BGer 1P.279/2005
 
BGer 1P.279/2005 vom 05.07.2005
Tribunale federale
{T 0/2}
1P.279/2005 /ggs
Urteil vom 5. Juli 2005
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesrichter Féraud, Präsident,
Bundesrichter Nay, Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Armin Durrer,
gegen
Y.________, Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft Obwalden, Polizeigebäude, Postfach 1561, 6061 Sarnen,
Obergericht des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen, Postfach 1260, 6061 Sarnen.
Gegenstand
Art. 9, 29 & 32 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; Beweiswürdigung),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen vom 22. März 2005.
Sachverhalt:
A.
Das Kantonsgericht des Kantons Obwalden verurteilte X.________ am 20. Januar 2005 wegen versuchten Raubes, räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung, Nötigung, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, Hehlerei und mehrfachen Widerhandundlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu vier Jahren Zuchthaus. Es hielt u.a. für erwiesen, dass er in der Nacht vom 13. April 2003 zusammen mit einem Komplizen in die Wohnung von Y.________ am A.________weg in Wilen eingebrochen war, dort auf die Heimkehr des Hausherrn gewartet, ihn unter Einsatz einer Faustfeuerwaffe und eines Messers überwältigt, ihm Büro- und Autoschlüssel sowie die Kreditkarte abgenommen und ihn unter Drohungen zur Bekanntgabe des Kreditkarten-Codes gezwungen hat.
Das Obergericht des Kantons Obwalden wies die Appellationen von X.________ und der Staatsanwaltschaft am 22. März 2005 ab und bestätigte das erstinstanzliche Urteil unter Vornahme kleinerer, hier nicht interessierender Abänderungen.
B.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 2. Mai 2005 wegen Willkür und Verletzung der Unschuldsvermutung beantragt X.________, dieses obergerichtliche Urteil aufzuheben. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
Obergericht und Staatsanwaltschaft verzichten auf Vernehmlassung. Y.________ beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Beim angefochtenen Entscheid des Obergerichts handelt es sich um einen letztinstanzlichen kantonalen Endentscheid (Art. 86 Abs. 1 OG). Der Beschwerdeführer ist durch die strafrechtliche Verurteilung in seinen rechtlich geschützten Interessen berührt (Art. 88 OG), weshalb er befugt ist, die Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu rügen. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten ist. Soweit im Folgenden auf Ausführungen in der Beschwerdeschrift nicht eingegangen wird, genügen sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Willkürverbotes (Art. 9 BV) sowie des in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Grundsatzes "in dubio pro reo".
2.1 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung steht den kantonalen Instanzen ein weiter Ermessensspielraum zu. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dabei genügt es nicht, wenn sich der angefochtene Entscheid lediglich in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 124 IV 86 E.2aS.88, je mit Hinweisen).
2.2
2.2.1 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel "in dubio pro reo" abgeleitet (vgl. dazu BGE 127 I 38 E. 2a S. 41 f.; 124 IV 86 E. 2a S. 88; 120 Ia 31 E. 2c und d S. 36). Diese bedeutet als Beweislastregel, dass es Sache des Staates ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilserwägungen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang.
2.2.2 Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Die Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Dabei sind bloss abstrakte und theoretische Zweifel nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss sich um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln, d.h. um solche, die sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen. Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der Sachrichter vom für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein, da der Sachrichter diese in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zuverlässiger beantworten kann.
3.
Strittig ist vorliegend einzig, ob der Beschwerdeführer als Täter des Überfalls auf Y.________ überführt ist.
3.1 Für das Obergericht ist die Beweislage klar. 50 m vom Tatort entfernt wurde ein mit DNA-Spuren des Beschwerdeführers behafteter Zigarettenstummel gefunden. Dieser konnte sichergestellt werden, weil zwei Nachbarn von Y.________ am Tatabend zwei ihnen verdächtig vorkommende Männer in der Nähe des Tatortes rauchen sahen. Sodann wurde bei der Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers eine Digitalkamera sichergestellt, die die Täter nach dem Überfall aus dem Büro von Y.________ entwendet hatten. Der Beschwerdeführer hat kein Alibi, und die Erklärung des Beschwerdeführers, er sei Opfer eines Komplotts, findet das Obergericht unglaubhaft. Nach seiner Überzeugung ist der Beschwerdeführer bereits auf Grund dieser Indizien zweifelsfrei als Täter überführt (angefochtener Entscheid E. 4 a - d S. 27 ff.).
3.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen im Wesentlichen erneut vor, er sei Opfer eines Rachefeldzuges seiner ehemaligen Komplizen des "Fraumünsterpost-Raubes" geworden, die er durch seine Aussagen belastet und den Strafverfolgungsbehörden ausgeliefert habe. Er sei mehrfach bedroht worden. Die Aussagen seiner Freundin hätten die Bedrohungslage bestätigt. Schliesslich sei im "Blick" vom 19. August 2004 ein Artikel erschienen, in welchem "die Zürcher Unterwelt" in dem Sinne zitiert worden sei, dass der Beschwerdeführer den Kiosk-Raub vielleicht gar nicht begangen habe, sondern das man aus Rache falsche Spuren gelegt habe. Zudem werde ein solches Vorgehen auch von RA B.________ in der NZZ vom 4. März 2005 beschrieben; es sei einfach, in einer Beiz ein paar fremde Zigarettenkippen mitzunehmen und sie am Tatort zu hinterlassen, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken. Die Hypothese des Rachefeldzuges sei keineswegs unglaubhaft, weshalb ein zweifelsfreier Schuldbeweis nicht vorliege. Was die bei ihm gefundene Digitalkamera anbetrifft, so sei seine Behauptung, er habe diese von "C.________" geschenkt erhalten, welcher mutmasslich an der Verschwörung gegen ihn beteiligt gewesen sei, nicht widerlegt worden.
3.3 Damit gibt der Beschwerdeführer indessen bloss seine Sicht der Dinge wieder, die Darlegungen sind offensichtlich nicht geeignet, die obergerichtliche Beweiswürdigung als willkürlich nachzuweisen. Nebst der eigenen Behauptung des Beschwerdeführers gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er Opfer eines Komplotts geworden sein könnte. Auch der Blick-Artikel, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, nennt keinerlei Fakten, welche diese Verschwörungstheorie stützen könnten; es ist dem Obergericht keineswegs vorzuwerfen, dass es sich damit nicht weiter befasst hat. Es geht vielmehr mit Recht davon aus, dass der Beschwerdeführer schon durch die DNA-Spuren auf dem sichergestellten Zigarettenstummel praktisch überführt ist. Hätte der Beschwerdeführer durch einen solchen Stummel "hereingelegt" werden sollen, so wäre dieser mit Sicherheit am Tatort selber oder in unmittelbarer Nähe davon platziert worden, wo er der Spurensicherung hätte auffallen müssen, und nicht 50 m davon entfernt, wo er nie sichergestellt worden wäre, wenn nicht zufällig zwei aufmerksame Nachbarn dort zwei verdächtige, rauchende Männer beobachtet hätten. Durch die bei ihm gefundene, aus der Beute des Überfalls stammende Kamera wird der Beschwerdeführer weiter stark belastet. Seine Behauptung, er habe sie von "C.________" erhalten, ist nicht belegt, und es ist kein Grund ersichtlich, weshalb sich dieser an einem Komplott gegen ihn beteiligt haben sollte, gehört er doch nicht zu den "Fraumünsterpost-Räubern", die sich angeblich am Beschwerdeführer rächen wollen. Da dieser zudem für die Tatnacht kein Alibi hat, konnte ihn das Obergericht ohne Willkür als überführt betrachten. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet.
3.4 Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe die im Grundsatz "in dubio pro reo" enthaltene Beweislastregel verletzt, wonach es Sache des Staates sei, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, indem es das fehlende Alibi als Indiz für seine Schuld gewertet habe. Das fehlende Alibi spreche weder für noch gegen seine Schuld, weshalb das Obergericht die Maxime "in dubio pro reo" verletzt habe, indem es diesen Umstand als Indiz für seine Täterschaft angeführt habe.
Die Rüge grenzt an Trölerei. Selbstverständlich ist ein fehlendes Alibi, für sich allein betrachtet, kein Indiz für die Schuld des Angeklagten. Wird aber, wie im vorliegenden Fall, ein Angeklagter durch andere Beweismittel so stark belastet, dass nur noch ein Alibi Zweifel an seiner Schuld wecken könnte, so mag es zwar sprachlich ungenau sein, das Fehlen des Alibis als Indiz für die Schuld zu bezeichnen. Der Sinn der Aussage ist aber klar und unverfänglich, nämlich dass mit dem Scheitern des Alibi-Beweises letzte Zweifel an der Schuld des Beschwerdeführers ausgeräumt sind. Das Obergericht hat die Maxime "in dubio pro reo" keineswegs verletzt, die Rüge ist unbegründet.
4.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt, welches indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 152 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht
im Verfahren nach Art. 36a OG:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der Staatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 5. Juli 2005
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: