BGer C 197/2004
 
BGer C 197/2004 vom 02.05.2006
Eidgenössisches Versicherungsgericht
Tribunale federale delle assicurazioni
Tribunal federal d'assicuranzas
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Sozialversicherungsabteilung
des Bundesgerichts
Prozess {T 7}
C 197/04
Urteil vom 2. Mai 2006
III. Kammer
Besetzung
Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Seiler; Gerichtsschreiber Grunder
Parteien
L.________, 1951, Beschwerdeführer,
gegen
Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons
Solothurn, Untere Sternengasse 2, 4500 Solothurn, Beschwerdegegnerin
Vorinstanz
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn
(Entscheid vom 18. August 2004)
Sachverhalt:
A.
Der 1951 geborene L.________ meldete sich am 20. Dezember 2002 zum Bezug von Arbeitslosenentschädigung ab 1. Januar 2003 an. Gemäss Schreiben der Regionalen Arbeitsvermittlung (RAV) X.________ vom 15. April 2003 vereinbarte er mit der zuständigen Sachbearbeiterin, an einem beruflichen Qualifizierungsprogramm des Y.________ teilzunehmen mit den Zielen: "Die Auseinandersetzung/Selbstreflektion mit Glauben und Arbeitsstelle/Arbeitskollegen hat stattgefunden. Wie wird sein Verhalten, seine innere Unruhe von der Arbeitswelt wahrgenommen - konstruktives Feedback vom Einzelcoaching erhalten. EDV-Kenntnisse sind vertieft. Fehlende Arbeitszeugnisse sind eingeholt." Am 8. September 2003 trat der Versicherte den Kurs, welcher bis 7. Dezember 2003 hätte dauern sollen, vereinbarungsgemäss an (vgl. "Zielvereinbarung zwischen L.________ und Y.________" vom 8. September 2003). Mit Schreiben vom 21. Oktober 2003 kündigte der Geschäftsleiter des Y.________ nach Rücksprache mit der Sachbearbeiterin der RAV die Zielvereinbarung vom 8. September 2003 fristlos, weil das provozierende Verhalten und die Uneinsichtigkeit das Vertrauensverhältnis nachhaltig beeinträchtigt habe und daher eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar sei. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (im Folgenden: AWA), welchem die RAV die Sache zum Entscheid überwiesen hatte, stellte L.________ im Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung für die Dauer von fünf Tagen ab 22. Oktober 2003 wegen Nichtbefolgung von Weisungen der zuständigen Amtsstelle ein (Verfügung vom 7. November 2003). Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 5. Januar 2004).
B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, nach Einvernahme des Geschäftsleiters des Y.________ und von L.________, ab (Entscheid vom 18. August 2004).
C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt L.________ die Aufhebung "der verfügten Einstellung in der Anspruchsberechtigung."
Das AWA und das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichten auf Vernehmlassung.
D.
Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat vom kantonalen Gericht das Einvernahmeprotokoll vom 17. August 2004 einverlangt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Der Beschwerdeführer ist gestützt auf Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG (in der seit 1. Juli 2003 geltenden, hier anwendbaren Fassung) mit Verwaltung und Vorinstanz in der Anspruchsberechtigung einzustellen, wenn er die Bildungsmassnahme (Art. 60 Abs. 1 AVIG), welcher er sich im Y.________ unterzog, durch sein Verhalten beeinträchtigt und dadurch dessen Leiter hinreichenden Anlass für die am 21. Oktober 2003 ausgesprochene sofortige Auflösung des Kursverhältnisses bot. Art. 30 Abs. 1 lit. d AVIG ist auch dann anwendbar, wenn der Versicherte dem Arbeitgeber Anlass zu einer Entlassung aus einer vorübergehenden Beschäftigung (Art. 64a Abs. 1 AVIG) bietet (BGE 125 V 360), gilt aber auch für die Auflösung eines Kurses durch den Kursverantwortlichen. In Anbetracht der mit einem Arbeitsverhältnis vergleichbaren Lage (BGE 125 V 361 Erw. 2b), insbesondere der Unterordnung und Weisungsgebundenheit des Kursbesuchers, rechtfertigt es sich in beweismässiger Hinsicht die im Rahmen von Art. 30 Abs 1 lit. a AVIG geltende Rechtsprechung analog anzuwenden, wonach bei Differenzen unter den Beteiligten nur eingestellt werden darf, wenn das Verschulden des Versicherten klar feststeht (BGE 112 V 245 und seitherige Praxis).
2.
2.1 Laut Kündigungsschreiben des Y.________ vom 21. Oktober 2003, worauf Verwaltung und Vorinstanz zur Beurteilung des Sachverhalts im Wesentlichen abstellten, hat der Versicherte schon zu Kursbeginn angeordnete Tests (u.a. zur Prüfung der Kenntnisse von PC-Anwendungsprogrammen) kritisiert und schliesslich boykottiert. Einige Kursteilnehmer hätten sich wegen der eindringlich vorgetragenen Ansichten über Gott und Jesus gestört gefühlt, worauf die Geschäftsleitung den Versicherten erfolglos hingewiesen und ihn letztlich aufgefordert habe, alle Mitteilungen mit missionarischem Inhalt zu löschen. Obwohl gemäss Zielsetzungen eine Selbstreflexion hinsichtlich Glaubensfragen vereinbart worden sei, habe er vor allem andere analysiert und sich in die Rolle eines Co-Leiters gesteigert. Die Führung des Logbuchs, welches nicht Arbeitsrapporte sondern Aufzeichnungen über die Lernprozesse hätte enthalten sollen, habe er schliesslich verweigert. In der Woche 42 sei er anderthalb Tage dem Kurs ferngeblieben und habe sich am Nachmittag des zweiten Tages mit seiner Familie wieder eingefunden, welcher er bei einem Rundgang das Kurslokal gezeigt habe. Die Anmeldungen für die Module "Präsentation - Theorie" und "Auftritt" seien stark zurückgegangen, weil die Kursteilnehmer befürchteten, der Versicherte werde diese erneut als Plattform zur Verbreitung christlicher Glaubensinhalte gebrauchen.
Laut Protokoll des am 17. August 2004 im vorinstanzlichen Verfahren als Zeugen befragten, beim Y.________ als Geschäftsführer, Coach und Modulmoderator tätigen S.________ handelt es sich beim Y.________ um einen Verein, welcher apolitisch und konfessionslos sei. Anlässlich der Stressmanagementkurse, deren Teilnahme freiwillig sei, werde einzig Tai Chi geübt, wobei die Teilnehmer nicht darauf hingewiesen würden, dass die Übungen aus dem Buddhismus stammten. In der Bibliothek gebe es taoistische oder buddhistische Bücher, es lägen aber auch Bände aus dem christlichen Kulturkreis vor. Im Klassenzimmer liege ein buddhistisches Buch auf mit der Aufschrift Zen.
2.2 Die Vorinstanz hat erwogen, es sei erstellt, dass sich andere Kursteilnehmer durch den missionarischen Eifer, mit welchem der Beschwerdeführer seine Glaubensüberzeugung als Christ kundtat, gestört gefühlt hätten. Er habe schon zu Beginn des Eingliederungsprogramms die Konfrontation mit den Kursverantwortlichen gesucht, welchen er nichtchristliche Methoden vorgeworfen habe. So habe er das Logbuch aus Protest über eine anbegehrte und sich verzögernde Unterredung mit der Kursleitung nicht mehr weitergeführt und sei nach angeblich durch das Y.________ verschuldeter, verspäteter Auszahlung der Arbeitslosenentschädigung eineinhalb Tage dem Kurs mangels Geld für die Hinfahrt ferngeblieben. Unter diesen Umständen sei die verfügte Einstellung in der Anspruchsberechtigung nicht zu beanstanden.
2.3 Der Beschwerdeführer bringt vor, das Y.________ arbeite "unterschwellig mit buddhistischen Methoden", welche seiner Glaubensüberzeugung diametral entgegen liefen. Dass seine Feststellungen "gereizte Empörung bei den Gewalttätern" hervorriefen, sei "eine ganz normale Reaktion". Er beanspruche, sich frei äussern zu dürfen. Zudem sei er vor der fristlosen Kündigung nicht verwarnt worden. Gegenüber der Vorinstanz sagte der Beschwerdeführer aus, sein christlicher Glaube habe sich nicht mit dem Umstand vertragen, dass im Unterrichtssaal ein Buddhismusbuch und beim Eingang des Lokals ein "nordischer Troll" gestanden habe. Es seien Ausdrücke gefallen wie "goldene Schuhe", die aus der buddhistischen Lehre stammten. Der Kurs sei buddhistisch gefärbt gewesen. Er habe den negativen Einfluss, der davon ausging, gespürt. Er kenne das buddhistische Vokabular, weil er selbst, wie Herr S.________ auch, fernöstlichen Kampfsport betreibe.
3.
Wie es sich mit den Verhältnissen im Y.________ tatsächlich verhält, kann letztlich offen bleiben. Dass dem Beschwerdeführer die Absolvierung dieses Qualifizierungskurses, welcher am 8. September begann und bis 7. Dezember 2003 hätte dauern sollen, aus Gründen der Religions- oder Gewissensfreiheit unzumutbar war, ist nicht anzunehmen. Der Beschwerdeführer muss künftig mit Sanktionen rechnen, wenn er seine inadäquate Verhaltensweise nicht ändert und demzufolge eine Verlängerung seiner Arbeitslosigkeit in Kauf nimmt. Im hier allein zu beurteilenden Sachverhalt jedoch ist einstellungsrechtlich entscheidend, dass die vom Y.________-Leiter im Schreiben betreffend fristlose Kündigung vom 21. Oktober 2003 ab Woche 37 (Eintritt ins Y.________) aufgelisteten Vorfälle und Vorwürfe, mit Ausnahme der eineinhalbtägigen Absenz in der Woche 42, wenig Greifbares enthalten und überwiegend im Unbestimmten verbleiben. Selbst bei gegenteiliger Betrachtungsweise hätte in der konkret eingetretenen, durch anhaltende Meinungsverschiedenheiten geprägten Situation der Beschwerdeführer vorgängig einer sofortigen Kursauflösung als der einschneidendsten Massnahme schriftlich verwarnt werden müssen, was der verfügten und vorinstanzlich bestätigten Einstellung entgegensteht.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn vom 18. August 2004 und der Einspracheentscheid des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn vom 5. Januar 2004 aufgehoben.
2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, der Unia Arbeitslosenkasse, Aarau, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 2. Mai 2006
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der III. Kammer: Der Gerichtsschreiber: