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Original
 
[AZA]
C 213/99 Hm
I. Kammer
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Rüedi, Meyer
und Ferrari; Gerichtsschreiber Maillard
Urteil vom 26. Mai 2000
in Sachen
Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI),
Werdstrasse 62, Zürich, Beschwerdeführerin,
gegen
Z.________, 1952, Beschwerdegegner,
und
Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern
A.- Der 1952 geborene Z.________ meldete sich am
17. Juli 1997 zur Arbeitsvermittlung an und erhob ab
1. August 1997 Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenver-
sicherung. Am 6. Oktober 1997 ersuchte er um Ausrichtung
von 60 besonderen Taggeldern für die Aufnahme einer selbst-
ständigen Erwerbstätigkeit. Mit Verfügung vom 22. Oktober
1997 hiess das Kantonale Arbeitsamt Luzern dieses Gesuch
gut und sprach ihm ab 21. Oktober 1997 60 besondere Taggel-
der zu. Nachdem Z.________ am 12. Januar 1998 die Unterneh-
mungsberaterfirma A.________ mitgegründet und die besonde-
ren Taggelder bezogen hatte, ersuchte er am 22. Januar 1998
um Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung unter Anrech-
nung des bei der Firma für ein 50 %-Pensum erzielten Zwi-
schenverdienstes von monatlich Fr. 2500.-. Mit Verfügung
vom 21. April 1998 verneinte die Arbeitslosenkasse der Ge-
werkschaft Bau & Industrie (GBI) eine Anspruchsberechtigung
nach dem Bezug besonderer Taggelder.
B.- Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern hiess
die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 17. Mai
1999 in dem Sinne gut, dass die Verfügung vom 21. April
1998 aufgehoben und die Sache an die Arbeitslosenkasse
zurückgewiesen wurde, damit sie im Sinne der Erwägungen
verfahre.
C.- Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichts-
beschwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Ent-
scheid sei aufzuheben.
Z.________ schliesst auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde, während sich das Staatssekretariat für
Wirtschaft (seco) nicht vernehmen lässt.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen rechtlichen
Bestimmungen über die Förderung der selbstständigen Er-
werbstätigkeit (Art. 71a-71d AVIG) zutreffend dargestellt.
Darauf wird verwiesen.
2.- Nach Art. 71a Abs. 1 AVIG kann die Versicherung
Versicherte oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Versicherte,
die eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen
wollen, durch die Ausrichtung von höchstens 60 besonderen
Taggeldern während der Planungsphase eines Projektes unter-
stützen. Vorinstanz und Parteien gehen davon aus, dass der
Beschwerdegegner eine solche selbstständige Erwerbstätig-
keit aufgenommen hat. Auch wenn diese Feststellung und
damit die Anspruchsberechtigung auf besondere Taggelder
unwidersprochen geblieben sind, bedarf sie der Klarstel-
lung.
a) Die Art. 71a ff. AVIG enthalten keine Definition
der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Nach ständiger Recht-
sprechung ist für die Frage der Arbeitnehmereigenschaft in
der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1 lit. a AVIG)
das formell rechtskräftig geregelte AHV-Beitragsstatut
massgebend, sofern sich dieses nicht als offensichtlich
unrichtig erweist (BGE 119 V 158 Erw. 3a). Ein in einer
Aktiengesellschaft als Angestellter bzw. als Organ mitar-
beitender Aktionär gilt ungeachtet seiner Beteiligungsver-
hältnisse in der Gesellschaft grundsätzlich als Unselbst-
ständigerwerbender. Dies gilt auch in Fällen, wo ein Al-
lein- oder Hauptaktionär (formal) rechtlich Angestellter der
von ihm beherrschten Firma ist (in ARV 1998 S. 13 ff.
publizierte Erw. 5 des Urteils BGE 123 V 234).
Rein AHV-beitragsrechtlich dürfte dem Beschwerdegeg-
ner, der gemäss Businessplan vom 6. Oktober 1997 einer der
beiden Hauptaktionäre, Mitglied des Verwaltungsrates sowie
Geschäftsführer der Firma A.________ ist, demzufolge die
Stellung als Arbeitnehmer zukommen, worüber indessen
- soweit ersichtlich - die zuständige Ausgleichskasse noch
nicht entschieden hat.
b) Für die Beurteilung der Frage, ob eine versicherte
Person eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit im
Sinne von Art. 71a Abs. 1 AVIG aufnehmen will, kann hinge-
gen nicht das AHV-beitragsrechtliche Statut allein massge-
bend sein, würde es doch ansonsten letztlich von der - aus
welchen Gründen auch immer - gewählten Rechtsform der Firma
abhängen, ob sie als Selbstständigerwerbende qualifiziert
wird und damit in den Genuss der im Rahmen der zweiten
Teilrevision von 1995 neu eingeführten Leistungsart zur
Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit kommen kann.
Diese neuen Bestimmungen bezwecken die Unterstützung von
Arbeitslosen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf-
nehmen wollen (BBl 1994 I 363). Als unterstützungswürdig im
Sinne der Art. 71a ff. AVIG sind auch Bestrebungen einer
versicherten Person zu betrachten, die ihr in einer von ihr
mitzugründenden Firma, und bei der sie wesentlich mitbetei-
ligt ist, die Stellung einer arbeitgeberähnlichen Person
(vgl. dazu BGE 123 V 236 f. Erw. 7a) verschaffen. Eine sol-
che Betrachtungsweise drängt sich umso mehr auf, als an-
sonsten in häufig vorkommenden Fällen, wo eine arbeitslose
Person Allein- oder Hauptaktionär der von ihr in Hinblick
auf die Verselbstständigung gegründeten und beherrschten
Firma ist, diese nicht in den Genuss von besonderen Taggel-
dern käme, obwohl von einer Gesetzesumgehung nicht die Rede
sein kann, wenn sie sich z.B. aus Gründen der Haftungsbe-
schränkung in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft kon-
stituiert hat. Die Gleichbehandlung von Arbeitgeber und
arbeitgeberähnlicher Person ist dem Arbeitslosenversiche-
rungsrecht im Übrigen nicht fremd, haben doch - wie die
Arbeitgeber selbst - auch Personen, die in ihrer Eigen-
schaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Betei-
ligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Ent-
scheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers
bestimmen oder massgeblich beeinflussen können, sowie ihre
mitarbeitenden Ehegatten, nach Art. 31 Abs. 3 lit. c, 42
Abs. 3 und 51 Abs. 2 AVIG keinen Anspruch auf Kurzarbeits-,
Schlechtwetter- sowie Insolvenzentschädigung und - bei
bestimmten Fallkonstellationen - auch keinen solchen auf
Arbeitslosenentschädigung (vgl. BGE 123 V 237 ff. Erw.
7b/bb).
3.- Strittig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegeg-
ner nach dem Bezug besonderer Taggelder nach Art. 71a
Abs. 1 AVIG weitere Ansprüche gegenüber der Arbeitslosen-
versicherung hat.
a) Die neue Leistungsart (Art. 71a ff. AVIG) kann
ihrem Zweck entsprechend nur beansprucht werden, wenn die
Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit voraussichtlich ganz beendet werden kann.
Als Anspruchsvoraussetzung wird deshalb u.a. die Vorlage
eines Grobprojekts zur Aufnahme einer wirtschaftlich trag-
fähigen und dauerhaften selbstständigen Erwerbstätigkeit
(Art. 71b Abs. 1 lit. d AVIG) verlangt. Dieses Kriterium
der Dauer ist das Abgrenzungsmerkmal zum Zwischenverdienst
in Form einer selbstständigen Erwerbstätigkeit (Nussbaumer,
Die Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundes-
verwaltungsrecht [SBVR], S. 233 Rz 634). Nimmt die versi-
cherte Person nach Bezug des letzten besonderen Taggeldes
eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf oder hat sie sie
zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen, ist ihre Arbeits-
losigkeit beendet und sie erhält keine weiteren Leistungen
der Arbeitslosenversicherung mehr (Nussbaumer, a.a.O.,
S. 236 Rz 647). Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst
dann, wenn sie in ihrer neuen Tätigkeit unter mangelnder
Beschäftigung steht, bezweckt doch das spezifische Taggeld
nicht die Finanzierung der mangelnden Beschäftigung einer
Person, die eine selbstständige Tätigkeit aufnimmt (SVR
1999 AlV Nr. 23 S. 56 Erw. 2a). Dem Umstand eines möglichen
späteren Scheiterns des Unterfangens trägt der Gesetzgeber
dadurch Rechnung, dass mit Aufnahme der selbstständigen
Erwerbstätigkeit die Rahmenfrist zum Leistungsbezug von
zwei auf vier Jahre verlängert wird (Art. 71d Abs. 2 AVIG
und Art. 95e Abs. 2 AVIV).
b) Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdegegner
unbestrittenermassen die projektierte selbstständige Er-
werbstätigkeit im Sinne des in Erw. 2b Dargelegten nicht
nur aufgenommen hat, sondern diese auch weiterhin ausübt.
Es bestehen keine Hinweise dafür, dass er sie als geschei-
tert betrachtet und endgültig aufzugeben gewillt ist. Mit
dem Bezug des letzten besonderen Taggeldes wurde seine
Arbeitslosigkeit nach dem Gesagten beendet und es besteht
entgegen der Ansicht der Vorinstanz keinerlei Möglichkeit,
weitere Taggeldleistungen von der Arbeitslosenversicherung
zu beziehen.
4.- Mit dem Ergebnis, dass nach dem Bezug der besonde-
ren Taggelder keine weitere Anspruchsberechtigung auf Tag-
gelder besteht, steht indessen noch nicht fest, ob dem
Beschwerdegegner die anbegehrten Leistungen nicht doch
- allerdings unter einem anderen Rechtstitel - zu gewähren
sind. Er macht - wie bereits im vorinstanzlichen Verfah-
ren - unter sinngemässer Berufung auf den öffentlichrecht-
lichen Vertrauensschutz bei einer falschen Auskunft einer
Verwaltungsbehörde (vgl. dazu BGE 121 V 66 f. Erw. 2a mit
Hinweisen), geltend, der zuständige Personalberater des
Regionalen Arbeitsvermittlungszentrums (RAV) habe ihm die
Auskunft erteilt, er könne nach dem Bezug der besonderen
Taggelder weitere Leistungen der Arbeitslosenversicherung
beanspruchen. Es bleibt daher die von der Vorinstanz offen
gelassene Frage zu prüfen, ob der Beschwerdegegner aus dem
erwähnten Grundsatz etwas zu seinen Gunsten ableiten kann.
Die Sache ist daher an das kantonale Gericht zurückzuwei-
sen, welches hierüber befinden wird.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
gutgeheissen, dass der Entscheid des Verwaltungsge-
richts des Kantons Luzern vom 17. Mai 1999 aufgehoben
und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird,
damit sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über
die Beschwerde gegen die Verfügung vom 21. April 1998
neu entscheide.
II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
richt des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrecht-
liche Abteilung, dem Kantonalen Arbeitsamt Luzern und
dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.
Luzern, 26. Mai 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der I. Kammer:
Der Gerichtsschreiber: