BGer 8G.55/2000
 
BGer 8G.55/2000 vom 14.03.2001
[AZA 0/2]
8G.55/2000/hev
ANKLAGEKAMMER
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Sitzung vom 14. März 2001
Es wirken mit: Bundesrichter Corboz, Präsident der
Anklagekammer, Bundesrichter Nay, Raselli und Gerichtsschreiber
Küng.
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In Sachen
M.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Sylvain Maurice Dreifuss, c/o Hodgskin Dreifuss Hog & Partner, Bahnhofstrasse 24, Zürich,
gegen
Eidgenössische Zollverwaltung, Oberzolldirektion, Beschwerdegegnerin,
betreffend
rechtswidrige Amtshandlungen; hat sich ergeben:
A.- Am 16. August 2000 wurde M.________ durch das Zollinspektorat Zürich-Flughafen wegen des Verdachts der illegalen Einfuhr von Goldschmuck bzw. der Widerhandlung gegen das Zollgesetz (Art. 74 ZG) und die Mehrwertsteuerverordnung (Art. 77 MWStV) sowie der Erschleichung einer Falschbeurkundung (Art. 15 VStrR) und des Abgabebetruges (Art. 14 VStrR) vorläufig festgenommen und als Beschuldigter einvernommen. Mit Verfügung des Haftrichters des Bezirksgerichts Zürich vom 18. August 2000 wurde der Beschuldigte, vorläufig befristet bis zum 30. August 2000, wegen Kollusionsgefahr in Untersuchungshaft versetzt. Am 31. August 2000 verfügte der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich die Fortsetzung der Untersuchungshaft bis zum 13. September 2000. Eine gegen diese Verfügung eingereichte Beschwerde von M.________ vom 4. September 2000 wies die Anklagekammer des Bundesgerichts mit Urteil vom 21. September 2000 ab, soweit sie darauf eintrat.
M.________ wurde am 16. August 2000 dem für die Untersuchung zuständigen Beamten polizeilich zugeführt, als Beschuldigter einvernommen und vorläufig festgenommen.
Weitere Einvernahmen erfolgten, als er in Untersuchungshaft versetzt worden war. Ein erster Kontakt mit seinem Verteidiger, der bis dahin richterlich von einer Teilnahme ausgeschlossen worden war, wurde M.________ erstmals am Montag, 21. August 2000 erlaubt. Bei den bis zu diesem Zeitpunkt durch den zuständigen Untersuchungsbeamten durchgeführten Einvernahmen wurde er nicht auf das Recht hingewiesen, die Aussage verweigern zu dürfen.
B.- Mit Beschwerden im Sinne von Art. 27 VStrR vom 22. August und 4. September 2000 an die Eidgenössische Zollverwaltung stellte M.________ verschiedene Rechtsbegehren; am 10. September 2000 reichte er bei derselben Amtsstelle eine weitere Beschwerde gegen Amtshandlungen der Zolluntersuchungsbehörden ein.
Die Oberzolldirektion wies die drei Beschwerden mit Entscheid vom 2. Oktober 2000 ab, soweit sie darauf eintrat.
C.- Mit Beschwerde vom 5. Oktober 2000 wendet sich M.________ gegen diesen Beschwerdeentscheid an die Anklagekammer des Bundesgerichts.
Die Oberzolldirektion beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
Die Anklagekammer zieht in Erwägung:
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1.- Der Beschwerdeführer beantragt festzustellen, dass seine Einvernahme vom Sonntag, 20. August 2000, rechtswidrig erfolgt sei; diese sei für nichtig zu erklären.
Zur Begründung führt er an, er sei erstmals bei seiner Verhaftung am 16. August 2000 vernommen worden; bei seiner zweiten Einvernahme am 20. August 2000 sei ihm das ihm gemäss Art. 39 Abs. 3 VStrR zustehende Recht, dass sein Verteidiger zugegen sei, verweigert worden.
Diese Rüge ist unbegründet, es kann dazu auf das Urteil der Anklagekammer vom 19. Oktober 2000 verwiesen werden (E. 2c). Die Nichtübergabe eines Schreibens des Verteidigers (betreffend Belehrung des Beschwerdeführers über die ihm zustehenden Rechte) war während des Ausschlusses des Verteidigers nicht zu beanstanden (erwähntes Urteil, E. 2d). Inwiefern die spätere Nichtübergabe die Rechte des Beschwerdeführers hätte beeinträchtigen können, legt der Beschwerdeführer nicht dar und ist auch nicht zu sehen, nachdem nach Ablauf der Ausschlussdauer der unbeaufsichtigte Verkehr mit dem Verteidiger möglich war und ihn dieser wenn nötig direkt über seine Rechte belehren konnte.
2.- Der Beschwerdeführer beantragt weiter festzustellen, dass die Untersuchungsbehörde rechtswidrig den Ausschluss der Verteidigung anlässlich der Haftverhandlung vom 18. August 2000 verlangt habe.
Da er sich zur Begründung auch hier auf Art. 39 Abs. 3 VStrR beruft, welcher im Falle der Verhaftung hinter einen gestützt auf Art. 58 Abs. 2 VStrR bewilligten Ausschluss des Verteidigers zurückzutreten hat, ist die Rüge unbegründet (vgl. E. 2c des bereits erwähnten Urteils). Zudem wurde der durch den Haftrichter bewilligte Ausschluss des Verteidigers von der Haftverhandlung durch den Beschwerdeführer nicht innert drei Tagen mit Beschwerde angefochten, weshalb darauf ohnehin nicht eingetreten werden kann.
3.- Sodann beantragt der Beschwerdeführer, diejenigen Einvernahmeprotokolle für nichtig zu erklären, bei denen er nicht vorgängig ausdrücklich auf sein Aussageverweigerungsrecht hingewiesen worden sei. Er vertritt die Auffassung, dass die untersuchenden Beamten ihn auf sein Aussageverweigerungsrecht hätten hinweisen müssen.
Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, den Beschwerdeführer nicht entsprechend informiert zu haben, ist aber der Auffassung, dass sie namentlich aufgrund der einschlägigen Verfahrensbestimmungen dazu nicht verpflichtet gewesen sei.
a) Das Recht des Beschuldigten zu schweigen beziehungsweise das Recht, sich zur Sache nicht äussern zu müssen, ist unbestritten. Es ist als allgemeiner Grundsatz des Strafprozessrechts anerkannt und wurde bisher aus Art. 4 aBV hergeleitet (BGE 121 II 273 E. 3a; 109 Ia 166 E. 2b; 106 Ia 7 E. 4). Eine ausdrückliche Garantie, dass der Beschuldigte nicht gezwungen werden darf, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen, enthält Art. 14 Ziff. 3 lit. g UNO-Pakt II (SR 0.103. 2). Ferner leiten Lehre und Rechtsprechung das Recht des Beschuldigten, zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen, aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK ab (BGE 121 II 273 E. 3a, S. 282; Urteil vom 8. Februar 1996 i.S. John Murray c. Royaume-Uni, Rec. 1996-I, S. 30 Ziff. 45 und EuGRZ 1996, S. 587). Im Übrigen geht auch Art. 39 Abs. 4 VStR davon aus, sieht die Bestimung doch vor, aktenkundig zu machen, wenn sich der Beschuldigte auszusagen weigert.
b) aa) Die meisten schweizerischen Strafprozessordnungen schreiben nicht vor, dass der Beschuldigte auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen sei, ob er nun festgenommen ist oder nicht; so auch der im vorliegenden Fall massgebende Art. 39 VStrR. Bisher wurde dies auch nicht aus den Verfahrensgarantien der Bundesverfassung oder Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleitet (vgl. dazu Benjamin Schindler, Miranda Warning - bald auch in der Schweiz?, in: Strafrecht als Herausforderung [Hrsg. Jürg-Beat Ackermann], Zürich 1999, S. 467 f.).
Einige Strafprozessordnungen schreiben hingegen ausdrücklich vor, dass der Beschuldigte, auch der nicht festgenommene, auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen ist, so etwa jene der Kantone Zürich (§ 11 StPO), Bern (Art. 208 Abs. 2 StrV) und Freiburg (Art. 156 StPO).
bb) Gemäss Art. 31 Abs. 2 BV hat jede Person, der die Freiheit entzogen wird, unter anderem Anspruch darauf, unverzüglich in einer ihr verständlichen Sprache über ihre Rechte unterrichtet zu werden; sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Die Bestimmung gilt für alle Arten des Freiheitsentzuges.
Sie lehnt sich, anders als die übrigen Verfahrensgarantien, nicht an die EMRK oder den UNO-Pakt II und die geltende Rechtsprechung dazu oder zu Art. 4 aBV an, sondern geht, wie in der Botschaft zur Nachführung der Bundesverfassung (BBl 1997 S. 185) dargelegt, auf frühere Vorentwürfe zur Totalrevision der Bundesverfassung (VE 1977 Art. 21, VE Müller/Kölz Art. 15 und ModellStudie EJPD 1985 Art. 22) zurück. Die Schwere des Eingriffs liess eine Konkretisierung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in der Form eines Informationsanspruchs als gerechtfertigt erscheinen (BBl 1997 S. 185), birgt doch die besondere Drucksituation des Freiheitsentzugs eine erhöhte Gefahr in sich, dass der Betroffene seine Rechte nicht oder nur unzureichend wahrzunehmen vermag.
Art. 31 Abs. 2 BV knüpft mit "ihre Rechte" an die Ansprüche an, welche die betroffene Person nach der Bundesverfassung, den internationalen Abkommen und der eidgenössischen und kantonalen Gesetzgebung geltend machen kann, beschränkt sich aber auf die beispielhafte Erwähnung des Rechts, die nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. Soweit sich die Lehre dazu äussert, zählt sie auch das Schweige- oder Aussageverweigerungsrecht der in einem Strafverfahren beschuldigten Person zu diesen Rechten (René Rhinow, Die Bundesverfassung 2000, Basel 2000, S. 220; Benjamin Schindler, a.a.O., S. 472 f.). Der Kommentar zur bernischen Kantonsverfassung, dessen vor der neuen BV entstandener Art. 25 Abs. 2 im Wesentlichen gleich wie Art. 31 Abs. 2 BV lautet, nennt als Beispiel für die Rechte, über die zu informieren ist, jenes auf Aussageverweigerung (Walter Kälin/Urs Bolz, Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 295).
Angesichts der Bedeutung des Schweige- und Aussageverweigerungsrechts für die Gewährleistung eines fairen Verfahrens (E.3a) haben die untersuchenden Beamten im Verwaltungsstrafverfahren festgenommene Beschuldigte über ihr Aussageverweigerungsrecht zu unterrichten:
Sie sind in mit Art. 31 Abs. 2 BV konformer Auslegung von Art. 39 Abs. 2 VStrR unter Hinweis auf ihr Aussageverweigerungsrecht zur Aussage aufzufordern.
c) Der Beschwerdeführer verlangt, die entsprechenden Einvernahmeprotokolle wegen des unterlassenen Hinweises auf sein Aussageverweigerungsrecht bei der Einvernahme nach der Festnahme nichtig zu erklären. Auf dieses Begehren kann jedoch nicht eingetreten werden.
Die Frage, ob mit einem solchen formellen Mangel behaftete Einvernahmeprotokolle als Beweismittel verwertbar sind oder nicht, wird vom Sachrichter im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung zu beantworten sein. An diesem wird es liegen, darüber zu befinden, ob die in Frage stehenden Aussagen des Beschwerdeführers als Beweismittel erheblich sind und - gegebenenfalls - die notwendige Interessenabwägung vorzunehmen. Ein absolutes Verwertungsverbot besteht nicht (Urteil Khan v. The United Kingdom vom 12. Mai 2000; vgl. auch Robert Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Auflage, Basel 1999, § 39 N 15).
4.- Soweit der Beschwerdeführer beantragt, in jedem Fall den Kostenentscheid aufzuheben, kann auf die zutreffende Vernehmlassung der Beschwerdegegnerin verwiesen werden, der nichts beizufügen ist.
5.- Die Beschwerde ist aus diesen Gründen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Da der angefochtene Entscheid jedoch zu Unrecht davon ausgeht, der verhaftete Beschuldigte müsse nicht auf sein Aussageverweigerungsrecht aufmerksam gemacht werden, wird dem Beschwerdeführer nur eine reduzierte Gerichtsgebühr auferlegt.
Demnach erkennt die Anklagekammer:
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1.- Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und der Eidgenössischen Zollverwaltung, Oberzolldirektion, schriftlich mitgeteilt.
--------- Lausanne, 14. März 2001
Im Namen der Anklagekammer
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: