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Original
 
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
6B_922/2008
Urteil vom 2. April 2009
Strafrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Favre, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Wiprächtiger,
Gerichtsschreiber Stohner.
Parteien
X.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Flurin Turnes,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 3. September 2008.
Sachverhalt:
A.
Das Kantonsgericht St. Gallen befand X.________ am 3. September 2008 zweitinstanzlich der fahrlässigen Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen à Fr. 90.--. Den Vollzug schob es unter Festsetzung einer Probezeit von zwei Jahren auf.
B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit den Anträgen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen vom 3. September 2008 sei aufzuheben, und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt.
Erwägungen:
1.
In der Anklage wird dem Beschwerdeführer vorgeworfen, am 9. März 2005 um 15.23 Uhr in St. Gallen den die Fahrbahn überquerenden Fussgänger A.________ (geboren am 11. März 1922, [nicht an den Unfallfolgen] verstorben am 20. November 2006) aufgrund unzureichender Aufmerksamkeit übersehen und mit seinem Personenwagen angefahren zu haben. A.________ stürzte als Folge der Kollision auf die Fahrbahn und zog sich verschiedene Verletzungen zu (Kieferköpfchenfraktur rechts, Prellung Oberarm, Rissquetschwunde am Kinn, Prellung Gesicht, defekte Zahnprothese, abgebrochener Zahn). Er stellte am 23. Mai 2005 Strafantrag gegen den Beschwerdeführer.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer bestreitet den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung nicht. Er bringt jedoch vor, die Vorinstanz habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da aufgrund ihrer Untätigkeit wichtige Beweismittel verloren gegangen seien, nämlich die (gerichtliche) Befragung des Opfers und eine Rekonstruktion vor Ort. Bei Abnahme dieser Beweise hätte sich zweifelsfrei ergeben, dass das Opfer die Strasse nicht auf, sondern mindestens drei Meter neben dem Fussgängerstreifen betreten habe.
Der Beschwerdeführer macht zudem geltend, Inselschutzpfosten hätten ihm drei oder vier Mal die Sicht auf den auf dem linksseitigen Trottoir gehenden A.________ verdeckt. Er habe seinen Blick sehr wohl auch nach links gewendet, den Fussgänger aber nicht sehen können. Die gegenteilige Feststellung der Vorinstanz sei offensichtlich unrichtig.
2.2 Die Vorinstanz ist gestützt auf den Grundsatz "in dubio pro reo" zugunsten des Beschwerdeführers ausdrücklich davon ausgegangen, dass das Opfer die Strasse nicht auf, sondern neben dem Fussgängerstreifen betreten hat. Sie konnte daher im Ergebnis insoweit ohne Gehörsverletzung auf die Abnahme weiterer Beweise verzichten.
Die Vorinstanz hat festgestellt, der Beschwerdeführer hätte den verunfallten Fussgänger insbesondere angesichts des übersichtlichen Strassenverlaufs ohne weiteres erkennen können, und es sei unerheblich, ob das Opfer (teilweise) und nur für einen sehr kurzen Augenblick durch die Inselschutzpfosten verdeckt gewesen sei. Dass der Beschwerdeführer A.________ nicht gesehen habe, sei mithin einzig darauf zurückzuführen, dass er nicht auf die linke Trottoirseite geblickt habe.
Der Beschwerdeführer vermag nicht aufzuzeigen, weshalb diese Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unhaltbar im Sinne von Art. 9 BV sein sollten, denn Willkür in der Beweiswürdigung liegt einzig vor, wenn das Gericht in seinem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 134 I 140 E. 5.4). Vielmehr sind die Ausführungen im angefochtenen Urteil durchaus plausibel, was im Übrigen indirekt auch vom Beschwerdeführer bestätigt wird, da er mit dem Einwand, die Inselschutzpfosten hätten ihm die Sicht drei bis vier Mal verdeckt, implizit eingesteht, dass der Fussgänger zumindest dazwischen erkennbar gewesen wäre.
Die Beschwerde ist daher in diesem Punkt abzuweisen.
3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt weiter eine Verletzung von Art. 26 und Art. 33 SVG. Die Vorinstanz habe einerseits das Vertrauensprinzip von Art. 26 SVG falsch angewendet, denn er habe nicht damit rechnen müssen, dass sich ein - nota bene geh- und sehbehinderter - Fussgänger derart unvorsichtig verhalte, d.h. sich so bewege, dass er drei bis vier Mal durch Sichthemmnisse verdeckt werde, und schliesslich die Strasse neben dem Fussgängerstreifen betrete. Andererseits habe die Vorinstanz Art. 33 SVG verletzt, finde diese Bestimmung doch vorliegend keine Anwendung, da sich der Fussgänger drei Meter neben und nicht auf dem Fussgängerstreifen befunden habe (Beschwerde S. 5 - 7).
3.2 Die Vorinstanz hat erwogen, der Beschwerdeführer hätte vorliegend nicht nur das aus seiner Sicht rechtsseitige Trottoir und die dortige Bushaltestelle, sondern auch das Geschehen auf der Gegenfahrbahn und auf dem linksseitigen Trottoir beobachten müssen. Wäre er seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen, so hätte er erkennen können und müssen, dass ein Fussgänger erhöhten Alters vom linksseitigen Trottoir aus regelwidrig die Strasse zu überqueren beabsichtigte. Der Unfall wäre daher voraussehbar und auch vermeidbar gewesen, da der Beschwerdeführer sein Fahrzeug rechtzeitig hätte abbremsen können. An dieser Schlussfolgerung vermöge auch der Umstand, dass A.________ die Fahrbahn mit gesenktem Kopf, ohne Kontrollblick und neben dem Fussgängerstreifen, betreten und sich damit regelwidrig verhalten habe, nichts zu ändern, denn auch dies hätte der Beschwerdeführer wahrnehmen können und müssen. In dieser Situation wäre er gehalten gewesen, auf sein Vortrittsrecht zu verzichten.
3.3
3.3.1 Gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt. Fahrlässig begeht der Täter ein Verbrechen oder Vergehen, wenn er die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder darauf nicht Rücksicht genommen hat. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB).
3.3.2 Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung ist die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Nach dem Massstab der Adäquanz muss sein Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden eines Dritten oder Material- oder Konstruktionsfehler, als Mitursachen hinzutreten, mit welchen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Beschuldigten - in den Hintergrund drängen (BGE 131 IV 145 E. 5.2; 130 IV 7 E. 3.2; 129 IV 282 E. 2.1).
3.3.3 Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften, wobei die gesamten Umstände des konkreten Falls, namentlich die Verkehrsdichte, die örtlichen Verhältnisse, die Zeit, die Sicht und die voraussehbaren Gefahrenquellen zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 122 IV 17 E. 2b/aa mit Hinweisen).
Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten (Art. 33 Abs. 2 SVG). Der Fahrzeuglenker hat, wenn er sich einem Fussgängerstreifen nähert, beide Fahrbahnen und Trottoirseiten zu beobachten (vgl. BGE 129 IV 39 E. 2.2; siehe auch René Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I, 2. Aufl. 2002, N. 653). Gegenüber Fussgängern, welche die Strasse neben einem Fussgängerstreifen zu überqueren beabsichtigen, ist der Fahrzeuglenker grundsätzlich vortrittsberechtigt, auch wenn er ihnen gemäss Art. 33 Abs. 1 SVG das Überqueren der Strasse in angemessener Weise zu ermöglichen hat.
Nach der Grundregel von Art. 26 Abs. 1 SVG muss sich im Verkehr jeder Teilnehmer so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet. Aus dieser Bestimmung leitet die Rechtsprechung den Vertrauensgrundsatz ab, nach welchem jeder Strassenbenützer, der sich selbst verkehrsgemäss verhält, darauf vertrauen darf, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäss verhalten (BGE 129 IV 282 E. 2.2 mit Hinweisen). Der Vertrauensgrundsatz gilt auch im Verhältnis zwischen Fahrzeuglenkern und Fussgängern im Bereich von Fussgängerstreifen (BGE 129 IV 39 E. 2.2).
Solches Vertrauen ist jedoch unter bestimmten in Art. 26 Abs. 2 SVG enumerierten Umständen nicht gerechtfertigt und kann deshalb sorgfaltspflichtwidrig sein. Dies gilt zunächst, wenn bereits Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird oder wenn ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers auf Grund einer unklaren Verkehrssituation nach der allgemeinen Erfahrung unmittelbar in die Nähe rückt. Art. 26 Abs. 2 SVG gebietet ausserdem eine besondere Vorsicht gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten. Gebrechliche und alte Menschen verhalten sich im Strassenverkehr oft zögernd, verarbeiten die Verkehrsvorgänge manchmal unzureichend und reagieren teilweise langsam. Diesen risikoerhöhenden Faktoren ist mit den entsprechenden Vorsichtsmassnahmen zu begegnen (Schaffhauser, a.a.O., N. 447). Die gegenüber den erwähnten Personen vorgeschriebene besondere Vorsicht bedeutet weiter, dass eine Berufung auf das Vertrauensprinzip grundsätzlich selbst dann unzulässig ist, wenn keine konkreten Anzeichen dafür vorliegen, dass sich Gebrechliche oder alte Personen unkorrekt verhalten werden. Vielmehr bedarf es besonderer Umstände, welche positiv für ein begrenztes Vertrauen in deren ordnungsgemässes Verhalten im Verkehr sprechen (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1; vgl. auch Schaffhauser, a.a.O., N. 441).
3.4 Das angefochtene Urteil verletzt kein Bundesrecht. Gestützt auf Art. 33 Abs. 2 SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen, d.h. wenn er sich solchen nähert, besonders vorsichtig zu fahren. Diese Sorgfaltspflicht wird nicht dadurch aufgehoben, dass ein Fussgänger die Strasse regelwidrig knapp neben dem Fussgängerstreifen betritt. Wie die Vorinstanz weiter zutreffend erwogen hat, war der Beschwerdeführer zwar vortrittsberechtigt, hätte aber gestützt auf Art. 26 Abs. 2 SVG gegenüber dem sich regelwidrig verhaltenden betagten Fussgänger besondere Vorsicht walten lassen müssen.
Diesen Sorgfaltspflichten ist der Beschwerdeführer nicht nachgekommen, da er, wie die Vorinstanz willkürfrei festgestellt hat, seinen Blick nicht (auch) auf die linke Trottoirseite gerichtet hat. Hätte er dies getan, hätte er wahrnehmen können und müssen, dass sich A.________ anschickte, die Strasse zu überqueren. Bei Aufwendung der gebotenen Aufmerksamkeit wäre das Fehlverhalten des Opfers für den Beschwerdeführer mithin vorhersehbar gewesen, und er hätte in dieser Situation auf sein Vortrittsrecht verzichten müssen. Des Weiteren liegt kein kausalitätsunterbrechendes Selbstverschulden des Unfallopfers vor, denn dessen Verhalten war unter den gegebenen Umständen nicht derart ungewöhnlich, dass der Beschwerdeführer damit überhaupt nicht hätte rechnen müssen.
Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer somit zu Recht der fahrlässigen Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB für schuldig befunden.
4.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. April 2009
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Favre Stohner