BGer 1P.608/2000
 
BGer 1P.608/2000 vom 07.11.2000
[AZA 1/2]
1P.608/2000/sch
I. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG
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7. November 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichter Féraud,
Bundesrichter Catenazzi und Gerichtsschreiber Steinmann.
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In Sachen
Swiss Online AG, Industriestrasse 19, Otelfingen, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Manfred Küng, Bahnhofstrasse 26/Paradeplatz, Postfach 5230, Zürich
gegen
Bezirksanwaltschaft Bülach, Büro 8,Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
betreffend
Art. 9, 27, 29 und 36 BV
(Auskunft über Internet), hat sich ergeben:
A.- Die Strafverfolgungsbehörden des Kantons Zürich erhielten von deutschen Stellen davon Kenntnis, dass eine unbekannte Person im Internet (IRC, Internet Relay Chat) am 20. Mai 1999 von 20.09 bis 20.53 Uhr kinderpornographische Bilder anbot (vgl. Art. 197 StGB). Dieser unbekannten Person war eine dynamische IP-Adresse (195. 24.83.87) zugeordnet.
Der Inhaber dieser Adresse ist die Swiss Online AG in ihrer Funktion als Provider.
Mit Verfügung vom 15. Juni 1999 ordnete die Bezirksanwaltschaft Bülach an, die Swiss Online AG habe eine Sicherung der für die Beweisführung relevanten Daten vorzunehmen (Ziff. 1) und insbesondere die Identität des Kunden mit der erwähnten IP-Adresse sowie dessen Wohn- und Kontaktadresse der Kantonspolizei bekanntzugeben (Ziff. 2).
Gegen diese Verfügung erhob die Swiss Online AG bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich Rekurs. Im Anschluss an das Urteil des Bundesgerichts i.S. Swiss Online AG vom 5. April 2000 (BGE 126 I 50) hiess die Staatsanwaltschaft den Rekurs am 23. Juni 2000 teilweise gut und hob die Dispositiv Ziff. 2 der angefochtenen Verfügung betreffend Bekanntgabe der Identität und der Adressen des unbekannten Kunden auf. Ferner wies sie die Bezirksanwaltschaft an, für die gewünschte Auskunftserteilung gemäss § 104b Abs. 1 StPO die Genehmigung des Präsidenten der Anklagekammer des Obergerichts einzuholen und sich gemäss Art. 6 der Überwachungsverordnung an den eidgenössischen Dienst für die Überwachung des Fernmeldeverkehrs zu wenden.
B.- In der Folge ordnete die Bezirksanwaltschaft Bülach am 28. Juni 2000 die rückwirkende Ermittlung der Verbindungsdaten und die Bekanntgabe der Identität des Kunden mit der genannten IP-Adresse an. Der Präsident der Anklagekammer des Obergerichts genehmigte diese Verfügung am 29. Juni 2000. Mit Verfügung vom 10. Juli 2000 wies die Bezirksanwaltschaft Bülach die Swiss Online AG an, gemäss Veranlassung durch das UVEK und der Genehmigung des Präsidenten der Anklagekammer die relevanten Daten gemäss Art. 44 FMG herauszugeben; im Übrigen wies sie das Gesuch der Swiss Online AG um Einstellung des Strafverfahrens ab.
Den Rekurs der Swiss Online AG gegen die Verfügung vom 10. Juli 2000 wies die Staatsanwaltschaft am 25. August 2000 ab, soweit sie darauf eintrat. Zum einen trat sie auf den Rekurs insofern nicht ein, als die Swiss Online AG den Antrag auf Verfahrenseinstellung gestellt hatte. Zum andern trat sie auf den Rekurs hinsichtlich der Erhebung der Randdaten ebenfalls nicht ein. In dieser Hinsicht führte sie aus, mit dem Entscheid des Präsidenten der Anklagekammer sei die Überwachungsmassnahme genehmigt worden. Es sei dessen Aufgabe, zu prüfen, ob die Voraussetzungen, inbsondere auch die gesetzliche Grundlage in § 104b StPO/ZH für die Überwachungsmassnahme gegeben sei. Damit sei der Rekurs an die Staatsanwaltschaft mit der Rüge, der Überwachungsmassnahme fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, ausgeschlossen.
Schliesslich hielt die Staatsanwaltschaft fest, dass sich die Swiss Online AG nicht auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen könne, da sie als juristische Person keiner Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt sei.
C.- Gegen diesen Entscheid der Staatsanwaltschaft erhebt die Swiss Online AG beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde. Sie beantragt dessen Aufhebung und rügt im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 29 BV sowie von Art. 26 und 27 BV in Verbindung mit Art. 36 BV, weil der Nichteintretensentscheid der Staatsanwaltschaft vor der Verfassung nicht standhalte und sie ohne hinreichende gesetzliche Grundlage zu einem Tun verpflichtet und damit in ihrer Wirtschafts- und Eigentumsfreiheit beeinträchtigt werde.
Die Bezirksanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassungen verzichtet.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Abweisung der von der Beschwerdeführerin ersuchten Verfahrenseinstellung auf deren Rekurs nicht eingetreten (E. 1). In dieser Beziehung erhebt die Beschwerdeführerin keine Rügen und macht insbesondere keine formelle Rechtsverweigerung geltend. Auf diesen Punkt braucht daher nicht weiter eingegangen zu werden (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG).
2.- Im Verfahren vor der Staatsanwaltschaft hat sich die Beschwerdefürerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.
In dieser Hinsicht ist ihr Rekurs abgewiesen worden, weil sie sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft als juristische Person nicht strafbar machen kann. Auch diesen Punkt nimmt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde in keiner Weise auf und erhebt dagegen keine verfassungsrechtlichen Rügen. Demnach ist darauf ebenfalls nicht weiter einzugehen.
3.- Weiter ist die Staatsanwaltschaft auch in Bezug auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, es fehle für die Herausgabe der gewünschten Informationen an einer gesetzlichen Grundlage, auf deren Rekurs nicht eingetreten. Sie führte in ihrer Hauptbegründung aus, diese Prüfung habe der Präsident der Anklagekammer vorzunehmen bzw. tatsächlich vorgenommen; bei dieser Sachlage sei der Rekurs an die Staatsanwaltschaft unzulässig.
a) Die Beschwerdeführerin setzt sich mit dieser Begründung im angefochtenen Entscheid nicht auseinander. Sie legt in keiner Weise dar, aus welchen Gründen bei der gegebenen Situation der Rekurs an die Staatsanwaltschaft im Sinne von § 402 StPO/ZH zulässig sein soll und inwiefern die Staatsanwaltschaft das kantonale Verfahrensrecht willkürlich angewendet und damit eine formelle Rechtsverweigerung begangen haben soll. Ebenso wenig nimmt sie Bezug auf die von der Staatsanwaltschaft angeführte Literaturstelle. Daher ist auf die vorliegende Beschwerde auch in diesem Punkte nicht einzutreten, ohne dass zu prüfen wäre, ob die von der Staatsanwaltschaft gegebene Eventualbegründung, mit der sich die Beschwerdeführerin allein auseinandersetzt, vor der Verfassung standzuhalten vermöchte.
b) Bei dieser Sachlage braucht auch die Rüge der Beschwerdeführerin, es fehle für die Mitteilung der eingeforderten Daten an einer gesetzlichen Grundlage, nicht näher geprüft zu werden. Immerhin kann diesbezüglich das Folgende ergänzt werden.
Das Bundesgericht hat in BGE 126 I 50 festgehalten, dass die materielle gesetzliche Grundlage für Überwachungsmassnahmen in den anwendbaren Strafprozessordnungen zu finden sei. Die Bestimmungen des Strafprozessrechts vermögen demnach grundsätzlich den Eingriff in den Fernmeldeverkehr der Benützer (Art. 13 Abs. 1 BV) unter der Voraussetzung einer richterlichen Genehmigung zu rechtfertigen (BGE 126 I 50 E. 2b S. 56 und E. 5a S. 60 f., mit Hinweisen; vgl. dazu neu die Referendumsvorlage des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, BBl 2000 5128).
Demgegenüber findet sich die Pflicht der Anbieterinnen von Fernmeldeleistungen, den zuständigen Justiz- und Polizeibehörden auf Verlangen Auskunft über den Fernmeldeverkehr von Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu geben, im (eidgenössischen) Fernmeldegesetz (FMG, SR 784. 10). Art. 43 FMG verpflichtet zwar die Anbieterinnen zur Geheimhaltung. Indessen umschreibt Art. 44 FMG im Einzelnen, dass diese in Abweichung von der Geheimhaltung zur Auskunftserteilung verpflichtet sind (vgl. BGE 126 I 50 E. 2a S. 53). Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung ergibt sich damit aus dem Bundesrecht.
Die Beschwerdeführerin rügt in diesem Zusammenhang gestützt auf BGE 126 I 50 weiter, dass die Staatsanwaltschaft das Vorliegen einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für die Überwachungsmassnahme hätte prüfen müssen. Indessen beruht ihre Auffassung auf einem unzutreffenden Verständnis des erwähnten Bundesgerichtsentscheides. Lediglich für den damals beurteilten Fall fügte das Bundesgericht im Hinblick auf ein allfälliges weiteres Vorgehen in jener Strafsache an, dass die Frage der gesetzlichen Grundlage, der Verhältnismässigkeit und der Einholung einer richterlichen Genehmigung von einer kantonalen Instanz zu prüfen wäre (126 I 50 E. 7a S. 67). In keiner Weise sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, dass die Staatsanwaltschaft selber - über die Beurteilung durch den Präsidenten des Obergerichts hinaus - eine Prüfung vorzunehmen hätte.
4.- Demnach kann auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 156 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 3'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Bezirksanwaltschaft Bülach (Büro 8) sowie der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 7. November 2000
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: