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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
1B_168/2009
Urteil vom 14. Oktober 2009
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz,
Gerichtsschreiber Härri.
Parteien
A.________ AG, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Roger Groner,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, II. Abteilung,
An der Aa 4, Postfach 1356, 6301 Zug,
weitere Beteiligte:
B.________ AG, vertreten durch Rechtsanwalt
Andreas Erb.
Gegenstand
Aufhebung einer Kontensperre,
Beschwerde gegen den Beschluss vom 10. Juni 2009 des Obergerichts des Kantons Zug, Justizkommission, Strafrechtliche Kammer.
Sachverhalt:
A.
Aufgrund einer Strafanzeige der A.________ AG vom 10. Februar 2009 führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug eine Strafuntersuchung insbesondere gegen C.________ wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und weiterer Delikte. Sie wirft ihm vor, er habe als damaliger alleiniger Verwaltungsrat der A.________ AG zusammen mit deren seinerzeitigem Geschäftsführer in Verletzung seiner Treuepflicht dafür gesorgt, dass die A.________ AG zum Vorteil der B.________ AG massiv geschädigt worden sei. So habe er insbesondere daran mitgewirkt, dass ein lukratives Weizengeschäft nicht durch die A.________ AG, sondern durch die B.________ AG, in welcher er nun alleiniger Verwaltungsrat sei, habe abgeschlossen werden können. Ausserdem habe er die A.________ AG mit zahlreichen Einzeltransaktionen geschädigt. Ferner habe er die A.________ AG handlungsunfähig gemacht und vertrauliche Unterlagen der Konkurrenz zugespielt.
Auf Ersuchen der A.________ AG sperrte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 24. März 2009 zwei auf die B.________ AG lautende Konten bei der Bank D.________. Ausserdem forderte die Staatsanwaltschaft Letztere zur Herausgabe verschiedener Kontounterlagen auf.
Mit Verfügung vom 29. April 2009 gab die Staatsanwaltschaft auf Antrag der B.________ AG eines der beiden gesperrten Konten im Betrag von rund 13 Millionen USD zwecks Bezahlung von Rechnungen der Firma E.________ frei und hielt die Sperre des restlichen Betrags auf dem Konto aufrecht.
Auf die von der A.________ AG dagegen erhobene Beschwerde trat das Obergericht des Kantons Zug (Justizkommission) am 10. Juni 2009 nicht ein. Es verneinte die Beschwerdelegitimation. Es erwog, nach seiner Rechtsprechung müsse das zur Beschwerdeführung vorausgesetzte Interesse ein unmittelbares, rechtliches sein; ein lediglich tatsächliches Interesse genüge nicht (E. 1). Die A.________ AG habe als Privatklägerin kein Antragsrecht auf Anordnung einer Kontensperre. Damit könne ihr auch gegen die verfügte teilweise Aufhebung der Kontensperre kein Rechtsmittel zustehen (E. 2.1). Die A.________ AG sei auch nicht gestützt auf Art. 73 Abs. 1 StGB zur Beschwerde legitimiert. Bei der Kontensperre handle es sich lediglich um eine provisorische prozessuale Massnahme zur vorläufigen Sicherstellung von Vermögenswerten, die der Einziehung unterlägen. Erst bei Abschluss des Verfahrens werde über das Schicksal der beschlagnahmten Vermögenswerte definitiv entschieden. Der Geschädigte habe erst dann einen Rechtsanspruch auf Zusprechung der beschlagnahmten Vermögenswerte nach Art. 73 Abs. 1 StGB, wenn diese eingezogen worden seien. Das Interesse der A.________ AG an der Aufrechterhaltung der Kontensperre erweise sich damit als ein nur mittelbares, rein wirtschaftliches (E. 2.2.).
B.
Mit Eingabe vom 11. Juni 2009 erhob die A.________ AG beim Bundesgericht Beschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Ober-gerichts sei aufzuheben. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu erteilen.
C.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Eingabe der A.________ AG vom 11. Juni 2009 verzichtet. Es beantragt unter Hinweis auf seinen Entscheid die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.
Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen. Sie bringt in der Sache vor, die Vorinstanz hätte auf die bei ihr erhobene Beschwerde eintreten müssen.
D.
Mit Verfügung vom 1. Juli 2009 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
E.
Mit E-Mail vom 10. Juli 2009 teilte die B.________ AG dem Bundesgericht mit, die zuständige Zuger Staatsanwältin habe sie darüber unterrichtet, dass die A.________ AG gegen den Beschluss des Ober-gerichts vom 10. Juni 2009 Beschwerde beim Bundesgericht mit dem Antrag auf aufschiebende Wirkung eingereicht habe. Dies habe zur Folge, dass die B.________ AG noch nicht über die freigegebenen Gelder verfügen könne. Die Betroffenheit der B.________ AG im vorliegenden Verfahren sei somit ausgewiesen. Die B.________ AG bat das Bundesgericht, ihr den Empfang einer allfälligen Beschwerde zu bestätigen. Zudem ersuchte sie darum, zu einer Beschwerde Stellung nehmen zu können.
F.
Am 13. Juli 2009 stellte das Bundesgericht der B.________ AG die Be-schwerdeschrift der A.________ AG vom 11. Juni 2009 zur freigestellten Vernehmlassung zu.
G.
Mit Eingabe vom 13. Juli 2009, beim Bundesgericht tags darauf eingegangen, ergänzte die A.________ AG innert noch laufender Beschwerdefrist die Beschwerde.
Am 14. Juli 2009 stellte das Bundesgericht die Beschwerdeergänzung der Beteiligten zur freigestellten Vernehmlassung zu.
H.
Am 24. Juli 2009 reichte die B.________ AG eine Vernehmlassung ein mit dem Antrag, der angefochtene Beschluss des Obergerichts sei zu bestätigen und die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei; der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu entziehen.
Die Staatsanwaltschaft hat zur Beschwerdeergänzung Stellung genommen.
I.
Die A.________ AG hat eine Replik eingereicht. Sie hält an ihrem in der Beschwerde gestellten Antrag fest.
Das Bundesgericht hat die Replik den Beteiligten zur Kenntnisnahme zugestellt.
Erwägungen:
1.
1.1 Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben.
1.2 Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist daher nach Art. 80 BGG zulässig.
1.3 Die Beschwerdeführerin hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen. Sie macht geltend, die Vorinstanz sei zu Unrecht auf die bei ihr erhobene Beschwerde nicht eingetreten, rügt also eine formelle Rechtsverweigerung. Insoweit hat sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids (BGE 120 Ia 157 E. 2a/bb S. 160; Urteil 6B_380/2007 vom 13. November 2007 E. 2.1). Sie ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde befugt.
1.4 Bliebe es beim angefochtenen Entscheid, könnte die B.________ AG den freigegebenen Betrag abziehen. Er stünde im Strafverfahren defi-nitiv nicht mehr zur Verfügung, könnte nicht mehr eingezogen und insbesondere nicht zur Deckung von Schadenersatzforderungen der Beschwerdeführerin gemäss Art. 73 StGB verwendet werden. Man kann sich deshalb fragen, ob der angefochtene Entscheid nicht einen Endentscheid gemäss Art. 90 BGG darstellt. Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben. Die Beschwerde wäre auch zulässig, wenn man einen Zwischenentscheid nach Art. 93 BGG annähme. Mit der Abziehung des freigegebenen Betrags könnte dieser nicht mehr zur Deckung von Schadenersatzansprüchen der Beschwerdeführerin gemäss Art. 73 StGB verwendet werden. Dieser drohte daher aufgrund des angefochtenen Entscheids ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (Urteile 1B_212/2007 vom 12. März 2008 E. 1.3; 1P.189/2000 vom 21. Juni 2000 E. 2).
1.5 Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich beim angefochtenen Entscheid um einen solchen über eine vorsorgliche Massnahme nach Art. 98 BGG handelt, da die Beschwerdeführerin ohnehin nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte rügt.
1.6 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
2.1 Die Beschwerdeführerin bringt vor, das Bundesgericht anerkenne in einem Fall wie hier im bundesgerichtlichen Verfahren ein rechtlich geschütztes Interesse des Geschädigten an der Aufrechterhaltung der Kontensperre. Dasselbe müsse auf kantonaler Ebene gelten. Der angefochtene Beschluss verletze Art. 49 Abs. 1 BV.
2.2 Gemäss Art. 49 Abs. 1 BV geht Bundesrecht entgegenstehendem kantonalem Recht vor.
Erleidet jemand durch ein Verbrechen oder Vergehen einen Schaden, der nicht durch eine Versicherung gedeckt ist, und ist anzunehmen, dass der Täter den Schaden nicht ersetzen oder eine Genugtuung nicht leisten wird, so spricht das Gericht gemäss Art. 73 StGB dem Geschädigten auf dessen Verlangen bis zur Höhe des Schadenersatzes bzw. der Genugtuung, die gerichtlich oder durch Vergleich festgesetzt worden sind, unter anderem eingezogene Vermögenswerte zu (Abs. 1 lit. b). Der Geschädigte hat unter den Voraussetzungen von Art. 73 StGB einen Rechtsanspruch auf Zusprechung eingezogener Vermögenswerte. Mit Blick darauf bejaht das Bundesgericht ein rechtlich geschütztes Interesse des Geschädigten an der Aufhebung eines Entscheids, mit dem eine Beschlagnahme von Vermögenswerten abgelehnt oder aufgehoben wird, und anerkennt ihm daher die Legitimation zur Erhebung der Beschwerde in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 BGG - bzw. altrechtlich zur staatsrechtlichen Beschwerde nach Art. 88 OG - zu; andernfalls wäre die Durchsetzung des Rechtsanspruchs nach Art. 73 StGB nicht gewährleistet (BGE 126 I 97 E. 1a S. 100; Urteile 1B_212/2007 vom 12. März 2008 E. 1.4; 1P.189/2000 vom 21. Juni 2000 E. 2c und 3). Auf diese Rechtsprechung zurückzukommen besteht kein Anlass.
Wer zur Beschwerde an das Bundesgericht berechtigt ist, muss sich gemäss Art. 111 Abs. 1 BGG am Verfahren vor allen kantonalen Vorinstanzen als Partei beteiligen können. Die kantonalen Behörden dürfen deshalb die Rechtsmittelbefugnis nicht enger fassen, als dies für die Beschwerde an das Bundesgericht gilt (Urteile 1C_405/2008 vom 18. März 2009 E. 2.1; 2C_504/2008 vom 28. Januar 2009 E. 5, mit Hinweisen; Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4349). Die Vorinstanz hätte demnach die Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführerin, welche nach dem Gesagten im bundesgerichtlichen Verfahren auch in der Sache gegeben wäre, bejahen müssen. Indem sie das nicht getan hat, hat sie Art. 111 Abs. 1 BGG und damit Bundesrecht missachtet, das kantonalem Recht vorgeht.
Die Beschwerde ist insoweit begründet. Ob - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - der angefochtene Nichteintretensentscheid überdies ihr Recht auf Zugang zu einem Gericht (Rechtsweggarantie, Art. 29a BV und Art. 6 EMRK) bzw. auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK) verletze, kann dahingestellt bleiben.
2.3 Die Vorinstanz erwägt (angefochtener Entscheid S. 5 E. 3), da sie auf die Beschwerde nicht eintrete, erweise sich das Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführerin vom 2. bzw. 8. Juni 2009 als obsolet.
Die Vorinstanz wird bei der Neubeurteilung zu diesem Akteneinsichtsgesuch Stellung zu nehmen haben.
3.
Die B.________ AG unterliegt. Sie hat den Nichteintretensentscheid der Vorinstanz jedoch nicht zu vertreten. Es werden daher keine Kosten erhoben (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4 BGG). Der Kanton hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).
Mit dem vorliegenden Entscheid braucht über den Antrag auf Entzug der aufschiebenden Wirkung nicht mehr befunden zu werden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons Zug (Justizkommission) vom 10. Juni 2009 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Der Kanton Zug hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der B.________ AG, der Staatsanwaltschaft, II. Abteilung, und dem Obergericht des Kantons Zug, Justizkommission, Strafrechtliche Kammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 14. Oktober 2009
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Féraud Härri