BGer 9C_903/2009
 
BGer 9C_903/2009 vom 11.12.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
9C_903/2009
Urteil vom 11. Dezember 2009
II. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Seiler,
Gerichtsschreiber Schmutz.
Parteien
CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG, Bundesplatz 15, 6003 Luzern,
Beschwerdeführerin,
gegen
B.________,
Beschwerdegegner.
Gegenstand
Krankenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 17. September 2009.
Sachverhalt:
A.
A.a B.________, geboren 1946, ist bei der CONCORDIA, Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend: Concordia), gesetzlich für Krankenpflege versichert. Diese setzte mit Zahlungsbefehl vom .... den Betrag von Fr. 1'848.85 (bestehend aus einer Kostenbeteiligung von Fr. 549.65 und den Versicherungsprämien Januar-April 2006 von Fr. 1'299.20) zuzüglich Mahnkosten von Fr. 20.- in Betreibung. Den am .... erhobenen Rechtsvorschlag hob die Concordia mit Verfügung vom 7. Juni 2006 auf und verpflichtete B.________ zur Bezahlung der in Betreibung gestellten Forderung zuzüglich der Betreibungskosten von Fr. 70.-. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 30. August 2006 ab. Die von B.________ eingereichten Beschwerden wiesen das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 24. Oktober 2007 und das Bundesgericht mit Urteil 9C_887/2007 vom 14. Februar 2008 ab, soweit sie darauf eintraten.
A.b Am 20. März 2008 stellte die Concordia beim Betreibungsamt das Fortsetzungsbegehren. Mit Pfändungsbericht vom .... beschied man ihr, B.________ sei an einen unbekannten Ort weggezogen. Nach Ermittlung des neuen Wohnorts des Versicherten setzte die Concordia mit Zahlungsbefehl vom .... den Betrag von Fr. 1'848.85 zuzüglich Mahnkosten von Fr. 20.- erneut in Betreibung. Den von B.________ erhobenen Rechtsvorschlag hob die Concordia mit Verfügung vom 30. April 2009 und Einspracheentscheid vom 17. Juni 2009 auf.
B.
Auf Beschwerde hin hob das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid und die ihm zugrunde liegende Verfügung als unzulässig auf, da nach einer rechtskräftigen Beurteilung über dasselbe Rechtsverhältnis nicht eine neue, gleichlautende Verfügung erlassen und so der Rechtsmittelweg erneut eröffnet werden könne (Entscheid vom 17. September 2009).
C.
Die Concordia erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten; sie beantragt, die Sache sei unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückzuweisen, damit es auf die Beschwerde eintrete.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerdeführerin begründet die Notwendigkeit eines neuen Betreibungsverfahrens im Wesentlichen damit, der Schuldner sei ohne Hinterlassen einer Adresse weggezogen, weshalb das Fortsetzungsbegehren im Betreibungsverfahren Nr. .... nicht fristgerecht habe gestellt werden können. Die vorinstanzlichen Schlussfolgerungen würden bedeuten, dass sich der Schuldner seiner Leistungspflicht entziehen könne, indem er die fristgerechte Fortsetzung der Betreibung vereitle und danach in einem neuen Betreibungsverfahren Rechtsvorschlag erhebe. Es müsse daher möglich sein, in einem solchen Falle eine neue Betreibung einzuleiten und wiederum den Rechtsvorschlag verfügungsweise aufzuheben.
1.1 Das Recht des Gläubigers, im Betreibungsverfahren das Fortsetzungsbegehren zu stellen, erlischt ein Jahr nach der Zustellung des Zahlungsbefehls. Ist Rechtsvorschlag erhoben worden, so steht diese Frist zwischen der Einleitung und der Erledigung eines dadurch veranlassten Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens still (Art. 88 Abs. 2 SchKG). Wenn der Gläubiger seinen Pfändungsanspruch nicht innerhalb der genannten Frist seit Zustellung des Zahlungsbefehls geltend macht, verwirkt er dieses Recht: Der Zahlungsbefehl verliert seine Gültigkeit und die Betreibung fällt dahin (BGE 125 III 45 E. 3 S. 46). Eine Pfändung, die auf ein verspätetes Pfändungsbegehren hin vollzogen wird, ist denn auch nichtig (BGE 96 III 111 E. 4a S. 118, Urteil 7B.139/2006 vom 28. September 2006). Ein verspätetes Fortsetzungsbegehren ist zurückzuweisen (BGE 88 III 59 E.1 S. 61).
1.2 Sinn und Zweck der Maximalfrist ist, dass der Gläubiger gezwungen werden soll, innert einer bestimmten Frist zu handeln. Das Damoklesschwert der Zwangsexekution soll nicht unbestimmt lange über dem Schuldner hängen. Anderseits soll der Gläubiger keinen Nachteil dadurch erleiden, dass der Schuldner Rechtsvorschlag erhebt oder ein Verfahren einleitet; aus diesem Grund fällt die Dauer eines solchen Prozesses bei der Berechnung der Maximalfrist nicht in Berechnung (BGE 113 III 120 E. 3 S. 122 f.; 106 III 51 E. 3 S. 55; 105 III 63 E. 2 S. 65 f.). Im Zweifelsfalle muss der Gläubiger nachweisen, dass er diese Verwirkungsfrist nicht verpasst hat (BGE 106 III 49 S. 50) (Amonn/Walther, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 8. Aufl., § 22 N 11).
1.3 Das Fortsetzungsbegehren ist stets an das am Betreibungsort zuständige Betreibungsamt zu richten, auch wenn jener seit Zustellung des Zahlungsbefehls gewechselt haben sollte. Ein beim zuständig gewesenen Amt gestelltes Fortsetzungsbegehren wird ohne weiteres dem Amt am neuen Betreibungsort zugeleitet, z.B. nach einem Wohnsitzwechsel (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 22 N 15 mit Hinweis auf Art. 32 Abs. 2 SchKG, wonach die Frist gewahrt ist, wenn vor ihrem Ablauf eine unzuständige Behörde angerufen wird und diese die Eingabe unverzüglich der zuständigen Behörde überweist).
2.
2.1 Nach der Rechtsprechung sind die Versicherer befugt, den gegen eine Prämienforderung im Bereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung erhobenen Rechtsvorschlag im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mittels Verfügung und/oder Einspracheentscheid aufzuheben. Dabei muss ausdrücklich auf die Betreibung Bezug genommen und der Rechtsvorschlag als aufgehoben erklärt werden. Die Verwaltungsbehörde fällt in dieser Konstellation nicht nur einen Sachentscheid, sondern handelt gleichzeitig auch als Rechtsöffnungsinstanz (BGE 119 V 329 E. 2b S. 331 f.; RKUV 2004 Nr. KV 274 S. 129 E. 4.2.1 [= Urteil K 107/02 vom 27. November 2003]). Gleiches gilt im Beschwerdefall für die Gerichte. Dementsprechend ist im Zusammenhang mit der Beurteilung der Prämienforderung auch zu prüfen, ob betreibungsrechtlich zulässige Einwendungen der Beseitigung des Rechtsvorschlages ganz oder teilweise entgegenstehen. Konkret kann der Schuldner die Tilgung, Stundung oder Verjährung der Schuld vorbringen (Art. 81 Abs. 1 SchKG). Hat das Gericht den Bestand oder Nichtbestand der Schuld festgestellt, wirkt diese Feststellung nicht nur für die Betreibung, in deren Rahmen die Klage eingereicht wurde, sondern sie hat materielle Wirkung auch auf zukünftige Betreibungen und tritt in volle Rechtskraft (BBl 1991 III 70). Die Urteile haben volle materielle Rechtskraft und nicht bloss Wirkung für die hängige Betreibung, die den Prozess veranlasst hat (Amonn/Walther, a.a.O., § 4 N. 48 und 49, mit Hinweis auf das Urteil 5P.337/2006 vom 27. November 2006 und BGE 133 III 580 E. 2 S. 581 ff.).
2.2 Wenn der Krankenversicherer schon vor Einleitung der Betreibung im Besitze einer rechtskräftigen Verfügung ist, ist eine direkte Fortsetzung der Betreibung ohne Erwirkung eines Rechtsöffnungsentscheides gemäss Art. 80 SchKG nicht zulässig (RKUV 1984 Nr. K 577 S. 105 E. 2a [Urteil K 54/82 vom 29. Juli 1983]). Ebenso hat ein Versicherer nicht die Möglichkeit, bei gleicher Sachlage nach der rechtskräftigen Erledigung eines Versicherungsfalles durch voraussetzungslosen Erlass einer zweiten, das gleiche Rechtsverhältnis betreffenden Verfügung dem Versicherten erneut den Rechtsmittelweg zu eröffnen (BGE 116 V 62 E. 3a S. 63 mit Hinweisen). Diese Verfahrensregeln können auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein Versicherer nach Erhebung eines Rechtsvorschlags durch den Erlass einer zweiten Verfügung im gleichen Sinne über denselben Streitgegenstand nochmals entscheidet, um den Rechtsvorschlag zu beseitigen.
2.3 Im ersten, mit Urteil 9C_887/2007 vom 14. Februar 2008 abgeschlossenen Verfahren war bereits Streitgegenstand, ob die Verpflichtung des Versicherten zur Bezahlung des Betrages von Fr. 1'848.85 (zuzüglich Mahnkosten) rechtmässig ist (vgl. dort E. 3.1). Dies wurde unter Verweis auf den kantonalen Entscheid bejaht. Entsprechend wurde dispositivmässig die Beschwerde abgewiesen und so der vorinstanzliche Entscheid bestätigt, der materiell zum gleichen Ergebnis kam. Mit der Verfügung vom 30. April 2009 und dem sie bestätigenden Einspracheentscheid vom 17. Juni 2009 hat die Concordia jedoch, entgegen der Darstellung der Vorinstanz, nicht über die (bereits materiell rechtskräftig feststehende) Forderung unzulässigerweise erneut verfügt, sondern sie hat nach dem klaren Wortlaut der Verfügung den Rechtsvorschlag in der erneuten Betreibung aufgehoben. Dies ist grundsätzlich zulässig und kann nicht mit der Begründung als unzulässig erklärt werden, es sei damit erneut materiell über die Forderung verfügt worden. Hingegen ist die Verwaltung, wenn ihre Forderung aufgrund einer rechtskräftigen Verfügung bereits feststeht, nicht mehr befugt, in einer neuen Betreibung selber den Rechtsvorschlag zu beseitigen, sondern es ist dazu der Rechtsöffnungsrichter zuständig (Art. 54 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG; vgl. BGE 134 III 115 E. 4.1.2; Pra 2003 Nr. 31 E. 4.1), an welchen sich die Beschwerdeführerin nach dem Gesagten hätte wenden sollen. Der vorinstanzliche Entscheid hält daher im Ergebnis vor Bundesrecht stand.
3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die unterliegende Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 11. Dezember 2009
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Meyer Schmutz