BGer 6S.335/2004
 
BGer 6S.335/2004 vom 23.03.2005
Tribunale federale
{T 0/2}
6S.335/2004 /gnd
Urteil vom 23. März 2005
Kassationshof
Besetzung
Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd.
Gerichtsschreiber Näf.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stefan Flachsmann,
gegen
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau.
2. A.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Esther Küng,
Gegenstand
Mehrfache sexuelle Handlungen mit einem Kind (Art. 187 Ziff. 1 StGB); Strafzumessung (Art. 63 StGB), Verletzung des Beschleunigungsgebots (Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK),
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Ober-gerichts des Kantons Aargau, 1. Strafkammer,
vom 8. Juli 2004.
Sachverhalt:
A.
A.________ (geboren am 15. November 1980) befand sich von 1987 bis 1996 in der Obhut der Pflegeeltern X.________ (geboren am 23. November 1948) und Y.________. Das Pflegeverhältnis wurde auf Initiative der Pflegeeltern aufgelöst. Am 20. Mai 1997 meldete A.________ auf dem Polizeiposten Baden, dass sie vom Pflegevater sexuell missbraucht worden sei.
B.
Das Bezirksgericht Baden sprach X.________ am 12. Juni 2002 der mehrfachen sexuellen Handlungen mit einem Kind (Art. 187 Ziff. 1 StGB) schuldig und bestrafte ihn mit vier Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von einem Tag.
Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von X.________ ein-gereichte Berufung am 8. Juli 2004 ab.
C.
X.________ ficht das Urteil des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Mit der Letzteren beantragt er, es sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
D.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Verzicht auf Vernehmlassung die Abweisung der Beschwerde.
A.________ hat unter Hinweis auf das angefochtene Urteil auf Vernehmlassung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dem Beschwerdeführer wird in der Anklageschrift vom 6. April 1999 Folgendes zur Last gelegt:
"Der Angeklagte hat mehrfach mit einem Kind unter 16 Jahren sexuelle Handlungen vorgenommen.
A.________, geboren am 15.11.1980, wurde im Jahre 1987 in die Obhut der Pflegefamilie X.________ .... gegeben. In der Zeit, als das Mädchen ca. 7 Jahre alt war, also ab Ende 1987, bis Ende 1995 führte der Angeklagte als Pflegevater mit A.________ regelmässig sexuelle Handlungen aus:
- Es begann damit, dass die 7-jährige A.________ jeweils am Sonntag zu den Pflegeeltern ins Bett ging und mit dem Angeklagten rangelte. Dabei wurde sie vom Angeklagten im Brust- und Genitalbereich berührt. In der Folge weiteten sich die Übergriffe aus, indem der Angeklagte das Kind, wenn sie allein zu Hause oder im PW unterwegs waren, über und unter den Kleidern am Brust- und Genitalbereich ausgriff. Ebenso liess sich der Angeklagte von A.________ an seinem Genitalbereich berühren.
- Insbesondere ab 1992, als das Mädchen ca. 12 Jahre alt war, kam es im Schlafzimmer zu gegenseitigen Betastungen an den Geschlechtsteilen. Der Angeklagte zog das Mädchen bei den Berührungen jeweils aus, manchmal auch sich selber, und einmal musste es ihn sogar ausziehen .... .
- Nachdem A.________ ca. 12 bis 14-jährig war, also 1993 oder 1994, vollzog der Angeklagte erstmals mit ihr den Geschlechtsverkehr. In der Folge kam es bis Ende 1995 weitere Male zum Geschlechtsverkehr, meistens im Schlafzimmer, ca. zweimal im Wohnzimmer und einmal in der Wohnung der Mutter des Angeklagten .... .
- Ab Ende 1994 kam es einige Male zum Oralverkehr, indem A.________ den Penis des Angeklagten in den Mund nehmen musste .... .
- A.________ musste den Angeklagten auch von Hand befriedigen, einmal im Wohnzimmer .... und einmal im Badezimmer .... .
- Letztmals kam es zu sexuellen Kontakten zwischen dem Angeklagten und A.________, als diese ca. 15 Jahre alt war, Ende 1995 ..."
Die Vorinstanz geht davon aus, der Beschwerdeführer habe die Ge-schädigte von Ende 1987 bis Ende 1995 mehrfach sexuell miss-braucht. Der Beschwerdeführer hat den ihm vorgeworfenen Sach-verhalt stets vollumfänglich bestritten.
2.
Die Geschädigte (geboren am 15. November 1980) wurde am 20. Mai 1997, als sie Anzeige erstattete, polizeilich befragt. Sie wurde am 22. Mai 1997 sowie im Rahmen einer Schlusseinvernahme am 4. Mai 1998 untersuchungsrichterlich befragt. Schliesslich wurde sie an der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 12. Juni 2002 einvernommen. Ausserdem wurde die Geschädigte vom psychiatrischen Experten, der im Auftrag des Bezirksgerichts Baden ein Gutachten betreffend ihre Glaubwürdigkeit zu erstellen hatte, am 7. Dezember 2000, am 19. Februar 2001 und am 5. März 2001 befragt. Von diesen drei Gesprächen mit dem Psychiater wurden Videoaufzeichnungen erstellt.
Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die behördlichen Einver-nahmen der Geschädigten nicht im Beisein einer Spezialistin erfolgten und nicht auf Video aufgenommen wurden und dass die Geschädigte insgesamt sieben Mal befragt wurde. Dadurch sei Art. 10c OHG verletzt worden.
Die Rüge ist unbegründet. Art. 10a bis 10d OHG ("Besondere Bestimmungen zum Schutz der Persönlichkeit von Kindern als Opfer im Strafverfahren") gemäss Bundesgesetz vom 23. März 2001 sind am 1. Oktober 2002 in Kraft getreten. Art. 10c OHG war somit zur Zeit sämtlicher Einvernahmen und Befragungen der Geschädigten noch nicht in Kraft und daher nicht anwendbar.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die ihm vorgeworfenen Betastungen der Geschädigten über und unter den Kleidern im Brustbereich in der Zeit von Ende 1987 bis Ende 1991 seien keine sexuellen Handlungen, da die Geschädigte erst ab dem zwölften Altersjahr und somit ab 1992 körperlich entwickelt gewesen sei.
Der Beschwerdeführer betastete die Geschädigte über und unter den Kleidern im Brustbereich und über den Kleidern im Genitalbereich. Die Berührungen im Brustbereich hatten damit im Gesamtzusammenhang offensichtlich einen sexuellen Bezug und sind daher als sexuelle Handlungen zu qualifizieren. Dass die Geschädigte im fraglichen Zeitraum noch nicht körperlich entwickelt war, ist unerheblich.
4.
Ab ca. 1992, als die Geschädigte 12 Jahre alt war, kam es im Schlafzimmer zu gegenseitigen Betastungen an den Geschlechts-teilen. Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz fanden die Betastungen "im Rahmen des Ausziehens der Kleider" der Geschädig-ten beziehungsweise des Beschwerdeführers statt, weshalb sie "unter Würdigung der Gesamtumstände" sowie aus Sicht eines aussen-stehenden Betrachters eindeutig einen Bezug zum Geschlechtlichen aufwiesen. Auch die Erheblichkeit sei zu bejahen, da "aufgrund der Umstände" davon ausgegangen werden müsse, dass die Berüh-rungen/Betastungen nicht bloss flüchtig gewesen seien (ange-fochtenes Urteil S. 46).
Der Beschwerdeführer rügt, aus dem angefochtenen Urteil gehe nicht hervor, welche Umstände gemeint seien. Damit fehle es an den tatsächlichen Feststellungen (Art. 277 BStP), die zu einer Überprüfung der Tatbestandsmässigkeit des inkriminierten Verhaltens erforderlich seien.
Die Vorinstanz bringt mit den zitierten Ausführungen zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführer die Geschädigte beim Ausziehen nicht nur quasi zufällig und ungewollt am Geschlechtsteil berührte, sondern die Gelegenheit nutzte, sie beim Ausziehen zu betasten. Diese Ein-schätzung ist nicht zu beanstanden. Zum einen ist es höchst un-gewöhnlich, dass der Beschwerdeführer die 12-jährige Pflegetochter überhaupt in seinem Schlafzimmer auszog, und zum andern hat der Beschwerdeführer manchmal auch sich selber ausgezogen, wobei die Geschädigte ihn am Geschlechtsteil berühren musste.
5.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 277 BStP i.V.m. Art. 63 ff. StGB, da die Vorinstanz im angefochtenen Urteil nicht ausführe, von welcher minimalen Anzahl von Betastungen, Be-rührungen, Geschlechtsverkehr und Oralverkehr sie ausgehe. Die Gesamtdauer, die Anzahl und auch der allfällige Rhythmus der Missbrauchstaten seien indessen wesentliche Elemente für die Straf-zumessung. Nach Meinung des Beschwerdeführers wäre es ohne weiteres möglich gewesen, in der Anklage beziehungsweise im angefochtenen Urteil bestimmte Zeitabschnitte und Zahlenminima zu umschreiben.
Die Geschädigte erstattete im Jahr 1997 als 17-Jährige Anzeige. Die inkriminierten sexuellen Handlungen hatten im Jahr 1987 ihren Anfang genommen, als die Geschädigte sieben Jahre alt war. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Geschädigte nicht genau angeben konnte, an welchen Tagen und wie oft beziehungsweise in welchen zeitlichen Abständen es zu welchen sexuellen Handlungen im Einzelnen gekommen war. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die Geschädigte nicht angeben konnte, wann es erstmals zum Geschlechtsverkehr gekommen war, ob 1992 (als sie 12 Jahre alt war) oder 1994 (als sie 14-jährig war). Ungeachtet der genauen Zahl der sexuellen Übergriffe steht fest, dass der Beschwerdeführer seine Pflegetochter ab deren 7. Altersjahr regelmässig sexuell betastete, spätestens ab deren 14. Altersjahr bis Ende 1995, mithin während mindestens eines Jahres, mehrere Male mit ihr den Geschlechtsverkehr vollzog, gelegentlich von ihr verlangte, dass sie sein Glied in den Mund nehme, und zweimal von ihr forderte, dass sie ihn manuell befriedige. Davon ausgehend hat die Vorinstanz das Strafmass von vier Jahren Zuchthaus begründet.
6.
6.1 Die Vorinstanz hat in ihren Urteilserwägungen festgestellt, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf angemessene Verfahrens-dauer insgesamt verletzt worden ist. Die Verletzung des Beschleu-nigungsgebots sei vorliegend als Strafmilderungsgrund strafmindernd zu berücksichtigen. Eine weitergehende Sanktion rechtfertige sich nicht, da es sich nicht um eine schwer wiegende Verletzung des Beschleunigungsgebots handle (angefochtenes Urteil S. 59). Die erste Instanz hat sich in ihrem Urteil vom 12. Juni 2002 mit der Frage der Verletzung des Beschleunigungsgebots nicht befasst, weshalb davon auszugehen ist, dass sie die Verfahrensdauer nicht strafmindernd berücksichtigt hat.
Die Vorinstanz hat die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe von vier Jahren Zuchthaus bestätigt. Unter Würdigung sämtlicher Tat- und Täterkomponenten erscheine diese Strafe insgesamt nach wie vor als angemessen (angefochtenes Urteil S. 61).
6.2 Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die Verletzung des Beschleunigungsgebots schwer wiege und daher bei der Strafzu-messung deutlicher zu seinen Gunsten hätte berücksichtigt werden müssen. Das Verfahren sei in jedem Abschnitt massiv und unnötig verzögert worden. So sei nicht ersichtlich, weshalb nach den letzten Einvernahmen vom 23. März 1998 erst am 6. April 1999 Anklage er-hoben worden sei. Berichte und vor allem auch das Glaub-würdigkeitsgutachten hätten früher in Auftrag gegeben werden müssen. Es sei nicht einzusehen, weshalb die Vorinstanz nach Eingang der Berufungsschrift im November 2002 fast zwei Jahre benötigt habe, um die Hauptverhandlung durchzuführen, zumal lediglich ein Leumundszeugnis und ein aktualisierter Strafregister-auszug beschafft und die Beweisanträge der Verteidigung zum überwiegenden Teil mittels antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden seien. Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Vor-instanz die erstinstanzlich ausgesprochene Strafe von vier Jahren Zuchthaus trotz Annahme eines zusätzlichen Strafmilderungsgrundes bestätigt hat. Ihre Erwägung, dass das sehr schwere Verschulden ohne Berücksichtigung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots sogar nach einer höheren Strafe verlangt hätte, stelle eine verkappte Straferhöhung dar. Hinzu komme, dass die Vorinstanz abweichend von der ersten Instanz von einer Deliktsdauer von sieben (statt acht) Jahren ausgehe und einen von der ersten Instanz offenbar straferhöhend in Rechnung gestellten Umstand nicht berücksichtigt habe. Die Vorinstanz habe unter den gegebenen Umständen durch die Ausfällung einer Zuchthausstrafe von vier Jahren in Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids Art. 63 ff. StGB verletzt oder zumindest die Grundlagen der Strafzumessung mangelhaft begründet (Art. 277 BStP i.V.m. Art. 63 ff. StGB).
6.3 Nach der neueren Rechtsprechung kann auch die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das Beschleunigungsgebot in einer Bundesstrafsache verletzt worden sei, im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde vorfrageweise zur Entschei-dung gestellt werden (BGE 130 IV 54 E. 3.3.2, mit Hinweisen).
6.4 Das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 14 Ziff. 3 lit. c UNO-Pakt II festgeschriebene Beschleunigungsgebot verpflichtet die Behörden, das Strafverfahren zügig voranzutreiben, um den Beschuldigten nicht unnötig über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Ungewissen zu lassen. Dies gilt für das ganze Verfahren, angefangen von der ersten Orientierung des Beschuldigten über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bis zum letzten Entscheid in der Sache. Welche Verfahrensdauer angemessen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind. Dabei sind insbesondere die Komplexität des Falles, das Verhalten des Be-schuldigten, die Behandlung des Falles durch die Behörden und dessen Bedeutung für den Beschuldigten zu berücksichtigen. Wird eine Verletzung des Beschleunigungsgebots festgestellt, ist diesem Umstand angemessen Rechnung zu tragen. Nach der Rechtsprechung kommen als Sanktionen die Berücksichtigung der Verfahrens-verzögerung im Rahmen der Strafzumessung, die Schuldigsprechung des Täters unter gleichzeitigem Verzicht auf Strafe und in extremen Fällen, als ultima ratio, die Einstellung des Verfahrens in Betracht. Bei der Frage nach der Sanktion einer Verletzung des Beschleuni-gungsgebots ist zu berücksichtigen, wie schwer der Beschuldigte durch die Verfahrensverzögerung getroffen wurde, wie gravierend die ihm vorgeworfenen Straftaten sind und welche Strafe ausgesprochen werden müsste, wenn keine Verletzung des Beschleunigungsgebots vorläge. Zudem ist auch den Interessen der Geschädigten Rechnung zu tragen. Der Richter ist verpflichtet, die Verletzung des Beschleunigungsgebots in seinem Urteil ausdrücklich festzuhalten und gegebenenfalls darzulegen, in welchem Ausmass er diesen Umstand berücksichtigt hat (zum Ganzen BGE 130 IV 54 E. 3.3.3; 124 I 139 E. 2; 117 IV 124 E. 3 und 4; BGE 6P.76/1998 vom 15. September 1998, wiedergegeben in Pra 1999 Nr. 4 S. 26).
6.5
6.5.1 Der Beschwerdeführer wurde am 22. Mai 1997 über die ihm vorgeworfenen Straftaten orientiert. Die Staatsanwaltschaft erhob am 6. April 1999 Anklage. Am 14. August 2000 gab das Bezirksgericht bei den Psychiatrischen Diensten des Kantons Aargau ein Glaub-würdigkeitsgutachten betreffend die Geschädigte in Auftrag. Dieses wurde am 17. Oktober 2001 erstattet. Am 12. Juni 2002 fand die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht statt und wurde das erstinstanzliche Urteil gefällt. Dieses wurde den Parteien am 25. Oktober 2002 zugestellt. Am 14. November 2002 erhob der Beschwerdeführer Berufung. Am 9. Dezember 2002 reichte die Geschädigte die Berufungsantwort ein. Am 11. März 2004 beschloss die Vorinstanz die Anordnung einer Verhandlung mit Einvernahme des Beschwerdeführers sowie den Beizug der im Rahmen der Begutachtung der Geschädigten erstellten Videoaufzeichnungen. Am 8. Juli 2004 fand die Berufungsverhandlung statt und fällte die Vorinstanz ihr Urteil.
6.5.2 Das Verfahren dauerte somit von der ersten Orientierung des Beschwerdeführers bis zur Ausfällung des Berufungsurteils etwas mehr als sieben Jahre. Das ist unter den gegebenen Umständen eine zu lange Zeit. Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sollten im Interesse aller Beteiligten, auch des Beschuldigten, möglichst zügig durchgeführt werden. Der vorliegende Fall war in tatsächlicher Hinsicht nicht besonders aufwändig und in rechtlicher Beziehung nicht schwierig. Da der Beschwerdeführer die gegen ihn erhobenen Vorwürfe von Anfang an vollumfänglich bestritt, waren allerdings ein Gutachten betreffend die Glaubwürdigkeit der Geschädigten einzuholen und einige Personen als Zeugen anzuhören.
Deutlich zu viel Zeit verstrich von der Erhebung der Anklage am 6. April 1999 bis zur Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils am 12. Juni 2002. Allerdings ist dieser Zeitablauf von etwas mehr als drei Jahren teilweise darauf zurückzuführen, dass der Experte für die Erstellung des am 14. August 2000 in Auftrag gegebenen Gutachtens betreffend die Glaubwürdigkeit der Geschädigten 14 Monate benötigt hat. Zum einen hätte indessen das Gutachten früher in Auftrag gegeben werden sollen, da der Beschwerdeführer die Vorwürfe, welche die Geschädigte in ihren Einvernahmen vom 20. und 22. Mai 1997 und vom 4. Mai 1998 (untersuchungsrichterliche Schluss-einvernahme) gegen ihn erhob, von Anbeginn vollumfänglich bestritt. Zum andern hätte das Bezirksgericht unter den gegebenen Umständen auf eine möglichst rasche, vorrangige Erledigung dieses Auftrags drängen sollen.
Lange Zeit verstrich sodann zwischen dem Eingang der Berufung und der Berufungsantworten im November/Dezember 2002 und der Ausfällung des angefochtenen Urteils am 8. Juli 2004. Das ist unter den gegebenen Umständen eine zu lange Verfahrensdauer, auch wenn berücksichtigt wird, dass die Vorinstanz die im Rahmen der Begutachtung erstellten Videoaufzeichnungen zu sichten und eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen hatte.
6.5.3 Die Vorinstanz hat mit Recht erwogen, die Verletzung des Beschleunigungsgebots wiege nicht so schwer, dass sich eine Ver-fahrenseinstellung rechtfertigen könnte. Vielmehr hat eine Herab-setzung der Strafe zu erfolgen. Die entscheidende Frage ist indessen, in welchem Masse die Strafe im vorliegenden Fall wegen der Verletzung des Beschleunigungsgebots zu reduzieren ist. Dazu kann dem angefochtenen Urteil nichts entnommen werden. Die Vorinstanz hält bloss fest, dass der Verletzung des Beschleunigungsgebots "strafmindernd" Rechnung zu tragen sei, dass aber "unter Würdigung sämtlicher Tat- und Täterkomponenten" die von der ersten Instanz ausgefällte Strafe von vier Jahren Zuchthaus "insgesamt nach wie vor als angemessen" erscheine und daher zu bestätigen sei, da "das sehr schwere Verschulden" des Beschwerdeführers ohne Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots "sogar nach einer höheren Strafe verlangt" hätte (angefochtenes Urteil S. 61). Diese Ausführungen genügen den Anforderungen an die Begründung einer Strafminderung wegen überlanger Verfahrensdauer nicht.
6.5.4 Das Verfahren hat im vorliegenden Fall insgesamt mindestens zwei Jahre zu lange gedauert. Dieser Verletzung des Be-schleunigungsgebots ist durch eine Reduktion der ohne sie ausge-fällten Strafe um mindestens 20 % Rechnung zu tragen. Dies be-deutet, dass ohne Berücksichtigung der Verletzung des Beschleu-nigungsgebots eine Zuchthausstrafe von mindestens fünf Jahren ausgefällt würde. Eine solche Strafe wäre indessen bei einer Höchststrafe von 7 ½ Jahren Zuchthaus (Art. 187 Ziff. 1 i.V.m. Art. 68 Ziff. 1 StGB) unter den gegebenen Umständen aus nachstehenden Gründen unvertretbar hoch.
Zwar beging der Beschwerdeführer die sexuellen Handlungen zum Nachteil seiner im Jahre 1980 geborenen Pflegetochter während des langen Zeitraums von acht Jahren von Ende 1987 bis Ende 1995. Dabei ist indessen aufgrund der Anklage und der Feststellungen im angefochtenen Entscheid davon auszugehen, dass sich diese sexuellen Handlungen bis 1994 auf gegenseitige Berührungen und Betastungen beschränkten; der Beschwerdeführer betastete die Geschädigte regelmässig bei sich bietenden Gelegenheiten ins-besondere an deren Geschlechtsteil und verlangte von ihr, dass sie ihn am Geschlechtsteil anfasse. Erst ab 1994 kam es zum Geschlechts-verkehr, musste die Geschädigte zwei Mal den Beschwerdeführer manuell befriedigen und gelegentlich dessen Glied in den Mund nehmen. Der Beschwerdeführer (geboren 1948) ist nicht vorbestraft und sozial integriert (siehe angefochtenes Urteil S. 61). Die letzte inkriminierte Handlung, begangen Ende 1995, lag im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils vom 8. Juli 2004 rund 8 ½ Jahre zurück. Dem Beschwerdeführer wird nicht vorgeworfen, dass er während dieser verhältnismässig langen Zeit strafbare Handlungen begangen habe.
6.5.5 Bei der gebotenen Berücksichtigung der Verletzung des Beschleunigungsgebots sowie des Zeitablaufs seit der letzten Tat ist die Zuchthausstrafe von vier Jahren, die übrigens dem Antrag der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift vom 6. April 1999 entspricht, in Anbetracht der sich aus dem angefochtenen Urteil ergebenden Tatsachen unhaltbar hoch.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach in diesem Punkt gutzuheissen und die Sache zur neuen Bemessung der Strafe an die Vorinstanz zurückzuweisen.
7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer eine reduzierte Gerichtsgebühr zu tragen und ist ihm eine reduzierte Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten. Diese Beträge sind ungefähr gleich hoch und werden daher miteinander kompensiert.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutge-heissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 1. Straf-kammer, vom 8. Juli 2004 aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
2.
Es werden keine Kosten erhoben.
3.
Dem Beschwerdeführer wird keine Entschädigung ausgerichtet.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Straf-kammer, und A.________, vertreten durch Rechtsanwältin Esther Küng, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 23. März 2005
Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: