BGer 9C_896/2011
 
BGer 9C_896/2011 vom 31.01.2012
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
9C_896/2011
Urteil vom 31. Januar 2012
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Fessler.
 
Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Hans Kupfer,
Beschwerdeführerin,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Aufhebung),
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. September 2011.
Sachverhalt:
A.
Die 1949 geborene M.________ erlitt am ... als Beifahrerin einen Verkehrsunfall. Mit Verfügung vom 3. November 2006 sprach ihr die IV-Stelle des Kantons Zürich u.a. gestützt auf das vom Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers (AXA Versicherungen) in Auftrag gegebene Gutachten des Spitals Z.________, Neurologische Klinik und Poliklinik, vom 15. August 2005 eine ganze Rente ab 1. Oktober 2004 zu. Aufgrund der Ergebnisse einer Observation von M.________ im Zeitraum vom 4. bis 24. März und 19. bis 20. Mai 2006 durch die AXA liess die IV-Stelle die Versicherte internistisch, rheumatologisch, neurologisch und psychiatrisch abklären (Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 10. November 2008). Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren hob die IV-Stelle mit Verfügung vom 27. November 2009 die ganze Rente auf Ende Dezember 2009 auf.
B.
Die Beschwerde der M.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 28. September 2011 ab.
C.
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. September 2011 sei aufzuheben und ihr weiterhin eine ganze Rente zuzusprechen.
Erwägungen:
1.
Der angefochtene Entscheid bestätigt die Aufhebung der ganzen Rente durch die IV-Stelle auf Ende Dezember 2009 gestützt auf Art. 17 Abs. 1 ATSG. Die Beschwerdeführerin bestreitet die Voraussetzungen für eine Rentenrevision im Sinne dieser Bestimmung. Ebenfalls könne nicht im Rahmen einer prozessualen Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) auf die Verfügung vom 3. November 2006 zurückgekommen und die ganze Rente aufgehoben werden. Dabei rügt sie eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung und eine Verletzung von Art. 17 Abs. 1 ATSG durch die Vorinstanz (Art. 95 lit. a und Art. 97 Abs. 1 BGG).
2.
Die Vorinstanz hat die Voraussetzungen für eine Revision der ganzen Rente gestützt auf Art. 17 Abs. 1 ATSG mit der Begründung bejaht, die ursprüngliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit habe sich als realitätsfremd herausgestellt; im Übrigen sei gemäss dem Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 10. November 2008 seit 2005 eine Steigerung der Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit von mindestens 60 % auf mindestens 80 % zu verzeichnen.
Mit dem Ausdruck "realitätsfremd" spricht das kantonale Gericht den Umstand an, dass - nach seiner Auffassung - aufgrund der Ergebnisse der Observation der Versicherten in den Monaten März und Mai 2006 die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit im neurologischen Gutachten des Spitals Z.________ vom 15. August 2005 sich in der Realität nicht bestätigt hatte. Damals seien auch durch die behandelnde Ärztin sowie anlässlich der Abklärung vor Ort u.a. eine Steifhaltung der HWS beobachtet und Schmerzen bei Drehen des Kopfes angegeben worden (Bericht Dr. med. H.________ vom 26. Januar 2006 und Stellungnahme Abklärungsdienst vom 13. Juni 2007). Demgegenüber habe die Versicherte gemäss den Observationsunterlagen beim "Begutachten" von Kleidern, Schuhen, bei Einkäufen und beim Ein- und Ausstieg ins/aus dem Auto Körper- und Kopfrotationen nach beiden Seiten ausgeführt.
3.
3.1 Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 2 ATSG und Art. 1 Abs. 1 IVG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen (Revisionsgrund; BGE 133 V 545; 130 V 343 E. 3.5 S. 349; Urteil 9C_126/2011 vom 8.Juli 2011 E. 1.1). Häufig Anlass für eine Revision gibt die wesentliche Verschlechterung oder Verbesserung des Gesundheitszustandes im Vergleichszeitraum (hier: Verfügung vom 3. November 2006; BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 114; Urteil 9C_882/2010 vom 25. Januar 2011 E.1.1).
Ein Revisionsgrund ist auch gegeben und die Rente allenfalls nach unten oder nach oben anzupassen, wenn sich die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitszustandes erheblich verändert haben (BGE 133 V 545 E. 6.1 S. 546; Urteil 8C_624/2011 vom 2. November 2011 E. 2). In diesem Zusammenhang schliessen selbst identisch gebliebene Diagnosen eine revisionsrechtlich erhebliche Steigerung des Leistungsvermögens (Arbeitsfähigkeit) nicht grundsätzlich aus. Zu denken ist etwa an eine Verringerung des Schweregrades des Gesundheitsschadens oder wenn es der versicherten Person gelungen ist, sich besser an das Leiden anzupassen (vgl. Ueli Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl., 2009, Rz 18 zu Art. 17 ATSG). Ob eine derartige tatsächliche Änderung vorliegt, bedarf mit Blick auf die mitunter einschneidenden Folgen für die versicherte Person einer sorgfältigen Prüfung (Urteil 8C_493/2011 vom 23. November 2011 E. 2.1.3). Dies gilt umso mehr, als eine lediglich andere Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts im revisionsrechtlichen Kontext unbeachtlich ist (BGE 112 V 371 E. 2b S. 372; Urteil 8C_972/2009 vom 27. Mai 2010 E. 3.2, nicht publ. in: BGE 136 V 216, aber in: SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1).
3.2 Die Vorinstanz hat festgestellt, die Gutachter des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ hätten "grosso modo" keine anderen Befunde erhoben als seinerzeit die Ärzte des Spitals Z.________. Die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit habe damals (August 2005) 40 % betragen, sich zwischenzeitlich (bis Juni 2008) jedoch auf 80 % verbessert. Aus diesen nicht offensichtlich unrichtigen und somit für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) lässt sich nicht auf das Vorliegen eines Revisionsgrundes im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG schliessen, wie in der Beschwerde richtig vorgebracht wird. Insbesondere legt die Vorinstanz nicht dar, aus welchen Gründen allenfalls sich das Leistungsvermögen der Versicherten bei grundsätzlich unveränderten Befunden verbessert haben soll. Auch im Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 10. November 2008, auf das die Vorinstanz im Wesentlichen abgestellt hat, finden sich keine diesbezüglichen Hinweise in dem Sinne etwa, dass sich der Schweregrad des Gesundheitsschadens verringert hätte oder es der Beschwerdeführerin gelungen wäre, sich besser an das Leiden anzupassen.
4.
4.1 Eine zu Unrecht gestützt auf Art. 17 Abs. 1 ATSG erfolgte Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente kann im Beschwerdeverfahren geschützt werden, wenn die Voraussetzungen für eine prozessuale Revision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) oder Wiedererwägung (Art. 53 Abs. 2 ATSG) der rentenzusprechenden Verfügung gegeben sind (SVR 2011 IV Nr. 20 S. 53, 9C_303/2010 E. 4; SVR 2010 IV Nr. 25 S. 75, 9C_696/2007 E. 4; SVR 2009 IV Nr. 20 S. 52, 9C_342/2008 E. 5, nicht publ. in: BGE 135 I 1).
4.2 Gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war (vgl. SVR 2010 IV Nr. 55 S.169, 9C_764/2009 E. 3.1 mit Hinweisen). Solche neue Tatsachen oder Beweismittel sind innert 90 Tagen nach deren Entdeckung geltend zu machen; zudem gilt eine absolute zehnjährige Frist, die mit der Eröffnung der Verfügung zu laufen beginnt (Art. 67 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG; Urteil 8C_434/2011 vom 8. Dezember 2011 E. 3 mit Hinweisen; Kieser, a.a.O., Rz 23 zu Art. 53 ATSG).
Ergeben sich aus den neu entdeckten Tatsachen und Beweismitteln (lediglich) gewichtige Indizien für das Vorliegen eines prozessualen Revisionsgrundes, sind innert angemessener Frist zusätzliche Abklärungen vorzunehmen, um diesbezüglich hinreichende Sicherheit zu erhalten. In solchen Fällen beginnt die relative 90-tägige Revisionsfrist erst zu laufen, wenn die Unterlagen die Prüfung der Erheblichkeit des geltend gemachten Revisionsgrundes erlauben oder bei Säumnis in dem Zeitpunkt, in welchem der Versicherungsträger den unvollständigen Sachverhalt mit dem erforderlichen und zumutbaren Einsatz hätte hinreichend ergänzen können (Urteil 8C_434/2011 vom 8. Dezember 2011 E. 4.2).
4.3 Die Vorinstanz hat offengelassen, ob die IV-Stelle rechtzeitig in Bezug auf den Grundlage der Verfügung vom 3. November 2006 bildenden Gesundheitszustand und die darauf beruhende Einschätzung der Arbeitsfähigkeit gemäss dem neurologischen Gutachten vom 15. August 2005 einen prozessualen Revisionsgrund geltend gemacht hat. Die Frage ist entgegen den Vorbringen in der Beschwerde zu bejahen. Die der IV-Stelle im Februar 2007 zur Kenntnis gebrachten Unterlagen über die Observation der Beschwerdeführerin vom 4. bis 24. März und am 19. und 20. Mai 2006 durch den Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers reichten unbestrittenermassen allein nicht aus, um einen prozessualen Revisionsgrund im dargelegten Sinne zu bejahen. Die IV-Stelle ordnete daher richtigerweise eine Begutachtung an. Die Expertise des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 10. November 2008 wurde der IV-Stelle drei Tage später zugestellt. Der regionale ärztliche Dienst nahm am 14. Januar und 23. Februar 2009 zum Gutachten Stellung. In der Folge bestand Unklarheit darüber, ob ein Revisionsgrund nach Art. 17 Abs. 1 ATSG vorliegt oder wiedererwägungsweise auf die Verfügung vom 3. November 2006 zurückgekommen werden kann sowie ob die im Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ diagnostizierte Dysthymia eine Arbeitsunfähigkeit begründet (Feststellungsblatt für den Beschluss vom 25. September 2009). Dazu nahmen der Rechtsdienst und der ärztliche Dienst der IV-Stelle abschliessend am 13. August 2009 Stellung. Am 25. September 2009 erliess die IV-Stelle den Vorbescheid. Am 27. November 2009 verfügte sie die Aufhebung der ganzen Rente gestützt auf Art. 53 Abs. 1 ATSG. Aufgrund dieser Akten kann der IV-Stelle keine Säumnis vorgeworfen werden bei der Prüfung der Frage, ob die ganze Rente prozessual revisionsweise herabzusetzen oder aufzuheben sei. Der unbestritten gegebene prozessuale Revisionsgrund wurde somit rechtzeitig geltend gemacht. Bei diesem Ergebnis kann offenbleiben, ob auch die Voraussetzungen für eine Wiedererwägung der Verfügung vom 3. November 2006 nach Art. 53 Abs. 2 ATSG erfüllt wären.
5.
Gegen den Beweiswert des Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 10. November 2008 wird nichts vorgebracht, ebenso nicht gegen die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung nach der gemischten Methode (Art. 28a Abs. 3 IVG und BGE 125 V 146). Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung (SVR 2011 Nr. 10 S. 35, 9C_1079/2009 E. 4.6).
Die Beschwerde ist unbegründet.
6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 31. Januar 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Meyer
Der Gerichtsschreiber: Fessler