BGer 5C.155/2000
 
BGer 5C.155/2000 vom 31.08.2000
[AZA 0]
5C.155/2000/min
II. Z I V I L A B T E I L U N G ********************************
31. August 2000
Es wirken mit: Bundesrichter Reeb, Präsident der II. Zivilabteilung,
Bundesrichter Weyermann, Bundesrichter Raselli,
Bundesrichterin Nordmann, Bundesrichter Merkli und Gerichtsschreiber von Roten.
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In Sachen
X.________, und 95 Mitbeteiligte, Kläger und Berufungskläger, alle vertreten durch Rechtsanwalt Paul Rechsteiner, Oberer Graben 44, 9000 St. Gallen,
gegen
Y.________ AG in Nachlassliquidation, Beklagte und Berufungsbeklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Stadelmann, St. Gallerstrasse 99, Postfach, 9201 Gossau,
betreffend
Kollokation,
wird festgestellt und in Erwägung gezogen:
1.- Am 3. Dezember 1996 wurde der Y.________ AG (einst Z.________) die Nachlassstundung bewilligt. X.________ und 95 Mitbeteiligte, alles Arbeitnehmer der Y.________ AG, meldeten im Nachlassverfahren ihre Forderungen an, darunter den 13. Monatslohn für das Jahr 1996. Nachdem nur der auf die Monate Juni bis November 1996 entfallende Anteil des 13. Monatslohnes in der 1. Klasse kolloziert worden war, begehrten sie klageweise die Restforderung - Anteile Januar bis Mai 1996 - ebenfalls in der 1. Klasse zu kollozieren. Das Bezirksgericht Sargans und das Kantonsgericht St. Gallen (III. Zivilkammer) wiesen die Klage ab (Entscheide vom 23. März 1999 und 5. April 2000). Dem gegen das kantonsgerichtliche Entscheiddispositiv gerichteten Erläuterungs-, eventuell Berichtigungsgesuch betreffend Kosten ist in der Entscheidausfertigung Rechnung getragen worden. Mit eidgenössischer Berufung beantragen die Kläger die gerichtliche Feststellung, dass die strittigen Forderungsbeträge in der 1. Klasse zu kollozieren seien. Eine Berufungsantwort ist nicht eingeholt worden.
2.- Gegen den im Kollokationsprozess ergangenen Entscheid ist die Berufung zulässig; die geltend gemachten Ansprüche, zusammengerechnet und nach Massgabe der Differenz zwischen dem Betreffnis zufolge angefochtener und beanspruchter Kollokation, überschreiten die erforderliche Berufungssumme (Art. 46 f. OG; Messmer/Imboden, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 50 S. 70 f. und N. 61 bei/in Anm. 38 S. 85 mit Nachweisen). Die Kollokationsklage ist zwar keine Feststellungs-, sondern eine (vollstreckungsrechtliche) Gestaltungsklage (Staehelin/Sutter, Zivilprozessrecht, Zürich 1992, § 13 N. 25 S. 144), doch ist klar, was die Kläger von der Beklagten verlangen (Art. 55 Abs. 1 lit. b OG; Messmer/Imboden, a.a.O., N. 113 S. 152). Auf die Berufung kann eingetreten werden.
3.- Unbestritten ist der arbeitsvertragliche Anspruch der Kläger auf Bezahlung des 13. Monatslohnes. In den als Beispiele im Recht liegenden Anstellungsverträgen heisst es formelmässig: "Zusätzlich (scil. zum Gehalt pro Monat) wird im November ein 13. Monatslohn ausbezahlt, der ein fester Lohnbestandteil ist" und der "bei Ein- und Austritt im Laufe des Jahres pro rata temporis entrichtet" wird. Wäre nicht der darauf abzielende wirkliche Parteiwille ebenfalls unbestritten, müsste nach Massgabe des Vertrauensgrundsatzes davon ausgegangen werden (zuletzt: BGE 126 III 119 E. 2a S. 120), dass - wie es sich im Regelfall auch so verhält - die Forderung auf den 13. Monatslohn anteilsmässig in Zwölfteln monatlich entsteht und mit dem Ablauf des Jahres wächst, aber grundsätzlich erst in einem späteren Zeitpunkt (hier im November) fällig wird; der Vorbehalt der "pro rata temporis"-Regel für Eintritt während des Jahres und sofortiger Fälligkeit bei Austritt (Art. 339 Abs. 1 OR) bestätigt monatliche Teilforderungen (vgl. zum dreizehnten Monatslohn Brühwiler, Kommentar zum Einzelarbeitsvertrag, 2.A. Bern 1996, N. 7, und Brunner/Bühler/Waeber, Commentaire du contrat de travail,
2. A. Lausanne 1996, N. 3, je zu Art. 322d OR; Tercier, Les contrats spéciaux, 2.A. Zürich 1995, N. 2663 und N. 2665 S. 326, je mit weiteren Nachweisen).
4.- Strittig ist, wie der auf Januar bis Mai 1996 entfallende Anteil des 13. Monatslohnes zu kollozieren sei.
Das sog. Arbeitnehmerprivileg ist für Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis gesetzlich auf solche beschränkt, "die in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden sind" (Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG).
a) Der Konkurseröffnung steht die Bewilligung der Nachlassstundung gleich, die am 3. Dezember 1996 erteilt worden ist. Es gilt damit das - vom Wortlaut her gleichlautende - Arbeitnehmerprivileg des bisherigen Rechts (BGE 125 III 154 E. 3 S. 156 ff.).
b) Das Kantonsgericht hat den besagten Anteil des
13. Monatslohnes nicht in der ersten Klasse kolloziert mit der Begründung, dass der Gebrauch des Ausdrucks "Entstehen einer Forderung" zwar nicht einheitlich sei, von der gesetzgeberischen Absicht und vom Zweck der Regelung her aber das Arbeitnehmerprivileg nicht ausdehnend ausgelegt werden dürfe; der Anteil des 13. Monatslohnes, der auf die Zeit vor Beginn der Frist von sechs Monaten entfalle, sei bereits vorher verdient, wenn auch noch nicht fällig. Die Kläger halten dagegen, "Entstehen" der Forderung heisse Eintritt der Fälligkeit, da der Anspruch auf Ausrichtung eines Anteils des
13. Monatslohnes ja auch nur entstehe, wenn das Arbeitsverhältnis während des Jahres beendet werde. Die historische Auslegung verwerfen sie, weil der Gesetzgeber sich mit dem Problem des 13. Monatslohnes gar nicht befasst habe, und gegenüber der teleologischen Auslegung wenden sie ein, dass das Arbeitnehmerprivileg den ganzen 13. Monatslohn erfasse, handle es sich doch um einen elementaren Lohnbestandteil und solle doch die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers ausgeglichen werden; es wäre stossend, diesen elementaren Lohnbestandteil des Arbeitnehmers in eine nicht privilegierte Klasse zu relegieren, nur weil der Arbeitnehmer ohne jede Möglichkeit der Einflussnahme das Pech habe, dass der Arbeitgeber in den letzten Monaten des Jahres in den Konkurs falle.
Ihre Rechtsauffassung stützen die Kläger zur Hauptsache auf einen Aufsatz von Kurt Meier (Lohnforderungen im Arbeitgeber-Konkurs, Plädoyer 1998, H. 2, S. 38 ff., vorab S. 41 f.).
c) Inhaltlich gibt die gesetzliche Umschreibung "Forderungen ..., die ... entstanden sind" zu keinen ernsthaften Zweifeln Anlass. Das Bundesgericht hat zur übereinstimmenden Umschreibung beim Privileg der Agenten (in der Fassung von 1949/50) unmissverständlich festgehalten, Entstehen der Forderung sei nicht mit Fälligkeit der Forderung gleichzusetzen, und dieser Grundsatz gelte auch für das Arbeitnehmerprivileg (in der Fassung von 1889/92), obwohl das Gesetz dies nicht ausdrücklich sage, sondern sich einer weniger bestimmten Wendung bediene (BGE 90 III 109 E. 1a S. 113 mit Nachweisen). Das Gesetz sagt dies nunmehr ausdrücklich seit der Änderung im Zusammenhang mit dem Arbeitsgesetz vom 13. März 1964 (SR 822. 11; Botschaft, BBl 1960 II 909, S. 1011 f.) und ist in der Revision vom 16. Dezember 1994 unverändert geblieben (Botschaft, BBl 1991 III 1, S. 129).
Es entspricht dieses Verständnis der Rechtsordnung, die klar die Entstehung der Forderung (Art. 1 ff. OR) von ihrer Fälligkeit abgrenzt (Art. 75 ff. OR). Die Unterscheidung ist im Konkursrecht vielerorts massgebend. Gemäss Art. 208 Abs. 1 Satz 1 SchKG bewirkt die Konkurseröffnung gegenüber der Konkursmasse die Fälligkeit sämtlicher Schuldverpflichtungen des Schuldners mit Ausnahme derjenigen, die durch seine Grundstücke pfandrechtlich gedeckt sind. Anknüpfungspunkt ist, dass die Forderung bei Konkurseröffnung bestand, und nicht, dass sie fällig war. Die Fälligkeit tritt vielmehr von Gesetzes wegen ein. Für die Verrechnung im Konkurs kommt es ebenso wenig auf die Fälligkeit an, sondern nur auf die Entstehung der Forderung, d.h. auf den Zeitpunkt, in dem der Rechtsgrund der Forderung gesetzt worden ist und der vor der Konkurseröffnung liegen muss (BGE 107 III 139 E. 3 S. 143 mit Hinweisen, zu aArt. 213 SchKG).
Mit der herrschenden Lehre ist die Rechtsprechung zu bestätigen, dass es im Sinne von Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG um in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung entstandene Forderungen geht und auf deren Fälligkeit nichts ankommt. Der Gesetzgeber wollte damit die Forderungen der Arbeitnehmer nur insoweit privilegieren, als sie sich auf die Arbeit beziehen, die in jenem Zeitraum geleistet worden ist (Gabriel Aubert, L'employeur insolvable, in: Journée 1992 de droit du travail et de la sécurité sociale, Zürich 1994, S. 105 ff., S. 124; Fritzsche/Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, II, 3.A. Zürich 1993, § 43 Anm. 24, S. 189 f.; Hansjörg Peter, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 32 zu Art. 219 SchKG; vgl. auch Franco Lorandi, Arbeitsverträge im Konkurs des Arbeitgebers, SJZ 96/2000 S. 150 ff., mit Tabelle auf S. 160; ausführlich: Urteil des Appellationsgerichts Basel-Stadt vom 4. November 1983, in: BJM 1985 S. 154 ff.).
d) Für einen 13. Monatslohn, der Monat für Monat anteilsmässig entsteht, hat das zur Folge, dass er nur für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung das Arbeitnehmerprivileg geniesst und in der ersten Klasse zu kollozieren ist. Diese Folgerung lässt sich auf Lehre und Rechtsprechung stützen, die sie teils als selbstverständlich voraussetzen und nicht näher begründen, teils im gezeigten Sinne ableiten (vgl. die Nachweise bei Meier, a.a.O., S. 41 in Anm. 25; ferner:
Peter, N. 34 zu Art. 219 SchKG; Olivier Righetti, Les créances privilégiées dans la faillite, Schweizer Treuhänder, 72/1998 S. 1423 ff., S. 1424 bei Anm. 16; Damien Vallat, Les droits des travailleurs dans l'exécution forcée et l'indemnité en cas d'insolvabilité de l'employeur, in: Travail et le droit, Fribourg 1994, S. 73 ff., S. 77 bei Anm. 28; Aubert, a.a.O.; z.B. Urteil des Obergerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 15. Mai 1984, in: BJM 1985 S. 157 ff.). Dieselbe Lösung vertritt das EVG in Anwendung von Art. 52 Abs. 1 AVIG (Arbeitslosenversicherungsgesetz, SR 837. 0), wonach die Insolvenzentschädigung Lohnforderungen "für die letzten vier Monate des Arbeitsverhältnisses" deckt; die Insolvenzentschädigung kann nur denjenigen pro-rata-Anteil des 13. Monatslohnes decken, der auf die drei (zur Zeit: vier) Monate vor der Konkurseröffnung oder dem Pfändungsbegehren entfällt (z.B.
Urteile vom 21. Oktober 1985, E. 2, und vom 20. Juni 1996, E. 5, in: Arbeitsrecht und Arbeitslosenversicherung, ARV 1986 Nr. 15 S. 57 ff. bzw. 1998 Nr. 12 S. 58 ff., S. 65).
e) Es ist durchaus einzuräumen, dass die uneingeschränkte Anwendung der gezeigten Grundsätze auf den 13. Monatslohn zu Härten führen kann, wie sie die Kläger schildern und in der Lehre erwähnt werden; insbesondere mag als ungerecht erscheinen, dass vor (aufgeschobener) Fälligkeit des
13. Monatslohnes keine Betreibung möglich ist, bei Konkurseröffnung gegen Ende des Arbeitsjahres hin aber trotzdem nur für die in den letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung entstandenen Forderungen das Arbeitnehmerprivileg gilt (Peter, N. 32 zu Art. 219 SchKG; Guglielmo Bruni, Die Stellung des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers, BJM 1982 S. 281 ff., S. 300). Sie sind indessen hinzunehmen. Gerade das von den Klägern angeführte Beispiel der Verjährung zeigt, dass bei Abwägung der auf dem Spiele stehenden Interessen nicht stets befriedigende Ergebnisse erzielt werden (z.B.
BGE 126 III 278 Nr. 47: Beginn der Verjährung gemäss Art. 46 Abs. 1 VVG ab Schadenereignis und nicht ab dessen Kenntnis; BGE 119 V 56 Nr. 9: Entschädigungslücke zu Lasten des Arbeitnehmers zwischen Konkurseröffnung und deren Kenntnisnahme; u.a.m.). Das Arbeitnehmerprivileg bezweckt eben nur in zeitlich begrenztem Rahmen die Bevorzugung der Arbeitnehmer vor anderen Gläubigern, und es ist zu beachten, dass Forderungen, deren Fälligkeit erst längere Zeit nach ihrer Entstehung eintritt, im Arbeitsverhältnis die Ausnahme bilden (Art. 323 OR) und in der Regel Lohnanteile betreffen, die der Arbeitnehmer zusätzlich zum monatlich ausbezahlten Lohn erhält und auf die er zur Bestreitung seines täglichen Lebensunterhalts nicht in gleichem Mass angewiesen ist wie auf den Monatslohn (zit. Urteil, in: BJM 1985 S. 154 E. 2d S. 157; vgl. Andreas Heusler, Referat betreffend einzelne Fragen des Concursrechts, in:
Verhandlungen des Schweizerischen Juristenvereins 1882, Erstes Heft, Zürich 1882, S. 10 und 3. These auf S. 19: "Grundsätzlich rechtfertigt sich nur die Privilegierung solcher Forderungen, wofür der Gläubiger Credit zu geben durch die Natur der Verhältnisse oder durch gesetzliche Vorschrift gezwungen war und welche zugleich seine ganze öconomische Existenz umfassen. "). Aus sozialpolitischen und humanitären Gründen (BGE 118 III 46 E. 2c S. 49) lässt sich für den
13. Monatslohn insoweit keine Ausnahme ableiten, dass es nach betreibungsrechtlichen Grundsätzen auf die Entstehung der Forderung und nicht auf ihre Fälligkeit ankommt.
5.- Bei diesem Verfahrensausgang werden die Kläger unter Solidarhaft kostenpflichtig (Art. 156 Abs. 1 und 7 OG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.- Die Berufung wird abgewiesen, und das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen (III. Zivilkammer) vom 5. April 2000 wird bestätigt.
2.- Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird den Klägern unter solidarischer Haftbarkeit auferlegt.
3.- Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen (III. Zivilkammer) schriftlich mitgeteilt.
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Lausanne, 31. August 2000
Im Namen der II. Zivilabteilung
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: