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Original
 
Tribunale federale
Tribunal federal
{T 0/2}
4C.55/2005 /ast
Urteil vom 13. Oktober 2005
I. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Corboz, Präsident,
Bundesrichterinnen Klett, Kiss,
Gerichtsschreiber Widmer.
Parteien
X.________ AG,
Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch
Rechtsanwalt Dieter Kunz,
gegen
Y.________ AG, Beklagte und Berufungsbeklagte,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Reto Arpagaus.
Gegenstand
Unlauterer Wettbewerb; Schadenersatz,
Berufung gegen den Beschluss des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 2004.
Sachverhalt:
A.
Die X.________ AG (bis 26. März 2002 firmierend als A.________ AG) (Klägerin) bezweckt die Erbringung von Mediendienstleistungen, den Betrieb von Verlagsgeschäften sowie die Herstellung und den Vertrieb von Produkten der Werbebranche. Die Y.________ AG (Beklagte) bezweckt die Produktion und Herausgabe von Telefonverzeichnissen.
Die Klägerin schloss mit ihren Kunden in den Jahren 2000 bis 2002 mehrjährige Insertionsverträge für ein Branchenverzeichnis, das im Internet abrufbar sein sollte. Gestützt auf eine im September 2000 abgeschlossene Vereinbarung mit der Yellowworld AG, einer Tochtergesellschaft der Schweizerischen Post, war das klägerische Branchenverzeichnis exklusiv auf dem Internet-Portal www.yellowworld.ch abrufbar. Im Dezember 2001 kündigte die Yellowworld AG die Vereinbarung mit der Klägerin auf Ende Juni 2002. Im März 2002 erfolgte eine Pressemitteilung, wonach die Schweizerische Post die beiden Portale von yellowworld und der Post zusammenlege und sich auf Postprodukte und postnahe Dienstleistungen konzentriere.
Im Frühling 2002 gingen bei der Klägerin zahlreiche sehr ähnlich lautende Schreiben ein, mit denen Kunden ihren Insertionsvertrag wegen Willensmängeln anfochten bzw. kündigten. Es stellte sich in der Folge heraus, dass zahlreiche Kunden von der Beklagten einen Musterbrief zur Auflösung des Insertionsvertrages erhalten hatten.
B.
Mit Klageschrift vom 31. Januar 2003 belangte die Klägerin die Beklagte vor Handelsgericht des Kantons Zürich auf Zahlung von Fr. 171'569.95 nebst Zins. In der Replik reduzierte sie ihre Forderung um Fr. 720.05 auf Fr. 170'849.90. Die Rechtsbegehren standen jeweils unter Vorbehalt des Nachklagerechts. Die Klägerin verlangte Schadenersatz mit der Begründung, die Beklagte habe unlauteren Wettbewerb betrieben und sie dadurch geschädigt.
Das Handelsgericht schrieb das Verfahren mit Beschluss vom 22. Dezember 2004 im Betrag von Fr. 720.05 als durch Rückzug der Klage erledigt ab. Mit Urteil gleichen Datums wies es die reduzierte Klage ab. Es verwarf den Vorwurf einer Verleitung zum Vertragsbruch im Sinne von Art. 4 lit. a UWG. Ferner kam es zum Schluss, dass das Muster-Kündigungsschreiben der Beklagten keine unlautere Herabsetzung im Sinne von Art. 3 lit. a UWG darstelle. Schliesslich verneinte es auch einen Verstoss gegen Treu und Glauben im Wettbewerb nach der Generalklausel von Art. 2 UWG.
Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin kantonale Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich. Dieses trat darauf mit Beschluss vom 30. Juni 2005 nicht ein.
C.
Die Klägerin beantragt mit eidgenössischer Berufung, das Urteil des Handelsgerichts sei aufzuheben und die Streitsache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Sie macht eine Verletzung von Art. 2 und 3 lit. a UWG geltend. Den Vorwurf der Verleitung zum Vertragsbruch (Art. 4 lit. a UWG) verfolgt sie dagegen ausdrücklich nicht weiter.
Die Beklagte beantragt, die Berufung abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Da dem angefochtenen Urteil keine Feststellungen zum Umfang des geltend gemachten Schadens entnommen werden können und das Bundesgericht auch bei Gutheissung der Berufung kein Sachurteil fällen könnte, genügt vorliegend der Antrag auf Rückweisung der Streitsache an die Vorinstanz (BGE 125 III 412 E. 1b S. 414).
2.
Unlauter und widerrechtlich ist jedes täuschende oder in anderer Weise gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossende Verhalten oder Geschäftsgebaren, welches das Verhältnis zwischen Mitbewerbern oder zwischen Anbietern und Abnehmern beeinflusst (Art. 2 UWG). Unlauter handelt insbesondere, wer andere, ihre Waren, Werke, Leistungen, deren Preise oder ihre Geschäftsverhältnisse durch unrichtige, irreführende oder unnötig verletzende Äusserungen herabsetzt (Art. 3 lit. a UWG).
2.1 Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe mit ihrem Muster-Kündigungsschreiben gegen Art. 3 lit. a UWG verstossen.
Das Musterkündigungsschreiben lautet wie folgt:
"Einschreiben
X.________ AG (vormals A.________ AG)
(Ort/Datum)
Kündigung Insertionsvertrag Nr. (..) betr. B.________.ch
Sehr geehrte Damen und Herren
Ich habe am (Datum) mit Ihrem Mitarbeiter (Vorname/Name) einen Insertionsvertrag unterschrieben, und zwar mit der festen Absicht und nach ausdrücklicher Rückbestätigung durch Ihren Verkäufer, auf dem Postportal Yellowworld.ch zu erscheinen. Nach der Pressemitteilung der Post/ Yellowworld vom 14. März 2002, wonach diese ankündigt, das Portal einzustellen, stelle ich nun fest, dass die von Ihrer Verkaufsorganisation vorgebrachte Argumentation, welche mich zur Unterschrift des Vertrages veranlasste, unzutreffend ist.
Da der Verkäufer wusste bzw. wissen musste, dass meine Firmenpräsenz gar nicht mehr auf dem Postportal erscheinen konnte, wurde ich durch Vorenthalten von korrekten Informationen bei Vertragsabschluss willentlich getäuscht. Gestützt auf Art. 23 ff., insbesondere Art. 28 OR fechte ich deshalb hiermit den Vertragsschluss an, trete per sofort vom Insertionsvertrag Nr. ... vom (Datum) zurück und distanziere mich in aller Form von derartigen Verkaufspraktiken. Ich behalte mir sämtliche weiteren Rechte ausdrücklich vor.
Mit freundlichen Grüssen
(Kunde)"
2.2 Zunächst überprüfte die Vorinstanz das Muster-Kündigungsschreiben auf unrichtige Äusserungen.
Unrichtig kann nur sein, was auf seinen Wahrheitsgehalt hin überprüfbar ist, mithin eine Tatsachenbehauptung (Carl Baudenbacher, Lauterkeitsrecht, Basel/Genf/München 2001, Rz. 14 zu Art. 3 lit. a UWG; Roland von Büren/Eugen Marbach, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Bern 2002, S. 206 Rz. 1004; weniger strikt Mario Pedrazzini/Federico Pedrazzini, Unlauterer Wettbewerb UWG, 2. Aufl., Bern 2002, S. 66 f. Rzn. 5.14 und 5.16). Von den Tatsachenbehauptungen sind Werturteile oder Meinungsäusserungen zu unterscheiden. Die Abgrenzung kann schwierig sein und einerseits etwa dazu führen, dass Werturteile unzulässig sind, weil der in ihnen enthaltene Tatsachenkern unrichtig ist, andererseits aber auch begründen, dass eine Äusserung, die prima facie als Tatsachenbehauptung erscheint, wegen ihres Sinngehalts als Meinungsäusserung behandelt werden muss (Baudenbacher, a.a.O., Rz. 16 zu Art. 3 lit. a UWG).
Auch bei geäusserten Rechtsauffassungen können sich Abgrenzungsschwierigkeiten zu den Tatsachenbehauptungen ergeben. Hier ist dreistufig vorzugehen: Zunächst sind die der Rechtsauffassung zugrunde liegenden Tatsachenbehauptungen herauszuschälen. Diese müssen wahr sein. Alsdann muss geprüft werden, ob die angeführten generell-abstrakten Rechtsnormen bestehen. Und schliesslich ist der Sachverhalt unter die Rechtsnorm zu subsumieren. Letzterer Schritt betrifft die Rechtsauffassung, d.h. die blosse Meinung des Urteilenden darüber, ob der betreffende Sachverhalt die jeweilige Rechtsnorm erfüllt (Rechtsauffassung im engeren Sinn). Diese Meinung kann nicht am Massstab der Richtigkeit gemessen werden (Baudenbacher, a.a.O., Rz. 21 zu Art. 3 lit. a UWG).
2.3 Die Vorinstanz schälte aus dem im Muster-Kündigungsschreiben behaupteten Sachverhalt lediglich drei Tatsachenbehauptungen heraus, die sie allesamt als richtig beurteilte:
- die ausdrückliche Rückbestätigung des klägerischen Verkäufers, die Kundendaten würden auf dem Postportal yellowworld.ch erscheinen;
- die Ankündigung der Schliessung des Portals der Post/Yellowworld;
- die Feststellung, dass die von der klägerischen Verkaufsorganisation vorgebrachte Argumentation, welche den Kunden zur Unterschrift veranlasste, unzutreffend sei.
Nicht als Tatsachenbehauptung, sondern insgesamt als Rechtsauffassung im engeren Sinn wertete die Vorinstanz dagegen die Aussage der Beklagten im Muster-Kündigungsschreiben, das Verhalten der klägerischen Verkäufer sei als willentliche Täuschung zu betrachten.
2.4 Die Klägerin anerkennt, dass der Täuschungsvorwurf eine Rechtsauffassung ist und als solche nicht der Richtigkeitsprüfung unterliegt. Indessen beruhe der Täuschungsvorwurf auf einer falschen Tatsachenbehauptung (wissentliches Verschweigen der Portal-Schliessung bei den Vertragsverhandlungen), was die Vorinstanz in Verletzung von Bundesrecht verkannt habe.
2.5 Die Vorinstanz schälte aus dem Text des Muster-Kündigungsschreibens keine auf ihre Richtigkeit hin überprüfbaren Tatsachenbehauptungen heraus, die dem erhobenen Täuschungsvorwurf zugrunde liegen, insbesondere auch nicht aus dem folgenden, von der Klägerin angerufenen Passus:
"Da der Verkäufer wusste bzw. wissen musste, dass meine Firmenpräsenz gar nicht mehr auf dem Postportal erscheinen konnte, wurde ich durch Vorenthalten von korrekten Informationen bei Vertragsabschluss (willentlich getäuscht)."
Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt im von der Klägerin gerügten Übergehen einer in diesem Passus enthaltenen Tatsachenbehauptung nicht eine unvollständige Feststellung des Sachverhaltes, der nur mit einer Rüge nach Art. 64 OG begegnet werden könnte. Die Vorinstanz stellte den ganzen Wortlaut des Formular-Kündigungsschreibens fest. Indessen erkannte sie im zitierten Passus keine auf ihre Richtigkeit hin überprüfbare Tatsachenbehauptung. Ob dies zutreffend ist, beschlägt die Rechtsanwendung (Art. 3 lit. a UWG), die vom Bundesgericht beurteilt werden kann. Denn die Beantwortung der Frage, ob eine Herabsetzung durch unrichtige Äusserungen im Sinne von Art. 3 lit. a UWG vorliegt, beginnt beim Herausschälen, was Tatsachenbehauptung und was blosse Meinungsäusserung bzw. Rechtsauffassung ist, und darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass gewisse Äusserungen gar nicht als Tatsachenbehauptungen qualifiziert und demzufolge nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Das Bundesgericht hat demnach die Rüge der Klägerin zu beurteilen, wonach im zitierten Passus entgegen der Vorinstanz eine (unrichtige) Tatsache behauptet werde.
2.6 Betrachtet man den ersten Teil des Passus "Da der Verkäufer wusste .....", so wird als Tatsache behauptet, der Verkäufer habe gewusst, dass der Kunde gar nicht mehr auf dem Postportal erscheinen konnte. Diese Aussage (Wissen als innere Tatsache) kann auf ihre objektive Richtigkeit überprüft werden. Sie stellt mithin eine Tatsachenbehauptung dar, was die Vorinstanz übersehen hat.
Der zweite Teil, "bzw. wissen musste" ist demgegenüber eine Wertung. Es wird die Meinung geäussert, der Verkäufer hätte es wissen müssen. Diese Meinung kann nicht auf ihre objektive Richtigkeit überprüft werden.
Der Passus verbindet die beiden Teile mit "beziehungsweise". Der Schreibende legt sich also nicht fest; es fehlt eine Präzisierung, inwieweit von "wissen" und inwieweit von "wissen müssen" auszugehen ist. Namentlich wird nicht gesagt, dass sich das behauptete positive Wissen nur auf die Zeit nach dem 20. Dezember 2001 - nach der Kündigung der Vereinbarung zwischen der Yellowworld AG und der Klägerin - beziehe, und dass für die Zeit vorher lediglich angenommen werde, der Verkäufer hätte es wissen müssen. Diese Unbestimmtheit muss dem Schreibenden angelastet werden, zumal er es jedenfalls als möglich hinstellt, dass die Verkäufer der Klägerin durchwegs ein positives Wissen über die Schliessung des Postportals hatten. Daher lässt die Verbindung der beiden Teile des betreffenden Passus mit "beziehungsweise" denselben nicht allgemein als blosse Meinungsäusserung erscheinen. Vielmehr wird als Grundlage für den Täuschungsvorwurf ohne zeitliche Präzisierung die Tatsache geäussert, dass die Verkäufer der Klägerin von der Schliessung des Postportals wussten und diese Information dem Kunden bei Vertragsabschluss vorenthielten. Die Vorinstanz hat Tatsachenbehauptung und Subsumtion nicht auseinander gehalten, als sie den Passus über den Täuschungsvorwurf insgesamt als Rechtsauffassung qualifizierte, ohne den ihm zugrunde liegenden Tatsachenkern zu identifizieren.
2.7 Tatsachenbehauptungen müssen richtig sein. Aus den Erwägungen der Vorinstanz zum (nicht aufrecht erhaltenen) Vorwurf einer Verleitung zum Vertragsbruch im Sinne von Art. 4 lit. a UWG geht klar hervor, inwiefern jene Tatsachenbehauptung richtig bzw. unrichtig ist.
So leitete die Vorinstanz aus der schriftlichen Kündigung der Vereinbarung seitens der Yellowworld AG vom 19. Dezember 2001 ab, dass die Klägerin spätestens ab 20. Dezember 2001 wusste, dass das Branchenverzeichnis yellow directory zu bestehen aufhören würde und die Kundendaten ab dem Kündigungstermin vom 30. Juni 2002 nicht mehr auf dem Internet-Portal der Yellowworld AG aufgeschaltet sein würden. Für die vom 20. Dezember 2001 bis am 13. März 2002 geschlossenen Verträge ist somit von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung über das entsprechende Wissen auszugehen.
Das Gegenteil gilt für den vorangehenden Zeitraum. Für die vor dem 20. Dezember 2001 geschlossenen Verträge erachtete die Vorinstanz eine Vertragsauflösung nur aus wichtigem Grund, nicht jedoch wegen absichtlicher Täuschung, für zulässig. Diese Erwägung lässt sich zwanglos dahingehend verstehen, dass die Vorinstanz bei diesen Verträgen ein Wissen der Klägerin um die Schliessung des Postportals im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses verneinte. Somit erweist sich die gegenteilige Tatsachenbehauptung der Beklagten für die vor dem 20. Dezember 2001 geschlossenen Verträge als unrichtig.
Bezogen auf die vor dem 20. Dezember 2001 liegenden Vertragsabschlüsse äusserte die Beklagte demnach eine unrichtige Tatsache, indem sie behauptete, die Verkäufer der Klägerin hätten von der Schliessung des Postportals gewusst und den Kunden diese Information bei Vertragsabschluss vorenthalten. Dies hat die Vorinstanz in Verletzung von Bundesrecht verkannt. Unrichtige Äusserungen im Wettbewerb erfüllen stets den Tatbestand von Art. 3 lit. a UWG (Baudenbacher, a.a.O., Rz. 14 zu Art. 3 lit. a UWG).
3.
Die Berufung ist gutzuheissen und die Sache zur Neubeurteilung bzw. zur Beurteilung der weiteren Haftungsvoraussetzungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Verfahrensausgang ist die Gerichtsgebühr der Beklagten aufzuerlegen, die zudem die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen hat (Art. 156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Berufung wird gutgeheissen. Das Urteil des Handelsgerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 2004 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.- wird der Beklagten auferlegt.
3.
Die Beklagte hat die Klägerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 7'000.- zu entschädigen.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Handelsgericht des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 13. Oktober 2005
Im Namen der I. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: