BGer 5P.16/2004
 
BGer 5P.16/2004 vom 09.02.2004
Tribunale federale
{T 0/2}
5P.16/2004 /rov
Urteil vom 9. Februar 2004
II. Zivilabteilung
Besetzung
Bundesrichter Raselli, Präsident,
Bundesrichterinnen Nordmann, Escher,
Gerichtsschreiberin Scholl.
Parteien
Z._________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Steiner,
gegen
Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, Obere Vorstadt 38,
5000 Aarau.
Gegenstand
Art. 9 BV etc. (Entziehung der Handlungsfähigkeit),
Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, vom 19. November 2003.
Sachverhalt:
A.
Z._________ wurde in den Jahren 1990 bis 1998 sechs Mal psychiatrisch begutachtet. Am 24. September 2001 wurde er der Forensik der Psychiatrischen Klinik A.________ zu einer Konsultation überführt, welche ergab, dass er eine konsequente psychiatrische Begleitung durch den externen psychiatrischen Dienst (EPD) und Hilfe durch eine vormundschaftliche Massnahme benötige. Am 8. November 2001 ordnete die Vormundschaftsbehörde C.________ eine Mitwirkungs- und Verwaltungsbeiratschaft nach Art. 395 Abs. 1 und 2 ZGB an. Diese vormundschaftliche Massnahme wurde jedoch mit Wiedererwägungsentscheid vom 28. März 2002 aufgehoben.
Mit Schreiben von 16. August 2002 berichtete der EPD der Vormundschaftsbehörde C.________ über Probleme mit Z._________. Daraufhin beschloss die Vormundschaftsbehörde am 17. Oktober 2002 gegen Z._________ beim Bezirksgericht Baden das Entmündigungsverfahren einzuleiten. Zudem entzog es ihm für die Dauer des Verfahrens die Handlungsfähigkeit gemäss Art. 386 Abs. 2 ZGB.
B.
Auf die von Z._________ gegen diesen Beschluss erhobene Beschwerde trat das Bezirksamt Baden mit Entscheid vom 5./16. Dezember 2002 nicht ein. Auch das Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, wies mit Entscheid vom 19. November 2003 seine Beschwerde ab.
C.
Z._________ gelangt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des obergerichtlichen Entscheids. Zudem stellt er ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
Sein Gesuch um Sistierung des Verfahrens wies das Bundesgericht am 15. Januar 2004 ab.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Dem Beschwerdeführer wurde von der Vormundschaftsbehörde im Sinne einer vorsorglichen Massnahme nach Art. 386 Abs. 2 ZGB während des hängigen Entmündigungsverfahrens die Handlungsfähigkeit entzogen. Im Rahmen eines gerade gegen den Entzug der Handlungsfähigkeit gerichteten Verfahrens bleibt er freilich zur Wahrung seiner Rechte befugt, ansonsten für ihn keinerlei Möglichkeit bestünde, sich zur Wehr zu setzen (BGE 118 Ia 236 E. 3 S. 239 f.; Schnyder/Murer, Berner Kommentar, N. 86 zu Art. 386 ZGB). Er kann ebenfalls gültig einen Anwalt mit der Vertretung seiner Interessen beauftragen (BGE 112 IV 9 E. 1 S. 10 f.; Peter Breitschmid, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 386 ZGB). Der Beschwerdeführer ist damit im vorliegenden Verfahren prozessfähig. Er benötigt für die Beschwerdeführung keine Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.
2.
Gegen Massnahmen nach Art. 386 ZGB steht die Berufung nicht zur Verfügung, weil es sich einerseits um vorläufige Massnahmen handelt, so dass nicht von einem Endentscheid im Sinne von Art. 48 Abs. 1 OG auszugehen ist, und weil andererseits nicht eine in Art. 44 OG aufgeführte berufungsfähige Zivilrechtsstreitigkeit vorliegt (BGE 86 II 139 E. 1 S. 141 f.). Damit ist in einem solchen Fall einzig die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte gegeben (Art. 84 Abs. 1 OG). Zudem bewirkt eine Massnahme nach Art. 386 ZGB als Zwischenentscheid für den Betroffenen einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 OG. Aus dieser Sicht erweist sich die staatsrechtliche Beschwerde als zulässig.
3.
Der Beschwerdeführer macht zunächst in diversen Punkten eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend.
3.1 Eine solche erblickt er darin, dass sein Rechtsvertreter über seine Anhörung durch die Vormundschaftsbehörde nicht informiert wurde bzw. erst nachträglich davon Kenntnis erhielt.
Zu dieser ebenfalls vor Obergericht vorgebrachten Rüge lassen sich dem angefochtenen Entscheid keinerlei Erwägungen entnehmen. Eine Verletzung der Begründungspflicht macht der Beschwerdeführer jedoch nicht geltend, so dass insoweit nicht auf die Beschwerde eingetreten werden kann.
3.2 Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, im bezirksamtlichen Verfahren sei ihm die Vernehmlassung des Gemeinderates nicht zugestellt worden.
Das Obergericht hat eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in diesem Punkt verneint, da in der Vernehmlassung keine neuen Aspekte in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufgeführt gewesen seien, zu denen der Beschwerdeführer hätte Stellung nehmen müssen. Weiter hat es erwogen, eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs sei durch die (nachträgliche) Zustellung der strittigen Vernehmlassung an den Beschwerdeführer im obergerichtlichen Verfahren zur Stellungnahme ohnehin geheilt worden. Der angefochtene Entscheid beinhaltet damit eine Haupt- und eine Eventualbegründung. In einem solchen Fall muss sich ein Beschwerdeführer mit beiden Erwägungen auseinandersetzen und bezüglich jeder hinreichend dartun, dass der Entscheid verfassungswidrig ist (BGE 107 Ib 264 E. 3b S. 268; 121 IV 94 E. 1b S. 95). Der Beschwerdeführer setzt sich jedoch nur mit der erstgenannten Begründung des Obergerichts auseinander; zur Frage der Heilung einer allfälligen Gehörsverletzung macht er keinerlei Ausführungen. Somit kann auf diese Rüge nicht eingetreten werden.
3.3 Schliesslich macht der Beschwerdeführer eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, weil er zur Einsetzung des Amtsvormundes Y.________ als gesetzlichen Vertreter nicht angehört worden sei. Aus den Akten ergibt sich, dass der Beschwerdeführer im obergerichtlichen Verfahren zwar zur Person von Herrn Y.________ seine Vorbehalte angebracht hat, das Unterlassen seiner Anhörung zur Wahl des gesetzlichen Vertreters jedoch nicht gerügt hat. Damit ist dieses Vorbringen neu und folglich unzulässig (BGE 108 II 69 E. 1 S. 71; 129 I 49 E. 3 S. 57). Zudem ist zu beachten, dass die Ernennung von Herrn Y.________ in erster Linie durch die Vormundschaftsbehörde erfolgt ist; das Obergericht hat nur insoweit korrigierend eingegriffen, als es ihn zum gesetzlichen Vertreter (anstatt zum Beistand) ernannt hat. Die Rüge des Beschwerdeführers, das Obergericht habe nicht begründet, warum es ausgerechnet Herrn Y.________ als gesetzlichen Vertreter eingesetzt habe, stösst damit ins Leere.
4.
Ferner wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht in Zusammenhang mit der Wiedergabe von Gutachten eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung vor. Er verkennt jedoch, dass das Obergericht in den kritisierten Textpassagen einzig aus den Entscheiden der Vormundschaftsbehörde vom 28. März 2002 und 17. Oktober 2002 zitiert, ohne sie an dieser Stelle selbst zu würdigen. Vielmehr fasst es lediglich - unter dem Titel "den Akten entnommen" - die Prozessgeschichte zusammen. Inwiefern es dabei in Willkür verfallen sein soll, wird nicht nachvollziehbar dargetan, so dass in diesem Punkt nicht auf die Beschwerde eingetreten werden kann (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
5.
In der Hauptsache rügt der Beschwerdeführer, die Voraussetzungen für eine vorläufigen Entziehung der Handlungsfähigkeit seien überhaupt nicht erfüllt.
5.1 Zur Begründung seiner Position verweist der Beschwerdeführer unter anderem auf das zur Zeit vor Bezirksgericht hängige Entmündigungsverfahren. Er reicht Beilagen ein, woraus hervorgeht, dass das Bezirksgericht an der Erforderlichkeit einer Entmündigung Zweifel hegt und ein Ergänzungsgutachten in Auftrag gegeben hat zur Frage, ob eine mildere vormundschaftliche Massnahme genügen könnte. Bei diesen Schriftstücken handelt es sich allerdings um neue Beweismittel, welche im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde nicht zulässig sind und daher vom Bundesgericht nicht beachtet werden können (BGE 108 II 69 E. 1 S. 71; 129 I 49 E. 3 S. 57).
Es ist indes darauf hinzuweisen, dass sich in Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips die gestützt auf Art. 386 ZGB ergriffenen Massnahmen auf das gerade Notwendige zu beschränken haben. Ein vorläufiger Entzug der Handlungsfähigkeit gemäss Art. 386 Abs. 2 ZGB kann nur zum Zug kommen, wenn mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Entmündigungsgrund vorliegt und dringende vormundschaftliche Geschäfte zu besorgen sind, die nicht anders bewältigt werden können. Sobald diese sachlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind oder Massnahmen nach Art. 386 Abs. 1 ZGB ausreichen, muss die vorläufige Vormundschaft sofort aufgehoben werden - dies ungeachtet dessen, ob das ordentliche Entmündigungsverfahren seinen Fortgang nimmt (BGE 113 II 386 E. 3b S. 389; Schnyder/Murer, a.a.O., N. 119 zu Art. 386 ZGB; Peter Breitschmid, a.a.O., N. 6 zur Art. 386 ZGB; Hans Michael Riemer, Grundriss des Vormundschaftsrechts, 1997, § 4 N. 139).
5.2 Die übrigen Ausführungen des Beschwerdeführers in Bezug auf die materiellen Voraussetzungen für die Entziehung der Handlungsfähigkeit erschöpfen sich im Wesentlichen in der Zusammenfassung der obergerichtlichen Erwägungen und deren pauschalen Bezeichnung als offensichtlich falsch und willkürlich. Insbesondere wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht mehrfach vor, den Sachverhalt unzureichend abgeklärt zu haben. Dabei unterlässt er es jedoch, Verfahrensbestimmungen zu benennen, welche das Obergericht durch sein Vorgehen verletzt haben soll. Weiter bringt er vor, das Obergericht hätte ihn persönlich einvernehmen sollen, ohne jedoch nachzuweisen, dass er einen entsprechenden Antrag überhaupt gestellt hat. Soweit er zudem Aktenwidrigkeit geltend macht, fehlen konkrete Verweise auf Aktenstellen, welchen der obergerichtliche Entscheid angeblich widersprechen soll. In Bezug auf den Schluss, welchen das Obergericht aus den Gutachten und insbesondere aus dem Bericht des Amtsvormundes Y.________ zieht, gehen die Ausführungen des Beschwerdeführers nicht über appellatorische Kritik an der Beweiswürdigung hinaus. Damit kann auf diese Vorbringen mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht eingetreten werden, prüft das Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde doch nur klar und detailliert erhobene Rügen (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG; BGE 110 Ia 1 E. 2a S. 3; 125 I 492 E. 1b S. 495).
6.
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des kantonalen Verfahrensrechts bezüglich des obergerichtlichen Kostenentscheids: Obwohl das Obergericht in diversen Punkten den bezirksamtlichen Entscheid für fehlerhaft erklärt habe (Zustellung, Vernehmlassung, gesetzliche Vertretung etc.), habe es dies bei der Kostenverlegung nicht berücksichtigt. Gemäss der anwendbaren kantonalen Verfahrensbestimmungen (§ 33 Abs. 2 i.V.m. § 36 Abs. 1 und 2 VRPG/AG) seien jedoch bei teilweiser Gutheissung einer Beschwerde die Kosten anteilsmässig zu verlegen.
Der Beschwerdeführer übersieht, dass das Obergericht seine Beschwerde nicht nur teilweise, sondern vollumfänglich abgewiesen hat, auch wenn es den bezirksamtlichen Entscheid teils kritisiert hat. Soweit es den vorinstanzlichen Entscheid auch im Ergebnis korrigiert hat, ist dies - wie dem Dispositiv des angefochtenen Entscheides ausdrücklich angemerkt - von Amtes wegen erfolgt. Der Beschwerdeführer legt in seiner Beschwerde nicht dar, dass das kantonale Recht auch bei einem solchen Ergebnis eine anteilsmässige Kostenverlegung vorsieht bzw. dass das Obergericht die anwendbaren Bestimmungen in geradezu willkürlicher Weise verletzt hat. Demnach kann auch insoweit nicht auf die Beschwerde eingetreten werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Gleiches gilt für seine Beanstandungen in Bezug auf die vom Obergericht angenommene Aussichtslosigkeit der Beschwerdeführung, welche sich als rein appellatorisch erweisen.
7.
Damit kann auf die staatsrechtliche Beschwerde insgesamt nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 OG).
Der Beschwerdeführer hat für das bundesgerichtliche Verfahren ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt. Diese ist einer Partei zu bewilligen, die bedürftig und deren Sache nicht aussichtslos ist (Art. 152 Abs. 1 OG). Als aussichtslos sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung Prozessbegehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können (BGE 125 II 265 E. 4b S. 275; 127 I 202 E. 3a und b S. 204, je mit Hinweisen).
Im vorliegenden Fall konnte infolge mangelhafter Begründung und dem Vorbringen unzulässiger Noven auf keine der Rügen eingetreten werden. Damit muss die Beschwerde als von vornherein aussichtslos angesehen werden, so dass das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abzuweisen ist.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons Aargau, Kammer für Vormundschaftswesen als zweitinstanzliche vormundschaftliche Aufsichtsbehörde, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 9. Februar 2004
Im Namen der II. Zivilabteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: