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Original
 
[AZA 0/2]
4C.247/2001/rnd
I. ZIVILABTEILUNG
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1. Oktober 2001
Es wirken mit: Bundesrichterinnen und Bundesrichter Walter,
Präsident, Corboz, Klett, Rottenberg Liatowitsch, Nyffeler
und Gerichtsschreiber Huguenin.
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In Sachen
X.________ AG, Klägerin und Berufungsklägerin, vertreten durch Rechtsanwalt Alexandre A. Montellese, Gartenstrasse 19, Postfach, 8039 Zürich,
gegen
A.________, Beklagten und Berufungsbeklagten, vertreten durch Fürsprecher Dr. Ulrich Glättli, Martin Disteli-Strasse 9, Postfach 768, 4601 Olten,
betreffend
Baurechtszins, hat sich ergeben:
A.- Die Brüder A.________ und B.________ sind je zur Hälfte Miteigentümer eines Grundstückes in Y.________. Mit öffentlich beurkundetem Vertrag vom 28. September 1984 räumten sie der X.________ AG an diesem Grundstück ein bis
31. August 2084 dauerndes selbständiges Baurecht ein. Ziffer III des Vertrages lautet wie folgt:
"Die Baurechtsberechtigte hat den Baurechtsbelasteten
einen jährlichen Baurechtszins zu bezahlen. Über die
Höhe dieses Baurechtszinses - welcher jeweils am
Endeeines Kalenderjahres fällig wird - vereinbaren
sich die Parteien intern. "
Die Brüder A.________ und B.________ besassen ursprünglich die gleiche Anzahl Aktien der X.________ AG, für die sie auch beruflich tätig waren. Nachdem B.________ im Jahre 1990 mit dem Erwerb zusätzlicher Aktien die Aktienmehrheit erlangt hatte, kam es zum Streit zwischen den Brüdern.
Im Oktober 1990 beendete A.________ seine Tätigkeit für die X.________ AG und schied auch aus deren Verwaltungsrat aus.
B.- Am 16. März 1995 reichte die X.________ AG Klage gegen A.________ ein. Die Klägerin verlangte unter anderem, den Beklagten zur Zahlung der Hälfte der Kosten für das Baurechtsgrundstück zu verpflichten. Die Klägerin zog die Klage später zurück.
Der Beklagte erhob Widerklage auf Bezahlung eines Baurechtszinses. Er ging gestützt auf eine Liegenschaftenschätzung von einem jährlichen Baurechtszins von Fr. 15'000.-- aus und verlangte für die Zeit vom 1. Oktober 1990 bis 1. Oktober 1995 die ihm zustehende Hälfte des Betrages in der Höhe von Fr. 37'500.-- nebst 5 % Zins seit
30. August 1995. Mit Urteil vom 2. Februar 1999 wies das Amtsgericht Thal-Gäu die Widerklage ab. Der Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Solothurn, welches die Widerklage mit Urteil vom 22. Mai 2001 teilweise guthiess und die Klägerin zur Zahlung von Fr. 27'504. 50 nebst 5 % seit 30. August 1995 auf Fr. 23'100. 10 und seit 1. Januar 1996 auf Fr. 4'404. 40 verpflichtete.
C.- Mit ihrer Berufung beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Widerklage vollumfänglich ab- bzw. an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.
Der Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Im angefochtenen Urteil wird festgehalten, der Wortlaut von Ziffer III des Baurechtsvertrags vom 28. September 1984 sei klar und eindeutig: die Vertragsparteien hätten ein entgeltliches Baurecht vereinbart. Sie hätten lediglich den konkreten Betrag im Vertragstext nicht erwähnt; der Kläger habe damit den Hauptbeweis erbracht, dass er vom Grundsatz her einen Baurechtszins beanspruchen könne.
Im angefochtenen Urteil wird sodann ausgeführt, die Klägerin behaupte, man habe sich auf einen Baurechtszins Null geeinigt. Sie mache damit eine vom Wortlaut des Vertrages abweichende Vereinbarung geltend. Die Klägerin substanziiere indessen ihre Behauptung nicht. Mit Ausnahme ihrer eigenen, bestrittenen Aussage könne sie sich auf kein einziges Beweismittel stützen, das für ihren Standpunkt spreche.
Der Gegenbeweis, dass die Vertragsparteien vereinbart hätten, es müsse während der ganzen Dauer des Baurechtsvertrages kein Baurechtszins bezahlt werden, gelinge ihr daher nicht. Es seien keine Anhaltspunkte vorhanden, die auf eine nachträgliche Abänderung von Ziffer III des Vertrages hindeuteten.
Es bleibe somit dabei, dass vom Text der öffentlichen Urkunde vom 28. September 1984 auszugehen und die Klägerin für die Einräumung des Baurechts grundsätzlich entschädigungspflichtig sei.
Mit der Berufung wird dem Obergericht eine Verletzung von Art. 8 ZGB durch falsche Beweislastverteilung vorgeworfen.
Die Klägerin macht geltend, der Beklagte hätte auch den Inhalt der zweiten gesonderten Vereinbarung zu beweisen gehabt, mit der sich die Parteien intern über die Höhe des Baurechtszinses geeinigt hätten. Sollte das Bundesgericht diesen Einwand abweisen, werde die Eventualrüge erhoben, dass die Vorinstanz die Anforderungen an die Bestreitung überspannt habe.
a) Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch subjektive Auslegung, das heisst nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen (Art. 18 Abs. 1 OR). Nur wenn eine tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften und mussten. Während das Bundesgericht die objektivierte Vertragsauslegung als Rechtsfrage prüfen kann, beruht die subjektive Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG der bundesgerichtlichen Überprüfung im Berufungsverfahren entzogen ist. Die Beweislast für Bestand und Inhalt eines vom normativen Auslegungsergebnis abweichenden subjektiven Vertragswillens trägt jene Partei, welche aus diesem Willen zu ihren Gunsten eine Rechtsfolge ableitet (BGE 121 III 118 E. 4b/aa mit Hinweisen).
Die Vorinstanz hat eine allein auf den Wortlaut abgestützte, objektive Auslegung von Ziffer III des Baurechtsvertrags vorgenommen, die sie zum Ergebnis geführt hat, dass die Parteien die Entgeltlichkeit des Baurechts vereinbart haben. Einen davon abweichenden subjektiven Vertragswillen hatte jene Partei zu beweisen, welche eine entsprechende Behauptung vorbrachte. Diese Beweislastverteilung gilt auch für eine nachträgliche, nicht schriftlich festgehaltene Vertragsänderung, mit welcher die Verpflichtung zur Zahlung eines Baurechtszinses - allenfalls zeitlich begrenzt - aufgehoben worden wäre. Die Rüge der Verletzung von Art. 8 ZGB durch falsche Beweislastverteilung erweist sich damit als unbegründet.
b) Wenn im angefochtenen Urteil festgehalten wird, die Klägerin habe ihre Behauptung nicht substanziiert, ist damit etwas anderes gemeint, wie aufgrund der nachfolgenden Sätze erkennbar wird. Die Vorinstanz fährt nämlich fort, dass sich die Klägerin mit Ausnahme ihrer eigenen Aussage - die bestritten sei - auf kein einziges Beweismittel stützen könne, das für ihren Standpunkt spreche. Daraus geht hervor, dass die Vorinstanz nicht die Sachbehauptungen der Klägerin als ungenügend substanziiert betrachtete, sondern das von ihr angebotene Beweismittel in antizipierter Würdigung für untauglich hielt, den Beweis für die Sachbehauptungen zu erbringen.
Dabei handelt es sich um Beweiswürdigung, die vom Bundesgericht im Berufungsverfahren nicht überprüft werden kann (BGE 120 II 97 E. 2b S. 99). Die Beweiswürdigung liegt ausserhalb des Anwendungsgebiets von Art. 8 ZGB (BGE 122 III 219 E. 3c), weshalb eine Verletzung dieser Bestimmung durch die Vorinstanz ausscheidet.
2.- Das Obergericht hat den Baurechtszins für die Zeit zwischen Oktober 1990 bis Ende September 1995 gestützt auf ein gerichtlich eingeholtes Gutachten auf insgesamt Fr. 55'009.-- festgesetzt. Als rechtliche Grundlage dieses Vorgehens betrachtete es einerseits die Anpassung des Baurechtsvertrags an veränderte Umstände (clausula rebus sic stantibus) und andererseits die Ergänzung des Vertrages zur Ausfüllung einer Vertragslücke. Mit der Berufung wird eine Verletzung von Bundesrecht in doppelter Hinsicht gerügt. Zum einen scheitere die Anwendung der clausula rebus sic stantibus am Mangel einer Anpassungslücke, an der Voraussehbarkeit und Freiwilligkeit der Veränderung und an der fehlenden Äquivalenzstörung zwischen Leistung und Gegenleistung. Zum andern sei auch eine gerichtliche Vertragsergänzung ausgeschlossen, weil der Baurechtsvertrag keine Lücke aufweise und die Ergänzung im Hinblick auf den wesentlichen Vertragsinhalt nicht möglich sei. In diesem Zusammenhang macht die Klägerin geltend, die Begründung des angefochtenen Urteils sei widersprüchlich, denn danach hätten sich die Parteien über den wesentlichen Vertragsinhalt nicht geeinigt, womit mangels Konsenses kein Vertrag zustande gekommen sei. Angesichts der für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (Art. 63 Abs. 2 OG), dass die Baurechtsverpflichteten nicht nachträglich auf den Baurechtszins verzichtet haben, aber auch keine Einigung über die Höhe des Zinses zustande gekommen ist, drängt sich in der Tat die Frage auf, ob sich die Parteien über alle wesentlichen Punkte des Baurechtsvertrages geeinigt haben.
a) Damit ein Vertrag zustande kommt, müssen sich die Parteien über alle wesentlichen Vertragspunkte einig sein. Das gilt sowohl für objektiv wie für subjektiv wesentliche Punkte (Art. 2 OR; BGE 127 III 248 E. 3d). Beim Baurechtsvertrag wird die Vereinbarung einer Gegenleistung für die Einräumung des Baurechts nicht als objektiv wesentlicher Punkt betrachtet (Isler, Berner Kommentar, N. 3 zu Art. 779a ZGB; Friedrich, Die Neuordnung des Baurechts im Zivilgesetzbuch, BJM 1966 S. 9). Sind sich die Parteien indessen einig, dass ein Baurechtszins gezahlt werden soll, erheben sie damit die Entgeltlichkeit zu einem subjektiv wesentlichen Vertragspunkt, was zwangsläufig zur Folge hat, dass sie sich auch über dessen Höhe oder allenfalls über die Grundlagen einigen müssen, welche die objektive Bestimmung des Zinsbetrags erlauben.
Wie bereits festgehalten worden ist, haben die Parteien keine Einigung über die Höhe des Baurechtszinses erzielen können. Daraus folgt jedoch noch nicht, dass die Vereinbarung vom 28. September 1984 mangels Konsenses wirkungslos bleiben muss. Denn aus dem Wortlaut von Ziffer III geht klar hervor, dass die Parteien die Höhe des Baurechtszinses einer späteren Einigung vorbehalten haben, wobei die Möglichkeit besteht, diesen Zins für jedes Jahr neu festzulegen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist der Vorbehalt späterer Einigung auch dann zulässig, wenn er einen wesentlichen Vertragspunkt betrifft. Bleibt allerdings eine Einigung letztlich aus, ist der Vertrag als Ganzes mangels Konsenses gescheitert (BGE 127 III 248 E. 3d, e und f mit Hinweisen). Wie es sich damit im vorliegenden Fall verhält, steht im jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. Ist aber zur Zeit noch unsicher, ob ein Vertrag geschlossen wurde, kommt sowohl die Anwendung der clausula rebus sich stantibus wie auch die gerichtliche Vertragsergänzung wegen einer Vertragslücke nicht in Frage, da beides das Bestehen eines Vertrages voraussetzt.
b) Im Ergebnis kann der Vorinstanz dennoch zugestimmt werden. Das Bundesgericht hat sich im Zusammenhang mit einem vergleichbaren Dauerschuldverhältnis - der entgeltlichen Überlassung einer Sache zum Gebrauch - mit der Frage befasst, welche Rechtslage besteht, wenn die Höhe der Entschädigung für den bereits ausgeübten Gebrauch streitig ist. Es ist zum Schluss gekommen, dass in solchen Fällen die Höhe des Entgelts entsprechend dem bei der Vertragsergänzung üblichen Vorgehen vom Richter festgesetzt werden kann (BGE 119 II 347 E. 5a; 108 II 112 E. 4; 100 II 330 ff.). Da die Verhältnisse im vorliegenden Fall vergleichbar sind, rechtfertigt es sich, sie auch rechtlich gleich zu behandeln. Die von der Vorinstanz vorgenommene Vertragsergänzung verstösst somit im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht. Zur Berechnung des Baurechtszinses äussert sich die Berufung im Übrigen nicht, weshalb das angefochtene Urteil insoweit nicht überprüft werden kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c OG; BGE 116 II 745 E. 3).
3.- Aus diesen Gründen ist die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die Gerichtsgebühr der Klägerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Diese hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (Zivilkammer) des Kantons Solothurn vom 22. Mai 2001 bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Klägerin auferlegt.
3.- Die Klägerin hat den Beklagten für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (Zivilkammer) des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.
______________
Lausanne, 1. Oktober 2001
Im Namen der I. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: