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Original
 
[AZA]
C 215/99 Hm
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Rüedi, Meyer
und Ferrari; Gerichtsschreiber Maillard
Urteil vom 26. Mai 2000
in Sachen
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI),
Werdstrasse 62, Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
B.________, 1951, Beschwerdegegner,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
A.- Der 1951 geborene B.________ meldete sich am
20. Oktober 1997 zur Arbeitsvermittlung an und erhob ab
1. November 1997 Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosen-
versicherung. Am 12. November 1997 ersuchte er um Ausrich-
tung von 60 besonderen Taggeldern für die Aufnahme einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit. Mit Verfügung vom 26. No-
vember 1997 hiess das Kantonale Arbeitsamt Luzern dieses
Gesuch teilweise gut und sprach ihm ab 1. Dezember 1997
40 besondere Taggelder zu. Nachdem B.________ am 12. Januar
1998 die Unternehmungsberaterfirma A.________ mitgegründet
und die besonderen Taggelder bezogen hatte, ersuchte er am
22. Januar 1998 um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädi-
gung unter Anrechnung des bei der Firma für ein 50 %-Pensum
erzielten Zwischenverdienstes von monatlich Fr. 2500.-. Mit
Verfügung vom 21. April 1998 verneinte die Arbeitslosenkas-
se der Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI) eine Anspruchsbe-
rechtigung nach dem Bezug besonderer Taggelder.
B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess
die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 17. Mai
1999 in dem Sinne gut, dass die Verfügung vom 21. April
1998 aufgehoben und die Sache an die Arbeitslosenkasse
zurückgewiesen wurde, damit sie im Sinne der Erwägungen
verfahre.
C.- Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichts-
beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Ent-
scheid sei aufzuheben.
B.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, während sich das Staatssekretariat für
Wirtschaft (seco) nicht vernehmen lässt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen rechtlichen
Bestimmungen über die Förderung der selbstständigen Er-
werbstätigkeit (Art. 71a-71d AVIG) zutreffend dargestellt.
Darauf wird verwiesen.
2.- Nach Art. 71a Abs. 1 AVIG kann die Versicherung
Versicherte oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Versicherte,
die eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen
wollen, durch die Ausrichtung von höchstens 60 besonderen
Taggeldern während der Planungsphase eines Projektes unter-
stützen. Vorinstanz und Parteien gehen davon aus, dass der
Beschwerdegegner eine solche selbstständige Erwerbstätig-
keit aufgenommen hat. Auch wenn diese Feststellung und
damit die Anspruchsberechtigung auf besondere Taggelder
unwidersprochen geblieben sind, bedarf sie der Klarstel-
lung.
a) Die Art. 71a ff. AVIG enthalten keine Definition
der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Nach ständiger Recht-
sprechung ist für die Frage der Arbeitnehmereigenschaft in
der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1 lit. a AVIG)
das formell rechtskräftig geregelte AHV-Beitragsstatut
massgebend, sofern sich dieses nicht als offensichtlich
unrichtig erweist (BGE 119 V 158 Erw. 3a). Ein in einer
Aktiengesellschaft als Angestellter bzw. als Organ mitar-
beitender Aktionär gilt ungeachtet seiner Beteiligungsver-
hältnisse in der Gesellschaft grundsätzlich als Unselbst-
ständigerwerbender. Dies gilt auch in Fällen, in welchen
ein Allein- oder Hauptaktionär (formal) rechtlich An-
gestellter der von ihm beherrschten Firma ist (in ARV 1998
S. 13 ff. publizierte Erw. 5 des Urteils BGE 123 V 234).
Rein AHV-beitragsrechtlich dürfte dem Beschwerdegeg-
ner, der gemäss Businessplan vom 6. Oktober 1997 einer der
beiden Hauptaktionäre, Mitglied des Verwaltungsrates sowie
Geschäftsführer der Firma A.________ ist, demzufolge die
Stellung als Arbeitnehmer zukommen, worüber indessen
- soweit ersichtlich - die zuständige Ausgleichskasse noch
nicht entschieden hat.
b) Für die Beurteilung der Frage, ob eine versicherte
Person eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit im
Sinne von Art. 71a Abs. 1 AVIG aufnehmen will, kann hinge-
gen nicht das AHV-beitragsrechtliche Statut allein massge-
bend sein, würde es doch ansonsten letztlich von der - aus
welchen Gründen auch immer - gewählten Rechtsform der Firma
abhängen, ob sie als Selbstständigerwerbende qualifiziert
wird und damit in den Genuss der im Rahmen der zweiten
Teilrevision des AVIG von 1995 neu eingeführten Leistungs-
art zur Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit
kommen kann. Diese neuen Bestimmungen bezwecken die
Unterstützung von Arbeitslosen, die eine selbstständige
Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen (BBl 1994 I 363). Als
unterstützungswürdig im Sinne der Art. 71a ff. AVIG sind
auch Bestrebungen einer versicherten Person zu betrachten,
die ihr in einer von ihr mitzugründenden Firma, und bei der
sie wesentlich mitbeteiligt ist, die Stellung einer
arbeitgeberähnlichen Person (vgl. dazu BGE 123 V 236 f.
Erw. 7a) verschaffen. Eine solche Betrachtungsweise drängt
sich umso mehr auf, als ansonsten in häufig vorkommenden
Fällen, in welchen eine arbeitslose Person Allein- oder
Hauptaktionär der von ihr im Hinblick auf die
Verselbstständigung gegründeten und beherrschten Firma ist,
diese nicht in den Genuss von besonderen Taggeldern käme,
obwohl von einer Gesetzesumgehung nicht die Rede sein kann,
wenn sie sich z.B. aus Gründen der Haftungsbeschränkung in
der Rechtsform einer Aktiengesellschaft konstituiert hat.
Die Gleichbehandlung von Arbeitgeber und arb-
eitgeberähnlicher Person ist dem Arbeitslosenversicherungs-
recht im Übrigen nicht fremd, haben doch - wie die Arbeit-
geber selbst - auch Personen, die in ihrer Eigenschaft als
Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder
als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungs-
gremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder
massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden
Ehegatten, nach Art. 31 Abs. 3 lit. c, Art. 42 Abs. 3 und
Art. 51 Abs. 2 AVIG keinen Anspruch auf Kurzarbeits-,
Schlechtwetter- sowie Insolvenzentschädigung und - in
bestimmten Fallkonstellationen - auch keinen solchen auf
Arbeitslosenentschädigung (vgl. BGE 123 V 237 ff. Erw.
7b/bb).
3.- Strittig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegeg-
ner nach dem Bezug besonderer Taggelder nach Art. 71a
Abs. 1 AVIG weitere Ansprüche gegenüber der Arbeitslosen-
versicherung hat.
a) Die neue Leistungsart (Art. 71a ff. AVIG) kann
ihrem Zweck entsprechend nur beansprucht werden, wenn die
Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit voraussichtlich ganz beendet werden kann.
Als Anspruchsvoraussetzung wird deshalb u.a. die Vorlage
eines Grobprojekts zur Aufnahme einer wirtschaftlich trag-
fähigen und dauerhaften selbstständigen Erwerbstätigkeit
verlangt (Art. 71b Abs. 1 lit. d AVIG). Dieses Kriterium
der Dauer ist das Abgrenzungsmerkmal zum Zwischenverdienst
in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit (Thomas
Nussbaumer, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit, Rz
634). Nimmt die versicherte Person nach Bezug des letzten
besonderen Taggeldes eine selbstständige Erwerbstätigkeit
auf oder hat sie sie zu diesem Zeitpunkt bereits
aufgenommen, ist ihre Arbeitslosigkeit beendet und sie
erhält keine weiteren Leistungen der Arbeitslosen-
versicherung mehr (Nussbaumer, a.a.O., Rz 647). Dies gilt
nach der Rechtsprechung selbst dann, wenn sie in ihrer
neuen Tätigkeit unter mangelnder Beschäftigung steht, be-
zweckt doch das spezifische Taggeld nicht die Finanzierung
der mangelnden Beschäftigung einer Person, die eine selbst-
ständige Tätigkeit aufnimmt (SVR 1999 AlV Nr. 23 S. 56 Erw.
2a). Dem Umstand eines möglichen späteren Scheiterns des
Unterfangens trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass
mit Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit die Rah-
menfrist zum Leistungsbezug von zwei auf vier Jahre verlän-
gert wird (Art. 71d Abs. 2 AVIG und Art. 95e Abs. 2 AVIV).
b) Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdegegner
unbestrittenermassen die projektierte selbstständige Er-
werbstätigkeit im Sinne des in Erw. 2b Dargelegten nicht
nur aufgenommen hat, sondern diese auch weiterhin ausübt.
Es bestehen keine Hinweise dafür, dass er sie als geschei-
tert betrachtet und endgültig aufzugeben gewillt ist. Mit
dem Bezug des letzten besonderen Taggeldes wurde seine
Arbeitslosigkeit nach dem Gesagten beendet und es besteht
keinerlei Möglichkeit, weitere Taggeldleistungen von der
Arbeitslosenversicherung zu beziehen.
4.- Mit dem Ergebnis, dass nach dem Bezug der besonde-
ren Taggelder keine weitere Anspruchsberechtigung auf Tag-
gelder besteht, steht indessen noch nicht fest, ob dem
Beschwerdegegner die anbegehrten Leistungen nicht doch
- allerdings unter einem anderen Rechtstitel - zu gewähren
sind. Er macht - wie bereits im vorinstanzlichen Verfah-
ren - unter sinngemässer Berufung auf den öffentlichrecht-
lichen Vertrauensschutz bei einer falschen Auskunft einer
Verwaltungsbehörde (vgl. dazu BGE 121 V 66 f. Erw. 2a mit
Hinweisen) geltend, der zuständige Personalberater des
Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) habe ihm und
seinem Geschäftspartner die Auskunft erteilt, er könne nach
dem Bezug der besonderen Taggelder weitere Leistungen der
Arbeitslosenversicherung beanspruchen. Es bleibt daher die
von der Vorinstanz offen gelassene Frage zu prüfen, ob der
Beschwerdegegner aus dem erwähnten Grundsatz etwas zu sei-
nen Gunsten ableiten kann. Die Sache ist daher an das kan-
tonale Gericht zurückzuweisen, welches hierüber befinden
wird.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Luzern vom 17. Mai 1999 aufgehoben
und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über
die Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. April 1998
neu entscheide.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrecht-
liche Abteilung, dem Kantonalen Arbeitsamt Luzern und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 26. Mai 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: