BGer 8C_768/2008
 
BGer 8C_768/2008 vom 03.06.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
8C_768/2008 {T 0/2}
Urteil vom 3. Juni 2009
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichter Frésard, Maillard,
Gerichtsschreiberin Schüpfer.
Parteien
B.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Gabi Kink,
gegen
AXA Versicherungen AG, General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur, Beschwerdegegnerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Adelrich Friedli.
Gegenstand
Unfallversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 26. August 2008.
Sachverhalt:
A.
Die 1965 geborene B.________ war als Abteilungsleiterin der Hotellerie in der Klinik A._________ tätig und dadurch bei den Winterthur Versicherungen (heute AXA Versicherungen AG, nachfolgend: AXA) obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert, als sie am 10. Juli 2003 als Velofahrerin von einem Automobilisten an der Lenkstange touchiert und zu Fall gebracht wurde. Sie erlitt ein Hyperextensionstrauma der Halswirbelsäule (HWS) und eine leichte commotio cerebri. Die Unfallversicherung erbrachte Heilbehandlung und richtete Taggeldleistungen im Rahmen von vorerst 50%, kurze Zeit später von 100% aus. B.________ liess sich mit Craniosakraltherapie, Heileurythmie und Physiotherapie behandeln und unternahm im November/Dezember 2003 einen Arbeitsversuch mit einem 25%-Pensum am angestammten Arbeitsplatz, der insbesondere wegen neuropsychologischen Defiziten und daraus resultierenden vermehrten Kopfschmerzen nach drei Wochen abgebrochen werden musste. Es folgte ein stationärer Rehabilitationsaufenthalt vom 2. März bis 8. April 2004 an der Klinik Y.________, wo eine neuropsychologische Untersuchung unterdurchschnittliche Resultate zeigte. Eine nachfolgende ambulante neuropsychologische Therapie erbrachte im Verlaufe der Zeit eine messbare Verbesserung der Beschwerden. Nach einem entsprechenden Bericht über Kontrolluntersuchungen durch Prof. Dr. med. E.________, Chefarzt der Klinik Y.________, vom 27. September 2006, liess die AXA die Verunfallte am Schweizerischen Institut Z.________ neurologisch, neuropsychologisch und psychiatrisch untersuchen. Gestützt auf die Expertise vom 10. September 2007 eröffnete die Unfallversicherung B.________ mit Verfügung vom 24. Januar 2008, sie stelle ihre Leistungen rückwirkend auf Ende Oktober 2007 ein. Zur Begründung führte sie aus, die noch geklagten Beschwerden stünden nicht in einem rechtserheblichen Zusammenhang zum Unfall vom 10. Juli 2003. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 29. April 2008).
B.
B.________ reichte gegen den Einspracheentscheid Beschwerde ein, welche das Verwaltungsgericht des Kanons Bern mit Entscheid vom 26. August 2008 abwies.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________ beantragen, in Aufhebung von Einsprache- und vorinstanzlichem Entscheid seien die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht sie um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die AXA beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es kann die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern prüfen, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht einen Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung aus dem Velounfall vom 10. Juli 2003 über den 31. Oktober 2007 hinaus zu Recht verneint hat.
Die Rechtsgrundlagen für die Beurteilung der Streitsache sind im angefochtenen Entscheid, auf den verwiesen wird, richtig dargelegt. Hervorzuheben ist, dass die Leistungspflicht des Unfallversicherers nebst anderem einen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Schaden voraussetzt. Liegt eine Gesundheitsschädigung mit einem klaren organischen Substrat vor, kann der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel ohne weiteres zusammen mit dem natürlichen Kausalzusammenhang bejaht werden. Anders verhält es sich bei natürlich unfallkausalen, aber organisch nicht objektiv ausgewiesenen Beschwerden. Hier lässt sich die Adäquanzfrage nicht ohne eine besondere Prüfung beantworten. Dabei ist vom augenfälligen Geschehensablauf auszugehen und es sind je nachdem weitere unfallbezogene Kriterien einzubeziehen. Bei psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall werden diese Adäquanzkriterien unter Ausschluss psychischer Aspekte geprüft (sog. Psycho-Praxis; BGE 115 V 133), während bei Schleudertraumen und äquivalenten Verletzungen der HWS sowie Schädel-Hirntraumen auf eine Differenzierung zwischen physischen und psychischen Komponenten verzichtet wird (sog. Schleudertrauma-Praxis; zum Ganzen: BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 112 mit Hinweisen).
3.
Das kantonale Gericht hat zunächst nach Würdigung der medizinischen Akten, insbesondere des Gutachtens des Instituts Z.________ vom 10. September 2007 - dessen Erkenntnisse mit denjenigen des Prof Dr. med. E.________ von der Klinik Y.________ übereinstimmen - erwogen, dass keine organisch objektiv ausgewiesene Unfallfolge vorliege, welche die persistierenden Beschwerden zu erklären vermöchte. Gleichzeitig hielt es fest, dass nach Angaben der Gutachter zwar eine Weiterführung der Psychotherapie angezeigt, von einer namhaften Besserung des Gesundheitszustandes im Sinne der sozialen Unfallversicherung aber nicht auszugehen sei (vgl. BGE 134 V 109 E. 4.1 S. 114 und 4.3 S. 115). Weiter ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin beim Unfall eine Distorsion der HWS und eine Gehirnerschütterung erlitten und unmittelbar nach dem Ereignis über Kopf- und Nackenschmerzen geklagt hat. Später sind Schwindel, Wahrnehmungs- und Konzentrationsstörungen aufgetreten, also Elemente des sogenannt typischen Beschwerdebildes nach den erwähnten Verletzungen. Obwohl nach Erkenntnis des neurologischen Gutachters von Anfang an auch eine ausgeprägte psychische Fehlentwicklung eingetreten ist, hat der begutachtende Psychiater keine entsprechende Diagnose gestellt. Die physischen und die psychischen Beeinträchtigungen sind auf den Unfall vom 10. Juli 2003 zurückzuführen. Der natürliche Kausalzusammenhang zwischen den gesundheitlichen Leiden und dem Unfallereignis ist daher zu bejahen.
4.
Fehlt es nach dem Gesagten an einer organisch klar ausgewiesenen Unfallfolge, hat eine besondere Adäquanzprüfung zu erfolgen (E. 2 hievor). Das kantonale Gericht hat diese nach der in BGE 134 V 109 präzisierten Rechtsprechung vorgenommen. Daran lässt sich nichts aussetzen.
4.1 Für die Adäquanzbeurteilung ist an das (objektiv erfassbare) Unfallereignis anzuknüpfen, wobei zwischen banalen bzw. leichten Unfällen einerseits, schweren Unfällen anderseits und schliesslich dem dazwischen liegenden mittleren Bereich unterschieden wird. Während der adäquate Kausalzusammenhang in der Regel bei schweren Unfällen ohne weiteres bejaht und bei leichten Unfällen verneint werden kann, lässt sich die Frage der Adäquanz bei Unfällen aus dem mittleren Bereich nicht aufgrund des Unfallgeschehens allein schlüssig beantworten. Es sind weitere, objektiv erfassbare Umstände, welche unmittelbar mit dem Unfall in Zusammenhang stehen oder als direkte bzw. indirekte Folgen davon erscheinen, in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen. Je nachdem, wo im mittleren Bereich der Unfall einzuordnen ist und abhängig davon, ob einzelne dieser Kriterien in besonders ausgeprägter Weise erfüllt sind, genügt zur Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhangs ein Kriterium oder müssen mehrere gegeben sein (BGE 134 109 E. 10.1 S. 126 f. mit Hinweisen).
Massgebend für die Beurteilung der Unfallschwere ist der augenfällige Geschehensablauf mit den sich dabei entwickelnden Kräften (SVR 2008 UV Nr. 8 S. 26, U 2, 3 und 4/07, E. 5.2 und 5.3.1; Urteil 8C_986/2008 vom 23. März 2009, E. 4.2). Das kantonale Gericht hat den Unfall vom 10. Juli 2003, bei welchem die Rad fahrende Beschwerdeführerin von einem überholenden Personenwagen an der Lenkstange touchiert wurde, wobei sie stürzte und den mit einem Helm geschützten Kopf aufschlug, im mittleren Bereich an der Grenze zu den leichten Ereignissen eingeordnet. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden. Von den weiteren massgeblichen Kriterien müssten für eine Bejahung des adäquaten Kausalzusammenhanges daher entweder ein einzelnes in besonders ausgeprägter Weise oder aber mehrere in gehäufter oder auffallender Weise gegeben sein (BGE 134 V 109 E. 10.1 S. 126 f., 117 V 359 E. 6 S. 367 f.).
4.2
4.2.1 Das kantonale Gericht hat dasjenige der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengungen als teilweise gegeben erachtet, die übrigen verneint. Zu Recht unbestritten sind die beiden (durch BGE 134 V 109 nicht geänderten) Kriterien der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen sowie der ärztlichen Fehlbehandlung, welche die Unfallfolgen erheblich verschlimmert.
Die Beschwerdeführerin macht zusätzlich geltend, es sei durch den seitlichen Sturz mit Kopfanprall das Kriterium der Schwere oder besonderen Art der erlittenen Verletzungen erfüllt. Zudem erachtet sie dasjenige einer fortgesetzt spezifischen und belastenden ärztlichen Behandlung als in ausgeprägter Weise vorliegend und auch jenes der erheblichen Beschwerden trotz ausgewiesener Anstrengungen als gegeben.
4.2.2 Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung hat sie sich wegen des seitlichen Sturzes vom Fahrrad mit Kopfanprall nicht eine "besondere Art" einer HWS-Distorsion zugezogen. Auch der Umstand, dass sie vermutlich zusätzlich eine leichte commotio cerebri erlitt, ohne dass sie das Bewusstsein verloren hätte, ändert nichts am Umstand, dass die Unfallverletzungen weder ausserordentlich noch besonders schwer waren. Entsprechende Feststellungen fehlen denn auch in den verschiedenen ärztlichen Zeugnissen.
4.2.3 Auch das Kriterium der fortgesetzt spezifischen, belastenden ärztlichen Behandlung kann als höchstens in "einfacher" und nicht in "besonders ausgeprägter Weise" erfüllt erachtet werden. Die im Wesentlichen erfolgten ambulanten Physiotherapien, Craniosacraltherapien und Heileurythmie, später Psychotherapie und neuropsychologische Therapie, nebst ärztlichen Verlaufskontrollen, genügt ebensowenig wie ein einmaliger stationärer Rehabilitationsaufenthalt während etwas mehr als einem Monat. Die diversen Therapien erfolgten ohne zusätzliche Medikation. Sie mögen die Beschwerdeführerin zwar in zeitlicher Hinsicht erheblich beansprucht haben. Andererseits ist nicht ersichtlich, dass sie in ausgeprägter Weise belastend waren.
4.2.4 Es liegen auch kein schwieriger Heilungsverlauf oder erhebliche Komplikationen im Sinne des entsprechenden Kriteriums vor. Es müssten hiefür besondere Gründe, welche die Heilung beeinträchtigt haben, gegeben sein (vgl. auch zum Folgenden: SVR 2007 UV Nr. 25 S. 81, U 479/05, E. 8.5; Urteil 8C_803/2007 vom 3. September 2008, E. 3.4.1). Solche Gründe sind aus den Akten nicht ersichtlich. Dass Beschwerden trotz medizinischer Behandlung anhalten, genügt nicht (Urteile 8C_691/2007 vom 1. September 2008, E. 2.3.3, und 8C_57/2008 vom 16. Mai 2008, E. 9.6.1 mit Hinweis). Diese waren denn bei der Versicherten auch nicht sehr ausgeprägt. Sie klagte schon bald nach dem Unfall nicht mehr über Schmerzen - sie konnte beispielsweise von Beginn weg auf eine Schmerzmedikation verzichten -, sondern nur noch über neuropsychologische Defizite, die aber auf die entsprechende Behandlung sehr gut ansprachen, sodass im Zeitpunkt des Fallabschlusses kaum mehr entsprechende Beeinträchtigungen feststellbar waren. Damit ist auch dieses Kriterium nicht erfüllt.
4.2.5 Ob das Kriterium der erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengung als erfüllt gilt, kann vorliegend offen bleiben, da es - wenn überhaupt - nicht ausgeprägt vorliegt. Dies, weil im Zeitpunkt des Fallabschlusses gemäss überzeugendem Gutachten vom 10. September 2007 nur noch eine leichte Leistungseinbusse in der angestammten Tätigkeit als Hotelliere in Form einer Verlangsamung oder dem Bedürfnis von vermehrten Pausen ausgewiesen war.
4.3 Die adäquanzrelevanten Kriterien liegen somit weder gehäuft vor, noch ist eines besonders ausgeprägt gegeben. Es fehlt daher an einem rechtserheblichen Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 10. Juli 2003 und den noch bestehenden leichten Beeinträchtigungen. Das kantonale Gericht hat eine Leistungspflicht der AXA hiefür demnach zu Recht verneint.
5.
Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Gleichzeitig wird ihr die unentgeltliche Rechtspflege (Prozessführung und Verbeiständung; Art. 64 BGG) gewährt, da die hiefür erforderlichen Voraussetzungen (Bedürftigkeit, Nichtaussichtslosigkeit und Gebotenheit einer Verbeiständung) gegeben sind (BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372, je mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.
3.
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.
4.
Rechtsanwältin Gabi Kink, wird als unentgeltliche Anwältin der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2800.- ausgerichtet.
5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 3. Juni 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin:
Ursprung Schüpfer