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Original
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
I 516/06
Urteil vom 6. Dezember 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Lustenberger und Seiler; Gerichtsschreiber Schmutz
Parteien
F.________, 1949, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Alther, Magnolienstrasse 3, 8034 Zürich,
gegen
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8087 Zürich, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur
(Entscheid vom 20. April 2006)
Sachverhalt:
A.
F.________, geboren 1949, arbeitete seit 1998 als Chauffeur in der Firma B.________. Am 14. Februar 2003 wurde er im Spital L.________ am rechten Kniegelenk operiert (Arthroskopische Teilmeniskektomie medial und lateral des Hinterhornes; Bericht Dres. med. K.________, Oberarzt, und P.________, Leitender Arzt, Orthopädie/Traumatologie, vom 25. September 2003). Seitens des Spitals diagnostizierte man ein Jahr später am 20. Februar 2004 medialbetonte Gonarthrose rechts, arthroskopisch dokumentierte grosse Knorpelläsion am medialen Femurcondylus, Status nach arthroskopischer medialer und lateraler Teilmeniskektomie, Status nach Microfracture nach Steadman der medialen Knorpelläsion, Adipositas, chronisches intermittierendes Panvertebralsyndrom, arterielle Hypertonie, gemischtes Schlaf-Apnoe-Syndrom sowie Hyperurikämie mit intermittierenden Gichtschüben, und befand den Versicherten seit der Kniearthroskopie im bisherigen Beruf für vollständig arbeitsunfähig. Am 5. Dezember 2003 meldete F.________ sich zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 26. Januar 2005 wies die IV-Stelle des Kantons Zürich das Leistungsbegehren unter dem Titel "Kein Anspruch auf eine Invalidenrente" ab, weil ihm eine behinderungsangepasste Tätigkeit zu 100 % zumutbar sei; bei einem dabei resultierenden Invaliditätsgrad von 15 % bestehe kein Rentenanspruch. Die dagegen erhobene Einsprache wies die IV-Stelle mit Entscheid vom 29. April 2005 ab.
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich unter Festlegung eines Invaliditätsgrades von 17 % mit Entscheid vom 20. April 2006 ab.
C.
F.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, der Entscheid des kantonalen Gerichts sei aufzuheben und die Sache für weitere medizinische Abklärungen, zur Feststellung des Invaliditätsgrades sowie zur Festsetzung einer Invalidenrente an die Vorinstanz, eventualiter die IV-Stelle zurückzuweisen; zudem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Nach Art. 132 Abs. 1 OG in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG (in Kraft seit 1. Juli 2006) kann das Eidgenössische Versicherungsgericht in Verfahren um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen in Abweichung von den Art. 104 und 105 OG auch die Unangemessenheit der angefochtenen Verfügung beurteilen und ist an die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts nicht gebunden. Gemäss Art. 132 Abs. 2 OG gelten diese Abweichungen nicht, wenn der angefochtene Entscheid Leistungen der Invalidenversicherung betrifft. Nach Ziff. II lit. c des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 ist indessen auf die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängigen Beschwerden bisheriges Recht anwendbar. Da die hier zu beurteilende Beschwerde am 1. Juli 2006 beim Eidgenössischen Versicherungsgericht hängig war, richtet sich dessen Kognition noch nach der bis Ende Juni 2006 gültigen Fassung von Art. 132 OG, welche dem neuen Abs. 1 entspricht.
2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf Invalidenrente. Im angefochtenen Gerichtsentscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 IVG; altArt. 4 Abs. 1 IVG) und die Ermittlung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten (Einkommensvergleichsmethode [Art. 16 ATSG in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b]) sowie die Voraussetzungen für einen Rentenanspruch und dessen Umfang (Art. 28 IVG) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. Dasselbe gilt hinsichtlich der Rechtsprechung zur Aufgabe des Arztes im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4, 115 V 134 Erw. 2, 105 V 158 Erw. 1) und zum Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 125 V 352 f. Erw. 3 mit Hinweisen).
3.
3.1 Verwaltung und Vorinstanz stützten ihren Entscheid im Wesentlichen auf die Stellungnahme von Dr. med. W.________, Facharzt FMH für Innere Medizin und Rheumaerkrankungen, vom 14. Juni 2004 zuhanden des Krankentaggeldversicherers "La Suisse" (nachfolgend: La Suisse) ab. Dieser beurteilte den Beschwerdeführer zwar als "in der Tat grenzwertig", dennoch aber "für eine leichte wechselseitige Tätigkeit vorwiegend sitzender Natur" arbeitsfähig. Zu diesem Bericht ist mit dem Beschwerdeführer festzustellen, dass er die an ein Gutachten gestellten Anforderungen (BGE 125 V 352 f. Erw. 3 mit Hinweisen) nicht erfüllt. Er ist für die streitigen Belange nicht umfassend und beruht nicht auf allseitigen Untersuchungen; auch ist nicht klar, ob er in Kenntnis sämtlicher Vorakten abgegeben worden ist. In der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge nicht sehr tiefgreifend, leuchtet er in der Beurteilung der medizinischen Situation nicht ein, weil die Schlussfolgerungen unklar begründet sind und Fragen offen lassen. So ist schwer zu interpretieren, was der Arzt damit aussagen wollte, der Patient sei in der Tat grenzwertig, dennoch für eine leichte wechselseitige, vorwiegend sitzende Tätigkeit arbeitsfähig. Zunächst kann ein grenzwertiger Gesundheitszustand für eine leichte Tätigkeit so verstanden werden, dass die Arbeitsfähigkeit auf der Kippe zwischen einer vollen und einer dann gerade fehlenden Arbeitsfähigkeit steht. Meinte Dr. med. W.________ damit allenfalls, dass auch eine teilweise Arbeitsunfähigkeit in Betracht zu ziehen wäre, bleibt deren Umfang offen. Wenn Dr. med. W.________ dem Beschwerdeführer eine leichte wechselbelastende, vorwiegend sitzende Tätigkeit als zumutbar erachtete, stellen sich gerade zur Art der Belastung noch Fragen; denn wie der Beschwerdeführer richtig anführt, hat noch kein behandelnder oder begutachtender Arzt die sonst üblichen Angaben gemacht (zum Beispiel auf dem entsprechenden IV-Formular). So bleibt offen, welcher Art und Intensität die dem Beschwerdeführer in einer leidensangepassten Tätigkeit noch zumutbaren physischen Funktionen sind. Die Bejahung der Arbeitsfähigkeit durch Dr. med. W.________ wird dadurch noch geschmälert, dass dieser hinsichtlich des weiteren Vorgehens anregte, es bei der Arbeitsunfähigkeit zu belassen, bis er beim behandelnden Psychiater nachgefragt habe. Damit relativierte er seine Beurteilung. Zum späteren Verlauf ist allerdings bekannt, dass Dr. med. A.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, den Beschwerdeführer in seinen medizinischen Berichten vom 12. Juli 2004 und 30. September 2004 bis auf weiteres aus psychiatrischer Sicht für 100 % arbeitsunfähig schätzte. Nach Angaben des Beschwerdeführers wurde ihm das Krankentaggeld dann nach dem Bericht von Dr. med. W.________ noch für weitere acht Monate - bis zur Erschöpfung des Anspruchs durch Ablauf der Leistungsdauer - ungekürzt ausgerichtet.
3.2 Damit ist nicht auszuschliessen, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers auch eine leichte und vorwiegend sitzend ausgeübte Tätigkeit zumindest bis Februar 2005, also zwei Jahre nach dem Eingriff am Kniegelenk am 14. Februar 2003, nicht zuliess. Das mit der Operation anlaufende Wartejahr gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG bis zum Entstehen des allenfalls befristeten Rentenanspruchs war bereits im Zeitpunkt des Berichts der Dres. med. K.________ und P.________ vom 20. Februar 2004 vollendet, in dem die Ärzte des Spitals L.________ den Versicherten seit der Kniearthroskopie im bisherigen Beruf für vollständig arbeitsunfähig befanden.
3.3 Wie es sich zeigt, ist der Bedarf nach zusätzlicher Abklärung des medizinischen Sachverhaltes erwiesen. Denn wie die Vorinstanz richtig erkannt hat (vorinstanzliche Erw. 4.2 und 4.4), erweisen sich die Berichte der behandelnden Ärzte Dres. med. M.________, Praktischer Arzt FMH (vom 14. Mai 2004), und S.________, Facharzt FMH für Physikalische Medizin und Rehabilitation, speziell Rheumaerkrankungen (vom 1. November 2004), in zentralen Punkten als unvollständig, und die Berichte des Psychiaters Dr. med. A.________ (vom 30. September 2004 gegenüber der La Suisse und 20. Oktober 2004 gegenüber der IV-Stelle) als widersprüchlich oder zumindest interpretationsbedürftig. Dem Bericht von Dr. med. W.________ ist nach dem Gesagten (vgl. oben Erw. 3.1) kein genügender Beweiswert zuzumessen. Die von der Vorinstanz zur Stützung des Beweisergebnisses beigezogene Einschätzung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit aus rheumatologischer Sicht aus dem Jahre 1998 (Bericht Dr. med. R.________, Universitätsspital Y.________, vom 24. November 1998) ist nicht geeignet, die Lücken bei der Feststellung des medizinischen Sachverhaltes der Zeit nach der Kniegelenksoperation vom 14. Februar 2003 zu überbrücken. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, sind bisher das Zusammenspiel der Adipositas (bei einem BMI von immerhin 45), des Lumbovertebralsyndroms und der Hüft- und Kniebeschwerden, der Gicht und des Schlafapnoe-Syndroms und die Auswirkungen auf die Belastbarkeit nicht arbeitsmedizinisch abgeklärt, gemessen und beurteilt worden. Der rechtserhebliche medizinische Sachverhalt ist unvollständig abgeklärt (Art. 104 lit. b OG) und die Urteilsgrundlage somit mangelhaft. Da aus den bisherigen Entscheidungsgrundlagen kein nach überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffender Sachverhalt zu gewinnen ist, drängt sich die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens mit ergonomischer Abklärung auf. Dazu ist die Sache an die Verwaltung zurückzuweisen, die das Nötige veranlassen und danach über den Leistungsanspruch des Beschwerdeführers erneut befinden wird.
4.
Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um unentgeltliche Verbeiständung ist damit gegenstandslos.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 20. April 2006 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 29. April 2005 aufgehoben und die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie, nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch auf Leistungen der Invalidenversicherung neu verfüge.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Ausgleichskasse Panvica, Bern, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt.
Luzern, 6. Dezember 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: