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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
9C_249/2010
Urteil vom 14. Mai 2010
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.
Verfahrensbeteiligte
H.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Regula Schmid,
Beschwerdeführerin,
gegen
Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden, Regierungsgebäude, Obstmarkt 3, 9102 Herisau, vertreten durch Rechtsanwalt Hans-Peter Stäger,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Berufliche Vorsorge,
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts von Appenzell Ausserrhoden vom 21. Oktober 2009.
Sachverhalt:
A.
M.________ war 1960 geboren und mit H.________ verheiratet. Tochter F.________ ist 1998, Sohn E.________ 2000 geboren. M.________ war als Anwalt im Kanton Appenzell Ausserrhoden mit einem Pensum von 65 % tätig. Am 22. September 2007 verstarb er auf einer Bergwanderung. Mit Verfügung vom 2. November 2007 sprach die Ausgleichskasse des Kantons Appenzell Ausserrhoden H.________ ab Oktober 2007 eine Witwenrente in der Höhe von Fr. 1'584.- pro Monat und den Kindern eine entsprechende Waisenrente von je Fr. 792.- zu.
Mit Entscheid vom 29. Februar 2008 hiess der Unfallversicherer Visana die Einsprache der H.________ gegen die am 10. Januar 2008 mitgeteilte Kürzung der Witwenrente um 50 % (zufolge Wagnis des Verstorbenen) gut und richtete ab 1. Oktober 2007 eine ungekürzte Witwenrente von Fr. 1'836.- pro Monat und zwei ungekürzte Halbwaisenrenten von je Fr. 689.- aus.
Die Pensionskasse Appenzell Ausserrhoden eröffnete H.________ mit Schreiben vom 14. August 2008, nach Ende des Besoldungsnachgenusses auf den 31. Dezember 2007 bestehe ab 1. Januar 2008 Anspruch auf eine in Berücksichtigung der Leistungen der AHV und der Unfallversicherung gekürzte Ehegattenrente von monatlich Fr. 154.75 sowie zwei Waisenrenten von zusammen Fr. 103.05. H.________ erhob dagegen Einsprache. Sie machte geltend, aufgrund der mutmasslichen Entwicklung des Einkommens des Verstorbenen sei der für die Festsetzung der Rente massgebende Verdienst ausgehend von einem Beschäftigungsgrad von 80 % zu berechnen und die Renten seien entsprechend anzupassen. Mit Entscheid vom 24. Oktober 2008 beschied die Pensionskasse, das hypothetische Einkommen sei für den Zeitpunkt, in dem sich die Kürzungsfrage stelle, aufgrund eines Beschäftigungsgrades von 65 % festzulegen, da keine konkreten Hinweise dafür vorlägen, dass der Versicherte in der besagten Zeit (1. Januar bzw. 1. August 2008) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit das Pensum erhöht oder neben der Anstellung als Anwalt andere Einkünfte erzielt hätte.
B.
Am 22. Dezember 2008 erhob H.________ Klage beim Verwaltungsgericht Appenzell Ausserrhoden. Sie beantragte:
"1. Den Hinterlassenen seien ab 1.1.2008 eine Witwenrente von Fr. 22'463.- pro Jahr und zwei Waisenrenten von je Fr. 7'488.- zuzusprechen.
2. Die Hinterlassenenrenten der Pensionskasse seien ab 1.8.2008 zu kürzen, soweit sie mit den Renten von AHV und UVG den Betrag von Fr. 92'105.- (für das Jahr 2008) übersteigen.
3. Die ausstehenden Rentenleistungen seien ab dem Zeitpunkt der Einspra- che (4.9.2008) mit 5 % zu verzinsen."
Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Entscheid vom 21. Oktober 2009 ab, da nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwiesen sei, dass der Versicherte den Beschäftigungsgrad bereits zu einem Zeitpunkt erhöht hätte, in dem sich jetzt die Frage nach der Kürzung der Rentenleistungen wegen Überversicherung stellt.
C.
H.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und erneuert die gestellten Anträge.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Nach Art. 34 Abs. 2 BVG erlässt der Bundesrat Vorschriften zur Verhinderung ungerechtfertigter Vorteile des Versicherten (oder seiner Hinterlassenen) beim Zusammentreffen mehrerer Leistungen (Satz 1). Gestützt auf diese Gesetzesbestimmung hat der Bundesrat u.a. Art. 24 Abs. 1 BVV2 erlassen, wonach die Vorsorgeeinrichtung die Hinterlassenen- und Invalidenleistungen kürzen kann, soweit sie zusammen mit anderen anrechenbaren Einkünften 90 % des mutmasslich entgangenen Verdienstes übersteigen. Nach der mit BGE 122 V 151 eingeleiteten Rechtsprechung handelt es sich beim mutmasslich entgangenen Verdienst nicht um den in der Vergangenheit liegenden versicherten Verdienst, sondern um jenes hypothetische Einkommen, welches der Versicherte ohne Invalidität aktuell erzielen würde. Für den Beweis dieser hypothetischen Tatsache ist der Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich, und zwar in dem Zeitpunkt, in welchem sich die Kürzungsfrage stellt.
Diese Beweisanforderung gilt auch im Rahmen der weitergehenden beruflichen Vorsorge gemäss den durch die Vorinstanz zutreffend dargelegten Vorschriften des kantonalen Berufsvorsorgerechts (Art. 23 der Verordnung über die Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden vom 30. Oktober 2006 [PKAR-Verordnung]; bGS 142.213).
3.
Es ist unbestritten, dass die Hinterlassenenleistungen korrekt berechnet sind. Streitig ist einzig, gestützt auf welchen Beschäftigungsgrad der für die Festsetzung der Rente massgebende mutmasslich entgangene Verdienst zu bestimmen ist.
3.1 Die Vorinstanz hat dazu festgestellt, der Versicherte habe in dem drei Tage vor dem Unfall dem kantonalen Departement für Sicherheit und Justiz (DSJ) erstatteten Bericht vom 19. September 2007 keine Erhöhung seines Beschäftigungsgrades beantragt, sondern den Ausbau und die Umwandlung der bis Ende Dezember 2007 befristeten Anstellung der bisherigen juristischen Praktikantin/Mitarbeiterin in ein unbefristetes 100%-Pensum; zusätzlich habe er die Schaffung eines mit einem 40%-Pensum ausgestatteten Sozialdienstes vorgeschlagen. Das DSJ habe dem Regierungsrat erst später beantragt, das Pensum des kantonalen Anwalts von 65 % auf 80 % zu erhöhen, da nach dem Unfalltod des bisherigen Stelleninhabers eine völlig neue Situation eingetreten sei (Beschlussentwurf vom 21. November 2007). Erst der Unfalltod habe somit die Erhöhung des Pensums als Option in den Vordergrund rücken lassen. Es erscheine zwar plausibel, dass der Versicherte den Anstellungsgrad auf das Schuljahr 2008/2009 erhöht hätte, weil dann bei der Kinderbetreuung aufgrund von Blockzeiten und neuen Obhutsmöglichkeiten am Mittag und Nachmittag eine Entlastung eingetreten wäre. Dies sei aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt. Die Vorinstanz hat damit implizit die Argumentation der Verwaltung übernommen, wonach allgemein, aber insbesondere bei den betroffenen Eltern schon seit Sommer 2007 bekannt gewesen ist, dass auf das Schuljahr 2008/2009 Blockzeiten eingeführt werden. Die vom Versicherten am 19. September 2007 vorgeschlagenen Entlastungsmassnahmen für die Anwaltschaft seien aber auf Dauer angelegt gewesen (so u.a. Schaffung einer unbefristeten Stelle einer juristischen Mitarbeiterin mit untersuchungsrichterlichen Befugnissen). Es sei deshalb unwahrscheinlich, dass der Versicherte bereits auf den 1. August 2008 eine Erhöhung des Beschäftigungsgrades beantragt hätte. Zwar sei nicht auszuschliessen, dass er nachher während der frei gewordenen Zeit einer anderen Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre. Allerdings sei nicht ausgeführt worden, dass solches vor dem Unfall konkret angestrebt oder angegangen worden sei.
3.2 Die Beschwerdeführerin rügt diese Feststellungen als rechtsfehlerhaft, da die Beurteilung des hypothetischen Einkommensverlaufs aufgrund der konkreten persönlichen, familiären, sozialen und finanziellen Verhältnisse zu erfolgen habe und bei der Festsetzung des mutmasslich entgangenen Verdienstes den spezifischen Gegebenheiten und tatsächlichen Chancen des Versicherten auf dem jeweiligen Arbeitsmarkt Rechnung zu tragen sei. Die Vorinstanz verkenne, dass es bei dem von ihr angelegten Massstab gar nicht möglich sei, solche Entwicklungen mit dem erforderlichen Grad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen; das führe dazu, dass der Erwerbsstatus im Todeszeitpunkt beibehalten werden müsse und so für alle Zukunft perpetuiert werde. Dies verletze Bundesrecht, da nach Art. 24 Abs. 5 BVV2 die Vorsorgeeinrichtung die Voraussetzungen und den Umfang einer Kürzung jederzeit überprüfen und ihre Leistungen anpassen könne, wenn die Verhältnisse sich wesentlich ändern; der mutmasslich entgangene Verdienst als Faktor der Überentschädigungsberechnung könne jederzeit neu festgelegt werden (BGE 123 V 193 E. 5a S. 197 mit Hinweisen).
4.
Bezüglich der vorinstanzlichen Beantwortung der aufgeworfenen (Tat-)Fragen zur mutmasslichen Richtung und zum zeitlichen Verlauf der hypothetischen beruflichen Entwicklung (oben E. 3.1) ist keine offensichtliche Unrichtigkeit gegeben und sind die entsprechenden Rügen somit unbegründet. Eine Missachtung der Regelung in Art. 24 Abs. 5 BVV2 liegt ebenfalls nicht vor, da der erforderliche Wahrscheinlichkeitsbeweis nicht durch allgemeine Überlegungen zur Situation teilzeitlich erwerbstätiger Elternpaare ersetzt werden kann.
5.
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 14. Mai 2010
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Schmutz