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Original
 
[AZA]
B 33/99 Vr
IV. Kammer
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiberin Berger
Urteil vom 15. März 2000
in Sachen
Vorsorgestiftung der schweizerischen Landwirtschaft, Laur-
strasse 10, Brugg, Beschwerdeführerin,
gegen
V.________, 1950, Beschwerdegegner, vertreten durch
Rechtsanwalt B.________,
und
Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Aarau
A.- Der 1950 geborene V.________, von Beruf Landwirt,
unterzeichnete am 27. Oktober 1992 eine Anmeldung für die
Aufnahme in die Todesfall- und Invaliditätsrisikover-
sicherung Plan "E 43" und "H 86" der Vorsorgestiftung der
schweizerischen Landwirtschaft. Dabei beantwortete er die
Fragen "Sind Sie gesund?" und "Sind Sie voll arbeitsfähig?"
mit "JA". Die schweizerische Lebensversicherungs- und
Rentenanstalt (nachstehend: Rentenanstalt) als geschäfts-
führende Gesellschaft stellte je einen persönlichen, ab
1. November 1992 gültigen Versicherungsausweis aus. Am
14. Dezember 1993 musste sich V.________ einer Herzopera-
tion mit Aortaklappenersatz und Durchtrennung akzessori-
scher Bündel unterziehen. In der Folge trat eine postopera-
tive Komplikation in der Form eines Hinterwandinfarktes
auf. Vom 10. Dezember 1993 bis 31. März 1994 und vom
15. Januar bis 12. Februar 1995 war er vollständig arbeits-
unfähig. Ab 1. April 1994 bis 14. Januar 1995 konnte er
seine Tätigkeit als Landwirt in beschränktem Umfang ausüben
und für die Zeit seit 13. Februar 1995 bis auf weiteres
attestierte ihm sein Hausarzt Dr. med. K.________, Allge-
meine Medizin FMH, eine Arbeitsunfähigkeit von 33 1/3 bis
50 % (Bericht vom 14. August 1995).
Mit Verfügung vom 14. Oktober 1996 sprach die IV-
Stelle Luzern V.________ ab 1. November 1994 eine halbe
Invalidenrente zu.
Nachdem V.________ am 17. Juli 1995 seine Erwerbsun-
fähigkeit angemeldet hatte, holte die Rentenanstalt eine
Stellungnahme des Dr. med. K.________ (vom 14. August 1995)
ein. Daraufhin teilte die Vorsorgestiftung V.________ mit
Schreiben vom 29. August 1995 mit, aus den Unterlagen sei
ersichtlich, dass ihm bereits vor der Anmeldung zur Risiko-
versicherung vom 27. Oktober 1992 Gesundheitsbeschwerden
bekannt gewesen seien, die zu einer Invalidität im Sinne
der Invalidenversicherung geführt hätten. Sie sehe sich
daher veranlasst, wegen Anzeigepflichtverletzung rückwir-
kend per 1. November 1992 vom Vertrag zurückzutreten; die
geleisteten Prämien werde sie rückerstatten.
B.- V.________ liess beim Versicherungsgericht des
Kantons Aargau gegen die Vorsorgestiftung Klage erheben und
im Wesentlichen die Zusprechung der reglementarischen Ver-
sicherungsleistungen beantragen. In Gutheissung der Klage
stellte das kantonale Gericht fest, zwischen den Parteien
bestehe nach wie vor ein rechtsgültiges Vertragsverhältnis
über eine Todesfall- und Invalidenversicherung gemäss An-
meldung vom 27./29. Oktober 1992 und Versicherungsausweis
vom 26. November 1992. Demzufolge verpflichtete es die
Vorsorgestiftung, V.________ ab 1. November 1995 bis auf
weiteres, längstens bis zum 31. Oktober 2015, 55 % der
jährlichen Vollinvalidenrente von Fr. 13'156.-, somit jähr-
lich Fr. 7235.80 nebst Zins zu 5 % seit 7. November 1997
auf die jeweils fälligen Beträge, auszurichten. Zudem habe
die Vorsorgestiftung V.________ mit Wirkung ab 1. November
1994 bezüglich der Versicherung gemäss Plan "E 43" in der
Höhe von Fr. 264.- pro Jahr und bezüglich der Versicherung
gemäss Plan "H 86" im Umfang von Fr. 528.- pro Jahr von der
Beitragspflicht zu befreien (Entscheid vom 24. März 1999).
C.- Die Vorsorgestiftung führt Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde und stellt das Rechtsbegehren, der vorinstanzliche
Entscheid sei aufzuheben.
V.________ lässt beantragen, auf die Verwaltungsge-
richtsbeschwerde sei nicht einzutreten; eventuell sei sie
abzuweisen. Das Bundesamt für Sozialversicherung äussert
sich zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde, enthält sich indes-
sen eines bestimmten Antrages.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.- Die vorliegende Streitigkeit unterliegt der Ge-
richtsbarkeit der in Art. 73 BVG erwähnten richterlichen
Behörden, welche sowohl in zeitlicher als auch in sach-
licher Hinsicht zuständig sind (BGE 122 V 323 Erw. 2, 120 V
18 Erw. 1a, je mit Hinweisen).
2.- Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerde-
gegner Invalidenleistungen der Vorsorgeeinrichtung bean-
spruchen kann.
3.- Das kantonale Gericht hat zutreffend dargelegt,
dass es sich bei der Vorsorgestiftung der schweizerischen
Landwirtschaft um eine nichtregistrierte Verbandsvorsorge-
einrichtung in der Rechtsform der Stiftung handelt. Nicht
zu beanstanden sind sodann die Ausführungen über die im
Bereich der freiwilligen Vorsorge für Selbstständiger-
werbende bei Fehlen entsprechender statutarischer bzw.
reglementarischer Bestimmungen analogieweise anwendbaren
Art. 4 ff. VVG bei Anzeigepflichtverletzungen im Rahmen der
Antragstellung (BGE 119 V 286 Erw. 4 mit Hinweisen). Darauf
kann verwiesen werden.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auf nichtre-
gistrierte Vorsorgeeinrichtungen die Bestimmung des Art. 45
Abs. 1 BVG keine Anwendung findet (Art. 5 Abs. 2 in Verbin-
dung mit Art. 48 Abs. 1 BVG). Sie sind in der Vertragsge-
staltung grundsätzlich frei. Insbesondere können sie die
Aufnahme in die Versicherung an gewisse Anforderungen des
Gesundheitszustandes knüpfen, indem sie beispielsweise
einen befristeten oder unbefristeten gesundheitlichen Vor-
behalt anbringen (BGE 119 V 283 f. Erw. 2a mit Hinweisen).
Die Vorsorgestiftung hat von dieser Möglichkeit nach dem
System der Selbstdeklaration Gebrauch gemacht.
4.- a) Die Vorinstanz gelangte in umfassender und
korrekter Würdigung sämtlicher Unterlagen zur Auffassung,
der Beschwerdegegner habe die Anzeigepflicht nicht ver-
letzt. Im Zeitpunkt der Antragstellung (27. Oktober 1992)
habe er sich gesund fühlen können und deshalb die Frage
nach seinem Gesundheitszustand im Anmeldungsformular rich-
tig beantwortet. Dem stehe nicht entgegen, dass er sich am
7. September 1992 von seinem Hausarzt und am 13. Oktober
1992 von Dr. med. S.________, FMH Kardiologie, habe
untersuchen lassen und am 27. Oktober 1992 von seinem
Herzklappenfehler und den Überleitungsstörungen gewusst
habe. Da der Beschwerdeführerin somit die Möglichkeit,
gestützt auf Art. 6 VVG vom Vertrag zurückzutreten, ver-
wehrt sei, müsse sie dem Versicherten die reglementarischen
Invalidenleistungen gewähren.
b) Was in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen
vorgebracht wird, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu
führen. Insbesondere kann entgegen der Auffassung der Vor-
sorgestiftung nicht von einem missbräuchlichen Verhalten
des Beschwerdegegners bei Vertragsschluss ausgegangen wer-
den. Denn im angefochtenen Entscheid wird eingehend dar-
gelegt, weshalb der Versicherte als medizinischer Laie
unter den konkreten Umständen die Frage, ob er gesund sei,
im Zeitpunkt der Anmeldung vom 27. Oktober 1992 in guten
Treuen bejahen durfte. Gerade bei einer derart weit ge-
fassten, einen grossen Beurteilungsspielraum öffnenden
Frage darf eine Verletzung der Anzeigepflicht nur mit
grosser Zurückhaltung angenommen werden (BGE 101 II 344).
Dies gebietet schon die Härte des Gesetzes, nach welchem
die Verletzung der Anzeigepflicht gegebenenfalls nicht zu
einer Anpassung des Vorsorgevertrages, sondern, wie hier,
zu dessen Wegfall führt. Es ist Sache des Versicherers,
durch klare und präzise Fragen auf genaue Antworten hin-
zuwirken. So wäre es für die Vorsorgestiftung ein Leichtes
gewesen, den Vorsorgeinteressenten nach bestimmten durch-
gemachten Krankheiten oder ärztlichen Behandlungen zu fra-
gen, wie sie dies denn auch in ihrem neuen Fragebogen
macht.
5.- Die vom kantonalen Gericht errechneten, dem Ver-
sicherten zustehenden Invalidenleistungen und die Bei-
tragsbefreiung lassen sich schliesslich auch der Höhe nach
nicht beanstanden.
6.- Bei diesem Ergebnis kann offen bleiben, ob die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde rechtsgültig unterzeichnet
ist, was vom Beschwerdegegner in seiner Vernehmlassung be-
stritten wird.
7.- Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilli-
gung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb
von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist
(Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem Be-
schwerdegegner eine Parteientschädigung zuzusprechen
(Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG).
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
I.Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
III.Die Vorsorgestiftung der schweizerischen Landwirt-
schaft hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Partei-
entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehr-
wertsteuer) zu bezahlen.
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-
gericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 15. März 2000
Im Namen des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts
Der Präsident der IV. Kammer:
Die Gerichtsschreiberin: