. 399 f. mit Hinweisen). Ebenfalls ist in der Beschwerdeschrift selbst auf die Argumentation des angefochtenen Entscheids einzugehen (Urteil des Bundesgerichts 4A_709/ 2011 vom 31. Mai 2012, E. 1.1).
4. Nach Art. 95 lit. a, c und d BGG kann in Stimmrechtssachen in rechtlicher Hinsicht die Verletzung von Bundesrecht, der kantonalen verfassungsmässigen Rechte sowie der kantonalen Bestimmungen über die politische Stimmberechtigung der Bürger und Bürgerinnen und derjenigen über Volkswahlen und -abstimmungen gerügt werden. Diese Rügen prüft das Bundesgericht frei (vgl. BGE 129 I 185 E. 2 S. 190; 123 I 175 E. 2d/aa S. 178; je mit Hinweisen).
 
5.
5.1. Die Beschwerdeführer machen zunächst geltend, die Bundeskanzlei habe die Bundesbeschlüsse vom 15. Juni 2012 über die Staatsverträge betreffend die Steuerabkommen im Hinblick auf den Lauf der Referendumsfrist nicht gleich behandelt wie die am selben Tag beschlossene Revision des Raumplanungsgesetzes. Die Bundesbeschlüsse über die Steuerabkommen seien im Bundesblatt vom 19. Juni 2012 (BBl 2012 5823, 5825, 5827), die Änderungen des Raumplanungsgesetzes hingegen erst am 26. Juni 2012 (BBl 2012 5987) publiziert worden. Dies habe dazu geführt, dass dem Referendumskomitee gegen die Änderungen des Raumplanungsgesetzes ohne objektiven Grund 7 Tage mehr zur Verfügung standen, um das Referendum zu organisieren. Wäre für die Referenden gegen die Staatsverträge dieselbe Vorbereitungszeit gewährt worden, so wären diese nach Auffassung der Beschwerdeführer zustande gekommen.
5.2. Das Bundesgericht hat sich mit der Frage des Beginns der Referendumsfrist bereits im Urteil 1C_609/2012 vom 14. Dezember 2012, E. 4, betreffend den Staatsvertrag mit Österreich befasst. Danach besteht keine verbindliche Regel, wonach Referendumsfristen immer erst zehn Tage nach der Beschlussfassung durch die Eidgenössischen Räte angesetzt würden. Hingegen bestimmt Art. 1 Abs. 4 lit. b der Organisationsverordnung für die Bundeskanzlei vom 29. Oktober 2008 (OV-BK; SR 172.210.10), dass die Rechtstexte und die übrigen nach der Publikationsgesetzgebung zu veröffentlichenden Texte so schnell wie möglich und in der gebotenen Qualität veröffentlicht werden. Die Bundeskanzlei verfügt bei der Bestimmung des Zeitpunkts der Publikation über ein gewisses Ermessen. Es ist hier zu prüfen, ob dieses pflichtgemäss ausgeübt wurde, das heisst ob sachliche Gründe für die Wahl eines im Vergleich zur Revision des RPG früheren Publikationszeitpunkts bestanden.
5.3. Das Vorgehen der Bundeskanzlei bei der Ansetzung der Referendumsfrist war somit durch sachliche Gründe gerechtfertigt und beruht nicht auf einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung der Urheber des Referendums gegen die Staatsverträge.
6. Die Beschwerdeführer vertreten die Auffassung, das Zustandekommen von Referenden und Volksinitiativen hänge vermehrt von willkürlichen Faktoren ab, welche die federführenden Referendumskomitees nicht beeinflussen könnten. Damit hätten es Dritte in der Hand, über Zustandekommen oder Scheitern solcher Vorstösse zu entscheiden. Die Beschwerdeführer stützen ihre Ausführungen auf folgende Sachverhalte und Behauptungen (angefochtener Entscheid lit. L, in BBl 2012 8578 ff.) :
Unter Berücksichtigung der am 1. Oktober 2012 nachgereichten und von der Bundeskanzlei als verspätet bezeichneten Unterschriften habe das Referendum zum Abgeltungssteuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich total 50'172 gültige Unterschriften auf sich vereinigt, für die das Stimmrecht während der gesetzlichen Sammelfrist bescheinigt worden sei. 148 Gemeinden hätten bescheinigte Unterschriften am 24. - 26. September per B-Post ans Referendumskomitee zurückgesandt; diese Sendungen seien dem Komitee am 28. und 29. September sowie am 1. Oktober 2012 zugekommen. Eine Rücksendung per A-Post oder ein Hinweis der Amtsstelle ans Referendumskomitee, die Unterschriften seien abholbereit, hätte das Referendum zustande kommen lassen. Die Staatskanzlei Genf habe mit Pressemitteilung vom 5. Oktober 2012 selber eingeräumt, 4200 rücksendebereit bescheinigte Unterschriften für die drei parallel laufenden Referenden versehentlich als B-Post frankiert zu haben. Pro Referendum seien so um die 1400 Unterschriften verspätet zum Referendumskomitee zurückgekommen. 198 Gemeinden hätten die Stimmrechtsbescheinigung während der Sammelfrist ausgestellt, aber erst nach dem 27. September 2012 retourniert, und die Post habe dem Referendumskomitee Briefe von weiteren sechs Gemeinden, obwohl für A-Post frankiert, erst nach dem 27. September 2012 zugestellt. Für das Referendum gegen das Steuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich seien am 27. September 2012 noch 4722 Unterschriften bei den Gemeinden gewesen, welche bei ihnen am 19., 24. und 25. September 2012 mindestens per A-Post eingegangen seien. Ein Grossteil davon sei rechtzeitig erledigt und retourniert worden; vom verbleibenden Teil seien manche am 1. Oktober 2012 der Bundeskanzlei nachgereicht worden, der Rest (pro Referendum 2000-3000 Unterschriften) sei noch später ans Referendumskomitee gelangt. Die mit der Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen betraute Organisation habe gegenüber den Gemeinden in Begleitbriefen auf die Dringlichkeit jeweils doppelt aufmerksam gemacht. Eine Stadt habe dem Referendumskomitee eine Gesamtbescheinigung am 2. Oktober 2012 retourniert, welche bereits am 23. Juli 2012 ausgestellt worden sei. Möglicherweise habe die vorgezogene Publikation der drei Abkommen im Vergleich mit dem Referendum gegen das Raumplanungsgesetz zu Fehlschlüssen über die Dringlichkeit der Stimmrechtsbescheinigungen geführt. Diese Vorgänge hätten insgesamt bewirkt, dass der politische Wille von über 50'000 stimmberechtigten Unterzeichnenden nicht verfassungsgemäss respektiert worden sei.
 
7.
7.1. Die politischen Rechte sind in Art. 34 BV unter dem Kapitel der Grundrechte gewährleistet. Sie umfassen unter anderem das Recht, ein Referendum zu ergreifen. Die Ausübung des Referendumsrechts auf Bundesebene ist in Art. 140 f. BV und im Bundesgesetz über die politischen Rechte (BPR; SR 161.1) geregelt.
7.2. Die Bundesverfassung bindet die Volksabstimmung über Vorlagen des fakultativen Referendums an die Voraussetzung, dass innert 100 Tagen 50'000 Stimmberechtigte ein entsprechendes Begehren unterzeichnet haben (Art. 141 Abs. 1 BV). Nach Art. 59a BPR muss das Referendum mit der nötigen Anzahl Unterschriften samt Stimmrechtsbescheinigung innerhalb der Referendumsfrist bei der Bundeskanzlei eintreffen. Unterschriften auf Referendumslisten, die nach Ablauf der Referendumsfrist eingereicht worden sind, sind ungültig (Art. 66 Abs. 2 lit. c BPR). Für die Einreichung von Volksinitiativen gelten dieselben Grundsätze (vgl. BGE 131 II 449 E. 3.2 S. 453 f.).
7.3. Gestützt auf die Art. 59a und 66 Abs. 2 lit. c BPR hat die Bundeskanzlei sämtliche 2823 Unterschriften, die bei ihr nach dem 27. September 2012 zum Referendum gegen den Staatsvertrag mit dem Vereinigten Königreich eingereicht wurden, entgegengenommen und für ungültig erklärt. Von diesen Unterschriften waren 8 ungenügend bescheinigt, 4 nicht handschriftlich und 2 mehrfach unterzeichnet. 2809 Unterschriften werden in Tabelle 2 zum angefochtenen Entscheid als verbleibende ungültige Unterschriften ausgewiesen, da sie erst am 1. Oktober 2012 verspätet bei der Bundeskanzlei eingereicht worden seien.
7.4. Die Stimmrechtsbescheinigung wird in Art. 62 BPR näher geregelt. Nach dessen Abs. 1 sind die Unterschriftenlisten rechtzeitig (suffisamment tôt, tempestivamente) vor Ablauf der Referendumsfrist der Amtsstelle zuzustellen, die nach kantonalem Recht für die Stimmrechtsbescheinigung zuständig ist. Die Amtsstelle bescheinigt, dass die Unterzeichner in der auf der Unterschriftenliste bezeichneten Gemeinde in eidgenössischen Angelegenheiten stimmberechtigt sind, und sie gibt die Listen unverzüglich (sans retard, senza indugio) den Absendern zurück (Art. 62 Abs. 2 BPR).
7.5. Die in Art. 62 Abs. 1 und 2 BPR enthaltene Regelung überträgt den Urhebern eines Referendums die Verantwortung für die rechtzeitige Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen und verpflichtet die dazu zuständigen Stellen zur unverzüglichen Rückgabe der bescheinigten Unterschriften an die Absender. Oberstes Ziel ist dabei, möglichst alle eingereichten Unterschriften zu beglaubigen und den Absendern zeitgerecht zurückzugeben, damit die beglaubigten Unterschriften bei der Bundeskanzlei vor Ablauf der Referendumsfrist eingereicht werden können. Die Wahrnehmung der verschiedenen Aufgaben bedarf einer angemessenen Organisation und Planung. Sie kann - wie der vorliegende Fall deutlich zeigt - für die Beteiligten unter Umständen eine grosse Herausforderung darstellen. Probleme bei der Stimmrechtsbescheinigung sind anhand der jeweiligen konkreten Situation zu beurteilen. Hilfreiche Anhaltspunkte und Handlungsanweisungen zur Entschärfung zahlreicher Probleme finden sich im Sinne von Empfehlungen im Leitfaden der Bundeskanzlei für Urheberinnen und Urheber eines Referendums. Die Bundeskanzlei begleitet zudem die Referendumswilligen und die zuständigen Stellen während der Unterschriftensammlung und dem Bescheinigungsverfahren (Angebot von Unterschriftenlisten [Art. 60a BPR; Art. 18 VPR], Vermittlung bei Problemen mit den Gemeinden [vgl. BGE 131 II 449 E. 3.4.2 S. 455], Abgabemöglichkeit bei der Bundeskanzlei am letzten Tag der Referendumsfrist bis Mitternacht etc.).
8. Im Hinblick auf die vorliegende Angelegenheit ergibt sich aufgrund der Angaben der Bundeskanzlei, dass die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Verzögerungen für die drei Referenden insgesamt 4722 Unterschriften betreffen, die den Gemeinden laut Aussage des Referendumskomitees am 19., 24. und 25. September 2012, also innerhalb der letzten acht Tage vor Ablauf der Referendumsfrist zur Erteilung der Stimmrechtsbescheinigung zugesandt worden waren. Damit stellt sich insbesondere die Frage nach der rechtzeitigen Einholung der Stimmrechtsbescheinigungen (Art. 62 Abs. 1 BPR).
8.1. Im Folgenden ist insbesondere auf die Unterschriftenbeglaubigung im Kanton Genf einzugehen. Allein für diesen Kanton gehen die Beschwerdeführer in Bezug auf das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich von rund 1400 Unterschriften aus, die wegen verspäteter Ankunft beim Referendumskomitee von der Bundeskanzlei nicht mehr berücksichtigt worden seien. Nach der Zählung der Bundeskanzlei stammen für das Referendum gegen das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich 1232 nicht berücksichtigte Unterschriften aus dem Kanton Genf.
8.2. Nach den unbestrittenen Angaben des Staatsrats des Kantons Genf trafen bei der kantonalen Beglaubigungsstelle erst am 97. Tag der 100-tägigen Sammelfrist 3847 Unterschriften für das Referendum gegen die drei Staatsverträge zur Beglaubigung ein. Dabei handelte es sich um fast die Hälfte (48.7%) aller in Genf für diese Referenden zur Stimmrechtsbescheinigung vorgewiesenen Unterschriften. Die Genfer Behörden ergriffen nach Erhalt der Unterschriften sofort besondere Massnahmen, indem ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Vornahme der Bescheinigungen in einem Sondereinsatz am 24. und 25. September 2012 von 7 Uhr bis 22 Uhr arbeiteten. Schliesslich standen am 99. Tag der Referendumsfrist, d.h. am 26. September, um 15.15 Uhr, die beglaubigten Unterschriften in Genf zur Rückgabe bereit. Mangels anderer präziser Instruktionen seitens der Urheber des Referendums wurden die beglaubigten Unterschriften per Post zurückgeschickt, wobei die Sendung versehentlich mit B-Post versandt wurde.
8.3. Mit der Zustellung zur Stimmrechtsbescheinigung von 3847 Unterschriften am 97. Tag der Referendumsfrist haben die Urheber des Referendums in Genf die Obliegenheit gemäss Art. 62 Abs. 1 BPR zur rechtzeitigen Einreichung der Unterschriften nicht erfüllt. Es handelt sich dabei um eine derart grosse Anzahl Unterschriften, dass es den zuständigen Behörden nur mit einem Sondereinsatz möglich war, die gesetzliche Vorgabe zu erfüllen, wonach die Listen unverzüglich zurückzugeben sind (Art. 62 Abs. 2 BPR). Vor dem Hintergrund der Versäumnisse der Urheber des Referendums fällt der Umstand, dass die Rücksendung versehentlich mit B-Post erfolgte, nicht entscheidend ins Gewicht. Es handelt sich dabei um eine Fehldisposition, die sich im Sinne der Ausführungen in E. 7.5 hiervor im allgemein üblichen Rahmen bewegt und von den Urhebern des Referendums hätte eingeplant werden müssen. Hätten die Referendumskomitees die Unterschriften entsprechend den Empfehlungen der Bundeskanzlei zeitlich gestaffelt in kleineren Teilsendungen rechtzeitig (suffisamment tôt) eingereicht, so hätten ein Sondereinsatz der Genfer Beglaubigungsstelle und die nachteiligen Folgen einer versehentlichen Frankatur mit B-Post vermieden werden können. Im Übrigen bestand beim Vorgehen der Urheber des Referendums auch keine Gewähr, dass die bescheinigten Unterschriften selbst bei einer Zustellung mit A-Post noch zeitgerecht beim Referendumskomitee eintreffen würden. Angesichts des von den Urhebern des Referendums geschaffenen zeitlichen Drucks wäre gestützt auf Art. 62 Abs. 1 BPR zu erwarten gewesen, dass sie sich mit der zuständigen Behörde über die Rückgabe der Unterschriften konkret verständigen. Entsprechende Bemühungen, die Unterschriften rechtzeitig vor Ablauf der Referendumsfrist zurückzuerhalten, haben die Referendumskomitees nicht unternommen.
8.4. Die Urheber des Referendums haben somit selbst zu vertreten, dass die Bundeskanzlei die verspätet bei ihr eingetroffenen Unterschriften aus dem Kanton Genf nicht mehr berücksichtigen konnte. Die Bundeskanzlei hat die erst am 1. Oktober 2012 bei ihr eingereichten Unterschriften aus dem Kanton Genf zu Recht als ungültig bezeichnet. Somit ist das Referendum gegen das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich offensichtlich nicht zustande gekommen. Die den Urhebern des Referendums von Amtsstellen anderer Kantone und Gemeinden mit B-Post zugestellten beglaubigten Unterschriften vermögen daran nichts zu ändern. Deshalb erübrigen sich diesbezüglich weitere Abklärungen. Auch die weiteren Ausführungen der Parteien führen zu keinem anderen Ergebnis, ohne dass auf die Vorbringen im Einzelnen einzugehen wäre. Schliesslich ist auch nicht weiter zu prüfen, wie bei einer Gutheissung der Beschwerden die Durchführung des Referendums hätte gestaltet werden können, nachdem der Staatsvertrag am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist.
9. Es ergibt sich, dass die Beschwerde der AUNS und ihres Präsidenten abzuweisen ist. Die Beschwerde von Anton Keller ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1. Die Beschwerdeverfahren 1C_606/2012 und 1C_608/2012 werden vereinigt.
2. Auf das Ausstandsbegehren von Anton Keller wird nicht eingetreten.
3. Die Beschwerde des Vereins Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS) und von Pirmin Schwander wird abgewiesen.
4. Die Beschwerde von Anton Keller wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.
5. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
6. Dieses Urteil wird den Beschwerdeführern, der Schweizerischen Bundeskanzlei und dem Kanton Genf schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Juni 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Fonjallaz
Der Gerichtsschreiber: Haag