BGer 2P.127/2000
 
BGer 2P.127/2000 vom 13.10.2000
[AZA 0/2]
2P.127/2000/bol
II. OEFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG ***********************************
13. Oktober 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Wurzburger, Präsident der
II. öffentlichrechtlichen Abteilung, Betschart, Müller und
Gerichtsschreiber Wyssmann.
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In Sachen
W.________, Beschwerdeführer,
gegen
Fürsorgebehörde Binningen, Gemeindeverwaltung, Curt-Goetz-Strasse 1, Binningen, Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Verwaltungsgericht des Kantons B a s e l - L a n d -s c h a f t,
betreffend
Fürsorgeleistungen, hat sich ergeben:
A.- W.________ war Geschäftsführer einer Handelsgesellschaft, von welcher er sich im Dezember 1997 trennte. Da er seither arbeitslos und überschuldet ist, erhält er seit Februar 1998 Fürsorgeleistungen der Gemeinde Binningen.
Auf Anfrage der Fürsorgebehörde der Gemeinde Binningen teilte W.________ mit Schreiben vom 3. Juni 1999 mit, dass er die nicht durch Sozialhilfe gedeckten Kosten für den BMW und für die gegenüber den Richtlinien zu teure Wohnung aus gelegentlich erhaltenen Darlehen seiner Schwester finanziere. Die Fürsorgebehörde erliess daher am 7. Juni 1999 eine Verfügung, mit welcher sie (bei unverändertem monatlichen Unterstützungsbedarf von Fr. 2'370.--) die Unterstützungsleistungen ab Juli 1999 um den Betrag der ausserhalb des Grundbedarfs liegenden, durch finanzielle Hilfen der Familie gedeckten Auslagen (BMW-Leasing Fr. 365.--, Garagenmiete Fr. 120.--, Motorfahrzeugversicherung und -steuern Fr. 182. 60, Mietzinsdifferenz Fr. 404.--, Krankenkassenzusatzprämie Fr. 15.--) kürzte. Sie erwog, auf Grund des in der Sozialhilfe geltenden Subsidiaritätsprinzips bestehe im Umfang der zusätzlich verfügbaren Mittel kein Anspruch auf Fürsorgeleistungen. In diesem Sinne könne der Sozialhilfeempfänger nicht zwischen öffentlicher Sozialhilfe und privater Unterstützung wählen, auch wenn diese von Dritten ohne rechtliche Verpflichtung erbracht werde.
Eine Einsprache wies die Fürsorgebehörde Binningen am 30. Juni 1999 ab. Mit Beschluss vom 9. November 1999 bestätigte der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft den Entscheid der Fürsorgebehörde. Eine Beschwerde von W.________ gegen den Regierungsratsbeschluss wies das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft mit Urteil vom 29. März 2000 ab.
B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 4. Juni 2000 beantragt W.________ unter anderem, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 29. März 2000 sei aufzuheben und es sei die Sache zur Neubeurteilung und "Fällung von Grundsatzurteilen" an die kantonale Instanz zurückzuweisen.
Die Fürsorgebehörde Binningen und das Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft verzichteten auf eine Vernehmlassung. Der ebenfalls zur Stellungnahme aufgeforderte Regierungsrat liess sich nicht vernehmen.
Am 6. und 25. Juli, 24. August, 21. September und
17. Oktober 2000 liess der Beschwerdeführer dem Bundesgericht weitere Eingaben zukommen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- a) Auf die vom Beschwerdeführer nach Ablauf der Beschwerdefrist am 6. und 25. Juli, 24. August und 21. September 2000 unaufgefordert eingereichten Eingaben ist nicht einzutreten. Der Beschwerdeführer übersieht, dass ein zweiter Schriftenwechsel nicht angeordnet worden ist. Dazu bestünde auch kein Anlass, nachdem alle beteiligten Behörden auf Vernehmlassung verzichtet haben.
Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 17. Oktober 2000, das er als Antwort auf das ihm vom Bundesgericht am 13. Oktober 2000 zugestellte Urteilsdispositiv verfasste und in dem er um rasche Begründung des Urteils ersucht, ist mit der Ausfertigung dieses Urteils gegenstandslos geworden.
Nicht einzutreten ist auf den vom Beschwerdeführer aufgestellten Fragenkatalog, weil sich die Urteilsbegründung auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte zu beschränken hat.
b) Von hier nicht zutreffenden Ausnahmen abgesehen, ist die staatsrechtliche Beschwerde rein kassatorischer Natur (BGE 122 I 351 E. 1f S. 355; 121 I 326 E. 1b S. 328).
Zulässig ist somit einzig das Begehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben. Wäre diesem zu entsprechen, müsste die kantonale Instanz so oder anders ohne besondere Anweisungen neu entscheiden. Der Antrag, die Sache sei hierfür an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen und es seien die nötigen "Grundsatzurteile" zu fällen, erweist sich daher als überflüssig. Es ist darauf nicht weiter einzugehen.
c) Im Übrigen ist aber die staatsrechtliche Beschwerde gegen den kantonal letztinstanzlichen Entscheid des Verwaltungsgerichts grundsätzlich zulässig (Art. 84 und 86 Abs. 1 OG).
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Entscheid in rechtlich geschützten Interessen betroffen.
§ 20 des Fürsorgegesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 6. Mai 1974 (FüG) räumt dem Bedürftigen einen gerichtlich durchsetzbaren Unterstützungsanspruch ein. Am 1. Januar 2000 ist die neue Bundesverfassung (BV) in Kraft getreten, deren Art. 12 ausdrücklich ein Recht auf Hilfe in Notlagen vorsieht.
Das Bundesgericht anerkannte bereits früher ein ungeschriebenes verfassungsmässiges Grundrecht auf Existenzsicherung, welches die Kantone und Gemeinden verpflichtet, bedürftige Personen zu unterstützen (BGE 121 I 367 E. 2).
Der Beschwerdeführer ist deshalb nach Art. 88 OG legitimiert, gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts in der Sache staatsrechtliche Beschwerde zu führen.
d) Zu beachten ist indes, dass die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG) ein neues Verfahren eröffnet, bei dem das Bundesgericht den kantonalen Hoheitsakt nur unter dem spezifischen Aspekt der Verfassungsmässigkeit prüft. Das wirkt sich auch auf die Anforderungen an die Beschwerdebegründung aus. Gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG hat der Beschwerdeführer darzulegen, welche verfassungsmässigen Rechte und inwiefern sie verletzt sein sollen. Das Bundesgericht prüft nur ausdrücklich erhobene und ausreichend begründete Rügen. Auf appellatorische Kritik tritt es nicht ein (BGE 110 Ia 1 E. 2; s. auch BGE 125 I 492 E. 1b S. 495; 115 Ia 393 E. 1c S. 395). Ob die Beschwerde diesen Anforderungen genügt, ist bei der Behandlung der einzelnen Rügen zu prüfen.
2.- a) Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Entscheid im Wesentlichen ausgeführt, der Regierungsrat habe die monatlichen Fixkosten des Beschwerdeführers mit Fr. 2'316. 60 richtig berechnet. In diesem Betrag seien die Ausgaben für Autoleasing, Garagenmiete, Motorfahrzeugsteuern und -versicherung (pro rata), Wohnungsmiete und Krankenkasse (Grundprämie) enthalten. Der monatliche Unterstützungsbeitrag belaufe sich auf Fr. 2'370.--. Es sei offensichtlich, dass der Beschwerdeführer aus den monatlichen Unterstützungsbeiträgen nebst den fixen Kosten von Fr. 2'316. 60 nicht auch noch die laufenden Lebenshaltungskosten (für Nahrungsmittel, Kleider, Strom usw.) bestreiten könne. Dennoch sei er in der Lage, die durch die Unterstützungsbeiträge nicht gedeckten Ausgaben zu bezahlen. Die Fürsorgebehörde habe mithin zu Recht angenommen, dass der Beschwerdeführer über weitere Mittel zur Deckung der Mehrkosten verfüge, nämlich in Form von gelegentlich erhaltenen Darlehen seiner Schwester.
Ferner habe er eine Versicherungsleistung von Fr. 20'467. 80 bezogen. Diese weiteren Mittel und Hilfen seien an die Sozialhilfebeiträge anzurechnen. Es handle sich um das in § 12 FüG niedergelegte Subsidiaritätsprinzip, wonach Anspruch auf Sozialhilfe nur bestehe, wenn und soweit andere Hilfe nicht ausreichend vorhanden sei. Der Beschwerdeführer habe einen Lebensstandard, der deutlich über demjenigen eines Fürsorgeempfängers liege (relativ teures Auto, teure Wohnung). Der Fürsorgebehörde seien diese Mittelzuflüsse nicht von Anfang an bekannt gewesen. Wenn sie daher den Unterstützungsbeitrag gestützt auf diese Tatsachen neu berechnet habe, sei das nicht zu beanstanden.
b) Inwiefern diese Begründung des Verwaltungsgerichts willkürlich sein oder das Grundrecht auf Existenzsicherung verletzen könnte, ist nicht zu sehen.
Der Beschwerdeführer führt aus, dass es sich beim Recht auf Existenzsicherung um ein Menschenrecht handle und bei der Existenzsicherung auf den individuellen Kontext der Person zu achten sei, weshalb der Entzug verfassungsrechtlich geschützter Existenzmittel einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht darstelle. Aus der staatsrechtlichen Beschwerde geht indessen nicht hervor, weshalb die Ansicht des Verwaltungsgerichts, das in seinem ausführlich begründeten Entscheid dargelegt hat, dass der Beschwerdeführer noch über genügend Geldmittel verfüge, um selbst für den durch die Sozialhilfe nicht abgedeckten Teil des Existenzminimums aufzukommen, falsch sein soll. Das Verwaltungsgericht nimmt auch auf den individuellen Kontext - die situationsbedingten Kosten - beim Beschwerdeführer Bezug, wenn es ausführt, dass bei der Berechnung des Unterstützungsbeitrages und der Sozialhilfebeiträge auch ein überhöhter Lebensaufwand, die anrechenbaren Fremdhilfen sowie die eigenen Mittel zu berücksichtigen und bei Veränderung der Verhältnisse der Bedarf resp. die Beiträge neu zu berechnen seien.
c) Die Fürsorgebehörde und das Verwaltungsgericht haben sich für die Berechnung des Unterstützungsbedarfs und der Netto-Unterstützungsleistungen auch ausdrücklich auf die Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (nachfolgend:
SKOS-Richtlinien) abgestützt. Die Behörden haben somit - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - die SKOS-Richtlinien als verbindlich anerkannt (s. auch § 2 der Verordnung über Art und Mass der Fürsorgeunterstützung vom 25. November 1997).
3.- Der Beschwerdeführer beanstandet, dass die Fürsorgebehörde zu Zwangsmitteln gegriffen habe, was unzulässig sei.
Die Fürsorgebehörde Binningen hat dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 19. Februar 1998 eine Frist von sechs Monaten angesetzt, um eine den Richtwerten entsprechende günstigere Wohnung zu suchen oder in die Notwohnung der Gemeinde Binningen umzuziehen. Dabei handelt es sich nicht um eine Zwangsmassnahme, wie der Beschwerdeführer rügt, sondern um eine Auflage. Von einer Zwangsmassnahme unterscheidet sich die Auflage darin, dass deren Nichtbefolgung nicht mit Zwang gegenüber dem Sozialbezüger durchgesetzt werden kann, sondern dass die Nichtbeachtung dazu führt, dass überhöhte Mietzinse bei der Berechnung des Grundbedarfs nicht mehr zu berücksichtigen sind. Auflagen, die den Sozialbezüger zu haushälterischem Umgang mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln anhalten wollen, sind im Übrigen auch nach den SKOS-Richtlinien (Kap. A.8.2 und B.3 in fine) zulässig und stellen offensichtlich keinen Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung dar. Im Übrigen hat die Gemeinde dem Beschwerdeführer von Anfang an eine Unterkunft in der gemeindeeigenen Wohnung offeriert. Sie ist somit dem Beschwerdeführer, entgegen dessen Behauptungen, bei der Suche nach günstigem Wohnraum behilflich gewesen. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet.
4.- Was der Beschwerdeführer des Weitern vorbringt, ist appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, auf die nicht einzugehen ist (vorstehende E. 1d). Das betrifft namentlich die Ausführungen, in denen sich der Beschwerdeführer in allgemeiner "grundsätzlicher" Weise auf die verfassungsmässigen Rechte und die SKOS-Richtlinien beruft, ohne sich mit der Begründung im angefochtenen Entscheid im Einzelnen auseinanderzusetzen und darzulegen, worin die Verfassungswidrigkeit liegen soll. Ungenügend begründet sind auch die Ausführungen unter den Titeln "Leistungsverpflichtungen" und "Leistungshöhe- und Leistungskürzungen". Der Beschwerdeführer verweist zur Begründung auf seine Eingaben an die Fürsorgebehörde, was nicht genügt, weil die rechtliche Begründung der staatsrechtlichen Beschwerde in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein muss (BGE 99 Ia 586 E. 3 S. 593, mit Hinweisen). Abgesehen davon wurden diese Eingaben nach dem hier angefochtenen Entscheid des Verwaltungsgerichts verfasst. Es handelt sich schon aus diesem Grund um unzulässige Noven.
5.- Nicht ausreichend substantiiert sind auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Rückerstattungspflicht.
Es geht aus der Beschwerde nicht hervor und ist nicht zu sehen, inwiefern das verfassungsmässige Recht auf Existenzsicherung verletzt sein könnte, wenn eine unterstützte Person zur Rückerstattung verpflichtet wird, sobald ihre finanzielle Situation das erlaubt. Die SKOS-Richtlinien schliessen eine Rückerstattung ebenfalls nicht grundsätzlich aus, auch wenn empfohlen wird, von der Rückerstattung nur zurückhaltend Gebrauch zu machen (SKOS-Richtlinien, Kap. E.3).
Nicht einzutreten ist schliesslich auch auf die Vorbringen unter dem Titel "Unrichtige rechtliche Beurteilung von Tatsachen und willkürlicher Schutz". Der Beschwerdeführer übt allgemeine Kritik am Vorgehen der Fürsorgebehörde und wirft Fragen auf, ohne darzulegen, weshalb die Kürzung der Sozialbeiträge um die durch Mittel des Beschwerdeführers gedeckten Ausgaben verfassungswidrig sein soll.
6.- Der Beschwerdeführer stellt das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Gemäss Art. 152 Abs. 1 OG gewährt das Bundesgericht einer bedürftigen Partei auf Antrag Befreiung von der Bezahlung der Gerichtskosten. Voraussetzung ist aber, dass das Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.
Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, genügt die Beschwerdeschrift in keiner Weise den Anforderungen, die Art. 90 OG an die Begründung von staatsrechtlichen Beschwerden stellt, und erweisen sich die einzigen einigermassen substantiierten Rügen als offensichtlich unbegründet. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist daher abzuweisen.
Als unterliegende Partei hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
2.- Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
3.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.
4.- Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Fürsorgebehörde Binningen, dem Regierungsrat sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Landschaft schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 13. Oktober 2000
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident:
Der Gerichtsschreiber: