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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
5C.226/2005 /blb
Urteil vom 2. März 2006
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiber Möckli.
Parteien
X.________ AG in Nachlassliquidation,
Beklagte und Berufungsklägerin,
vertreten durch Rechtsanwalt David Horák,
gegen
Y.________ AG,
Klägerin und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter C. Schaufelberger.
Gegenstand
Kollokation,
Berufung gegen das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 3. Juni 2005.
Sachverhalt:
A.
Die X.________ AG in Nachlassliquidation war im Bereich der Planung und des Betriebs von Telekommunikationsnetzen tätig. A.________ besitzt 25 % der Aktien und war ab dem 12. Mai 2000 Verwaltungsrat der X.________ sowie ab dem 7. Dezember 2001 auch deren Präsident. Die Y.________ AG ist eine Beteiligungsgesellschaft, die rund 13 % der Aktien von X.________ hält.
B.
Am 9. April 2001 wurde im Verwaltungsrat der X.________ der Kauf einer nationalen "Wireless Local Loop-Lizenz" (WLL-Lizenz) von der Z.________ AG besprochen. Zur Finanzierung sollte das Aktienkapital um Fr. 30'000.-- auf Fr. 400'000.-- erhöht werden, dies durch Ausgabe von 3'000 Namenaktien im Nennwert von Fr. 10.-- bei einem Ausgabepreis von Fr. 1'000.-- pro Namenaktie. Davon sollte die Y.________ 2'500 und A.________ 500 Aktien übernehmen.
Am 1. Mai 2001 schlossen die drei Parteien eine Vereinbarung, in welcher sich die Y.________ und A.________, als "Zeichner" betitelt, bereit erklärten, die neu auszugebenden Aktien zu zeichnen. Zur Sicherstellung des Kaufs der WLL-Lizenz sollten die Zeichner das Geld bis zum Vollzug der beschlossenen Kapitalerhöhung in Form eines Darlehens zur Verfügung stellen, wobei festgehalten wurde, dass die Y.________ der X.________ bereits Fr. 1'739'200.-- sowie Fr. 735'800.-- und A.________ bereits Fr. 495'000.-- überwiesen hätten.
Die Darlehen sollten mit dem Vollzug der Kapitalerhöhung, jedoch spätestens per 30. Juni 2001 fällig sein, bis wann auch die Kapitalerhöhung spätestens durchgeführt sein sollte. Die Zeichner erklärten sich dabei bereit, die fälligen Darlehensbeträge mit dem aus der Kapitalerhöhung geschuldeten Agio zu verrechnen. Für den Fall der Vertragsverletzung durch X.________, insbesondere bei Verzug der Kapitalerhöhung, aber auch aus wichtigen, nicht von den Zeichnern zu vertretenden Gründen wie namentlich bei erheblicher Verschlechterung der Vermögens- oder Ertragslage der X.________ sollten diese zur sofortigen Fälligstellung und Rückforderung der Darlehen berechtigt sein.
Das Bundesgerichtsurteil vom 3. Oktober 2001 im Interkonnektionsstreit mit der V.________ führte bei der X.________ zu Nachforderungen von rund Fr. 8'000'000.--. An deren ausserordentlichen Generalversammlung vom 19. Oktober 2001 wurde das Aktienkapital um minimal Fr. 30'000.-- und maximal Fr. 190'000.-- erhöht. Am 17. Dezember 2001 beschloss der Verwaltungsrat die Durchführung der Kapitalerhöhung. Der X.________ wurde indessen am 19. Dezember 2001 die provisorische und am 15. Februar 2002 die definitive Nachlassstundung bis 15. August 2002 gewährt. Am 20. August 2002 bestätigte der Nachlassrichter den von der X.________ und ihren Gläubigern vorgeschlagenen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung.
C.
Mit Schreiben vom 20. März 2002 meldete die Y.________ ihre Forderungen aus der Vereinbarung vom 1. Mai 2001 beim Sachwalter an. Mit Verfügung Nr. xxxx wurden diese als rangrücktrittsbelastet im Sinn von Art. 725 Abs. 2 OR kolloziert.
Mit Kollokationsklage vom 4. September 2003 verlangte die Y.________ die Kollokation ihrer Forderungen in der dritten Klasse. Während der Einzelrichter im beschleunigten Verfahren des Bezirks S.________ die Klage am 14. September 2004 abwies, hiess sie das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, mit Urteil vom 3. Juni 2005 gut und kollozierte Fr. 2'475'000.-- nebst Zins zu 7,5 % seit 19. Dezember 2001 im Betrag von Fr. 124'265.65 und Zins zu 5 % seit 30. Juli 2001 im Betrag von Fr. 58'093.75 sowie Fr. 2'152.-- in der dritten Klasse.
D.
Gegen dieses Urteil hat die X.________ am 24. August 2005 eidgenössische Berufung erhoben mit den Begehren um dessen Aufhebung und Abweisung der Klage, eventualiter um Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung. Es wurde keine Berufungsantwort eingeholt.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht hat befunden, gemäss Vertrag vom 1. Mai 2001 sei der Beklagten nicht von Anfang an Eigenkapital, sondern zunächst ein Darlehen gewährt worden, und es sei kein vom Wortlaut der Vereinbarung abweichender tatsächlicher Parteiwille dargetan. Somit hätten die Y.________ und A.________ vor der Zeichnung der Aktien und der Verrechnung mit den Darlehen im Rahmen der getroffenen Vereinbarung vom 1. Mai 2001 Anspruch auf deren Rückleistung gehabt. Mit der Gewährung der Nachlassstundung und dem anschliessenden Nachlassvertrag sei jedoch die Möglichkeit der Zeichnung und Verrechnung endgültig dahingefallen. Das Obergericht hat weiter ausgeführt, es sei Sache der Kapitalgeber und der Gesellschaft, ob Eigen- oder Fremdkapital zur Verfügung gestellt werde; die zivilrechtlich gewählte Finanzierungsform sei zu beachten. Sodann hat das Obergericht befunden, die Erklärung eines Rangrücktritts bleibe dem Darlehensgeber vorbehalten; solle im Konkurs diesbezüglich vom Willen der Parteien abgewichen werden, bedürfe es eines besonderen Grundes, den die Beklagte darzutun hätte. Vorliegend sei dieser Beweis nicht erbracht bzw. bestehe kein Anlass für die entsprechende Annahme, hätten doch die seinerzeitigen Bilanzen bei jeglicher Lesart, d.h. selbst unter Berücksichtigung von Rückstellungen für das V.________-Verfahren, in keiner Weise auf eine Unterkapitalisierung und schon gar nicht auf eine Überschuldung der Gesellschaft schliessen lassen; vielmehr sei diese erst durch die Nachforderungen der V.________ aus dem Bundesgerichtsurteil vom 3. Oktober 2001 entstanden, das anders ausgefallen sei als erwartet.
2.
Insofern als die Beklagte weiterhin von einem auf sofortige Hingabe von Eigen- statt Fremdkapital gerichteten Parteiwillen ausgeht, wendet sie sich gegen die gegenteiligen Tatsachenfeststellungen des Obergerichts (angefochtener Entscheid, S. 7), die für das Bundesgericht verbindlich sind (Art. 63 Abs. 2 OG) und im Berufungsverfahren nicht in Frage gestellt werden können (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Gleiches gilt für die Behauptung, eine Überschuldung habe bereits Ende April 2001 bestanden. Ebenso wenig ist auf die Berufung einzutreten, soweit die Beklagte Tatsachen einführen will, die im angefochtenen Urteil nicht festgestellt sind; dies betrifft insbesondere die Behauptung der angeblich fehlenden Kreditwürdigkeit der Gesellschaft bzw. Unwilligkeit Dritter, ihr Kredit zu gewähren.
In rechtlicher Hinsicht macht die Beklagte geltend, das Aktionärsdarlehen sei als eigenkapitalersetzend zu qualifizieren und damit im Konkurs wie Eigenkapital oder jedenfalls als im Sinn von Art. 725 Abs. 2 OR rangrücktrittsbelastete Forderung zu behandeln. Sie wirft dem Obergericht vor, es habe weder einen "Drittmannstest" noch einen "Sanierungstest" durchgeführt, zu Unrecht die Vertrauenshaftung verneint und auch nicht geprüft, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten (venire contra factum proprium) vorliege.
3.
Die aus der deutschen Lehre stammende Figur des "kapitalersetzenden Darlehens" wurde, soweit ersichtlich, erstmals durch von Greyerz in der schweizerischen Literatur eingeführt (von Greyerz, Kapitalersetzende Darlehen, in: Festschrift für Frank Vischer, Zürich 1983, S. 547 ff.). Seinen Ausführungen zufolge sollen Aktionärsdarlehen dann zu Einlagen umqualifiziert werden und folglich weder verzins- oder rückforderbar noch im Konkurs kollokationsfähig sein (a.a.O., S. 553), wenn sie nach Umfang, Ausgestaltung oder Zeitpunkt von einem unabhängigen Dritten nicht erhältlich gewesen wären, was mit einem "Drittmannstest" zu ermitteln sei, bzw. wenn sie in einem Zeitpunkt gewährt worden sind, in welchem nur noch Kapitaleinlagen sanierende Wirkung zeitigen würden, was anhand eines "Sanierungstests" zu prüfen sei (a.a.O., S. 550).
Auch wenn diese Meinung noch andernorts in Erscheinung getreten ist (etwa Lanz, Kapitalverlust, Überschuldung und Sanierungsvereinbarung, Zürich 1985, S. 125 f.; Rihm, Nachrangige Schuldverpflichtungen, Zürich 1992, S. 75; ferner Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, N. 344; siehe auch Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 19. Januar 1993, in: SZW 1993, S. 299), ist diese Betrachtungsweise dem geltenden schweizerischen Recht fremd. Wie das Obergericht zutreffend ausgeführt hat, beschränken sich die Aktionärspflichten auf die Liberierung des Mindestkapitals von Fr. 100'000.-- (Art. 621 und 632 OR) und bestehen darüber hinaus Bestimmungen über die Reservebildung (Art. 671 ff. OR) sowie Verbote für die Rückgewähr von Einlagen (Art. 680 Abs. 2 OR), für verdeckte Gewinnausschüttungen (Art. 678 Abs. 2 OR) und für die Verzinsung des Aktienkapitels (Art. 675 Abs. 1 OR). Die Beklagte vermag denn auch nicht zu sagen, welchen Satz des Bundesrechts die Vorinstanz im interessierenden Kontext verletzt hätte (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG). Auf ihre diesbezüglichen Vorbringen ist folglich nicht näher einzugehen.
4.
Im Anschluss an die erwähnte Lehrmeinung plädieren andere Autoren dafür, dass in den genannten Konstellationen die Aktionärsdarlehen zwar nicht in Eigenkapital umzuqualifizieren seien, aber im Rang hinter die anderen Forderungen zurückzutreten hätten, weil von einem konkludenten Rangrücktritt auszugehen sei (beispielsweise Böckli, Schweizer Aktienrecht, 3. Aufl., Zürich 2004, § 13 N. 779; Vogel, Kapitalersetzende "Sanierungs"-Darlehen im Konzern, in: SZW 1993, S. 301 f.; Glanzmann, Der Darlehensvertrag mit einer Aktiengesellschaft aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, Diss. St. Gallen 1996, S. 144 und 158; Hold, Das kapitalersetzende Darlehen im schweizerischen Aktien- und Konkursrecht, Diss. St. Gallen 2000, S. 194 f. und 206 f.).
Ob diese Betrachtungsweise mit dem geltenden Aktien- und Konkursrecht vereinbar ist - de lege ferenda war eine entsprechende, an § 32a des deutschen GmbHG angelehnte Regelung in Art. 697i und 807c des Vorentwurfes für die Reform des GmbH-Rechts vorgesehen (vgl. Böckli/Forstmoser/Rapp, Reform des GmbH-Rechts, Expertenentwurf vom 29. November 1996, S. 32 und 82), die in der Botschaft aber wieder fallen gelassen wurde (BBl. 2002 III 3158), während de lege lata einzig der gläubigerseits erklärte Rangrücktritt im Fall von Art. 725 Abs. 2 OR ausdrücklich erwähnt ist - kann offen bleiben, da im vorliegenden Fall nach den verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz bei der Gewährung der Aktionärsdarlehen am 1. Mai 2001 weder eine Überschuldung noch überhaupt eine Unterbilanz vorlag oder zu erwarten (und damit erkennbar) war; die Überschuldung trat erst mit den Nachforderungen der V.________ im Zuge des Bundesgerichtsurteils vom 3. Oktober 2001 ein, das für die Beteiligten unerwartet zu Ungunsten der Beklagten ausfiel. Dass die Gesellschaft in der fraglichen Zeit zwar Liquiditätsprobleme hatte, "mag zutreffen", wie sich die Vorinstanz ausgedrückt hat (angefochtener Entscheid, S. 13); aufgrund der vom Obergericht genannten Zahlen (Eigenkapital von Fr. 7-9 Mio. bei einer Bilanzsumme von Fr. 30 Mio. und einem geplanten Jahresumsatz von Fr. 48-63 Mio.) war sie aber im Zeitpunkt der Darlehensgewährung kein Sanierungsfall und entsprechende Behauptungen werden in der Berufungsschrift denn auch nicht erhoben. Ohnehin würden sie ins Leere stossen, weil die Darlehen nach den verbindlichen Tatsachenfeststellungen zur Finanzierung der WLL-Lizenz dienten, was implizit ausschliesst, dass die Darlehensgeber mit ihnen die Sanierung der Gesellschaft bezweckten.
5.
Bei dieser Ausgangslage sind nicht nur der "Drittmannstest" und der "Sanierungstest" von vornherein gegenstandslos, sondern lässt sich auch nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Klägerschaft im Sinn eines venire contra factum proprium sprechen, wenn diese nunmehr auf der Kollozierung der Forderung aus dem - nicht zur Erhaltung einer an sich überschuldeten Gesellschaft, sondern zum Lizenzerwerb - gewährten Darlehen im dritten Rang besteht. Sodann bestehen keine Anhaltspunkte bzw. Sachverhaltsfeststellungen dahingehend, dass die Klägerschaft im Zusammenhang mit dem fraglichen Darlehen anderen Gesellschaftsgläubigern die Ausstattung der Beklagten mit zusätzlichem Eigenkapital vorgespiegelt und diese im Vertrauen auf zusichernde Willensäusserungen Dispositionen getroffen und dadurch einen Schaden hätten, weshalb die Vertrauenshaftung von vornherein nicht greifen und somit offen bleiben kann, ob sich die Beklagte als finanzierte Gesellschaft überhaupt auf diese Haftungsgrundlage berufen könnte.
6.
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Berufung abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann. Die Gerichtsgebühr ist folglich der Beklagten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG). Der Gegenpartei ist im bundesgerichtlichen Verfahren kein entschädigungspflichtiger Aufwand entstanden.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 12'000.-- wird der Beklagten auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 2. März 2006
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: