BGer 1P.69/2004
 
BGer 1P.69/2004 vom 07.04.2004
Tribunale federale
{T 0/2}
1P.69/2004 /bie
Urteil vom 7. April 2004
I. Öffentlichrechtliche Abteilung
Besetzung
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident,
Bundesgerichtsvizepräsident Nay,
Bundesrichter Aeschlimann,
Gerichtsschreiber Störi.
Parteien
X.________, Beschwerdeführer,
vertreten durch Advokat Dr. Nicolas Roulet,
gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001 Basel,
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Gegenstand
Art. 9 BV und Art. 6 EMRK (Strafverfahren),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
vom 19. Dezember 2003.
Sachverhalt:
A.
Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X.________ am 30. Januar 2002 wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 3 ½ Jahren Zuchthaus.
Auf Appellation von X.________ hin bestätigte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 19. Dezember 2003 "nach Zirkulation der Akten, Anhörung der Parteien und Beratung, gestützt auf die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils dieses Urteil des Strafgerichts.
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 2.Februar 2003 wegen Verletzung des Willkürverbotes, der Unschuldsvermutung und des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art.6 EMRK beantragt X.________, das appellationsgerichtliche Urteil aufzuheben und ersucht, seiner Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Er führt darin an: "Auf eine schriftliche Motivation des Urteils wurde ausdrücklich verzichtet".
B.
Mit Verfügung vom 18. Februar 2004 erkannte der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Kammer des Bundesgerichts der Beschwerde aufschiebende Wirkung zu.
C.
Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde abzuweisen und verzichtet im Übrigen auf eine Stellungnahme. Das Appellationsgericht beantragt, gestützt auf den angefochtenen Entscheid, die Beschwerde abzuweisen.
D.
Auf eine Anfrage des Instruktionsrichters zur Klarstellung, wer auf die Urteilsbegründung verzichtet habe, teilen X.________ und die Statthalterin des Appellationsgerichts mit, das Appellationsgericht habe von sich aus auf eine schriftliche Urteilsbegründung verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen, ob auf eine staatsrechtliche Beschwerde einzutreten ist (BGE 129 I 302 E. 1).
1.1 Der für die Eröffnung und Begründung der appellationsgerichtlichen Urteile einschlägige § 183 Abs. 3 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997 (StPO) lautet:
"Das Urteil des Appellationsgerichts wird mündlich eröffnet und kurz begründet. Den Parteien ist innert 20 Tagen ein Urteilsdispositiv zuzustellen. Alle Urteile, welche den erstinstanzlichen Entscheid nicht bestätigen, sind zudem schriftlich zu begründen, wobei eine Verweisung auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils zulässig ist."
1.1.1 Das angefochtene Urteil verweist zur Begründung auf das erstinstanzliche Urteil. Ob das Appellationsgericht seinen Entscheid bei der Urteilseröffnung kurz mündlich begründete, wie dies § 183 Abs. 3 StPO vorschreibt, ergibt sich aus den Akten nicht. Dem Verhandlungsprotokoll ist weder eine solche Begründung zu entnehmen noch ein Hinweis darauf, ob sie gegeben wurde.
1.1.2 Die ersten beiden Sätze von § 183 Abs. 3 StPO sind klar und werfen jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang keine Auslegungsfragen auf. In Satz 3 wird dem Appellationsgericht für den Fall, dass es den erstinstanzlichen Entscheid nicht bestätigt, die zusätzliche Verpflichtung auferlegt, sein Urteil schriftlich zu begründen, wobei es auf das erstinstanzliche Urteil verweisen dürfe. Was dieser Satz tatsächlich bedeutet - das Appellationsgericht wird nicht auf die Entscheidgründe des nicht bestätigten Urteils verweisen können - kann hier offen bleiben. Wie es auf Anfrage des Instruktionsrichters ausdrücklich bestätigte, ging das Appellationsgericht davon aus, dass es sein Urteil schriftlich nur zu begründen brauche, wenn es den erstinstanzlichen Entscheid nicht bestätige, was hier nicht der Fall sei.
1.1.3 Aus dem in Art. 29 Abs. 2 BV verankerten Grundsatz des rechtlichen Gehörs ergibt sich indessen nach ständiger Rechtsprechung die Pflicht von Gerichten und Behörden, ihre Verfügungen und Entscheide zu begründen (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102; grundlegend: BGE 112 Ia 107 E. 2b S. 109 f.; vgl. auch die Botschaft des Bundesrates über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I S. 182 zu Art. 25). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs als persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht verlangt, dass das Gericht die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht von Gerichten und Behörden, ihre Entscheide zu begründen. Der Bürger soll wissen, warum entgegen seinem Antrag entschieden wurde. Die Begründung eines Entscheids muss deshalb so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich das Gericht leiten liess und auf welche sich sein Entscheid stützt (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 f. mit Hinweisen).
1.1.4 Nach dieser Praxis des Bundesgerichts zu Art. 4 aBV und Art. 29 Abs. 2 BV ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Rechtsmittelinstanz ihr Urteil durch blossen Verweis auf die Urteilsmotive der Vorinstanz begründet. Dies ist verfassungsrechtlich dann unbedenklich, wenn mit dem Rechtsmittel keine erheblichen Einwände vorgebracht wurden, mit denen sich das erstinstanzliche Urteil nicht bereits auseinandersetzte und die geeignet wären, es in Frage zu stellen (BGE 103 Ia 407 E. 3a). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, solche Einwände erhoben zu haben, und rügt denn auch nicht eine fehlende oder mangelhafte Begründung des angefochtenen Urteils. Er ist daher befugt, dieses mit staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten und sich dabei auf die Begründung des erstinstanzlichen Urteils zu stützen, die aufgrund der Verweisung auch als die des allein anfechtbaren Entscheids des Appellationsgerichts (Art. 86 Abs. 1 OG) gilt.
Festzuhalten ist jedoch, dass die Regelung in § 183 Abs. 3 StPO dann als verfassungswidrig betrachtet werden müsste, wenn trotz neuer erheblicher Einwände, die nicht Gegenstand des Urteils der ersten Instanz bildeten, bei Bestätigung des erstinstanzlichen Entscheids gemäss dem Gesetzeswortlaut auf eine eigene Begründung dazu im Urteil des Appellationsgerichts verzichtet würde. Eine staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs müsste diesfalls gutgeheissen werden. Würde der Beschwerdeführer unter diesen Umständen auf eine Begründung des Appellationsgerichtsurteils oder auf eine Rüge der Verweigerung des rechtlichen Gehörs verzichten, könnte auf seine staatsrechtliche Beschwerde wegen widersprüchlichen Verhaltens und sinngemässer Nichtausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges (Art. 86 Abs. 1 OG) nicht eingetreten werden.
1.2 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen besonderen Bemerkungen Anlass. Der Beschwerdeführer ist befugt (Art. 88 OG), gegen seine strafrechtliche Verurteilung staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu erheben (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Auf die Beschwerde ist somit, unter dem Vorbehalt gehörig begründeter Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b; 122 I 70 E. 1c), einzutreten.
2.
2.1 Der Beschwerdeführer wirft vorab die Frage auf, ob die Aussage des ihn stark belastenden A.________ vom 6. September 2001 überhaupt verwertbar sei. Nachdem der Auskunftsperson die Aussage von B.________, er habe von A.________ und dem Beschwerdeführer 1,5 kg (Kilogramm) Kokain bezogen, vorgehalten worden sei, sei A.________ nervös geworden. Nach dem Protokoll sei die Einvernahme daraufhin unterbrochen worden, und es habe ein längeres, nicht protokolliertes Gespräch zwischen dem einvernehmenden Beamten C.________ und A.________ stattgefunden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass A.________ von C.________ zu einem Geständnis gedrängt worden sei; ein derart offensichtlicher Beeinflussungsversuch widerspreche dem Gebot des fairen Verfahrens im Sinne von Art. 6 EMRK.
Abgesehen davon, dass nichts darauf hindeutet, dass A.________ mit unzulässigen Mitteln zu einem (unwahren) Geständnis gedrängt wurde - der Beschwerdeführer macht jedenfalls nicht geltend, dass A.________ je derartige Vorwürfe erhoben hätte, - ist es unerheblich, ob die Aussage vom 6. September 2001 nicht oder nur teilweise verwertbar ist. A.________ wurde vom Strafgericht an der Hauptverhandlung vom 29./30. Januar 2002 eingehend befragt, und das Strafgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich festgehalten, dass der eingeklagte Sachverhalt "auf der Basis der in der Hauptverhandlung deponierten Aussagen der drei Auskunftspersonen" - darunter A.________ -nachgewiesen sei (Urteil des Strafgerichts S. 10 Ziff. 7). Der Beschwerdeführer behauptet nicht, das Strafgericht und mit ihm das dessen Urteil bestätigende Appellationsgericht habe entgegen dieser klaren Darstellung auch auf die von ihm als unverwertbar gerügte Aussage A.________'s vom 6. September 2001 abgestellt, und das ist auch nicht ersichtlich. Sein Vorwurf, sein Recht auf ein faires Verfahren sei verletzt worden, indem sich die Verurteilung auf eine unverwertbare Aussage stütze, ist somit ohne weiteres unbegründet.
2.2 Zur Begründung seiner Willkürrüge wiederholt der Beschwerdeführer in der staatsrechtlichen Beschwerde im Wesentlichen bloss seine bereits in der Appellation vorgebrachte Kritik an der gerichtlichen Beweiswürdigung, indem er insbesondere die Glaubhaftigkeit der ihn belastenden Aussagen seiner Komplizen bzw. Geschäftspartner anders bewertet als das Strafgericht und seine Sicht der Dinge darlegt. Den Nachweis, dass das Abstellen auf die Aussagen dieser Auskunftspersonen, die sich selber stark belasteten und die die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Kokainhändler im Kern übereinstimmend und widerspruchsfrei darlegten, willkürlich, d.h. offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Versehen beruht (BGE 124 I 208 E. 4a; 117 Ia 13 E. 2c; 18 E. 3c je mit Hinweisen), bleibt der Beschwerdeführer indessen schuldig. Dass die Aussagen in Bezug auf die gehandelten Drogenmengen teilweise leicht schwankten und voneinander abwichen und an der gerichtlichen Hauptverhandlung generell weniger detailreicher waren als an den zeitlich viel früher erfolgten polizeilichen Einvernahmen, ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers offensichtlich kein Grund, das Abstellen darauf als willkürlich erscheinen zu lassen. Solche Kritik ist rein appellatorisch und genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer Willkürrüge nicht (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Darauf und auf die einzig mit dem (unbegründeten bzw. unzutreffenden) Willkürvorwurf begründete Rüge, der Grundsatz "in dubio pro reo" sei verletzt worden, ist somit nicht einzutreten.
3.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 7. April 2004
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: