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Original
 
[AZA 0/2]
5C.57/2001/min
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
14. Mai 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Bianchi, Bundesrichter Raselli,
Bundesrichter Meyer, Ersatzrichter Riemer und Gerichtsschreiber Gysel.
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In Sachen
A.________, Kläger und Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Robert Simmen, Toblerstrasse 97/Neuhaus-strasse 4, Postfach 382, 8044 Zürich,
gegen
Versicherung X.________, Beklagte und Berufungsbeklagte,
betreffend
Versicherungsvertrag (Verzugszins), hat sich ergeben:
Am 5. April 1994 erlitt A.________ bei einem Verkehrsunfall schwere Rücken- und innere Verletzungen, die zu einer Querschnittlähmung führten. Die Versicherung X.________, Rechtsnachfolgerin der Versicherung Y.________, bei der A.________ über seine Arbeitgeberin UVG-zusatzversichert war, zahlte diesem anfangs September 1998 gestützt auf eine am 12. August 1998 unterzeichnete Entschädigungsvereinbarung ein Invaliditätskapital von Fr. 2'112'630.--. Eine Verzinsung dieses Kapitals, wie sie A.________ mit dem auf der Vereinbarung angebrachten Vermerk "+ Zinsen ab Fälligkeit gem. VVG Art. 88" gefordert hatte, lehnte die Versicherung X.________ ab.
Mit Eingabe vom 29. Juni 1999 erhob A.________ beim Bezirksgericht Zürich Klage gegen die Versicherung X.________ und verlangte, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm den Betrag von Fr. 258'100.-- zuzüglich Zins zu 5 % seit 1. September 1998 zu zahlen. Die Klage wurde durch Urteile des Bezirksgerichts (3. Abteilung) vom 26. April 2000 und des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 14. Dezember 2000 abgewiesen.
Der Kläger hat eidgenössische Berufung erhoben mit dem Antrag, den Entscheid des Obergerichts aufzuheben und die Klage gutzuheissen; allenfalls sei die Sache zur Abklärung der Frage, wann das Ausmass der bleibenden Invalidität feststellbar gewesen sei, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagte schliesst auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Urteils.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die hier massgebenden Allgemeinen Bedingungen (AVB) der Versicherung Y.________ (Ausgabe Januar 1984) bestimmen in Art. 12 lit. b Ziff. 5 unter anderem Folgendes:
"Die Invaliditätssumme ... wird ausbezahlt, sobald
das Ausmass der bleibenden Invalidität feststellbar
ist, spätestens aber 5 Jahre nach dem Unfalltag.. "
Insbesondere aus der Wendung "wird ausbezahlt, sobald ..." leitet der Kläger ab, dass im Sinne von Art. 102 Abs. 2 OR ein Verfalltag verabredet worden sei; allenfalls sei von der Vereinbarung einer bedingten Mahnung auszugehen. Die Beklagte sei unter den gegebenen Umständen ohne weiteres in demjenigen Zeitpunkt in Verzug geraten, da das Ausmass der bleibenden Invalidität feststellbar gewesen sei. Dieser Zeitpunkt werde durch ein "medizinisch kalendermässig exakt, auf den Tag genau einkreisbares Ereignis" bestimmt; von einer ""Ca. "- oder "Ungefähr"-Umschreibung" könne keine Rede sein. Nach Ansicht des Klägers war seine bleibende Invalidität "mit Sicherheit jedenfalls vor Ablauf der 720-tägigen Taggeldperiode von Art. 11 lit. c AVB" feststellbar. Werde davon ausgegangen, dass der genannte Zeitpunkt spätestens 720 Tage nach dem Unfall vom 5. April 1994 eingetreten sei, befinde sich die Beklagte seit dem 25. März 1996 in Verzug.
Bis zur Auszahlung des Invaliditätskapitals anfangs September 1998 seien bei dieser Annahme 29 1/3 Monate verstrichen, was beim gesetzlichen Zinssatz von 5 % die eingeklagte Zinsforderung von Fr. 258'100.-- ergebe.
Unter Hinweis auf von Tuhr/Escher (Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, II. Band, S. 140) beruft sich der Kläger zusätzlich auf den Grundsatz von Treu und Glauben, der hier die Annahme eines Verfalltagsgeschäftes gebiete: Als sach- und geschäftskundige Versicherungsgesellschaft habe die Beklagte von sich aus, ohne seine, d.h. des Versicherten, Aufforderung, auf Grund des festzustellenden Ausmasses der bleibenden Invalidität zum frühestmöglichen Zeitpunkt die geschuldete Invaliditätssumme festzusetzen gehabt.
Indem sie das nicht getan habe, sei sie ohne Mahnung in Verzug geraten. Nur durch eine derartige Regelung könne vermieden werden, dass Versicherungsgesellschaften zum eigenen Zinsvorteil die Festsetzung und Auszahlung der geschuldeten Invaliditätssumme monate- oder jahrelang zum Nachteil des auf eine speditive Abwicklung des Versicherungsfalles vertrauenden Versicherten verzögern.
2.- a) Es ist allgemein anerkannt, dass mangels einschlägiger Vorschriften im Versicherungsvertragsgesetz die hier aktuelle Verzinsungsfrage nach Massgabe von Art. 102 OR zu beantworten ist (vgl. Art. 100 Abs. 1 VVG; Urteil des Bundesgerichts vom 2. Juni 1983, veröffentlicht in: SVA XV/1982-1985 Nr. 96 S. 521; Jürg Nef, Basler Kommentar, N 20 zu Art. 41 VVG). Während der Kläger geltend macht, es liege im strittigen Fall ein Verfalltagsgeschäft nach Art. 102 Abs. 2 OR vor, halten die Beklagte und die kantonalen Instanzen dafür, es sei von einem Mahngeschäft im Sinne von Art. 102 Abs. 1 OR auszugehen.
b) In Art. 12 lit. b Ziff. 5 AVB haben die Parteien - in Abweichung von Art. 88 Abs. 1 VVG (wonach die Invaliditätsentschädigung auszurichten ist, sobald die voraussichtlich dauernden Unfallfolgen "feststehen") - vereinbart, dass die Invaliditätssumme ausbezahlt werde, sobald das Ausmass der bleibenden Invalidität "feststellbar" sei. Eine solche Abrede war zulässig (vgl. das Urteil des Bundesgerichts vom 7. Mai 1981, veröffentlicht in: SVA XIV/1974-1981 Nr. 89 S. 423 f.). Damit ist indessen noch nicht gesagt, dass ein Verfalltag im Sinne von Art. 102 Abs. 2 OR vereinbart worden wäre. Ein Verfalltagsgeschäft liegt vor, wenn der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner erfüllen muss, kalendermässig bestimmt oder zumindest bestimmbar ist (Rolf H. Weber, Berner Kommentar, N 110 zu Art. 102 OR, mit zahlreichen Hinweisen); bloss ungefähre Festlegung des Erfüllungszeitpunktes reicht nicht aus (dazu Weber, N 114 ff. zu Art. 102 OR, mit umfangreicher Kasuistik). Eine undeutliche Verfalltagsbestimmung ist im Zweifel als Vereinbarung eines Mahngeschäfts auszulegen (Weber, N 113 zu Art. 102 OR).
c) Die in Art. 12 lit. b Ziff. 5 AVB gewählte Umschreibung des Zeitpunktes, zu welchem die Invaliditätssumme ausbezahlt werden soll ("... sobald das Ausmass der bleibenden Invalidität feststellbar ist"), ist derart offen, dass in Anbetracht der angeführten Grundsätze entgegen der Ansicht des Klägers nicht gesagt werden kann, es sei damit (zweifelsfrei) ein Verfalltagsgeschäft vereinbart worden. Mit dem dargelegten Begriff des Verfalltags unvereinbar ist das klägerische Vorbringen, dieser sei hier auf jeden Fall auf einen Zeitpunkt vor Ablauf der Taggeldperiode von 720 Tagen bzw. spätestens auf den 720. Tag nach dem Unfall festzulegen.
Diese Betrachtungsweise geht in Verkennung des Wesens eines Verfalltags von der Möglichkeit mehrerer "Verfalltage" aus.
Hat die Vorinstanz somit zu Recht die Vereinbarung eines Verfalltags verneint, stösst der Eventualantrag des Klägers, die Sache zur Abklärung der Frage, wann das Ausmass seiner Invalidität feststellbar gewesen sei, ins Leere.
3.- Unbehelflich ist sodann auch der Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben: An der vom Kläger in diesem Zusammenhang angerufenen Stelle erklären von Tuhr/Escher, es sei in gewissen Fällen unbillig, den Verzug erst mit der Mahnung eintreten zu lassen. So könne eine Mahnung dem Gläubiger nicht zugemutet und vom Schuldner nicht erwartet werden, wenn die Verhältnisse so lägen, dass nicht der Gläubiger, sondern nur der Schuldner wissen könne, wann seine Pflicht zu erfüllen sei. Ein solcher Fall ist hier gerade nicht gegeben.
4.- Entgegen der vom Kläger hilfsweise vertretenen Auffassung verbietet sich hier schliesslich die Annahme einer bedingten Mahnung von vornherein. Wie bei jeder Mahnung geht es auch bei einer solchen darum, den Schuldner an die Pflicht zur Erfüllung zu erinnern, was naturgemäss nicht schon im ursprünglichen Vertrag geschehen kann.
5.- Die Berufung ist nach dem Gesagten abzuweisen. Damit ist die Gerichtsgebühr dem Kläger aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Die Beklagte ist nicht durch einen Anwalt vertreten, und die Abfassung der Berufungsantwort war für sie nicht mit einem Aufwand verbunden, der eine Entschädigung zu rechtfertigen vermöchte (dazu BGE 113 Ib 353 E. 6b S. 357 mit Hinweisen).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 14. Dezember 2000 bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 6'000.-- wird dem Kläger auferlegt.
3.- Eine Parteientschädigung wird nicht zugesprochen.
4.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 14. Mai 2001
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: