BGer 8C_531/2009
 
BGer 8C_531/2009 vom 23.10.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
{T 0/2}
8C_531/2009
Urteil vom 23. Oktober 2009
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiber Holzer.
Parteien
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,
gegen
G.________, vertreten durch Procap,
Schweizerischer Invaliden-Verband,
Froburgstrasse 4, 4600 Olten,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 6. Mai 2009.
Sachverhalt:
A.
Die 1987 geborene G.________ leidet an mehreren Geburtsgebrechen und bezieht seit dem 1. August 2007 bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Invalidenrente und eine Hilflosenentschädigung für Hilflosigkeit schweren Grades. Am 13. August 2007 ging bei der IV-Stelle des Kantons St. Gallen (nachstehend: die IV-Stelle) ein Kostenvorschlag über einen Betrag von Fr. 7'015.10 für eine Knie-Orthese ein. Am 15. August 2007 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, für die Zeit zwischen dem 8. August 2007 und dem 8. August 2017 die Kosten für Ober- und Unterschenkelorthesen nach ärztlicher Verordnung zu übernehmen. Am 3. Januar 2008 ging bei der IV-Stelle eine Rechnung des Hilfsmittellieferanten über einen Betrag von Fr. 17'787.65 ein. Nach medizinischen Abklärungen und Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle mit Verfügung vom 30. Juli 2008 der Versicherten den Betrag von Fr. 7'015.10 zu und hielt gleichzeitig fest, dass ab 1. Oktober 2007 keine Kostengutsprache für Ober- und Unterschenkelorthesen mehr erteilt werde.
B.
Die von G.________ hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 6. Mai 2009 gut und stellte fest, dass die Versicherte Anspruch auf die Vergütung der Kosten ihrer Beinorthesen habe.
C.
Mit Beschwerde beantragt die IV-Stelle, es sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides die Verfügung vom 30. Juli 2008 zu bestätigen.
Während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf Gutheissung der Beschwerde schliesst, verzichtet G.________ auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).
1.2 Da der vorinstanzliche Entscheid nicht Geldleistungen der Unfall- oder der Militärversicherung betrifft, prüft das Bundesgericht nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde.
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie feststellte, die Versicherte habe Anspruch auf die Vergütung der Kosten ihrer Beinorthesen.
3.
3.1 Gemäss Art. 21 Abs. 1 IVG hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit im Aufgabenbereich, zur Erhaltung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit, für die Schulung, die Aus- und Weiterbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf. Kosten für Zahnprothesen, Brillen und Schuheinlagen werden nur übernommen, wenn diese Hilfsmittel eine wesentliche Ergänzung medizinischer Eingliederungsmassnahmen bilden. Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste zudem nach Art. 21 Abs. 2 IVG ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel.
3.2 Im Rahmen der im Anhang zur HVI aufgeführten Liste besteht gemäss Art. 2 Abs. 1 HVI (SR 831.232.51) Anspruch auf Hilfsmittel, soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind. Anspruch auf die in dieser Liste mit (*) bezeichneten Hilfsmittel besteht nach Art. 2 Abs. 2 HVI nur, soweit diese für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung, die funktionelle Angewöhnung oder für die in der zutreffenden Ziffer des Anhangs ausdrücklich genannte Tätigkeit notwendig sind.
3.3 In Anwendung von Ziff. 2.01 Anhang HVI werden Beinorthesen gemäss Tarifvertrag mit dem Schweizerischen Verband der Orthopädie-Techniker vergütet. Ziff. 2.01 Anhang ist nicht mit (*) bezeichnet.
4.
4.1 Das kantonale Gericht hat in Würdigung der gesamten medizinischen Akten für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich festgestellt, dass bei der Versicherten mit den streitigen Orthesen weder eine eigentliche Selbstsorge, noch eine selbstständige Fortbewegung, noch im engeren Sinn die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt direkt gewährleistet werden. Diese Feststellung ist im bundesgerichtlichen Verfahren unbestritten geblieben.
4.2 Gemäss dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 IVG wird, damit ein Anspruch auf ein Hilfsmittel besteht, ein Bedürfnis vorausgesetzt. Das Hilfsmittel muss demnach für die invalide Person zur Erfüllung des gesetzlich geschützten Zweckes notwendig sein. Diese Bedingung ist rechtsprechungsgemäss dann erfüllt, wenn der versicherten Person nicht zugemutet werden kann, ohne den beanspruchten Gegenstand sich fortzubewegen, mit der Umwelt in Kontakt zu bleiben oder für sich zu sorgen, und wenn die versicherte Person willens und fähig ist, mit Hilfe des beanspruchten Gegenstandes einen dieser Zwecke zu erreichen (EVGE 1968 S. 208 E. 3d S. 212). Der vorinstanzliche Hinweis auf die Materialien zu Art. 21 Abs. 2 IVG bildet keinen hinreichenden Grund, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Bundesrat beantragte in seiner Botschaft lediglich, den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht länger auf jene versicherten Personen einzuschränken, welche das Hilfsmittel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder einer Betätigung im Aufgabenbereich benötigten. Allerdings empfehle sich bei diesen Schwerstinvaliden eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der Art der abzugebenden Hilfsmittel, weshalb der Anspruch auf kostspielige Geräte zur Ermöglichung der Fortbewegung, der Selbstsorge und zur Herstellung des Kontaktes zu beschränken sei (vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend Änderung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 27. Februar 1967, BBl 1967 I 653, S. 676 f.).
4.3 Da nach den verbindlichen vorinstanzlichen Feststellungen die Versicherte auch mit den streitigen Orthesen nicht fähig ist, einen der gesetzlichen Zwecke zu erreichen, besteht kein Anspruch auf Vergütung der Kosten für dieselben; die Verfügung vom 30. Juli 2008 war somit rechtens. Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und der kantonale Entscheid vom 6. Mai 2009 ist aufzuheben.
5.
Aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles erscheint es als gerechtfertigt, von einer Erhebung von Gerichtskosten Umgang zu nehmen (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 6. Mai 2009 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückgewiesen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 23. Oktober 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Holzer