BGer 8C_360/2008
 
BGer 8C_360/2008 vom 20.02.2009
Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
8C_360/2008
{T 0/2}
Urteil vom 20. Februar 2009
I. sozialrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Ursprung, Präsident,
Bundesrichterinnen Leuzinger, Niquille,
Gerichtsschreiber Grunder.
Parteien
A.________, Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter F. Siegen,
gegen
IV-Stelle des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, Beschwerdegegnerin.
Gegenstand
Invalidenversicherung,
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 13. August 2008.
Sachverhalt:
A.
Die 1949 geborene A.________, die ab September 2002 als Verkäuferin in einem Imbissstand arbeitstätig gewesen war, meldete sich am 2. Dezember 2004 wegen Kopf-, Nacken- und Schulterschmerzen mit Ausstrahlung in beide Arme sowie Rücken-, Becken- und Kniebeschwerden zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau holte u.a. eine Stellungnahme des Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für physikalische Medizin und Rehabilitation, speziell Rheumatologie, vom 6. März 2005 (mit weiteren ärztlichen Auskünften) sowie die Unterlagen der Krankentaggeldversicherung ein (worunter ein Bericht des Dr. med. G.________, Allg. Medizin FMH, vom 30. September 2004 sowie ein Gutachten des Instituts X.________ vom 19. Mai 2005 mit konsiliarischer Beurteilung des Dr. med. K.________, Chefarzt-Stellvertreter, Spital B.________, Klinik für Rheumatologie und Rehabilitation, vom 5. April 2005) und sprach der Versicherten mit Verfügungen vom 7. September 2005 für Dezember 2004 eine Dreiviertel- und vom 1. Januar bis 28. Februar 2005 eine halbe Invalidenrente zu; einen weitergehenden Anspruch verneinte sie. Die Einsprache, mit welcher ein Bericht des Dr. med. C.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 24. Oktober 2005 aufgelegt wurde, wies die IV-Stelle, nach Bestellung eines interdisziplinären versicherungsmedizinischen Gutachtens des Instituts P.________ vom 13. September 2006 (mit schriftlichen Konsilien der Dres. med. Y.________, Eidg. Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Institutsleiter des Instituts P.________, vom 12. September 2006 und M.________, Facharzt für Rheumatologie/Innere Medizin, Institut P.________, vom 12. September 2006) ab (Einspracheentscheid vom 28. Dezember 2006).
B.
Mit hiegegen eingereichter Beschwerde wurde ein Bericht des Röntgeninstituts D.________ vom 3. Januar 2007 eingereicht und beantragt, der Versicherten sei ab 1. Dezember 2004 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zuzusprechen. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau wies das Rechtsmittel ab (Entscheid vom 13. August 2008).
C.
Mit Beschwerde lässt A.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren wiederholen. Ferner ersucht sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassungen.
Erwägungen:
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin ab 1. Dezember 2004 Anspruch auf eine unbefristete ganze Rente der Invalidenversicherung hat.
3.
3.1 Die Vorinstanz erwog, dass zur Beurteilung des Gesundheitszustands und der Arbeitsunfähigkeit auf das Gutachten des Instituts P.________ abzustellen sei. Gestützt darauf sei der Versicherten ab März 2005 die Ausübung leidensadaptierter Erwerbstätigkeiten vollzeitlich mit einer 30%igen Leistungseinschränkung zuzumuten.
3.2 Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Expertise des Instituts P.________ sei unvollständig und enthalte Widersprüche. So hätten die Sachverständigen die Diagnose des psychiatrischen Konsiliarius im interdisziplinären Gutachten nicht erwähnt. Weiter habe der beigezogene Rheumatologe offensichtlich notwendige radiologische Abklärungen in Bezug auf die Schmerzproblematik im rechten Schulter-/ Armgelenk unterlassen. Schliesslich sei unklar, ob die psychiatrisch und rheumatologisch festgestellten Beeinträchtigungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit zu kumulieren seien. Diese Mängel hätte die Vorinstanz durch eine erneute fachärztliche Begutachtung prüfen lassen müssen. Statt dessen habe sie den medizinisch relevanten Sachverhalt gestützt auf eine eigene, nicht fachkundige Beurteilung ermittelt.
3.3
3.3.1 Laut Art. 61 lit. c ATSG stellt das (kantonale) Versicherungsgericht unter Mitwirkung der Parteien die für den Entscheid erheblichen Tatsachen fest; es erhebt die notwendigen Beweise und ist in der Beweiswürdigung frei.
3.3.2 Nach der Rechtsprechung haben Sozialversicherungsgericht und Verwaltung die gesamten verfügbaren medizinischen Unterlagen zu würdigen und zu prüfen, ob sie eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Für den Beweiswert von medizinischen Auskünften ist entscheidend, ob sie für die streitigen Belange umfassend sind, auf allseitigen Untersuchungen beruhen, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigen, in Kenntnis der Vorakten abgegeben worden sind, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchten und ob die Schlussfolgerungen begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich weder die Herkunft eines ärztlichen Beweismittels, noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen ärztlichen Stellungnahmen als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352, 122 V 157 E. 1c S. 160 f. mit Hinweisen; RKUV 2003 Nr. U 487 S. 345, U 38/01 E. 5.1).
Nicht vollständig ist ein medizinisches Gutachten, wenn es nicht alle gestellten Fragen beantwortet oder der Fragenkatalog nicht alle rechtserheblichen Tatfragen umfasst, wenn der Experte wesentliche Anknüpfungstatsachen, d.h. in den Vorakten enthaltene tatsächliche Grundlagen nicht berücksichtigt, wenn er erhebliche - nicht den Akten entnommene - Befundtatsachen nicht durch eigene Befragungen, Untersuchungen oder Abklärungen erhoben hat oder wenn er die fachlichen Schwierigkeiten, die eine Beantwortung der Expertenfragen erschweren oder verunmöglichen, nicht darlegt (Urteil I 568/06 vom 22. November 2006 E. 5.1 in fine mit Hinweis auf A. BÜHLER, Beweismass und Beweiswürdigung bei Gerichtsgutachten, in: W. FELLMANN/ ST. WEBER [Hrsg.], Der Haftpflichtprozess, Tücken der gerichtlichen Schadenerledigung, Zürich 2006, S. 67; vgl. auch ULRICH MEYER, Die Beweisführung im Sozialversicherungsrecht, in: Nicht objektivierbare Gesundheitsbeeinträchtigungen: Ein Grundproblem des öffentlichen und privaten Versicherungsrechts sowie Haftpflichtrechts, ERWIN MURER [Hrsg.], Bern 2006, S. 206 ff. und 217 f.).
3.4
3.4.1 Nach den zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid beruht der Umstand, dass die vom psychiatrischen Konsiliarius Dr. med. Y.________ am 12. September 2006 diagnostizierte leichtgradige depressive Störung ohne somatisches Syndrom (ICD-10: F32.00) im Hauptgutachten des Instituts P.________ vom 13. September 2006 nicht in die Diagnosenliste aufgenommen wurde, offenkundig auf einem Versehen. In der interdisziplinären Diskussion gingen die Sachverständigen einlässlich auf den psychiatrischen Status und die daraus sich ergebende leichte Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (20 bis 30 %) ein. Soweit die Beschwerdeführerin wiederholt inhaltliche Diskrepanzen zwischen der gutachterlichen Beurteilung des Dr. med. Y.________ und dem behandelnden Psychiater Dr. med. C.________ (Bericht vom 24. Oktober 2005) geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass beide Ärzte weitgehend dieselben Befunde erhoben. Die Diagnose des letztgenannten Arztes (mittelschwere depressive Episode mit somatischen Beschwerden [ICD-10: F32.11]) beruhte explizit auch auf psychosozialen Belastungsfaktoren, die keine Invalidität im Rechtssinne zu begründen vermögen. Er hat denn auch keine Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit vorgenommen. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, dass hier der Erfahrungstatsache, wonach behandelnde Ärzte mitunter im Hinblick auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu Gunsten ihrer Patienten aussagen, Rechnung zu tragen ist, lässt sich daher nicht beanstanden.
3.4.2
3.4.2.1 Hinsichtlich der rheumatologischen Befunde sind laut angefochtenem Entscheid die Ergebnisse der radiologischen Abklärung im Röntgeninstitut D.________ vom 3. Januar 2007 in die Beurteilung des medizinischen Sachverhalts einzubeziehen. An der Beweiskraft des Gutachtens des Instituts P.________ vom 13. September 2006 ändere sich damit nichts, da der rheumatologische Konsiliarius aufgrund der Anamnese und der klinischen Untersuchung Beschwerden im Bereich des rechten Schulter-/Armgelenks festgestellt habe, die bei der interdisziplinären Einschätzung der Arbeitsfähigkeit berücksichtigt worden seien. Die radiologischen Erkenntnisse vom 3. Januar 2007 ergäben laut mündlicher Auskunft des Arztes des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 6. Februar 2007 keinen neuen Befund.
3.4.2.2 Der vorinstanzlichen Auffassung kann nicht ohne Weiteres gefolgt werden. Entgegen den mündlichen Angaben des RAD vom 6. Februar 2007 ist unklar, inwieweit das Institut P.________ die am 3. Januar 2007 im Röntgeninstitut D.________ festgestellten, am rechten Schulter-/Armgelenk bestehenden Rupturen an der Rotatorenmanschette und der angrenzenden Supraspinatus- und Infaspinatussehne (mit chronisch interstitiellem Schaden/Verdünnung) sowie partiellen Ruptur der Subscapularissehne (mit Riss des Ligamentum transversum sowie Luxation der Sehnen des langen Bizepskopfes) bei ungünstiger Typ-III-Konfiguration des Acromions und mässiger bis mittelgradiger Atrophie der Muskulatur bei der Einschätzung zumutbarer Arbeitstätigkeiten berücksichtigt hatte. Dr. med. M.________ (Konsiliarbericht vom 12. September 2006) konstatierte anlässlich der klinischen Untersuchung schmerzbedingte Funktionseinschränkungen des rechten wie linken Schulter-/Armgelenks. Hinsichtlich der linksseitigen Beschwerden gelangte er gestützt auf eine radiologische Untersuchung des Dr. med. S.________ vom 15. August 2005 zum Schluss, die angegebene Schmerzproblematik sei aufgrund der pathologisch-anatomischen Verhältnisse (periartikuläre Verkalkung) glaubhaft und verunmögliche Arbeitstätigkeiten über der Horizontalen. Dementsprechend diagnostizierte er eine Periarthropathia humeroscapularis (PHS) calcarea links. Hiegegen erfasste er die rechtsseitigen Beschwerden diagnostisch nicht, obwohl bereits die Klinik E.________, Fachklinik für Rehabilitation, Rheumatologie, Osteoporose, eine PHS tendopathica rechts (bei damals bestandener Beschwerdefreiheit) erwähnt hatte (Bericht vom 31. Juli 2003; vgl. auch Bericht des Dr. med. S.________ vom 29. November 2004) und die Versicherte ausweislich der Akten Rechtshänderin ist (vgl. Bericht des Dr. med. K.________ vom 5. April 2005). Unter diesen Umständen sowie mangels radiologischer Abklärungen ist davon auszugehen, dass Dr. med. M.________ und mit ihm das Institut P.________ die funktionellen Einschränkungen im rechten Schulter-/Armgelenk nicht auf ein objektivierbares Substrat zurückführten, sondern unter der diagnostizierten generalisierten Tendomyopathie (synonym: Fibromyalgie; vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, Berlin/New York 2002, S. 521 und 1640) subsumierten und damit diesen Beschwerden in Bezug auf die Einschätzung zumutbarer Arbeitstätigkeiten zu wenig Bedeutung beimassen. Nach dem Gesagten beruht die vorinstanzliche Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit teilweise auf einer unvollständigen medizinischen Sachverhaltsfeststellung. Die Sache ist daher zur Klärung dieser Frage an das kantonale Gericht zurückzuweisen. In diesem Zusammenhang wird auch zu prüfen sein, ob die rheumatologisch bestehenden Beeinträchtigungen mit den psychiatrischen Einschränkungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit zu kumulieren sind.
4.
Die IV-Stelle hat als unterliegende Partei sowohl die Gerichtskosten zu tragen (Art. 61 Abs. 1 BGG), als auch eine Parteientschädigung zu vergüten (Art. 68 Abs. 2 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 13. August 2008 und der Einspracheentscheid vom 28. Dezember 2006 aufgehoben werden und die Sache an das kantonale Gericht zurückgewiesen wird, damit es über den Anspruch auf Invalidenrente im Sinne der Erwägungen neu entscheide.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin mit Fr. 2800.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, der Ausgleichskasse Gastrosuisse und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 20. Februar 2009
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber:
Ursprung Grunder